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 ATOS Reportagen

Milan II wurde auf Eis gelegt I

Interview mit Ali Goukassian

Die Meldung schlug in Atari-Kreisen wie eine Bombe ein: Der Milan II wird auf Eis gelegt!

Zu diesem Thema führten wir ein Interview mit dem Geschäftsführer der Milan Computersystems Ali Goukassian.

ATOS: Am 10.10.2000 haben Sie auf der Webseite der Milan Computersystems bekannt gegeben, dass der Milan II auf Eis gelegt wird. Warum kam diese Entscheidung so spät?
 
Ali G.: Dass der Milan II in der geplanten Form eventuell auf Eis gelegt werden müsste, zeichnete sich im September ab, als die genannten Bauteile, die zur endgültigen Fertigung nötig und vom Milan I her bekannt sind, partout nicht aufzutreiben waren. Wir haben dann noch einige Wochen überlegt und kalkuliert, welche Ausweichmöglichkeiten es geben könnte und sind schließlich zu dem bekannten Ergebnis gekommen.
 
ATOS: Weshalb hat man in der Zeit nach der Messe im Juni bis zur Bekanntgabe am 10.10.2000 so wenig vom Milan gehört? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, sich gegenüber der Atari-Anwenderschaft Informationsfreudiger zu geben und ständig über die Situation zu berichten?
 
Ali G.: Im nachhinein betrachtet vielleicht schon. Aber ich habe es jedem einzelnen User, der mir geschrieben oder mich angerufen hat, versucht, zu verdeutlichen: Bei der Realisation eines so umfangreichen Projektes wie dem Milan II kommt es täglich zu Ereignissen, die eine komplette Kehrtwende der Marschroute bedeuten können. So hätten wir die Anwender immer wieder mit guten und mit schlechten Nachrichten in eine (als Versprechen zu deutende) Euphorie oder in unnötige Unsicherheit gestürzt. Selbst etappenweise Auswertungen hätten uns da nicht weiter geholfen.
 
ATOS: In den Ausgaben 8 und 9 der ST-Computer wird, auch von Ihrer Seite, noch groß vom Milan II berichtet. Warum sind Sie hier nicht schon kürzer getreten? Warum stand dort nichts von den Problemen, die schon existierten?
 
Ali G.: Die Probleme, die zu Zeiten der Interviews (man bedenke Druckvorlaufzeiten, die Verspätung der ST-C) auftraten, konnten wir Dank der Rekrutierung zusätzlichen Personals nach Mühen auch lösen. Explizit ist hier beispielsweise die Anbindung der Grafik gemeint.
 
ATOS: In Ihrem Statement schreiben Sie, dass es immer wieder technische Probleme gab. So zum Beispiel bei der Integration des AGP-Ports und des SDRAMs. Warum hat man nicht schon wesentlich früher diese modernen Techniken eingesetzt? Weshalb wurden immer wieder auslaufende Standards benutzt?
 
Ali G.: Zweifelsohne ein Fehler - das muss ich an dieser Stelle eingestehen. Aber auch hierfür gibt es eine Begründung, wenn auch keine Entschuldigung. Insbesondere die Einbindung des AGP-Ports oder der SDRAMS ist um ein Vielfaches aufwendiger als die von uns verwendeten Standards. Wenn man sich mal vergleichbare Projekte - und damit meine ich nicht nur Pendanten auf TOS-Basis - anschaut, so sieht man, dass immer wieder an den selben Stellen moderne Technik umgangen wird. Wie gesagt: Zu Lösen ist alles, doch es ist auch eine Frage der Zeit. Wir sind keine Firma wie Siemens oder Intel, die kurzerhand 50 Ingenieure für ein Projekt aus verschiedenen Bereichen abstellen können, um mit voller Man-Power daran zu arbeiten. Bei uns musste bald ein Ergebnis her, das aus unserer Sicht tragbar schien.
 
ATOS: Ein letzter großer Schock war nach Ihrer Aussage die Einstellung der Produktion eines wichtigen Logik-Chips. Hätte man bei der heute so rasanten Hardware-Entwicklung nicht damit rechnen müssen? Warum wurden keine Alternativen zu diesen Chip bedacht?
 
Ali G.: Auch hier ist die Zeit ein großer Faktor. Vergleichbares gab es nie. Von der Portabilität zumindest nicht. Als die Grundtechnik 1997 begonnen wurde zu entwickeln, konnten wir nicht so viel Zeit entbehren, ein alternativen-taugliches Board zu entwickeln. Wie ich in meinem Statement erwähnte, sagte uns der Hersteller seinerzeit auch schriftlich eine Existenz der Bauteile bis mindestens Ende 2000 zu. Insofern fühlten wir uns auch wirklich in Sicherheit gewogen und sahen keine Veranlassung, in der ohnehin knappen Zeit alternative Möglichkeiten von Beginn an auf dem Board zu berücksichtigen. Heute haben wir natürlich als Mini-Firma mit unserer Forderung nach Einhalten der Versprechen keinerlei Handhabe. Da wird man bei den Big-Playern nur belächelt. Eine wahrhaft niederschmetternde Erfahrung ...
 
ATOS: In Ihrem Statement ist auch zu lesen: Es habe immer Bedenken gegeben ob sich ein 80 MHz Computer durchsetzen kann und ob es reichen würde einen technologisch hoffnungslos veralteten Hauptprozessor einzusetzen. Woher kommen plötzlich diese Bedenken? Warum hat man nicht gleich zu Beginn des Projekts auf moderne Hardware (z.B. Power PC) gesetzt?
 
Ali G.: Ich habe mich hier nicht präzise ausgedrückt. Mit 'immer Bedenken' meinte ich nicht den Zeitpunkt der 'Erfindung' des Milan, sondern besonders die vergangenen Monate vor dem geplanten Marktstart. Ich bitte die mangelnde Präzision hier zu entschuldigen. Der Grund, nicht auf PPC-Hardware zu setzen, lag einfach darin, dass uns die Idee mit dem Linux-Kern seinerzeit noch nicht gekommen war und wir wussten, dass bei der bestehenden Personaldecke ein Mehraufwand von mindestens einem Jahr nötig gewesen wäre, um etwas Ansehnliches auf PPC-Basis zum Laufen zu bringen. Aber auch hierzu gab es natürlich Stundenlange Diskussionen und Überlegungen.
 
ATOS: Haben Sie wirklich bis zuletzt an einen Erfolg des Milan II geglaubt?
 
Ali G.: Es ist keine 5 Wochen her, dass eine große Einzelhandelskette sich bei uns erkundigt hat, wie es denn mit dem Easy-Computing-System nun stünde. Man habe Interesse daran, es für die Weihnachtszeit verstärkt zu bewerben, da der Strom an Computer-Neulingen noch immer ungebrochen sei. Das war nur eine von vielen Meldungen bei uns. Und wenn man eben solche Angebote unterbreitet bekommt, dann kann man nicht an einen Misserfolg glauben. Aus meiner Sicht macht es in keiner Lebenslage Sinn, etwas durchzuführen, an das man nicht glaubt.
 
ATOS: Hat das Ende des Milan II etwas mit Ihrem neuen Betätigungsfeld (Mac-Zeitschrift) zu tun?
 
Ali G.: Keineswegs. Wer mich persönlich kennt, weiß, dass ich lieber 80 Stunden die Woche arbeite und mich auf diversen Feldern bewege, als mich mit den 40 Standard-Stunden mit einer Sache zufrieden zu geben. Die Mac-Zeitschrift (www.mac-life.de) wird seit der CeBit´98 geplant und wurde immer wieder auf Eis gelegt und neu aufgenommen, bis uns der Zeitpunkt nun sinnvoll erschien. Hier habe ich aber sehr viel Arbeit ausgelagert und primär meine 6 Jahre Erfahrung im Verlags- und Redaktionswesen einfließen lassen.
 
ATOS: Es ist in der heutigen Zeit sicherlich nicht leicht ein neues Computersystem zu entwickeln und zu vermarkten, aber es gab von Seiten der Milan Computersystems immer wieder Ankündigungen, die nicht eingehalten wurden. Meinen Sie, dass Sie das Vertrauen der Atarianwender enttäuscht haben?
 
Ali G.: Wenn ja, dann bitte ich dies zu entschuldigen. Ich hoffe, dass aber insbesondere dem Entwicklerteam der Respekt für das bislang Erreichte gezollt wird. Immerhin gibt es nicht viele Firmen und Teams, die es bislang geschafft haben, ein Computersystem lauffähig auf die Beine zu stellen. Ich denke, dass die verrichtete Arbeit bis dato grandios ist. Bedenkt man, dass da ein paar kluge Köpfe eine Hardware entwickeln, auf der Atari-Software läuft, so ist das aus meiner Sicht eine Meisterleistung, vor der ich persönlich meine Hochachtung habe. Sehen Sie: Es gibt Firmen, die mit einem Dutzend Programmierer eine vergleichsweise kleine Software nur mit vielen, vielen Bugs zum Laufen bekommen, obwohl sie über ein Jahr lang daran programmieren. Unsere Entwickler haben einen ungleich größeren Kampf aufgenommen. Sie mussten eine komplett neue Hardware entwickeln. Und sie mussten ein gnadenlos veraltetes Betriebssystem so sehr umstricken, bis es auf der neuen Hardware lief. Und zu guter letzt bestand die große Aufgabe darin, möglichst viele der alten Programme auf dieser neuen Kombination lauffähig zu gestalten. Ich hoffe also, nicht gänzlich, sondern nur auf einer Zwischenetappe enttäuscht zu haben.
 
ATOS: Können Sie Anwender verstehen, die jetzt dem Atari nicht mehr treu bleiben, weil Sie endlich etwas handfestes wollen?
 
Ali G.: Natürlich kann ich das verstehen. Ich war immer ein großer Fan des modernen Atari-Betriebssystems (MagiC, N.AES) in Kombination mit einem extrem kleinen Kern, der nicht auf dicken Brocken wie Windows oder Mac OS basiert. Aber klar ist auch, dass man moderne Hardware unter den Fingern spüren möchte. Das hätten wir ansatzweise auch schon mit dem Milan II zeigen können. Der Milan I erfüllt diese Wünsche aber sicherlich nur unzureichend.
 
ATOS: Wie wollen Sie das Vertrauen der Anwender wieder herstellen und was wollen Sie eventuell an Ihrer Öffentlichkeitsarbeit ändern?
 
Ali G.: Stichwort Karten: Ich meine die offenen Karten, mit denen wir spielen werden. Wir müssen halt nur einen Weg finden, wie wir Neues so verbreiten, dass es nicht sofort als Versprechen oder Misserfolg aufgefasst wird. Dann können wir immer einen Statusreport liefern. Ich denke, dass das Web dabei eine große Rolle spielen muss. Es wird nun mindestens alle zwei Wochen News auf der Milan-Site geben, die in jüngster Zeit doch ein wenig eingeschlafen ist.
 
ATOS: Nach Aussage von Software-Häusern hat die Werbung seitens der Milan Computersystems über das Milan-II-Softwarepaket ein Ausbleiben der Umsätze verursacht? Oft kam es auf Messen vor, dass sich Anwender die Software von den Herstellern zeigen ließen, dann aber sagten: "Gute Sache, nur kaufen werde ich es nicht - es ist ja beim Milan dabei." Dieser Zustand zog sich durch immer neue Versprechen über ein Jahr in die Länge. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
 
Ali G.: Tatsächlich ein großes Problem. Und wir hätten das auch nicht in dieser Form propagiert, wären wir nicht sicher gewesen, dass es mit dem Milan II klappt. Wie gesagt, den Genickbruch erlitten wir nicht aufgrund der Probleme, sondern aufgrund eines überraschenden Ereignisses. Alles andere wäre nicht gewissenhaft gewesen. Ich persönlich war nie ein großer Fan von zu umfangreichen Softwarebundles und deutete immer wieder darauf hin, dass die Softwarebranche von einem Milan II würde leben müssen. Doch musste ich mich auch dem Argument, ein fremdes System würde sich nur mit umfangreicher Software gut verkaufen lassen, immer wieder geschlagen geben. Ich hoffe, dass dieser Missstand durch die offizielle Bekanntmachung seitens Milan-Computersystems nun ein wenig kompensiert werden kann.
 
ATOS: Es gab auch den Vorwurf, dass es am Milan I zuletzt wenig Interesse gab, weil der Milan II angekündigt war und der Milan I gar nicht mehr großartig erwähnt wurde. Erst jetzt nach Ihrem Statement fragen Kunden wieder nach dem Milan I. Was sagen Sie dazu?
 
Ali G.: Tja, was soll ich sagen: Irgendwie muss es mich auch freuen, da wir dringend Einkünfte erwirtschaften müssen. Uns selbst hat das Ausbleiben der Verkäufe auch sehr getroffen. Milan-Computersystems ist ein betriebswirtschaftlich 'normal' funktionierendes Unternehmen, das Umsätze erwirtschaften muss, um überleben zu können. Tatsächlich wurde die Nachfrage nun wieder angeregt und hat zufriedenstellende Ausmaße angenommen. Für das gesamte Team bedeutet dies auch, dass das Thema keineswegs gestorben ist. Das freut uns in der aktuellen Situation.
 
ATOS: Gab es Verträge mit Programmierern und können diese Programmierer die Verträge wegen Nichteinhaltung des Termins kündigen?
 
Ali G.: Es hat keine endgültigen Milan II-Verträge gegeben. Dieser Bereich war stets Aufgabenfeld unseres Distributionspartners, der - aus verständlichen Gründen - erst dann zur schriftlichen Ratifizierung kommen wollte, wenn die exakten Pläne stehen.
 
ATOS: Was ist nun nach dem Aus für den Milan II mit der "Kooperative" mit AXRO, HP und Motorola?
 
Ali G.: AXRO steht nach wie vor voll hinter dem Milan-Projekt, was damit zu begründen ist, das viele der nationalen und auch internationalen Anfragen nach dem Milan direkt bei AXRO eingehen. So wird dort vor Ort nach wie vor permanent realisiert, welche Nachfrage bereits ohne Akquisitionsaufwand besteht. HP wird uns auch weiterhin den Rücken stärken, weil es dort keinerlei Anlass zu etwaigen Rückzügen gibt. Deren Kooperationsbereitschaft ist sicherlich auch pragmatisch begründet. Bei Motorola müssen wir schauen, in wieweit die Kooperation noch zwingend vonnöten ist, falls die künftige Hardware von uns komplett käuflich erworben wird.
 
ATOS: Es gab ja nun schon einige Ankündigungen bezüglich Amiga-Spielen, die auf den Milan portiert werden sollten. Was wird nun daraus?
 
Ali G.: Derzeit werden diese Portierung weiter fortgeführt, da der dafür notwendige Aufwand vergleichsweise gering ist und auch der Milan I bereits Absatzchancen bietet. Ich habe lediglich von 2 Projekten gehört, die vorübergehend auf Eis gelegt wurden.. Die Bereitschaft, diese aber wieder aufzugreifen, ist auf jeden Fall vorhanden.
 
ATOS: In der Erklärung vom 10.10.2000 berichten Sie auch von den weiteren Plänen der Milan Computersystems. Es ist die Rede von einem Vorhaben, das aus der Entwickler-Schublade gezogen wurde. Worum handelt es sich dabei?
 
Ali G.: Meine Güte, dazu könnte ich mich in vielen Seiten äußern ... werde aber versuchen, mich kurz zu fassen. Und vielleicht gewinnt der eine oder andere Leser ein Gespür dafür, dass wir nicht nur das Realisierte bedacht, sondern auch in die Zukunft geschaut haben. Wir haben stets geplant, die Stärke des TOS zu nutzen. Diese liegt nicht in der Modernität und dem Funktionsumfang, sondern in seiner Größe. Und TOS sollte langfristig nicht nur auf dem Milan II, sondern auch auf Webpads (für die bereits Konzepte entwickelt wurden) und anderen Geräten laufen. So stellte sich schon frühzeitig heraus, dass wir langfristig unabhängig von der Hardware werden mussten. Ein wesentlicher Teil eines jeden Betriebssystems ist aber derjenige Teil des OS, der auf die darunter liegende Hardware des entsprechenden Computers ausgelegt ist. Schon die Anpassungen des TOS an die Milan I-Hardware haben Monate beansprucht. Das gleiche Problem hatte ASH seinerzeit bereits mit der Anpassung von MagiC an den Falcon. Also haben wir ein Konzept ausgearbeitet, bei dem derjenige Bereich des TOS durch einen nur wenige KB großen Linux-Kern substituiert wird. Dieser Linux-Kern soll die Kommunikation zum Prozessor und der restlichen Hardware eines Systems herstellen. Der Vorteil, den wir darin sehen, ist, dass es für etliche Prozessoren Linux-Anpassungen gibt und dass für jegliche neu erscheinende Hardwareschnittstelle (USB, FireWire usw.) Treiber binnen kürzester Zeit als Open-Source zur Verfügung stehen. Warum sollte das Milan-Team immer wieder neue Treiber in langer und mühsamer Arbeit entwickeln, wenn es doch einfach auf Bestehende zurückgreifen kann? Also haben wir eine Symbiose aus Linux-Kern und TOS erarbeitet, die moderner und flexibler ist als jedes bislang existierende TOS - vielleicht sogar OS.
 
ATOS: Das Konzept mit dem Linux-Kern hört sich gut an, aber handelt sich das dann noch um ein typisches Atari-Betriebssystem?
 
Ali G.: Ja! Keine Frage, denn man darf hier nicht den Fehler machen, zu glauben, es würde auf einem Computer ein Linux installiert, in dem sich ein Fenster öffnet und eine Emulation abläuft. Das TOS hat bereits in der jetzigen Form einen Hardware-abhängigen und einen Hardware-unabhängigen Teil. Ebenso ist es mit MagiC. Man muss diesen Hardware-abhängigen Teil einfach als eine Art Schleuse oder Interpreter verstehen, der die Anfrage der jeweils laufenden Software (und dazu gehört schon der Desktop) in eine für die darunter liegende Hardware interpretiert. Nun, Linux hat eben auch einen kleinen, 200-300 KB großen und vergleichbaren Kern, der ausschließlich zur Interpretation der Hardwarekommunikation vorhanden ist. Wir bedienen uns lediglich dieses Kerns - nicht mehr und nicht weniger. Und das tun wir nur, weil dieser Kern für so viele Prozessoren zur Verfügung steht und weil in diesem Kern auch Schnittstellentreiber, Festplattentreiber, Netzwerktreiber usw. basieren. Der bereits jetzt im Milan I stark geänderte TOS-Kern (was man übrigens gar nicht sieht ;-) wird einfach ausgetauscht. Der Anwender bemerkt nichts und das Betriebssystem ist bestenfalls 200 KB größer als zuvor.
 
ATOS: Die Quellen von Linux sind zwar frei verfügbar, aber nicht frei von Copyrights. Inwiefern betreffen diese Copyrights das Vorhaben, das Milan-OS auf Linux aufzusetzen, und wie wird man sich folglich diese Symbiose aus "Public License" auf der einen und dem sicherlich kommerziellen Teil des geplanten Betriebssystems auf der anderen Seite vorzustellen haben?
 
Ali G.: Diese Fragen werden derzeit für uns in den USA geklärt. Es gibt weltweit nach meinem aktuellen Kenntnisstand noch 3 Firmen, die an ähnlich modularen Ideen und Konzepten arbeiten. Diese schaffen es, gänzlich ohne Verletzung der Copyrights auszukommen. Und dem Beispiel wollen wir folgen.
 
ATOS: Wenn man sich auf einen Linux-Kern verlässt, macht man sich dann nicht von anderen Entwicklern abhängig?
 
Ali G.: Doch, sicherlich. Doch davon gibt es zig Tausende, während das Milan-Team klein ist. Ich selbst bin kein Entwickler, kann aber nach den vielen Monaten der Zusammenarbeit mit Entwicklern geradezu ein Lied davon singen, was für ein riesengroßer Aufwand es schon ist, einen Treiber zum Ansprechen von USB-Ports zu schreiben. Für Linux erschienen diese aber noch während der Phase der Etablierung des Schnittstellenstandards. Und die Situation spricht für sich: Auf Jahre ist kein Abbruch dieses Linux-Aufschwungs in Aussicht, wenn ich selbst auch nicht glaube, dass sich Linux je als Home-OS wird durchsetzen können.
 
ATOS: Was bemerkt der Anwender vom Linux-Kern?
 
Ali G.: Wie bereits erwähnt: Gar nichts, denn Linux ist ganz tief im Kern des TOS versteckt.
 
ATOS: Wird der Anwender bei der Installationen neuer Hardware mit Linux konfrontiert?
 
Ali G.: Nein, gar nicht. Das primäre Ziel, TOS klein zu behalten, wird eingehalten. TOS soll nach wie vor auf ein Flash-Eprom passen und binnen weniger Sekunden da sein. Doch anstelle des TOS-Bootblocks, der die Milan-Hardware erkennt, wird dies der Linux-Bootblock machen. Wir hätten Linux auch verschweigen können oder schon jetzt im TOS haben können - niemand hätte es je bemerkt. Es hätte sich nur jeder gewundert, warum TOS plötzlich auf einer Playstation II läuft (kleiner Spaß ...).
 
ATOS: Werden gängige Atari-Programme auf dem neuen System laufen oder sind Anpassungen nötig?
 
Ali G.: GEM-konforme Programme, die keine direkten Hardwarezugriffe machen, sollten laufen. Genauso ist es auch beim jetzigen Milan, der ja - wie bereits erwähnt - einen komplett erneuerten TOS-Kern hat. Aber dieser Punkt muss zwingend gewährleistet sein, sonst wird niemand dafür garantieren können, dass ein Programm auf allen Plattformen laufen wird.
 
ATOS: Müssen Programmierer, die Programme für das neue System programmieren wollen, von Grund an neu lernen (vor allem was die Programmierung von Hardwarezugriffen angeht), um lauffähige Software zu entwickeln?
 
Ali G.: Nein, sie müssen sich lediglich an das Bewährte halten, was insbesondere in den frühen Neunzigern ja noch nicht 'in' war. Wer Software auf dem Milan I zum Laufen bekommt, sollte dies auch auf dem neuen TOS schaffen.
 
ATOS: Mit welcher Entwicklungszeit rechnen Sie bis eine erste lauffähige Version dieses neuen Betriebssystems vorführbar ist? Die Rede ist von einer Veröffentlichung im ersten oder zweiten Quartal 2001. Ist das eine realistische Angabe oder eine überhebliche Schätzung, die die Anwender vor allem bei der Stange halten soll?
 
Ali G.: Die Aussage ist eine erste Schätzung. Ich denke, wir werden gegen Ende des Jahres erste repräsentative Versionen haben, die man nicht nur unter größtem Aufwand einem ausgesuchten Publikum zeigen kann. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es von einem schon begeisternden ersten Anblick bis zur Marktreife aber ein langer weg ist. Schließlich reicht es bei einem solchen OS nicht, viele Programme, die laufen sollten, auch zum Laufen zu bringen. Es müssen alle sein. Ein Punkt, der sich hinzugesellt, ist, dass wir weiterhin Kapitalgeber suchen. Diesmal wagen wir sogar den Sprung über den großen Teich, in der Hoffnung, mit dem neuen Konzept auf offene Ohren zu stoßen. Je mehr Kapital zur Verfügung steht, desto schneller werden wir arbeiten können. Näheres wird den regelmäßigen Updates der Site zu entnehmen sein. Auch spielt es eine Rolle, wie unsere derzeitigen Verhandlungen mit dem Hardware-Lizenzgeber laufen. Ergebnisse sind auch hier erst für Mitte November zu erwarten. Alles in allem sollte die Schätzung aber ausgewogen sein.
 
ATOS: Wie weit ist denn der Stand der Entwicklung?
 
Ali G.: Eine erste Variante war bereits kürzlich zu sehen, sie lief aber unstabil und auch noch längst nicht auf jeder Hardware. Immerhin, die Transformation hat geklappt.
 
ATOS: Welche Hürden müssen Sie bis zur Fertigstellung noch überwinden?
 
Ali G.: Unsere 68k-Transform-Engine © muss einwandfrei laufen und eine Interpretations-Schnittstelle mit Hinblick auf künftige, möglicherweise auftretende Hardwarestandards muss geschaffen werden, damit TOS auch langfristig bestehen kann.
 
ATOS: Wurden auch Faktoren berücksichtigt, die dieses Konzept zum Stocken bringen könnten?
 
Ali G.: Haben wir, allerdings gebe ich gern zu, dass wir zum derzeitigen Standpunkt in einem noch jungen Stadium sind und erst nach einer offiziellen Hardwarekooperation einen exakten Zeitplan werden schmieden können.
 
ATOS: Viele Anwender sind darauf angewiesen eine Zweite Plattform zu nutzen. Wird das neue Betriebssystem den Parallel-Betrieb mit einem zweiten Betriebssystem (z. B. Windows) ermöglichen?
 
Ali G.: Sofern eine Intel-Plattform zugrunde liegt - ja. Da auf einer Standard-Intel-Plattform allerdings kein ausreichender Flash-Speicher zur Verfügung steht, wird diese Variante dann wohl mit einer PCI-Karte oder etwas Vergleichbarem ausgeliefert, auf der sich das OS befindet. Sollte es zur Lizenzierung der individuellen Hardware kommen, dann läuft vorab ausschließlich TOS darauf.
 
ATOS: Wer konkret entwickelt denn nun? Wer übernimmt die Programmierarbeit? Wie sind die Aufgaben verteilt?
 
Ali G.: Das bisherige Team ist in die Sache involviert. Hinzu kommen die möglichen Hardware-Lizenzgeber, die einen bestimmten Teil der Arbeit übernehmen werden. Aber auch hier ist es vor Abschluss von Verträgen zu früh, um Näheres zu sagen.
 
ATOS: Ist ein Softwarepaket geplant? Was soll es beinhalten?
 
Ali G.: Es könnte vergleichbar mit dem 'alten' Milan II-Paket sein.
 
ATOS: Der derzeitige Atari-Software-Markt hat so einige Mängel und Lücken. Zum Beispiel fehlt immer noch eine konkurrenzfähige Internet-Software. Leider gibt es auch nicht viele Produkte die weiterentwickelt bzw. neu entwickelt werden. Wie wollen Sie diesen Trend stoppen und für neue Innovationen sorgen?
 
Ali G.: Eine Frage, die mir auch Kopfschmerzen bereitet hat und bereitet. Hier steht und fällt alles mit dem nötigen Kapital. Entwickler für die Anpassung von JAVA, Flash etc. gibt es mittlerweile, doch diese müssen bezahlt werden. Sonst müssen wir vorab mit dem Existierenden auskommen, um mit dem Erwirtschafteten weiter zu sehen. Was ich aber auf jeden Fall forcieren werde, ist die Anbindung von SSL, damit elementare Aufgaben wie das Homebanking gesichert sind.
 
ATOS: Werden Sie Softwareprodukte externer Entwickler unterstützen und wie kommen interessierte Entwickler an Informationsmaterial?
 
Ali G.: Nach Abschluss der Sondierungsgespräche im November werden wir abstecken können, wie Entwickler am besten zu unterstützen sind. Ich bitte dann um direkten Kontakt mit mir.
 
ATOS: Welche konkreten Angebote macht Milan Computersystems interessierten Programmierern?
 
Ali G.: Derzeit keine. Wir können finanziell nichts anbieten oder garantieren. Ich setze darauf, dass wir interessierten Entwicklern im Rahmen von Stillschweigensvereinbarungen Anfang 2001 den Stand der Dinge offen darlegen und ihnen damit selbst die Möglichkeit geben, zu erwägen, ob es sich rentieren könnte, eine Software anzubieten oder nicht. Sollte alles klappen, dürfte es interessant sein, einen Übersetzer, eine gute Grafiksoftware oder was auch immer für ein Betriebssystem anzubieten, das mittelfristig auf vielfältigen Plattformen läuft.
 
ATOS: Die Rede ist auch von dem Milan III, einem neuen Hardwareprojekt. Ist es den in der heutigen Zeit sinnvoll ein eigenes Hardwareprojekt auf die Beine zu stellen?
 
Ali G.: Nein, ist es nicht. Wir haben den Milan III als Synonym für das Gerät genommen, das uns derzeit als fertiger PPC-Rechner angeboten wird. Sollte es zur Kooperation kommen, dann haben wir ein super interessantes Gerät - einen echten ST des neuen Jahrtausend.
 
ATOS: Ist es nicht besser, wenn das neue Betriebssystem auf einer möglichst breiten Hardware-Palette funktioniert, sprich der Kauf eines Standard-PCs genügt? Oder lässt sich das nicht so schnell realisieren?
 
Ali G.: Doch, wie bereits kurz angedeutet allerdings nur mit Einschränkungen. Es wird sicherlich möglich sein, eine Variante zu liefern, die standardmässig läuft, doch werden wir diese Version nachträglich liefern müssen. Denn hier würde eine CD-ROM randvoll mit Treibern für die verschiedensten System zur Installation vorausgesetzt. Schließlich setzen wir ja weder auf Windows noch auf Mac OS auf. Und ehe dies erledigt ist, werden wir ausgesuchte Hardware anbieten bzw. empfehlen.
 
ATOS: Über welche Ausstattung soll der angesprochene Milan III verfügen und welcher Preis wird anvisiert?
 
Ali G.: Sollten wir auf Standard-Hardware zurückgreifen, dann erfüllen wir - dem entsprechend - alle aktuellen Standards. Und selbst eine mögliche PPC-Variante ist auf dem neuesten Stand der Dinge. Hinsichtlich des Preises müssen wir einen iMac beispielsweise trotz der neuen Preisstruktur unterbieten. Das sollte unser Ziel sein, wenn wir einen neuen ST anpeilen.
 
ATOS: Viele Hersteller von Hard- und Software betrachten heutzutage ihre technischen Protokolle als Geheimsprache. TOS-Systeme hingegen waren meist (wohl auch, weil sie aus einer Zeit stammen, wo das noch üblich war) sehr gut dokumentiert und auch analysiert. Für Bastelvorhaben (man denke an die vielen STs an Universitäten), wie auch für kommerzielle Anwendungen (etwa bei Echtzeitanwendungen im Musikbereich), konnte dadurch Funktionalität garantiert werden. Geht nicht dadurch, dass man sich bei Milan Computersystems von einer eigenen Hardware trennt, dieser Vorteil verloren?
 
Ali G.: Mit Sicherheit besteht diese Gefahr. Aber wie viele Leute basteln heute noch wirklich an und mit ihrem Computer? Die Zeiten ändern sich, und aus meiner Sicht macht es nicht viel Sinn, derart an den alten Zeiten zu hängen. Das Einsatzgebiet des Milan wird primär im Heimanwender-Bereich zu suchen sein. Es wäre geradezu ein Widerspruch, wenn wir ein Einsteigersystem anbieten würden, das sich auch besonders, beispielsweise zum Basteln eignet. Wir müssen hier einen klaren Trennstrich ziehen und Anwendungsbereiche suchen, in denen es eben von Vorteil ist, dass das Betriebssystem auf so vielen Hardwareplattformen laufen kann.
 
ATOS: Die ATOS hatte Herrn Martens von AXRO schon vor etwa einem Jahr auf den Missstand einer fehlenden, kompetenten und in irgendeiner Weise zentralen Instanz für neue Standards hingewiesen. Diese wäre aber dringend nötig, um solchen Wirrwarr - man denke an die Anzahl der vorhandenen TCP/IP-Stacks - zu unterbinden. Sehen Sie hier die gleichen Probleme wie wir, und falls ja, wie könnte eine Lösung aussehen?
 
Ali G.: Ich hoffe inständig darauf, dass wir so viel wirtschaftliche Power durch externe Unterstützung haben, dass wir die Koordination zentralisieren können. Es ist nicht etwa so, dass wir die Probleme nicht gesehen hätten. Aber es fehlte einfach an Personal und Arbeitskraft, um die Vorstellungen, die wir von einer zentral gesteuerten Instanz hatten und haben, zu realisieren.
 
ATOS: Wird die Milan Computer Systems einmal diese zentrale Instanz darstellen können?
 
Ali G.: Wie gesagt: Ich wünsche es mir, denn nur so können wir eine klare Linie für Entwickler garantieren und eine einheitliche Softwaredecke für Anwender garantieren.
 
ATOS: Welche Zielgruppe möchten Sie mit dem neuen OS ansprechen? Nur den reinen Atarianwender oder wollen Sie auch neue Anwender ins Boot holen?
 
Ali G.: Wir werden sicherlich stark bemüht sein, neue Anwender zu gewinnen. Das liegt aus wirtschaftlichen Gründen auf der Hand. Theoretisch kann das neue OS - so klein wie es ist - auf Webpads, Taschen-PCs, Homecomputern oder auch Konsolen laufen. Insofern ist das Potential groß. Es muss nur genutzt werden.
 
ATOS: Wie wollen Sie es erreichen, dass das neue Betriebssystem Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt?
 
Ali G.: Es ist jetzt aufgefallen, dass das Stichwort 'Hardware-Kompatibilität durch Linux' vielerorts für großes Interesse sorgt. Sobald es etwas zu sehen gibt, werden wir damit an die Öffentlichkeit treten, um auch Lizenzpartner zu finden, die ein entsprechendes Betriebssystem für ihre Hardware benötigen.
 
ATOS: Wie wollen Sie potentielle Käufer von dem Produkt überzeugen? Welche Vorteile wollen Sie in den Mittelpunkt stellen?
 
Ali G.: Wir werden sicherlich keine echte Konkurrenz zu Windows oder Mac OS darstellen können. Dieser Wunsch bliebe sicherlich immer ein Traum. Man muss sich auf seine Stärken konzentrieren. Diese liegen nicht darin, so vielseitig wie nur irgendwie möglich zu sein, um sowohl auf einem Home-PC als auch auf einer Industrie-Workstation ohne großen Aufwand zu laufen. Das neue Betriebssystem ist sagenhaft klein. Derzeit ringen die Entwickler mit 8-16 MB, um vergleichbare Software wie unter TOS zum Laufen zu bringen. Wir schaffen es mit allem drum und dran (gepackt) mit 2-3 MB. Damit werden wir hausieren gehen.
 
ATOS: Gibt es schon konkrete Vorstellungen für den späteren Vertrieb und wenn ja wie sehen diese Vorstellungen aus?
 
Ali G.: Gibt es leider noch nicht - zunächst muss das endgültige Produkt detailliert skizziert sein, erst dann werden wir uns den Vertriebsmöglichkeiten widmen.
 
ATOS: Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen, in unser allem Sinne, weiterhin viel Erfolg.
 
Ali G.: Ich danke auch für das Gespräch - sicherlich das längste Interview, das ich jemals gab. Aber ich freue mich, die Gelegenheit bekommen zu haben, im Detail die Situation der Milan-Computersystems darzulegen.
 

Thomas Burow





Milan II wurde auf Eis gelegt II


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Letzte Aktualisierung am 17. Januar 2001

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