Geneva - Multitasking zum Mini-Preis

Wer die Begriffe Multitasking und Atari unfallfrei in einem zusammenhängenden Satz erwähnt, denkt zumeist an MagiC, nach längerem Nachdenken auch an N.AES. Mit Geneva liegt jedoch noch eine weitere Alternative vor, die mittlerweile die Programmversion 7 erreicht hat.

Es ist schon ein wenig merkwürdig: Während jedes Update von MagiC mit höchster Aufmerksamkeit beachtet wird, fristen andere Multitasking-Betriebssysteme auf dem Atari eher ein Schattendasein. MultiTOS ist (glücklicherweise) in die Rubrik "Trial and Error" abgeheftet, der inoffizielle und weitaus gelungenere Nachfolger N.AES könnte sich allerdings durch die Verbreitung des Milans, dessen MultiOS ja weitestgehend identisch mit dem Original ist, weiter durchsetzen. Nahezu unbemerkt entwickelte sich jedoch auch ein "Kandidat" aus den USA weiter: Geneva, ein unter den (zugegebener- maßen wenigen) amerikanischen Atari-Fans verbreitetes Multitasking-OS, hat mit der brandneuen Version 007 endlich einen großen deutschen Vertrieb gefunden, der das Paket auch angemessen vermarkten kann Dadurch ist Geneva wieder etwas mehr in den "Brennpunkt des Interesses" geraten, weshalb wir es nochmals testen möchten.

Aller Anfang ist...

... leicht. Die Installation wird nämlich komfortabel durch ein Installationsprogramm vorgenommen. Dieses richtet das System komplett ein, so daß keine weiteren Konfigurationen notwendig sind, und Geneva nach einem Reset bereitsteht. Im beiliegenden umfangreichen Handbuch (das leider nicht ganz auf dem neusten Stand ist und so z.B. noch die alte Supportadresse beinhaltet) wird der Installationsvorgang auch nochmals in aller Genauigkeit erklärt.

Wer das Arbeiten mit Single-TOS oder MagiC gewohnt ist, den erwartet nach dem ersten Hochfahren unter Geneva ein etwas ungewohntes Bild: Kein Desktop ist hier zu sehen, sondern nur eine Menüleiste, die das Starten von Programmen erlaubt. Zu diesen Programmen kann natürlich auch ein alternativer Desktop gehören. Dem Geneva-Paket liegt jedoch kein eigener Desktop wie bei TOS oder MagiC bei, weshalb man diesen dazukaufen muß. Der zur Zeit komfortabelste Desktop für den Atari ist wohl "jinnee". Unter Geneva ist dieser aber nicht verwendbar, da er zwar geladen wird, aber jede normale Operation mit Fehlermeldungen ("unbekannter AES-Aufruf') "quittiert", was zumindest ungewöhnlich ist, da neben MagiC auch N.AES problemlos mit jinnee läuft. Vielleicht sollte man dem Programmierer von Geneva einmal eine jinnee-Kopie zukommen lassen, um ihm die Gelegenheit der Nacharbeit zu geben.

Als "Ausweich-Desktop" verwendeten wir für unseren Test daher die schon etwas in die Jahre gekommene, aber nach wie vor gute und beliebte Oberfläche Gemini. Dieses lief auf Anhieb ohne Probleme mit Geneva zusammen. In Kürze wird über den deutschen Vertrieb von Geneva auch der zugehörige Desktop "Neodesk" in deutscher Sprache verfügbar sein, den wir dann natürlich zusätzlich vorstellen werden.

Wer wenig Speicher hat und nur hin und wieder einmal Multitasking benötigt, kann allerdings natürlich auch direkt vom Startmenü aus Programme aufrufen. Da wir aber davon ausgehen, daß 99% aller potentiellen Anwender Geneva in Verbindung mit einem Desktop betreiben möchten, bezieht sich auch unser Test vollständig auf diese Variante.

Übrigens können Sie Geneva (im Gegensatz z.B. zu MagiC) auch nachträglich per Doppelklick starten, wenn Sie vornehmlich weiter mit Ihrem gewohnten und "speicherschonenden" Single-TOS arbeiten möchten.

Konfig hin, Konfig her -es bleibt schwer

Es soll ja Leute geben (der Autor will sich hier nicht gänzlich ausnehmen), die ein Betriebssystem unter anderem danach bewerten, wie flexibel es zu konfigurieren bzw. an die eigenen Vorstellungen anzupassen ist. Diese Leute finden in Geneva in jedem Fall ihr "Mekka".

Zuerst einmal kann man sich die "GEM.CNF"-Datei genauer vornehmen: Diese wird bei der Installation automatisch angelegt und enthält Pfadangaben für Programme und Ordner. So werden allgemein die Environment-Variablen definiert. Außerdem können beliebige Programme beim Hochfahren von Geneva automatisch gestartet werden, was die Beschränkung des Autoordners, nur bestimmte vorgesehene Applikationen starten zu können, aufhebt. Sogar eine bestimmte Datei kann von einem automatisch aufgerufenen Programm nachgeladen werden. So kann man z.B. seine Textverarbeitung "animieren", genau das Dokument zu laden, mit dem man bei der letzten Sitzung zuletzt gearbeitet hat. Außerdem sollten Sie hier den Desktop festlegen, den Sie standardmäßig nutzen möchten.

Natürlich beschränkt sich die Konfiguration eines modernen Betriebssystems nicht auf das Abändern einer ASCII-Datei. Einstellungen für das Aussehen der Oberfläche, die Auswahl der Systemfonts, Belegung der Funktionstasten etc. werden komplett im Taskmanager vorgenommen. Die hier angebotenen Parameter einzeln zu beschreiben, würde sicher den Rahmen dieses Berichts sprengen. Das gesamte "Look & Feel", welches das System vermittelt, kann optimal durch den Taskmanager den eigenen Vorstellungen angepaßt werden. Außerdem kann hier der Grafikmodus gewechselt werden.

Die Möglichkeiten, die sich besonders im punkto Oberflächengestaltung bieten, können ruhigen Gewissens als einzigartig auf dem Atari bezeichnet werden. Zum Einstellen des Aussehens des Mauszeigers liegt dem Geneva-Paket außerdem noch das Programm "Setmouse" bei, das allerdings auch nach mehreren Startversuchen absolut nicht zum Arbeiten zu "überreden" war. Allerdings wird die gewünschte Optik bereits bei der Installation abgefragt. Positiv ist zu bewerten, daß die gesamte Konfiguration bis ins Detail im Handbuch anhand von Beispielen erläutert wird. Bei anderen Betriebssystem-Tutorials vermißt man bisher diese Ausführlichkeit.

Die Arbeit unter Geneva

Wichtigstes Kriterium für ein Betriebssystem ist ohne Zweifel, wie schnell, sicher und komfortabel man unter diesem arbeiten kann. Speziell beim ST, der standardmäßig ja nur bis maximal 4 MB aufrüstbar ist, kommt die Frage des Speicherverbrauchs hinzu.

Geneva ist - ähnlich wie MagiC - sehr "speicherschonend". Auf einem Mega-STE mit Grafikkarte bei einer Auflösung von 800x608 Bildpunkten in 256 Farben waren ohne Desktop immerhin noch ca 2.5 MB fröhliche RAM frei. Nach dem Booten von Gemini warteten noch ca. 1.5 MB auf ihre Benutzer. Dieses stellt auf einem Atari-System mit Sicherheit akzeptable Werte dar. Bei installiertem NVDI ist die Arbeitsgeschwindigkeit auf einem MegaSTE subjektiv vergleichbar mit der unter MagiC. Im Vergleich zum TOS ist keine Verlangsamung zu verspüren, eher arbeitet der Rechner mit Geneva schneller. Etwas störend wirkt sich in diesem Zusammenhang aus, daß ein Fensterinhalt beim Scrollen nicht parallel zum Scrollbalken verschoben wird, wie das z. B. bei N.AES und auch MagiC einstellbar ist. Hier ist Nachholbedarf vorhanden, besonders im Hinblick auf schnellere Computer wie den Hades oder Milan.

Etwas ungewohnt sind beim ersten Benutzen von Geneva die "Pull-Down-Menüs", welche die manchmal lästigen "Drop-Down-Menüs" des TOS ersetzen. Wer sich allerdings so gar nicht an dieses neue Arbeitsgefühl gewöhnen kann, sollte diese im Taskmanager abschalten. Apropos Menüs: Nach wie vor einzigartig auf dem Atari ist die Möglichkeit, Menüs bei der Anwahl durch gleichzeitiges Halten der "ControP'-Taste "abzureißen" und somit permanent bereitzuhalten. Dieses funktioniert allerdings nicht mit Untermenüs, die in einem Programm selbst erzeugt werden.

Die verschiedenen Tasks werden ähnlich -wie bei N.AES - im selben Menü wie die ACCs verwaltet. Zusätzlich werden diese auch im bereits erwähnten Taskmanager angezeigt, der hier seine eigentliche Hauptaufgabe hat. Im Taskmanager-Dialog kann man gezielt Applikationen "schlafenlegen" oder terminieren. Außerdem weisen Sie hier jedem Programm permanente oder temporäre Merkmale zu, die z.B. dessen Verhalten im Multitasking oder auch den Speicherverbrauch bestimmen. Wie alle anderen Dialoge ist auch dieser mit einer Online-Hilfe versehen, die über unklare Punkte aufklärt.

Wie jedes alternative Betriebssystem verfügt auch Geneva über eine eigene Dateiauswahlbox. Diese ist sehr gut gelungen und kann auf Wunsch zweispaltig erscheinen: Im linken Fenster werden dann die verfügbaren Ordner, im rechten Fenster die darin enthaltenen Dateien aufgeführt. Neben verschiedenen Sortierreihenfolgen können hier auch direkt Such- und Kopierfunktionen aufgerufen werden. Außerdem kann man gezielt die Dateien nach ihrer Endung anzeigen lassen. Leider kann man keine alternative Auswahlbox festlegen, was dem sonstigen Konzept von Geneva eigentlich widerspricht. Die tägliche Arbeit mit Geneva ist also als sehr komfortabel zu bezeichnen. Funktionen wie die lkonifizierung, die heutzutage als Standard anzusehen sind, bringt auch Geneva mit. Einige Funktionen, wie das der abreißbaren Menüs, sind sogar einzigartig. Trotzdem vermisse ich z.B. die Möglichkeit, Fenster per Doppelklick auf ihren Menübalken zu reduzieren. Außerdem läßt sich ein Fenster nicht komplett mit seinem Inhalt in Echtzeit verschieben, wie das auf schnellen Systemen heutzutage eigentlich möglich sein sollte.

Was läuft denn so?

In Sachen Kompatibilität weiß Geneva zu überzeugen. Nahezu jedes Programm lief auf Anhieb ähnlich sicher wie unter dem Original-TOS. Bei Programmen, die ihren eigenen Desktop nutzen (wie z.B. Calamus), kommt es allerdings hin und wieder zu Redraw-Problemen, wenn man diese ausblendet.

Anbei eine kleine Liste der Programme, die wir während der Testphase auf ihre Lauffähigkeit getestet haben (selbstverständlich ist die Kompatibilität insgesamt wesentlich weiterreichend):

Ein kleines Problem scheinen allgemein ACCs darzustellen: Beendet man deren Dialog-Fenster, bleibt oftmals ein Umriß des Rahmens zurück.

Fazit

Es steht zu hoffen, daß Geneva durch den neuen Vertrieb nun endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die diesem stabilen und gut gepflegten Multitasking-Betriebssystem gebührt. In unserem erneuten Test wirkte das System jedenfalls außerordentlich betriebssicher und rundherum ausgereift. Hinzu kommt ein wirklich umfangreiches Handbuch, das man zumindest bei MagiC vermißt, das aber schnellstens auf den neuesten Stand gebracht werden sollte.

Hauptkritikpunkt muß jedoch die nach wie vor fehlende Unterstützung langer Dateinamen sein. Hier hat der mächtige Konkurrent MagiC nach wie vor einen riesigen Vorsprung. Wer sich jedoch auch unter TOS nicht an dem "8+3"-System stört, erhält mit Geneva ein nahezu gleichwertiges Multitasking-OS, das nach der erneuten Preissenkung auf DM 49,- sogar noch um einiges günstiger ist als das Produkt aus Heidelberg. Allerdings muß an dieser Stelle nochmals erwähnt werden, daß MagiC bereits einen eigenen Desktop besitzt, während man diesen bei Geneva erst nachrüsten muß, was den Gesamtpreis noch etwas nach oben "schraubt".

Man darf also gespannt sein, wie der deutsche Markt auf dieses Multitasking-OS reagiert, das nunmehr seinen dritten "Markteroberungsversuch" startet. Sollte die Akzeptanz den Leistungen Genevas entsprechen, kann hier schnell ein Konkurrent zu MagiC erwachsen.

Preis: DM 49.-

Bezugsquelle:
Software-Service Seidel Heikendorfer Weg 43 24149 Kiel http://www.seidel-soft.de


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 11 / 1998, Seite 16

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