Atari ST steuert Spiegelteleskop


Zum Durchführen astronomischer Beobachtungen ist neben einem Fernrohr auch eine leistungsfähige Montierung erforderlich, die es gestattet, das Teleskop auf jeden beliebigen Punkt des Sternenhimmels zu richten, und die es den scheinbaren Bahnen der Himmelsobjekte nachführt. Während das Einstellen heller Objekte (Mond, Planeten usw.) mit einem optischen Sucher noch leichtfällt, gestaltet sich das Auffinden lichtschwacher Objekte (Galaxien, Nebel) zunehmend schwieriger. Bei vielen Beobachtungen ist es deshalb erforderlich, die Koordinaten der Objekte aus astronomischen Nachschlagewerken zu entnehmen und das Fernrohr mit Hilfe der eingebauten Teilkreise in die richtige Position zu bringen. Dieses Verfahren ist jedoch aufwendig und fehleranfällig, vor allem wenn die Koordinaten umgerechnet werden müssen. Zudem stößt die Ablesegenauigkeit der Teilkreise mit Nonius sehr bald an Grenzen.

Um diese Einstellarbeit leichter, schneller und genauer durchführen zu können, wird in der Allgäuer Volkssternwarte ein Atari ST eingesetzt, der das Fernrohr auf jedes beliebige astronomische Objekt automatisch ausrichtet.

Hardware-Voraussetzungen

Als Rechner ist ein Atari 1040 ST oder ein Mega ST mit hochauflösendem Monitor einsetzbar. Die Fernrohrmontierung muß in beiden Achsen mit Schrittmotoren angetrieben werden, und die Schrittmotorsteuerung muß über eine externe Schnittstelle verfügen, die es erlaubt, Funktionen wie Ein- und Ausschalten der siderischen Nachführung, Drehrichtungen und Stepperschritte über TTL-Pegel zu steuern. Die Verbindung zwischen Rechner und Aussteuerelektronik stellt ein 8-Bit-I/O-Parallel-Interface her, das in den ROM-Port gesteckt wird. Im vorliegenden Fall wurde eine Montierung vom Typ 7-AD der Firma Alt verwendet.

Aufbau der Software

Mil Hilfe zweier Software-Module werden zum einen die astronomische Seite über eine grafische Benutzeroberfläche mit Mausbedienung und zum anderen die eigentliche Fernrohrsteuerung implementiert.

Während die astronomische Aufgabe von einem GEM-Programm erfüllt wird, ist die Fernrohrsteuerung in ein Accessory eingebettet. Die Kommunikation erfolgt zwischen diesen beiden quasi gleichzeitig aktiven Prozessen überdas Betriebssystem. Dazu werden dem Accessory jeweils die Differenzen des Zielobjektes zum zuletzt eingestellten Referenzobjekt mitgeteilt.

Astronomie-Modul

Ausgehend von Positionsdaten (Rektaszension und Deklination) zahlreicher Himmelsobjekte werden Sternkarten mit oder ohne Gradnetz gezeichnet. Dabei ist zunächst jeweils nurein kleiner Ausschnitt über ein GEM-Fenster sichtbar. Mit den Scroll-Balken und/oder einer anderen Maßstabsfestlegung kann dieser Ausschnitt veliebig verändert werden.

Neben etwa 3500 Sternen finden sich ungefähr 350 Galaxien, Nebel, offene und Kugelsternhaufen sowie Sonne, Mond und Planeten in verschiedenen, frei wählbaren Bezugssystemen wieder. Als wichtigste Bezugssysteme seien das momentane mittlere Äquatorsystem der Erde und das Horizontsystem des Beobachters genannt.

Einflüsse wie Aberration, Ephemeridenzeit, Nutation und Präzession finden, falls gewünscht, Berücksichtigung.

Durch Anklicken eines interessierenden Nebels beispielsweise und entsprechende Auswahl in einem Pop-Up-Menü kann sich der Beobachter nähere Informationen über Objekte holen. Außerdem kann der Nebel zum Zielobjekt der Beobachtung erkoren werden. Darüber hinaus bietet die Astronomie-Software die Möglichkeiten. Mond- und Sonnenfinsternisse vorauszuberechnen sowie die Bewegung von Planeten und Sternen als Film ablaufen zu lassen.

Fernrohr-Modul

Die in einem Accessory untergebrachte Schnittstelle zwischen GEM-Programm und Nachführung berücksichtigt die hardware-spezifischen Gegebenheiten der Ansteuerelektronik.

Es enthält als Übergabe die Winkeldifferenz zum neuen Zielobjekt und die gewünschte Nachführungsgeschwindigkeit. Daraus werden die Schwenkzeit und die notwendigen Steppermotorschritte berechnet. Die externe Schnittstelle wird aktiviert und die Ansteuerfrequenz für die Motoren rampenförmig bis zur maximalen Nachführgeschwindigkeit erhöht. Am Ende des Schwenkvorgangs wird die Geschwindigkeit wieder langsam erniedrigt.

Das Accessory bietet weiterhin die Möglichkeit, periodisch wiederkehrende Ungenauigkeiten des Schneckenantriebes zu kompensieren (Fertigungstoleranzen der Antriebschnecke). Dazu wird für die Dauer einer Schneckendrehung (ca. 8 min) ein Stern genau auf einem Fadenkreuz gehalten, indem mittels der Vektortasten die Ansteuerfrequenz entsprechend modifiziert wird, d.h. trotz mechanischer Toleranzen ergibt sich eine exakt gleichmäßige Nachführgeschwindigkeit. Dieser Frequenzverlauf wird auf Diskette gespeichert und kann für jede weitere Nachführung abgerufen werden. Diese Methode hat sich bei fotografischen Aufnahmen mit längerer Belichtungszeit als außerordentlich hilfreich erwiesen.

Ablauf einer Beobachtung

Nach dem Starten des Astronomie-Programms und dem Aus-wählen des Menüpunktes Fernrohr-Beobachtung werden nacheinander die gewünschte Beobachtungszeit und der gewünschte Beobachtungsort über Dialogboxen erfragt. Die voreingestellten Werte, die hier auch als Vorschlag erscheinen, entsprechen dabei der aktuellen Tageszeit und der Lage der Allgäuer Volkssternwarte Ottobeuren.

In einer großen Dialogbox mit vielen grafisch veranschaulichten Himmelsobjekten trifft der Beobachter die Wahl, was alles in die Sternkarte eingezeichnet werden soll. Nach dem Einlesen der Koordinaten und der Umrechnung in das Horizontsystem des Beobachters zeigt sich auf dem Atari-Bildschirm die volle Pracht des aktuellen Sternhimmels.


Nun muß einmal zu Beginn der Beobachtung das Fernrohr auf ein leicht zu identifizierendes Objekt (einen hellen Stern etwa) eingestellt werden. Dieses Objekt wird auf dem Atari-Bildschirm angeklickt und über ein Pop-Up-Menü als Referenzobjekt gekennzeichnet. Alles weitere ist ein "Kinderspiel". Das Objekt, das beobachtet werden soll, wird ebenfalls angeklickt und über das Pop-Up-Menü als Zielobjekt bekanntgemacht. Auf dem Bildschirm sind nun die beiden Objekte durch ein Fadenkreuz bzw. durch einen quadratischen Rahmen hervorgehoben. Mit der rechten Maustaste wird das Pop-Up-Menü aufgerufen und der Menüpunkt Anfahren angeklickt (siehe Bild).

Nun setzt sich das Fernrohr in Bewegung und fahrt, wie von unsichtbarer Hand gesteuert, auf das gewünschte Objekt zu. Nach kurzer Zeit kann der Beobachter einen Blick ins Fernrohr-Okular werfen und zum Beispiel "seine" Galaxie in vielleicht vielen Millionen Lichtjahren entfernten Regionen bewundern.

Das momentane Objekt wird zum neuen Referenzobjekt, so daß durch Anklicken eines neuen Zielobjektes der Beobachtung weiterer "Schönheiten" des Sternhimmels nichts mehr im Wege steht.

Dr. Dieter Egger I Engelbert Kienle

Weitere Infos: Allgäuer Volkssternwarte Bergstr. 37 8942 Ottobeuren



Aus: ST-Computer 11 / 1990, Seite 10

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