AEX für den Falcon

Analoge Sequencer im 21. Jahrhundert? Tim Conrardy kann uns mehr sagen…

Back to the Roots

In den Urzeiten der elektronischen Musik mussten die Musiker ohne MIDI-Standard auskommen. Der einzige Weg, wie „digital“ auf den Urvätern heutiger Synthesizer wie den alten Moogs, EMIs und Rolands aufgenommen werden konnte, war die Nutzung eines Hardware-Devices namens „Sequencer“, das normalerweise aus einer Reihe von Knöpfen und Reglern bestand, die zum Stimmen auf einen bestimmten Notenwert dienten. Der Hardware-Sequencer sendete dann Kontrolldaten an die Oszillatoren des angeschlossenen Synthies, damit dieser die Noten spielen konnte, die vorher programmiert wurden. Wie Sie sich sicher leicht denken können, war diese Art der Arbeit sehr mühsam. Ich selbst arbeitete mit einem Roland 100-System, das einen sehr guten Sequencer mit 16 Knöpfen in zwei Reihen bot. Man konnte eine Reihe nutzen, um den Takt der anderen Reihe zu kontrollieren. Auf diese Weise wurden Rhythmen programmiert. Eine andere Anwendung war die Nutzung einer Reihe, um die VCF-Filter-Sektion des Synthesizers für die Kontrolle des Timbre zu nutzen. Elektronik-Pioniere wie Tangerine Dream, Larry Fast, Jean Michel Jarre und sogar ELP (Emerson, Lake and Palmer) erzielten interessante Ergebnisse mit Hardware-Sequencern.

Mit der Nutzung von Computern und dem MIDI-Standards lösten Sequencer-Programme recht schnell ihre Hardware-Äquivalente ab. Daten werden seitdem über das MIDI-Keyboard eingespielt und können für eine spätere Verwendung gespeichert werden. Auf dem Atari gibt es in dieser Hinsicht hervorragende Programme wie Neu Wakings PULSAR, Gaston Klares SEQUENCER, Electronic Cows MIDI Arpeggiator und eben Dr. Ambients AEX.

Enter AEX

Guide Göbertus, auch bekannt als Dr. Ambient, hat das exzellente Programm AEX entwickelt, das in intelligenter Art und Weise ein 32-spurigen analogen Sequenzer simuliert. Der gute Doktor nennt seine Software selbst eine «instant Tangerine Dream-Maschine für Atari 680xx-Computer».

Ich selbst bin Betatester von AEX. Veröffentlicht wurden einer verdutzten MIDI-Gemeinde nun verschiedene Versionen des Programms. Dies ist aber erst der Anfang, denn die Entwickler haben große Pläne mit AEX. Zukünftige Versionen sollen z.B. multiple AEX-Bildschirme enthalten, die für die Bass- und Rhythmus-Programmierung genutzt werden können. Dadurch könnte der Atari-Plattform eine einzigartige Software gegeben werden, die sie wieder interessanter in MIDI-Anwenderkreisen macht.

Bisher existieren Versionen für den Atari TT030 (unter Nutzung der TT-High-Auflösung) und den Atari ST. Die aktuellste Version unterstützt jedoch den Atari Falcon und enthält vielerlei Neuerungen und Optimierungen. In erster Linie dürfte hier wohl die Benutzeroberfläche mit 256 Farben genannt werden. Diese glänzt im edlen Titanium-Look und ist somit ein Novum auf dem Falcon.

Benutzung

Zwar können Sie AEX wie einen Hardware-Sequencer manuell „per Hand“ durch die Eingaben von Noten und Steuerdaten programmieren, das Programm bietet aber weitaus mehr. Es bietet einen eingebauten Algorithmus, der die Dateneingabe auf musikalische Art und Weise automatisiert und die Bedienung somit intuitiv erfassbar macht.

Wenn Sie AEX zum ersten Mal starten, erwarten Sie fünf verschiedene Programmteile auf dem Arbeitsbildschirm:

Die verschiedenen Bildschirme werden über die numerischen Tasten aufgerufen. Hier haben wir einen Vorteil im Nachteil: AEX wird komplett über die Tastatur bedient, die Maus wird originellerweise nicht unterstützt. Auf der anderen Seite wurde so ein komplettes Echtzeit-System realisiert, das Bildschirmwechsel und Parameteränderungen während des Spielens zulässt.

Wie erwähnt werden die Nummerntasten für das Springen zwischen den Screens verwendet. Mit den Pfeiltasten springen Sie hingegen von Funktion zu Funktion.

Die intelligente Software beinhaltet den sogenannten AEX-lndex, der 32 Algorithmen bietet, die auf die Ausgangsstruktur der Noten einwirken. Ausserdem gibt es einen Zufallsnoten-Generator und einen Modus zum automatischen Erstellen von Rhythmen.

Eine weitere interessante Applikation von AEX ist die Nutzung von Continous Controller Messages. In der Praxis bedeutet dies, dass Sie die Lautstärke, Stereoverteilung, Filtereinstellung und das Vibrato jeder Note beeinflussen können, die AEX erzeugt. Synthesizer, die dem XG-Standard von Yamaha angehören, können auch direkt beeinflusst werden. Dadurch wird der Sound noch ausdrucksvoller und bleibt nicht statisch.

Ergebnisse

Mit AEX lässt sich Musik erzeugen, die so mit Standard-Sequencern wie Notator und Cubase sehr schwer oder gar nicht zu erzeugen wäre. Sogar Dance-, Techno- und Ambient-Texturen lassen sich so erzeugen. Eine typische Anwendung könnte z.B. so aussehen: AEX kontrolliert einen Percussion-Sound, während eine Basslinie dazu genutzt wird, eine andere Percussion-Spur zu kontrollieren und so eine Rhythmus-Sektion zu erschaffen. Marimba- und Kalimba-Klänge können intelligent zur Erschaffung von World Music eingesetzt werden. Analoge Bass-Sounds können zur Erzeugung von Techno- und House-Musik verwendet werden. Verschiedene Sound- und Tempokombinationen können bearbeitet und abgespeichert werden, wie dies in keinem anderen Programm möglich ist.

Auch der Live-Einsatz von AEX ist möglich und bindet den Computer als interaktives Echtzeit-Instrument ein. Jean Michel Jarre hat dies mit einem echten Hardware-Sequencer z.B. während seiner Chronologie-Tour gemacht.

Auf jeden Fall steht eines fest: Analoge Sounds haben sich längst wieder in der modernen Musik breit gemacht, und AEX passt genau in die Lücke.

http://tamw.atari-users.net/aex.htm members.ams.chello.nl/g.goebertus


Tim Conrardy
Aus: ST-Computer 04 / 2002, Seite 16

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