JAnE

"Just Another Editor", so lautet der ausgeschriebene Name des neuen ASCII-Editors "JanE".

Ein absolutes Understatement, denn einen solchen Editor hat die Atari-Welt noch nicht gesehen. Er könnte tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sein ...

JAnE liegt z.Z. in der Version 1.1. vor, Nachdem die erste Version doch noch sehr von Kinderkrankheiten behaftet war, wurde allen registrierten Anwendern ein kostenloses fehlerbereinigtes Update zugesandt. Auch das Handbuch war in der ersten Version noch nicht vollständig fertiggestellt, die fehlenden Seiten wurden jedoch ebenfalls nachgeliefert.

Funktionsumfang

Wer von JAnE Funktionen eines Textverarbeitungsprogramms - z.B. Textattribute wie Fett- oder Kursivschrift oder gar ein Wörterbuch - erwartet, wird sicherlich mit JAnE nicht gut bedient sein. JAnE wurde für einen völlig anderen Zweck konzipiert und ist insoweit auch nicht direkt mit Textverarbeitungsprogrammen zu vergleichen. JAnE wendet sich an alle, die ASCII-Texte zu bearbeiten haben, ist also z.B. für das Editieren von Programmen, für das Erstellen von Vorlagen für Hypertexte oder auch nur mal eben für das Ändern diverser INF-Dateien gedacht. Für diese Zwecke jedoch bietet JAnE eine Fülle von Funktionen, die das Bearbeiten von ASCII-Texten zu einem Vergnügen machen. Schon die Grundfunktionen von JAnE sind sehr flexibel - so kann z.B. das Zeilenendekennzeichen frei bestimmt werden, um auch Texte mit anderen Zeilentrennern als dem üblichen CR/LF oder LF editieren zu können. Sollten angesichts schwieriger Sonderzeichen die normalen Editierfunktionen von JAnE einmal nicht ausreichen, kann der eingebaute Hexadezimaleditor eingesetzt werden, in welchem alle Zeichen übersichtlich per Hexschreibweise eingegeben werden können.

Auf überflüssigen Schnickschnack wie z.B. einen Taschenrechner verzichtet JAnE dagegen. Einen Schock Taschenrechner wird ja wohl auch jeder in seinem Bootverzeichnis haben... Hervorragend sind die Suchen/Ersetzen-Funktionen von JAnE. Gesucht werden kann wahlweise nach Klartext oder nach "Regular Expressions". Regular Expressions kann man sich als eine Erweiterung der vom TOS her bekannten Wildcards vorstellen. So kann z.B. nach Kombinationen von bestimmten Zeichen gesucht werden, auch Zeilenanfang, Zeilenende etc. können in die Suchfunktion mit einbezogen werden weitaus flexibler, als dies mit einfachen Wildcards möglich ist. Zu den umfangreichen Suchfunktionen gesellt sich eine komplexe Ersetzen-Funktion.

So ist es z.B. möglich, aus dem gefundenen String, Teilstrings abzugreifen und sie in den Ersatzstring einzufügen. Mittels dieser Möglichkeit ist es z.B. ein Leichtes, Textstellen nach dem Muster "#define zwanzig 20" automatisch umzusetzen in "zwanzig = 20;". Wer schon einmal Quelltexte zwischen verschiedenen Programmiersprachen konvertiert hat, weiß, wie nervenzerfetzend umständlich so etwas mit einer simplen Ersetzen-Funktion zu verwirklichen ist.

Auch die Blockfunktionen sind erwähnenswert. So können Blöcke nicht nur ausgeschnitten und kopiert werden, sondern es ist auch möglich, Blöcke rechts- und linksbündig, zentriert und im Blocksatz zu formatieren sowie links und rechts einzurücken. Das absolute Highlight im Funktionsumfang von JAnE ist jedoch die eingebaute Macrosprache 'SCEleton'.

Als erster Texteditor auf dem Atari bietet JAnE eine komplette, schlanke, aber dennoch leistungsfähige Programmiersprache. Die Grundstruktur dieser Sprache ist an C angelehnt, doch auch an Pascal- bzw. Modulaprogrammierer wurde gedacht.

SCEleton bietet vielfältige Möglichkeiten für die automatisierte Verarbeitung von Texten. So ist es z.B. durchaus denkbar, mittels SCEleton auf einfache Weise ein Programm zum Konvertieren von C-Headerfiles in Pascal-Headerfiles zu erstellen oder auch für die automatische Erstellung eines Hypertextes aus einer Datei mit Funktionsdefinitionen. Vielleicht finden sich ja schon bald SCEleton- Programme für diese Zwecke im Public-Domain-Pool.

Erleichtert wird der Einstieg in die Sprache "SCEleton" durch einen eingebauten Macrorecorder. Mit diesem können sämtliche JAnE-Funktionen in SCEleton- Programme umgesetzt werden. So ist auch ohne Programmierkenntnisse die einfache Erstellung von SCEleton-Programmen möglich.

Handhabung

Hier gibt es bezüglich der grundsätzlichen Editor-Funktionen eigentlich nur Positives zu berichten. Die Dialoge sind durchweg tastaturbedienbar, sehr übersichtlich und aufgeräumt. Die ganze Konzeption ist logisch aufgebaut und passt sich harmonisch in die Reihe der schon bestehenden Editoren ein. Besonders interessant ist die Möglichkeit, bestimmten Textarten (bestimmt durch den Extender) oder auch einzelnen Texten sog. "Textprofil" zuzuordnen. So ist es möglich, z.B. TEX-Quelltexten ein ganz anderes Outfit, andere Tabulatoren etc. zuzuweisen als Assembler-Quelltexten. Damit hat jeder Text gleich beim Laden das richtige Format.
Schade nur, dass es keine Möglichkeit gibt, Kommentare hell bzw. reservierte Wörter fett oder auch farbig darzustellen.

Leider ist im Gegensatz zu den Grundfunktionen die SCEleton-Schnittstelle bestenfalls als verworren zu bezeichnen. SCEleton-Quelltexte werden wie normale ASCII-Dateien geladen, so dass sie ein normales Textfenster in Beschlag nehmen. Ein weiteres Fenster wird durch Ausgaben von SCEleton blockiert und ein drittes durch den Macrorecorder. Dazu kommt dann noch ein Fensterdialog für die kompilierten SCEleton-Macros - und dann wird ja meist auch noch ein Fenster für den zu editierenden Text geöffnet sein... Alles in allem führt dies zu einem wüsten Fenstergetöse auf dem Bildschirm, wenn man mit SCEleton arbeitet. Hier sollte der Programmierer doch dringend über eine andere Lösung nachdenken - z.B. ein eigenes spezielles Fenster für SCEleton (vielleicht auch mit eigenem Fenstermenü), das für alle SCEleton-Aufgaben wie Editieren der SCEleton- Quelltexte, das Kompilieren derselben und für Ausgaben von SCEleton zuständig ist. Eine solche Lösung würde die Arbeit mit SCEleton doch wesentlich übersichtlicher machen.

GEM Neben fast schon selbstverständlich zu nennenden Eigenschaften wie nichtmodale Fensterdialoge etc. bietet JAnE erfreulicherweise auch volle SpeedoGDOS-Unterstützung. Auch Multitasking- Umgebungen bereiten JAnE keine Schwierigkeiten. Dank der voll GEM-konformen Programmierung läuft JAnE unter allen bekannten TOS-Versionen wie auch unter MagiC und MultiTOS.

Betriebssicherheit

Nachdem die erste Version von JAnE noch diverse Fehler aufwies, ist das neue Update, die Version 1.1, recht betriebssicher. In dem Monat, in dem ich mit der neuen Version arbeite, traten bisher keine Abstürze auf und auch ansonsten habe ich bisher nur einen Fehler feststellen können - der Fensterredraw wird unter bestimmten Umständen falsch ausgeführt, so dass Textzeilen verwirrenderweise doppelt auftauchen können, ohne wirklich doppelt vorhanden zu sein.

Handbuch und Dokumentation

Das Handbuch besteht aus zwei Teilen, von denen sich der erste Teil dem eigentlichen Editor und der zweite Teil der Macrosprache "SCEleton" widmet. Das Handbuch im Ringordner ist insgesamt ca. 230 DIN-A 5-Seiten stark. Es ist durchgehend ausführlich, übersichtlich und einfach geschrieben. Dank der guten Gliederung dürften sowohl Anfänger als auch Profis mit dem Handbuch bestens zurechtkommen. Einzig eine Schnellreferenz hätte man dem Handbuch noch spendieren können. Auch die Online-Hilfe ist reichlich kärglich ausgefallen und beschränkt sich auf Tastaturbelegung und Maushandling. Allerdings ist dieser Umstand angesichts der Preislage von JAnE durchaus zu verschmerzen. Unverständlich ist jedoch, dass der Teil des Handbuches, welcher sich mit der Macrosprache SCEleton beschäftigt, nur auf Wunsch ausgeliefert wird. Ich kann hier nur den Tip geben, diesen Teil des Handbuches gleich bei der Bestellung von JAnE anzufordern.

Fazit

Ich habe jahrelang nach einem Editor gesucht, der mich zufrieden stellen kann. Es scheint, als hätte diese Suche nun ein Ende. Auch wenn insbesondere die Schnittstelle zu SCEleton noch nicht völlig ausgereift ist, ist JAnE für mich innerhalb kurzer Zeit zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel geworden. Zum unschlagbaren Preis von 79.- DM bietet JAnE eine Vielfalt an Funktionen, die ich bisher noch bei keinem anderen ASCII-Editor gefunden habe. Für mich steht dieses Programm innerhalb der kurzen Reihe von Programmen, die ihr Geld mehr als wert sind.

Bezugsquelle
Delta Labs Media
Brillerstraße 40
42105 Wuppertal
Demo in den meisten MAUS-Boxen



Aus: Atari Inside 03 / 1995, Seite 50

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite