Happy-Redakteure und was sie abends lesen

Anatol Locker: »Garp und wie er die Welt sah«

Für alle, die der Science-fiction-und Fantasy-Geschichten überdrüssig sind, ist »Garp und wie er die Welt sah« die ideale Abwechslung. Der Roman beschreibt das Leben des Schriftstellers T.S. Garp und seiner Familie. Wer aber einen netten, heiteren Roman à la »Ich heirate eine Familie« erwartet, wird nicht für möglich halten, was hier passiert. Denn Autor John Irving läßt eine Horde von Halb-Irren auf den Leser los: eine feministische Krankenschwester mit Macho-Tendenzen, einen footballspielenden Transsexuellen, einen senilen Detektiv und eine verzweifelte Frau mit einem sehr, sehr scharfen Messer. »Garp« liest sich wahnsinnig flüssig. Die Geschichte ist manchmal komisch, manchmal traurig und sprüht vor Lebendigkeit. In Amerika und Europa hat das Buch neuerdings Kultstatus — bei mir schon lange.

John Irving, »Garp und wie er die Welt sah«, rororo, 12,80 Mark

Gregor Neumann: »Sie«

Stephen King erzählt in »Sie« die Geschichte des Schriftstellers Paul Sheldons, der nach einem Unfall schwerverletzt einer wahnsinnigen Verehrerin ausgeliefert ist. Sie mag sein letztes Buch gar nicht und zwingt ihn, nur für sie eine Fortsetzung zu schreiben. Daraus entwickelt sich ein packendes Duell, bei dem es für Paul nicht nur darum geht zu überleben, sondern nicht selbst wahnsinnig zu werden. Eine Charakterstudie, die unter die Haut geht. Mich fasziniert »Sie« wegen des fesselnden Stils und der brillanten Konzeption, die den Leser mit allen Abgründen des menschlichen Wesens konfrontiert. Der Horror entsteht nicht durch Brutalität, sondern durch die Angst vor der eigenen Angst.

Stephen King, »Sie«, Heyne Verlag, 19,80 Mark

Martin Gaksch: »Cyberspace«

»Cyberspace« ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die William Gibson von 1977 bis 1985 geschrieben hat. Er zeichnet das Bild einer nicht gerade rosigen, sehr technisierten Zukunft. Weltraumschlachten oder andere Kampfhandlungen sucht man in dem Buch vergebens. Statt dessen werden Probleme normaler Menschen in einer heruntergekommenen Welt erzählt.

Die Kurzgeschichten sind witzig und zum Teil sehr salopp geschrieben. Man kann sich beim Lesen gut in die einzelnen Charaktere hineinversetzen. Wo nimmt der Mann nur die Ideen für seine tollen Geschichten her?

William Gibson, »Cyberspace«, Heyne Verlag, 9,80 Mark

Heinrich Lenhardt: »Ediths Tagebuch«

Wenn mir ein Buch gefallen soll, muß es sich einfach gut lesen lassen und muß spannend sein. Und für Spannung sorgen nicht nur Autoren wie Stephen King mit ihren fantastischen Stories. Der Amerikanerin Patrica Highsmith gelingt das Kunststück, ohne Effekthascherei enorm spannende Romane zu schreiben. Das erreicht sie durch die glänzenden Beschreibungen ihrer Hauptfiguren, mit denen man sich oft sehr gut identifizieren kann. Ein Paradebeispiel für die Schreibkunst der Highsmith ist die 400-Seiten-Superschwarte »Ediths Tagebuch«. Wer die müde Verfilmung dieses Buchs gesehen hat, soll sich bloß nicht abschrecken lassen!

Patrica Highsmith, »Ediths Tagebuch«, Diogenes, 8,80 Mark

Petra Wänqler: »Ich hab' sie, Mama«

»Ich hab sie Mama... aber sie stellt sich quer« sagt auf dem Titel eine kleine Katze mit großen Augen und einer Pfote im Mauseloch zu ihrer Mutter. Das ist echt Uli Stein.

Oder eine Maus, die am Mauseloch-Fenster steht und eine Fledermaus sieht: »Mama, komm mal...ein Engel! Echt Uli Stein. Oder ein Tierarzt: »Jahrelang glaubte man, Katzen hassen Hustentropfen — bis jemand dahinterkam, daß es am Stück Zucker lag...« und tropft den Saft auf eine erboste Maus.

Uli Steins Katzen- und Mäusebuch schaue ich immer wieder an und jedesmal fasziniert es mich. Denn Uli Stein lüpft in seinen Cartoons den Vorhang der Realität und schaut dahinter, versetzt sich in Menschen und in Tiere. Und bereitet das köstlich auf in Wort (knappe, treffende Kommentare) und Bild (die Katzen, Mäuse, Knuddel-Nasen-Menschen muß man einfach gesehen haben).

Uli Stein, »Ich hab' sie Mama...aber sie stellt sich quer!«, Lappan Verlag, 19,80 Mark

Udo Reetz: »Perry Rhodan«

Wer kennt nicht den Helden aller Milchstraßen? Zusammen mit seinen Freunden und Begleitern erlebt Perry Rhodan manch haarige Situation auf den seltsamsten Planeten.

Angefangen hatte alles als Groschen-Roman. Mittlerweile gibt es mehr als 1200 Einzelausgaben. Da es unmöglich ist, diese alle zu lesen, hat sich das Autoren-Team daran gemacht, die Heftchen in Buchform zusammenzufassen. Durch eine saubere Überarbeitung wurden unwichtige Handlungen weggelassen, Widersprüche geklärt und Übergänge geschrieben.

Ich lese diese Bücher besonders gerne, bieten sie mir doch spannende Unterhaltung bis zur letzten Seite.

Perry Rhodan, Band 1 bis 30, Verlag Arthur Moewig GmbH, Preis: 19,80 Mark je Band

Joachim Graf: »Cluster-Zyklus«

Der Cluster-Zyklus von Paul Anderson fasziniert mich, weil eine ganze Menge guter Ideen auf einmal untergebracht worden ist: Es geht um unsere Milchstraße, die von der Nachbargalaxis Andromeda angegriffen wird. Alle intelligenten Lebewesen leiden nämlich aus Energiemangel unter »sphärischer Regression«. Die Schurken von Andromeda wollen nun die Milchstraße auflösen, um ihre Energiesorgen loszuwerden. Witzig und fantasievoll geschrieben lernt man die Probleme einer Rasse kennen, die aus drei Geschlechtern besteht oder von Lebewesen, die sich mit Musik, Laserstrahlen oder Magnetwellen unterhalten. Allein die Schilderung der einzelnen Rassen wäre jeweils ein eigenes Buch wert gewesen.

Der Gott von Tarot«, »Die Visionen von Tarot«, »Die Hölle von Taroti, Moewig Verlag, je 6,80 Mark; »Flint von Außenwelt«, "Melodie von Mintaka«, »Herold der Heiler«, Heyne Verlag, je 7,80 Mark (alle ca. 400 Seiten)

Henrik Fisch: »Duncan-Trilogie«

Die Mri sind die Ninjas des Universums. Äußerlich den Menschen sehr ähnlich, wenn auch mit goldener Haut, ist ihre einzige Lebensaufgabe der Kampf. So jedenfalls kommt es den Menschen vor, die gegen die Mri einen erbitterten Krieg führen. Durch Zufall lernt Duncan den jungen Mri Niun auf Kesrith kennen, und schließt mit ihm Freundschaft. Mit der Zeit lernt er die Gebräuche der Mri kennen, warum sie eine kämpferische Rasse sind, ihre Religion. Er begreift, daß die Menschen und Regul einen fatalen Fehler begehen, und setzt alles daran, den Mri zu helfen.

Bisher habe ich die Duncan-Trilogie sechsmal gelesen. Ich glaube, ich fange gleich noch einmal an.

G J. Cherry, »Kesrith — die sterbende Sonne«, »Shon'jir — die sterbende Sonne«, »Kutath — die sterbende Sonne«, Heyne-Verlag, je 6,80 Mark

Boris Schneider (leider nicht im Bild):

»Per Anhalter durch die Galaxis«

Wer nach einem Stück Lebensphilosophie sucht, wird es im »Anhalter« finden, denn der Reiseführer, den Arthur mit sich herumträgt, weiß nicht nur wo es die besten Drinks in hundert Lichtjahren Umkreis gibt, sondern beweist auch eindeutig, daß es gar kein Leben im Universum gibt, daß Gott ebenfalls nicht existiert und daß das allerwichtigste Hilfsmittel in allen Lebenslagen ein Handtuch ist. Doch Vorsicht: Es soll schon passiert sein, daß normale Erdenmenschen so sehr über das Buch gelacht haben, daß ihre Molekular-Struktur zerfiel und nur etwas Asche übrigblieb...

Wer dieses Buch gelesen hat, wird ohne die Fortsetzungen nicht mehr leben können. Sie heißen: »Das Restauraunt am Ende des Universums«, »Das Leben, das Universum und der ganze Rest« und »Macht's gut und danke für den Fisch«.

Douglas Adams, »Per Anhalter durch die Galaxis«, Ullstein TB, 6,80 Mark

Thomas Kaltenbach: »Die unendliche Geschichte«

Verlieren wir unsere Fantasie? Was Michael Ende in seinem Buch »Die unendliche Geschichte« schreibt, trifft auf unser Computerzeitalter erschreckend zu. Ist es nicht so, daß Kinder wie Bastian, der Titelheld des Buchs, immer weniger werden? In einer Welt, wo Computer im Kinderzimmer stehen, hat Phantasien keinen Platz. Denn in Phantasien gibt es keine Computer, hier gibt es Helden, Ungeheuer, Dämonen, Glücksdrachen und eine kindliche Kaiserin. Michael Ende hat geschafft, was viele andere Autoren vergeblich versuchen: Er hat einen so leicht verständlichen Schreibstil angewandt, daß man auch ohne Fremdwörterlexikon auskommt. Die unendliche Geschichte entführt mich in eine andere Welt, weg von den Computern.

Michael Ende, »Die unendliche Geschichte«, dtv, 16,80 Mark

Hartmut Woerriein: »Doch mit den Clowns...«

Ich lese Simmel nur gelegentlich. Auf »Doch mit den Clowns kamen die Tränen« bin ich durch eine Bestseller-Liste aufmerksam geworden. Das Buch fängt derart spannend an, daß ich es erst nach 150 Seiten wieder aus der Hand legen konnte — morgens um halb drei.

Interessant an diesem Simmel ist die Thematik: Gen-Technik in der Gegenwart und wie die Entwicklung auf diesem Gebiet hinter unserem Rücken zu erschreckenden Ergebnissen führt.

In diesem Buch hat mich jedes Kapitel aufs neue gefesselt und so waren die über 500 Seiten nach wenigen Tagen verschlungen.

Johannes Mario Simmel, »Doch mit den Clowns kamen die Tränen«, Droemer Knaur Verlag, 39,90 Mark



Aus: Happy Computer 07 / 1988, Seite 46

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