Stateside-Report

Right now!

Hübsche und billige Celeron-Computer, überteuerte Lehrbücher und frische, ungeschärfte Bleistifte treiben Kunden zu dieser Zeit einmal mehr in die sowieso schon überfüllten Shopping-Center der Vereinigten Staaten: Die Schule fängt wieder an hier drüben – eine Zeit, die von nervösen Kindern, mit Werbezetteln verschmutzten Fußgängerwegen und besorgtem Verkaufspersonal geprägt wird. Es ist gleichjzeitig die Zeit im Jahr, in denen Eltern meinen Dinge kaufen zu müssen, die ihre Kinder nicht wirklich brauchen und von denen diese nur glauben, dass sie notwendig seien. Studenten sind stolz darauf, wenn ihre Jeans von dem berühmten roten Markenzeichen (Levis) geschmückt wird und tragen überteuerte, durchschnittliche GAP-Sweatshirts und blaue T-Shirts mit weißen Atari-Fujis. Ja, es ist wahr: Seit dem Erfolg des Films "Road Trip" ist es nahezu unmöglich, auf die Straße zu gehen, ohne einen Passanten zu treffen, der das Logo unserer Lieblingsfirma zur Schau trägt.

Ein T-Shirt-Shop in meiner Heimatstadt, der sich auf Kleidung spezialisiert hat, die gerade besonders "In" ist, plazierte das erwähnte Atari-T-Shirt am auffälligsten Platz seines Schaufensters. Auf meiner Universität renne ich förmlich dauernd in Leute, die die verschiedensten Variationen des Shirts tragen. Während jedoch die Hauptperson im Film als immerwährender Verlierer charkaterisiert werden kann, muss man über die wirklichen Studenten, die diese Shirts so stolz tragen, eigentlich genau das Gegenteil sagen. Dazu gehören Football-Cracks, absolute Klassen-Clowns und " das mag wohl noch mehr verwundern – Mädchen, die Jungs auf sich aufmerkam machen wollen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich bisher erst ein einziges Mädel mit diesem Shirt gesehen, und die Möglichkeit, dass es ihrem Freund gehört hat, ist recht wahrscheinlich – was jedoch nichts an der Thematik ändert, die ich hier erläutern möchte.

Atari ist wieder cool! Wirklich?

Offensichtlich schon – aber die Chance, dass auch nur zehn Prozent der T-Shirt-Träger im Höchstfall fünf Prozent die Atari-Geschichte kennen, ist verschwinden gering. Für die überwiegende Mehrheit ist ein Atari-Shirt einfach ein cooler Modeartikel, den man eben gerade trägt. Vor kurzem sah ich sogar jemanden, der ein Shirt mit einem süßen Pinguin trug – aber ich muss noch jemanden finden, der einen Apple- oder Wintel-Aufdruck trägt. Wer trägt schon freiwillig ein Shirt, das für Microsoft wirbt?

Anfang dieses Monats veröffentlichte Microsoft sein lang erwartetes und mit Vorschusslorbeeren bedachtes neues Betriebssystem Windows ME (Millenium Edition). Oder war es im Monat davor? Macht das überhaupt etwas? Nein, denn nicht nur, dass die Veröffentlichung niemanden interessiert hat, auch hat niemand das Releease gekauft. Ein Laden hier in meinem Ort versprach sogar, den ersten 100 Käufern der neuen Revision (die von vielen als überteuertes Service-Pack angesehen wird) freie Werbeartikel mitzugeben, jedoch hat man nun Probleme, da man nicht weiß, wo man die nicht abgeholten Artikel lagern soll.

Aber Microsoft ist nicht das einzige Unternehmen, die in diesem Monat in der amerikanische Presse heftig kritisiert wurde. Apple hat sich selbst in den Fuß geschossen, indem man Käufer als Beta-Tester missbrauchte, indem man ihnen eine frühe Version des MacOS-X auch noch verkaufte. Und natürlich darf in diesem Zusammenhang auch die Milan GmbH nicht fehlen, deren andauerndes Stillschweigen Geburtshilfe für neue, schadende und unbegründete Gerüchte gibt.

Aber auch im Schweigen geht das Leben weiter – und was einmal alt war wird wieder neu. Aber auch, wenn es schön ist, zu sehen, dass die Marke Atari so große Aufmerksamkeit erhält, Microsoft einen schleichenden Kollaps erleidet und Apple (einmal mehr) nicht immun dagegen ist, Fehler zu machen, wollen die amerikanischen Die-Hard-Atari-Fans einfach mehr. Ein Mitglied einer kanadischen Atari-Usergruppe schrieb mir kürzlich: "Ich habe jahrlang gespart, um einen neuen Atari zu kaufen. Nun habe ich Geld, aber es gibt keine Computer." Es ist traurig, aber wahr und verständlich: Derselbe Anwender nahm sein Geld und kaufte einen dieser hübschen und billigen Celeron-Computer.


Bengy Collins
Aus: ST-Computer 10 / 2000, Seite 8

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