MIDI: Musik im Netz

Midi ist das Zauberwort, das den Spielern vor allem von Tasteninstrumenten einen Zugang zu einer ganz neuen Welt von musikalischen Möglichkeiten freigibt.

Die meisten unter unseren Lesern werden schon einmal mit diesem Begriff konfrontiert worden sein, und damit Sie nicht auf die Konkurrenz zurückgreifen müssen, wollen wir im folgenden eine Einführung in die Midi-Welt geben, die mit einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung der elektronischen Musikinstrumente beginnt:

Mitte der sechziger Jahre entwickelte der amerikanische Ingenieur Robert Moog ein elektronisches Gerät zur Erzeugung von Klängen, das den Namen Synthesizer erhielt. Es wurde, der Einfachheit wegen, mit einer klavierähnlichen Tastatur gespielt, weshalb bis heute nahezu alle elektronischen Instrumente auf Klaviaturen beruhen, was technisch zwar nicht notwendig, aber am einfachsten ist. Diese Geräte, zuerst unhandlich und schwierig zu bedienen, ermöglichten eine Revolution in der Musik, weil sie bisher unvorstellbare Klänge produzieren konnten. Die ersten dieser Geräte waren nur monophon, das heißt, sie konnten nicht mehr als einen Ton gleichzeitig produzieren. Meistens bestanden sie aus einzelnen Modulen, die die verschiedenen Baugruppen enthielten und die für den jeweils gewünschten Klang auf eine bestimmte Art und Weise verkabelt werden mußten. Die Steuerung der Funktionen erfolgte über Steuerspannungen, die, um auch die Kombination von Modulen verschiedener Hersteller zu ermöglichen, schon bald genormt wurden. Diese Modul-Geräte hatten natürlich den Nachteil, daß sie live auf der Bühne fast nicht zu gebrauchen waren, weil 1. der ganze Aufbau recht empfindlich und unübersichtlich (viele, viele Kabel) und 2. das Ändern von Klängen furchtbar zeitaufwendig war. Dies führte zur Entwicklung einfacherer Geräte mit fester Verdrahtung, die weniger Möglichkeiten hatten, dafür aber leichter und schneller zu bedienen und (vor allem) auch um vieles billiger waren, was erstmals eine weite Verbreitung unter Musikern möglich machte. Das populärste Gerät dieser Generation war der Minimoog, der, obwohl schon lange nicht mehr gebaut, noch bis heute bei vielen Musikgruppen im Einsatz ist.

Die aufkommende Digitaltechnik bewirkte auch die Entwicklung einer neuen Synthesizer-Generation, deren Klangeinstellungen aus batteriegepufferten Speichern abrufbar waren, schließlich sogar von Geräten, deren Tonerzeugung ausschließlich digital erfolgte. Jede Herstellerfirma rüstete nun ihre digital gesteuerten Synthesizer mit einem eigenen digitalen Bussystem aus, um die- Kombination von Geräten überhaupt möglich zu machen; die alte analoge Norm ist für digitale Synthesizer moderner Konzeption leider nicht sehr geeignet. Anfang der achtziger Jahre begannen amerikanische und japanische Firmen die Baumsäge im Wald der digitalen Synthesizer-Interfaces anzusetzen, um dann, als keines der vorhandenen Systeme universell genug erschien, eine neue, herstellerunabhängige und vor allem flexible Norm zu entwickeln. Im Oktober 1982 war es dann soweit: Die Urfassung der Musical Instrument Digital Interface-Norm, kurz Midi, erschien im Licht des öffentlichen (Musiker-) Interesses.

In kürzester Zeit setzte sich die neue Norm durch, letzte Normungsprobleme wurden im Oktober 1983 durch Vorstellung der Midi-Norm Version 1.0 beseitigt, und seitdem wurden ständig neue Anwendungen im Musikbereich gefunden; ohne Übertreibung kann man sagen, daß die Midi-Norm die bedeutendste Entwicklung in der Musikelektronik seit der Erfindung des Synthesizers ist.

Jetzt aber endlich zur Frage: Was ist eigentlich das Musical Instrument Digital Interface?

Midi basiert auf einer genormten Kommandosprache, die über eine (ebenfalls genormte) Schnittstelle übertragen werden ,kann und eine Kommunikation zwischen Synthesizern, Drummaschinen, Computern oder anderen Geräten ermöglicht.

Elektrisch gesehen handelt es sich bei der Schnittstelle um ein einfaches serielles, asynchrones Interface.

Die Übertragungsrate beträgt 31,25 Kilobaud, das Datenformat ist: ein Startbit, acht Datenbits, ein Stopbit. Für die Übertragung eines Datenbytes werden also 10 Bit und 320 us benötigt. Es ist keinerlei Protokoll oder Handshake-Mechanismus vorgesehen.

Mechanisch werden sowohl der Midi-Ausgang wie der Midi-Eingang an jeweils einer 5poligen DIN-Buchse beschaltet. Als Kabel können normale DIN-Überspielkabel mit einer Länge von maximal 15m verwendet werden. Außerdem ist in der Midi-Norm (optional) noch eine sogenannte Midi-Thru-Buchse vorgesehen; an diesem Ausgang liegt eine gepufferte 1:1 Kopie des an der Midi-Eingangsbuchse anliegenden Signals.

Diese sehr einfache Auslegung der Schnittstelle hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile sind die sehr einfache Verkabelung und die billigen Kabel sowie die dadurch möglichen, relativ großen Verbindungslängen. Der Hauptnachteil ist die relativ niedrige Übertragungsrate, die bei großen Datenmengen zu hörbaren Verzögerungen (warum, wird weiter unten erläutert werden) führen kann, ein Nachteil, der jedoch bei den weitaus meisten Anwendungen nicht ins Gewicht fällt.

Aus dieser Beschreibung des Midi-Interface läßt sich leicht ersehen, daß man es problemlos für völlig unmusikalische Zwecke, wie zum Beispiel Computer-Netzwerke (ein entsprechendes Programm für den ST gibt es schon) mißbrauchen kann; denn die spezifisch musikalischen Fähigkeiten erhält es erst durch die Midi-Kommandosprache, auf die ich jetzt zu sprechen komme.

Das Prinzip ist einfach, wenn man bedenkt, daß der ursprüngliche Sinn des Interfaces die Koppelung von verschiedenen elektronischen Musikinstrumenten ist. Ein solches Musikinstrument hat Bedienungselemente, die Töne erzeugen (meist Klaviaturen), einige Spielhilfen, die besondere klangliche Effekte erlauben, Umschalter zwischen den gespeicherten Klangprogrammen und noch einige mehr. Für jedes dieser typischen Bedienungselemente gibt es in der Midi-Sprache ein zugehöriges Kommando, das bei der Betätigung des entsprechenden Bedienungselementes auf einem von 16 logischen Kanälen gesendet wird und von allen Geräten, die auf die gleiche Kanalnummer eingestellt sind, empfangen wird. Dieser Satz von Kommandos ist noch um spezielle Kommandos erweitert, mit denen es möglich ist, nahezu jedem musikalischen Problem gerecht zu werden. Einschränkend muß man bemerken, daß die Midi-Norm stark Keyboardorientiert ist, die Anwendung mit anderen Instrumenten ist noch stark unterentwickelt, was jedoch kein Problem der Midi-Norm, sondern eines der gesamten Synthesizer-Entwicklung ist; war doch für die Entwickler der ersten Synthesizer eine Klaviatur nichts anderes als eine Reihe von Schaltern, und mit Schaltern läßt es sich eben elektronisch leicht basteln...

Es gibt zwei Hauptgruppen von Midi-Kommandos: die erste enthält alle Kommandos, die nur für einen bestimmten logischen Kanal gedacht sind und nur von diesem empfangen werden (Mit einer Ausnahme). Die übrigen Kommandotypen enthalten keine Kanal-Nummer und sind deshalb für das gesamte angeschlossene Midi-Instrumentarium bestimmt.

  1. Gruppe:
    Kanalspezifische Kommandos
    a) Voice Messages
    enthalten alle Kommandos, die mit den Bedienungselementen zu tun haben
    b) Mode Messages
    Kommandos, die die Reaktion des Empfängers auf Voice Messages definieren

  2. Gruppe: System-Kommandos
    a) Common Messages
    allgemeine Kommandos, die für das ganze "System Gültigkeit haben
    b) Real-Time
    Ein-Byte-Meldungen, die, wie der Name schon sagt, für Timing-Zwecke benutzt werden, zum Beispiel für die Übertragung des Taktes eines Musikstückes
    c) System-exclusive
    Kommandos, die nur für ein bestimmtes Gerät eines Herstellers bestimmt sind, die also Hardware-spezifische Informationen enthalten und daher auch nicht genormt sind.

Ein Kommando besteht grundsätzlich aus einem Statusbyte, dem mehrere Datenbytes folgen können (je nach Kommando). Mitteilungen, die das empfangende System nicht versteht, sei es wegen eines Übertragungsfehlers oder weil der Empfänger das entsprechende Feature nicht besitzt, werden grundsätzlich ignoriert. Statusbytes können am gesetzten höchsten Bit erkannt werden, woraus folgt, das Datenbytes (höchstes Bit = 0) nur sieben Bits übertragen. Im Statusbyte ist auch die Kanalnummer enthalten. Grundsätzlich sollten Midi-Kommandos vom Empfänger genauso behandelt werden, als kämen sie z. B. von der eigenen Tastatur (d. h. mit der gleichen Priorität).

Die zu Anfang beschriebenen Timing-Probleme können sich ergeben, wenn viele Töne gleichzeitig, z. B. über einen Sequencer auf vielen verschiedenen Kanälen ausgegeben werden sollen. Um einen Ton anzuschalten, werden 3 Bytes und rund 1 ms benötigt. Ob es zu hörbaren Verzögerungen kommt, hängt aber nicht nur von der Anzahl der 'gleichzeitig' auszugebenden Daten ab, sondern auch von den benutzten Klängen und den angewandten Effekten (Hall verdeckt viel). In der Praxis kommt es nur äußerst selten zu solchen Timing-Fehlern.

Die einzelnen Kommandos zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, jedoch sollte noch etwas zu den Mode Messages gesagt werden. Jeder Empfänger kann nämlich (ein jeder nach seinen Fähigkeiten) auf unterschiedliche Weise auf die gesendeten Voice Messages reagieren. Man unterscheidet grundsätzlich vier Modes, von denen manche Geräte nur einen, andere alle vier beherrschen.

Mode 1

nennt sich Omni on, Poly. Dies bedeutet, daß der Empfänger Voice Messages aller logischen Kanäle empfängt und sie polyphon (d. h. es können mehrere Töne gleichzeitig erzeugt werden) auf die zur Verfügung stehenden Voices (= Synthesizerstimmen) verteilt.

Mode 2

nennt sich Omni on, Mono. Dieser Mode entspricht Mode 1 mit dem Unterschied, daß die empfangenen Voice Messages aller Kanäle hier nur auf eine monophone Stimme wirken.

Mode 3

heißt Omni off, Poly. Wie man sich denken kann, wirken hier die empfangenen Voice Messages wie bei Mode 1 polyphon auf die zur Verfügung stehenden Voices, es werden jedoch nur Voice Messages auf einem logischen Kanal empfangen, der üblicherweise einstellbar ist.

Mode 4

ist ein besonders vielseitiger, aber auch selten vorhandener Mode und heißt Omni off, Mono. Hier bestehen ähnliche Verhältnisse wie bei Mode 2, d. h. empfangene Voice Messages gelten nur für eine Stimme, und es werden wie bei Mode 3 nur Messages eines bestimmten Kanals empfangen. Darüber hinaus sind Geräte, die diesen Mode beherrschen, aber in der Lage, ihre übrigen Stimmen auf anderen Midi-Kanälen zur Verfügung zu stellen. Beispiel: Ein Synthesizer besitzt vier Stimmen und wird in den Mode 4 gesetzt, Empfangskanal ist Kanal 6. Dann empfängt er jeweils wie ein monophoner Synthesizer auf den Kanälen 6, 7, 8 und 9, wobei (meist) jede Stimme eine andere Klangfarbe erzeugen kann.

So, zum Abschluß dieser kurzen Einführung sollen noch einige Beispiel-Anwendungen und Verschaltungen erklärt werden.

Die einfachste Möglichkeit ist die Kopplung zweier Instrumente, so daß man beide von einer Tastatur aus spielen kann. Dafür wird nur ein Kabel benötigt, denn eine Rückkopplung des Empfängers mit dem Sender ist nicht erforderlich.

Interessanter ist die Kopplung von mehreren Synthesizern mit einem sogenannten Masterkeyboard. Ein Masterkeyboard ist eine große Klaviatur ohne eingebaute Tonerzeugung, die dafür von besonderer Spielqualität ist (sein sollte). Man kann nun alle seine Synthesizer an diese Tastatur anschließen und von dort aus spielen, was zum Beispiel auf der Bühne heißt, daß man sich nicht mehr hinter einer riesigen Keyboard-Burg verschanzen muß, hinter der man kaum noch sichtbar ist. Es gibt sogar tragbare, kleine Umhängekeyboards, mit denen man genauso beweglich ist wie Gitarristen oder Saxophonisten. Da sich über Midi auch Informationen zur Umschaltung von Presets (= Klangeinstellungen) übermitteln lassen, werden auch Effektgeräte immer häufiger mit einem Midi-Interface ausgestattet. Selbst Mischpulte, deren Einstellungen sich über, Midi ändern lassen, gibt es schon. Mit einem einzigen Tastendruck läßt sich in so einem Midi-Netz die gesamte Verschaltung ändern, die Klangeinstellungen, Lautstärkeverhältnisse, Effekte, für die man früher manchmal -zig Schalter betätigen mußte.

Am interessantesten dürfte jedoch die Kopplung von Synthesizern und Computern mit einem entsprechenden Sequencer-Programm sein. Der Computer kann die Funktionen eines Tonbandgerätes simulieren, indem er sämtliche empfangenen Midi-Messages aufzeichnet und auf Kommando wieder abspielt. Durch die Möglichkeiten der nachträglichen Bearbeitung hat der Computer dem Tonbandgerät aber einiges voraus. Was auf diesem Gebiet machbar ist, zeigt vielleicht der Testbericht über den Steinberg Twentyfour Sequencer für den ST, den Sie ebenfalls in diesem Heft finden. Zu Hause lassen sich so zu Hobbypreisen professionelle Aufnahmen von elektronischer Musik produzieren.


Christian Schormann
Aus: ST-Computer 10 / 1986, Seite 32

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