MIDI-Future

Es war einmal, in grauer Vorzeit, ein Organist, der jeden Abend emsig seine Orgel programmierte. Alle Regler- und Knöpfchenstellungen wurden genauestens notiert, damit der Sound auf der Bühne auch noch genauso schön war wie daheim. In der Tanzpause war alles flugs umprogrammiert, so daß es auch schnell weitergehen konnte. Dies reichte dem Organisten nicht mehr, und es war ihm auch viel zu stressig, immer alles neu einzustellen. Das ging auch einfacher. Er stellte seinen SUPER-SOUND ein und klebte kurzerhand alle Regler mit Gaffa-Tape fest. Dann zog er los und kaufte eine neue Orgel. Von nun an war das Leben für ihn viel leichter geworden. Zwei Sounds hatte er jetzt jederzeit zur Verfügung. Ach, wenn man doch auf Knopfdruck die gesamten Keyboard-Einstellungen ändern könnte... und auch dies wurde möglich.

Abb.1: Der MIDI-Anschluß - einfache 5polige DIN-Buchsen sorgen für Verbindung

Es begann eine Zeit, in der die Hersteller gute Orgel- nebst Synthesizer-Sounds in ein einziges Gerät zu integrieren begannen. Ein RAM-Speicher erlaubte das komfortable Abspeichem der selbst kreierten Sounds. Die Rettung aller Bühnenmusiker. Die nun folgende Sound-Flut brachte wieder neue Wünsche zutage. Die Keyboards bekamen Cartridge-Slots, in die dann kleine externe Erweiterungsspeicher eingesteckt werden konnten. Als Massenspeicher war dies nicht der Weisheit letzter Schluß. Speicher kostet nun mal eine Menge Geld. Man dachte da schnell an Disketten, die im Gegensatz zu einer RAM-Cartridge nur einen Bruchteil kosten. Was lag also näher, als einen Computer zur Archivierung für seine Sounds einzusetzen? Die Programmierer ließen nicht lange auf sich warten und stellten sehr bald für alle nun auf den Markt kommenden Keyboards Soundmanager und Bankloader zur Verfügung. Heute wäre es kaum noch denkbar, sich ein Keyboard zu kaufen und kein dazugehöriges Editor-Programm. Den eigentlichen Datenaustausch zwischen Keyboard und Computer ermöglicht die genormte MIDI-Schnittstelle. MIDI ist die Abkürzung für MUSICAL-INSTRUMENT-DIGITAL-INTERFACE.

Atari-ST/TT-Computer besitzen diese Schnittstellen bereits ab Werk, was auch heute immer noch einzigartig ist. Wer sich ein MIDI-Keyboard zulegt, kann sofort mit einem entsprechenden Programm und seinem ATARI loslegen. MIDI-Kabel nicht vergessen. Wer seinen ATARI mal von der Seite betrachtet hat, weiß, daß sich auf der linken Seite zwei genormte 5polige 180Grad-DIN-Buchsen befinden. Genau die, die auch bei Kassettenrekordern Anwendung finden. Einmal MIDI-IN und einmal MIDI-OUT. Wer nun meint, daß wie beim guten alten Kassettenrekorder Tonfrequenzen übertragen werden, irrt. Hier werden ausnahmslos nur digitale Daten übertragen. Jeder Parameter, der an einem MIDI-Instrument verändert werden kann, muß zunächst digitalisiert werden. Anschließend nehmen die „Nullen“ und „Einsen“ ihren Weg über das MIDI-Kabel. Nun wird auch klar, warum alles nach strenger Norm ablaufen muß. Ohne Norm - auweh, das Chaos wäre groß.

Bald begnügte man sich nicht mehr mit dem Archivieren von Sounds. Der Wunsch nach Steuerungsmöglichkeiten wurde immer größer. Es folgten die Sequenzerprogramme, Notationsprogramme mit Notendruck, Sample-manager, Lernprogramme, Gehörbildung, Begleitautomaten und, und, und, um hier nur einige zu erwähnen. Die Entwicklung ging sehr rasant vor sich und läßt noch kein Ende absehen. Das wollen wir auch hoffen. Die Datenmengen, die über das MIDI-Kabel geschickt werden, sind teilweise so groß, daß die Übertragungsrate von ca. 31 KBaud nicht mehr ausreichend erscheint. Welche Probleme auftreten können, wissen die Anwender von Sequenzer-Programmen sicherlich am besten. Hier deklariert man eines seiner MIDI-Geräte als Master. Auf diese Weise richten sich die anderen Instrumente, sofern als Slave eingestellt, immer nach dem Timecode des Masters. Einen solchen Timecode nennt man unter anderem SMPTE (sprich: sämpti, SOCIETY OF MOTION PICTURE AND TELEVISION ENGINEERS). Diese Synchronisation diente ursprünglich zur Steuerung von Videoaufzeichnungen. Das exakte Ansteuem jedes Bildes wurde ermöglicht, indem ein Timecode auf einer separaten Spur parallel zu den Bild- und Tonereignissen mitgeschrieben wurde. Die grobe Unterteilung erfolgte in Sekunden und die Feinabstimmung in Frames. Da diese Synchronisationsmöglichkeiten die Zusammenarbeit von Computern, Synthesizern, Keyboards und Bandmaschinen erheblich vereinfachen und nichts mehr dem Zufall überlassen werden muß, hat man sich 1972 entschlossen, den SMPTE-Code als Norm einzuführen.

Die Datenmengen, die eine MIDI-Schnitt-stelle verarbeiten muß, ist in vielen Fällen so groß, daß die Baud-Rate (31.25KHz) nicht mehr ausreichend ist. Also höchste Zeit, sich nach schnelleren Übertragungsmöglichkeiten umzusehen. Der ATARI stellt sicherlich kein Problem dar, da die CPU (Motorola 68000 bzw. beim ATARI-TT 68030) für MIDI-Anwendungen allemal genug Reserven besitzt, um noch ein paar Dinge nebenbei verrichten zu können.

LAN - Local Area Network

Welche Auswirkungen die Geburt der MIDI-Schnittstelle auf das Leben von Musikern und Computer-Anwendern hat, konnten die Urväter damals nicht erahnen, sonst hätte man sich sicherlich für höhere Übertragungsraten entschieden. Daß diese Möglichkeit, Daten auszutauschen, nicht schlecht ist, beweisen die unzähligen Anwendungen und immer größer werdenden Programme. Der Arbeitsspeicher wird zu klein, die Festplatte reicht nicht mehr aus. Keyboards heißen mittlerweile Workstation.

Grund genug, sich nach einer Datenübertragung umzusehen, die einerseits alle bisher gebräuchlichen MIDI-Anwendungen zuläßt und andererseits erheblich schnellere Datenströme ermöglicht. In letzter Zeit fällt da immer häufiger das Stichwort „LAN“. „Local Area Network“ ist eine Schnittstelle, die digitale Daten 30 bis 3000(!) mal schneller überträgt als MIDI. Die Beschränkung auf 16 MIDI-Kanäle entfällt hier, da unzählige Zuordnungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Das MEDIALINK-LAN erlaubt die Adressierung von 253 Geräten, die nach verschiedenen Topologien vernetzt werden können. Je nach Anwendung entscheidet man sich für ein T- oder sternförmiges Netzwerk. Jedes angeschlossene Gerät nennt sich in der LAN-Welt „Node“. Alle Nodes werden mit einem Glasfaserkabel verbunden und vermögen alle gleichzeitig zu senden und zu empfangen. MIDI-Geräte können über einen sogenannten „TAP“ ohne weiteres in das LAN-Netz eingespeist werden. In dem TAP findet eine Konvertierung des Datenformates sowie eine Umsetzung der Signalformen zwischen elektrischen und Lichtwellenleitem statt. Durch diese Konvertierung erreichen LAN-Dateninformationen ohne Probleme die angeschlossenen MIDI-Geräte. MIDI-TAPs arbeiten mit einer Übertragungsrate von 2 Millionen Bits pro Sekunde (2MBaud). Diese Geschwindigkeit erlaubt es, bis zu 8 komplette MIDI-Stränge gleichzeitig zu verarbeiten. Wird ein MIDI-Strang nicht voll genutzt, sind selbstverständlich weitere Funktion möglich. Die bestehenden MIDI-Kanalzuordnungen werden in keiner Weise beeinflußt, sondern mit für das LAN-Netz notwendigen Adressierungen ergänzt.

Die MIDI-Zukunft sieht somit abwechslungsreicher aus, als wir gedacht haben. Computer werden sicherlich bald mit entsprechenden Schnittstellen ausgestattet, um eine effizientere Datenübertragung zu ermöglichen. Prinzipiell ist alles vorhanden und wird auch schon für andere Anwendungen genutzt. Centronics, RS-232, V24, Inhouse, Ethernet, um hier nur einige zu nennen, haben zur Zeit noch (fast) nichts mit MIDI zu tun. Dies kann sich in nächster Zukunft schnell ändern. Wer in einer der letzten „ST-COMPUTER“-Ausgaben aufmerksam die MIDI-News gelesen hat, dem ist sicherlich aufgefallen, daß die RS232(Modem)- Schnittstelle schon für MIDI-Anwendungen genutzt wird. Der ATARI ist nun mal für fast alles zu gebrauchen. Sei es DTP, CAD oder MIDI, die Entwicklung geht immer weiter, so auch bei den MIDI-Programmen, von denen wir hier 2 an der Zahl vorstellen wollen. Gute Sequenzerprogramme gibt es nun wirklich schon genug, da wird in der nahen Zukunft wohl nichts Weltbewegendes mehr geschehen. Der Trend der letzten Zeit geht eindeutig in Richtung „Begleiten“ und „Arrangieren“ mit dem Computer. Warum sollte der ATARI nicht genauso gut als Begleitautomat genutzt werden können wie ein Rhythmus-Keyboard und dabei vielleicht noch selbständig Arragements erstellen können? Gegenwärtig entwickeln die Hersteller Keyboards, in denen genau dieselben Prozessoren und Speicher stecken wie in einem Computer. Es werden nun mal nicht alle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, aber theoretisch ist es möglich, mit der Synthesizer-Elektronik eine Textverarbeitung durchzuführen. Das wollen wir hier aber nicht. Wir wollen einmal sehen, was uns die mir zur Verfügung gestellten Programme zu bieten haben.



Aus: ST-Computer 12 / 1991, Seite 20

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