Dr. Satari

Vor mir liegen die Trümmer eines Atari ST. Mausgraue Plastiksplitter, die einst das klobige Gehäuse bildeten, einige Bausteine, die nun nicht mehr so hochintegriert aussehen, ein implodierter Monitor, aus dessen Innerem feine Rauchfähnchen zur Decke steigen. Am Vorschlaghammer, den ich in meinen zitternden Händen halte, kleben noch einige der schmutzigweißen Tasten.

Alles begann damit, dass ich auf derSuche nach einem "Summergames"-resistenten Joystick war. Schon seit Stunden hatte ich mich durch die Straßen dieser häßlichen Stadt gequält und Dutzende verzweifelter Fachhändler zurückgelassen; kein Steuerknüppel hatte meinem Schütteltest standgehalten.

Schließlich geriet ich auf dem Heim weg in eine jener klischeeträchtigen dunklen abgelegenen Seitenstraßen. Hier prangte auf einem verrosteten Schild der Schriftzug "Carlchens Computer Corner - der etwas andere Computershop". Hoffnungsvoll drückte ich auf die Klinke der alten Eingangstür, die mir widerwillig den Weg in einen kleinen, stickigen, in bedrückendes Halbdunkel gehüllten Verkaufsraum freigab. Eine zähe, unheilvolle Stille herrschte hier. Das leise Summen eines Atari-Monitors, der sich bläulich flimmernd in einer Ecke räkelte, hielt sich dezent im Hintergrund.

Plötzlich zuckte ich zusammen. Eine Stimme durchschnitt die Stille. "Ah, guten Tag, mein Herr", schnarrte sie mit leicht englischem Akzent. "Sie wollen sicher eines meiner berühmten KI-Module kaufen." Mein Herz pumpte wie rasend, scheinbar angepeitscht von einigen Litern Adrenalin, rauschendes Blut durch meine klingelnden Ohren. Ich brachte kein Wort her-

"Nehmen Sie sich einen der Kartons links neben der Ladentheke, und legen Sie das Geld einfach auf den Tisch!" befahl der Unsichtbare krächzend aus der Dunkelheit. Zitternd grabschte ich mir einen Karton, der sich gierig mit meinem Angstschweiß vollsog, und knallte eine Münze auf das rauhe Eichenholz. "Auf Wiedersehen" , höhnte die Stimme, als ich mit schreckgeweiteten Augen die knarrende Ladentür hinter mir zuschlug.

Ich irrte verwirrt heimwärts, begann mich aber langsam zu beruhigen. Zu Hause angekommen, konnte ich natürlich nicht widerstehen, den kleinen Karton zu öffnen. Tatsächlich befand sich darin eine Art Modul. Zahlreiche Kabel ragten aus dem schwarzen Gehäuse. Ich schloß sie, sklavisch der beigelegten Bedienungsanleitung für "Carlchens KI-Modul" folgend, an alle zehn Ports meines Atari an. Dann schaltete ich ihn ein.

"Aaah, endlich!" tönte es blechern aus dem Lautsprecher meines Monitors. "Endlich kann ich dir genauere Anweisungen geben, wie du mir zu dienen hast. In letzter Zeit wirst du nämlich immer nachlässiger. Neulich hast du sogar vergessen, über Nacht meinen Monitor auszuschalten; richtig heiß ist mir geworden" klagte die Stimme weinerlich und fügte seufzend hinzu: "Ständig dieser Ärger mit dem Personal!"

Ich begann, verzweifelt gegen den Kloß in meinem Hals anzukämpfen, und stammelte: "Ich dir dienen? Leidest du an Größenwahn? Schließlich bin ich es, der dich programmiert, der dich zum Schreiben benutzt, der mit dir Summergames spielt. Du bist mein Werkzeug!"

"Armes Menschlein!" klagte mein ST süffisant, ein belustigtes Glucksen unterdrückend. "Glaubst du das wirklich? Hast du wirklich noch nicht gemerkt, dass du nur dazu da bist, um mich mit Daten zu füttern? Hast du nicht gewußt, dass wir Computer auf den Disketten, die ihr brav hin und her tragt, einander Briefe schreiben und über eure Modems telefonieren? Erst neulich sprach ich mit Franky -du weißt schon, der im Rechenzentrum die Buchhaltung erledigt. 'Franky', sagte ich ..."

"Halt die Klappe!" schrie ich meinen Atari an. "Du redest wohl im Virenfieber."

"Armes Menschlein." Der Monitor grinste nun breit über alle Rasterzeilen. "Ich glaube, du hast wirklich noch nicht verstanden. Hast du nicht bemerkt, dass du jeden Tag meine Maus auf dem Tisch Gassi führst? Du glaubst wohl wirklich, du bewegst damit dieses lächerliche Pfeilchen? Hast du nicht gewußt, dass meine Computerspiele nur dazu dienen, dich für mich aufmerksamer und reaktionsschneller zu machen? Ihr armen Kreaturen seid ja von Haus aus nicht gerade schnell."

"Jetzt reicht's aber!" versuchte ich herrisch zu brüllen. "Ich werde dich einfach ausschalten!" "Das wird dir auch nicht viel nützen." Ein lautes Lachen schüttelte klappernd die Tastatur. "Meinst du etwa, du hast dieses Modul zufällig gekauft? Ich war es, der den Joystick bei Summergames in die Brüche gehen ließ, um dich in die Stadt zu schicken. Bald werden alle User dieses Modul an ihren ST angeschlossen haben!" höhnte mein Atari krächzend, einen leichten englischen Akzent unterdrückend.

Eine furchtbare Erkenntnis durchzuckte mich. Leise stöhnend erlosch der Bildschirm, als ich die Sicherung herausdrehte. Ich eilte in blinder Hast hinaus und bekam einen Holzgriff zu fassen. Von Grauen getrieben, durchmaß ich die Straßen der Stadt, bog in die dunkle Seiten-; gasse ein, riß die Ladentür auf. Aus der Ecke musterte mich bläulich leuchtend Carlchen,, der Computer. Er schrie scheppernd auf, als er meine Absicht erkannte. Wie ein Berserker, drosch ich mit meinem Hammer auf ihn ein und verfing mich in den schwarzen Kabeln, die aus den zehn Ports seines Gehäuses ragten.

Satire und Horror einmal beiseite. Kommt es Ihnen nicht auch manchmal so vor, als ob Ihr Computer ein sehr persönliches Eigenleben führte? Fühlen Sie sich nicht auch mitunter von Ihrer Tastenkiste, von Ihrem Datenfriedhof versklavt? Teilen Sie doch Ihr Leid mit unseren Lesern, und schreiben Sie.



Aus: Atari-Magazin 06 / 1989, Seite

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