Gerüchteküche: Der Milan

Gleich zu Beginn unseres Beitrages möchten wir Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich hierbei um eine Ansammlung von Gerüchten handelt, zu denen wir keinerlei Bestätigungen seitens der Firma ATARI Corp. enthalten haben.

Im Frühjahr 1992 wurde der ATARI Falcon030 erstmals der öffentlichkeit vorgestellt. Ein neuer Superrechner sollte eine neue Rechnerpalette ankündigen. Vielfach wurde über ein auf den F030 folgendes Flaggschiff, den Falcon040 getuschelt. Von ATARI wurde das Vorhaben, einen solchen Rechner zu präsentieren, nicht dementiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jack Tramiel, Entwickler des berühmten C64 und Atari ST, wieder das Ruder an der Führungsspitze der ATARI Corp. übernommen. Er hatte erkannt, dass es galt, so schnell wie möglich eine neue Erfolgsserie vorzuweisen, um nicht vom hart umkämpften Markt zu verschwinden.

Doch es sollte anders kommen als die ATARI-Fangemeinde es sich vorgestellt hatte:

Während sich noch immer viele Falcon030-Fanatiker auf diesen Raubvogel freuten, gab es Schwierigkeiten mit der Auslieferung. Begründet wurden diese Probleme mit Transportschwierigkeiten usw., doch der wahre Grund war wohl darin zu sehen, dass sich das Jahr 1992 zu einem der finanziell schwierigsten in der langjährigen ATARI-Geschichte entwickelt hatte. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis der Falcon030 nach seiner Erstvorstellung auf der CeBit'92, auch in größeren Mengen lieferbar war, doch bis zu diesem Zeitpunkt war der Umsatz der Kalifornier drastisch zurückgegangen. Weltweit mussten Einsparungsmaßnahmen getroffen werden. Außerdem schien das Falcon030-Konzept schon relativ veraltet. Die Verkaufszahlen waren demzufolge längst nicht so hoch wie erwartet.

Was keiner wußte

Atari war schon seit langem mit der Entwicklung eines neuen Gerätes beschäftigt. Die Firmenleitung hatte beschlossen, wieder auf den Unterhaltungs- und Konsolenmarkt zurückzukehren, da man sich dort größere Marktanteile erhoffte. So wurde die Entwicklung des 64-Bit-Jaguars nach der Fertigstellung des Falcon030 forciert. Sämtliche im Bereich der Entwicklung tätigen Kräfte wurden auf diese Wunderkonsole konzentriert, so dass der Falcon040 in den Hintergrund geriet. Ziel der Firmenleitung war es, durch einen Megaseller im Konsolenbereich, die Verluste der vergangenen Jahre zu kompensieren, um neues Kapital für die Entwicklung neuer Computer zur Verfügung zu haben.

Seit dem Sommer 1993 ist die Entwicklung des Jaguar-Chipsatzes nun abgeschlossen.

Inzwischen sind aber knapp 18 Monate vergangen, in denen man wenig über die Ziele der Hardwareentwickler von ATARI gehört hat. Es wird zwar an der Herstellung des Jaguar II-Chipsatzes gearbeitet. Aber da dieser "lediglich" die Zusammenlegung der Custom-Chips "Tom" und "Jerry", sowie eine Beschleunigung der Arbeitsvorgänge beinhaltet, dürfte der Entwicklungsvorgang nicht sämtliche Entwickler für 1 1/2 Jahre auslasten.

Warum wird jede Entwicklung an einem neuen Computer dementiert? ATARI hat in den vergangenen Jahren schlechte Erfahrungen mit der Veröffentlichung von Entwicklungsgeheimnissen gemacht. Im allgemeinen ist es sehr schwer, pünktliche Termine für die serienreife Produktion einer neuen Hardwareentwicklung zu nennen (Siehe Worldnews Chronik: Nintendo). Dies hat ATARI in den letzten Jahren wiederholt versucht. Die Zeitangaben konnten jedoch nur selten eingehalten werden. Dies hatte einerseits zur Folge, dass die Fachpresse sehr kritisch darauf reagierte, zum anderen fühlte sich der Anwender aber häufig im Stich gelassen und beschloss, auf neue Systeme umzusteigen. Das soll nun offensichtlich verhindert werden. Sollte ein neuer Computer also schon jetzt fertig entwickelt sein, könnte es dennoch sein, dass ATARI auf Produktionskapital aus dem Verkauf von Jaguaren wartet.

Angeblich soll der Milan seit geraumer Zeit schon fertiggestellt sein!

Die Standardversion wird demzufolge auf einem Motorola MC 68040 basieren. Nun wird es viele User geben, die diese CPU für veraltet betrachten. So wird man ATARI vorwerfen, dass der Chip schon seit Jahren in Apple- und AMIGA-Rechnern verwendet wird. Schließlich wird es sicherlich auch nicht ganz grundlos sein, wenn sowohl IBM als auch Apple auf neue RISC-Chips setzten.

Welche Vorzüge kann ein 68040-er Rechner heute noch bieten?

Betrachtet man sich die genaue Struktur dieses Customchips, so fällt auf, dass er einen, im Gegensatz zu seinem Konkurrenten DX 2/66, relativ geringen Befehlssatz benötigt. Bei einer internen Taktfrequenz von 64 MHz dürfte er also schneller als der Intelprozessor sein. Des weiteren ist auch die Peripherie, die eine CPU umgibt, sehr relevant für die Rechenleistung eines Computers. Bei handelsüblichen PCs stellen Mainboard und Kartensysteme häufig eine starke Bremse dar, da diese z.T. mit einem 8 Bit breiten Datenbus arbeiten. Außerdem sind einzelne Komponenten selten perfekt aufeinander abgestimmt. Gelänge es jedoch, das gesamte Board auf die schnelle CPU abzustimmen, schnelle Grafik- und Steuerchips (z.B. ähnlich „Tom“ und „Jerry“) sowie DSP-Technologie zu einem Komplettsystem zu vereinen, so entstünde mit Sicherheit ein sehr leistungsfähiger Computer. In Anbetracht der Tatsache, dass der Apple Quadra mit 68040-CPU (50 MHz) noch immer das „Non-Plus-Ultra“ auf dem DTP-Bereich darstellt (z.B. die Zeitschrift Focus wird darauf gesetzt), wäre ein Milan mit den oben beschriebenen Features ein Meisterwerk.

Der Preisvorteil

Ein weiterer Punkt, den man nicht vergessen sollte, ist folgender: Mit Sicherheit stehen ATARI nicht die gleichen finanziellen Ressourcen zur Produktion einer eigenen CPU zur Verfügung, wie der Firma Intel. In Anbetracht der Tatsache, dass die Entwicklung des Pentium rund 1.8 Mrd. DM gekostet hat, ein verständliches Argument. Nicht umsonst haben sich Apple und IBM zur Entwicklung eines Power-PC-Chips zusammengetan. ATARI bleibt also nur noch die Möglichkeit, auf bereits vorhandene Chips zurückzugreifen. Der 68060-er von Motorola wäre mit Sicherheit ein Garant für absoluten Geschwindigkeitsrausch, da dieser RISC-Elemente beinhaltet und zudem noch schneller ist, als der Pentium. Verglichen mit den noch relativ unausgereiften Power-PC-Chips, die in der 1000.- DM teuren Software-Emulation eines Windows-Betriebssystemes kaum schneller sind, als ein 500.- DM teurer PC-Hardware- Emulator für den Falcon 030, wäre der 68060-er zwar die beste, aber auch die teuerste Alternative. Für die Zukunft aber sicher ein einsetzbares Produkt.

Das heißt im Klartext

Der Milan könnte ein erneuter Versuch der Einführung einer neuen Generation von ATARI-Computern sein. Das Jahr 1995 ist prädestiniert für die Vorstellung eines neuen ATARI-Computers: Da ATARI nach wie vor den Grundsatz "Power without the Price" verfolgt, ist der Einsatz eines der o.g. Super-CPUs zu teuer für einen Low-Cost-Rechner. Nach Aussagen der Fa. ATARI sollen deren Computer auch wieder den Heim-Anwender ansprechen und seinen Ansprüchen genügen. Da der Privatanwender aber nicht viele Tausend DM für die Anschaffung eines neuen Computers ausgeben will, darf nicht schon die CPU eines neuen ATARI-Computers viele hundert DM kosten. Das Jahr 1995 wäre zur Präsentation eines neuen ATARI-Computers schon deswegen sehr geeignet, weil die Kalifornier den 10. Geburtstag des ATARI ST mit einem ebenso innovativen als auch neuen Heimcomputer feiern könnten.

Ist ATARI auf der CeBit'95 dabei?

Aus Insiderkreisen ist an uns herangetragen worden, dass ATARI auf der kommenden CeBit eine Ausstellungsfläche gebucht hat. Dieser Aussage sind wir nachgegangen und haben uns bei der Messeleitung in Hannover erkundigt. So wurde uns mitgeteilt, dass ATARI als Interessent für einen eigenen Stand eingetragen sei. Dennoch gaben wir nicht auf und ließen uns weiterverbinden. Schließlich wurde uns zugesagt, dass ATARI großes Interesse an einem Stand auf der CeBit hätte; man führe derzeit jedoch noch intensive Verhandlungen. Mehr dürfe uns nicht mitgeteilt werden. Für genauere Informationen sollten wir uns bitte an die Firmenleitung in den USA wenden, da auch Messeleitungen einer gewissen Schweigepflicht unterlägen. Um letzte Zweifel aus dem Weg zu räumen, fragten wir nach, ob dieser mögliche Messestand in der Nähe von Sega, oder Nintendo-Ständen zu finden wären. Hierauf sagte man uns, dass diese beiden Firmen nicht erwünscht seien, da sie einen ganz anderen Markt ansprächen, den die CeBit nicht abdeckt würde. Für ATARI würde gleiches gelten. Einer grundsätzlichen Vorstellung des Jaguars stände nichts im Wege, er dürfte jedoch nicht der einzige Mittelpunkt der Ausstellung sein.

Außerdem munkelt man darüber,

...dass die Entwickler derzeit am "Debugging" des vollkommen neuen Betriebssystemes arbeiten. ...dass ATARI erst dann Fakten zu einem neuen Computer nennt, wenn die Verkaufszahlen für den Falcon030 drastisch zurückgehen (was wir nicht hoffen) ...dass es für den Falcon030 ein Upgradeboard zu einem Preis von ca. 1000 DM geben wird. Wir fragen uns:

Gibt es unter den Hard- und Softwareentwicklern Eingeweihte? Warum haben namhafte Entwickler wie Steinberg oder E-Magic mehrere tausend DM in die Entwicklung von Musiksystemen für den Falcon030 investiert, wenn die Zukunft der ATARI-Computer scheinbar so schlecht ist? Warum hat die Fa. Steinberg ein Entwicklungssystem für den Jaguar gekauft? Fragen über Fragen. Sobald es Neues zu berichten geben sollte, werden wir Sie ausführlich darüber informieren, denn wir halten Sie über den Entwicklungsstand des Milan auf dem Laufenden.



Aus: Atari Inside 01 / 1994, Seite 56

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