Die Renaissance: Desktop Publishing für Aufsteiger

Vorbei die Zeit, in der man ohne jede gestalterische Freiheit bei preiswerten Werbebriefen auskommen mußte. Heute tummeln sich neben einer Vielzahl von unterschiedlichen Schriftarten und -großen sogar Grafiken auf den billigsten Waschzetteln. Desktop Publishing ist inzwischen als Standard-Anwendung salonfähig. Die Benutzer können heute ihre Texte und Drucksachen freier und einfacher gestalten als je zuvor, denn fast alle Gestaltungsmittel aus dem Profi-Satz bietet ihnen diese neue Technik. Aber mit dieser neuen Freiheit sollte man auch umgehen können. Durch Beachtung einiger Grundregeln schützt man sich selbst und sein Publikum vor »Gestaltungsmüll«. Weit sind wir gekommen, vom Wordstar einstiger Zeiten bis zum Page-maker von heute, der mit seiner Vielzahl an gestalterischen Funktionen den unbedarften Benutzer fast schon überfordert. Wie das Druckhandwerk selbst ist auch die elektronische Textverarbeitung einer Evolution unterworfen, die sich über Jahre hinweg erstreckt, was im kurzlebigen Computergeschäft doch einiges heißt.

Textverarbeitung hat damals die gedruckte Kommunikation verändert. Auf einmal hatte man die Freiheit, in seinen Texten zu editieren, wie es einem beliebte, ohne daß der Text nochmal neu geschrieben werden mußte. Der berühmte Tippfehler in der letzten Zeile, Alptraum jeder Sekretärin, wurde zu einem harmlosen, innerhalb von Sekunden zu behebenden Mißgeschick. Alles in allem waren und sind Textverarbeitungssysteme aber nichts anderes als ein intelligenter Ersatz für eine Schreibmaschine.

Desktop Publishing geht weiter. Es ersetzt eine komplette Setzerei. Wie der Wordstar der frühen Computertage hatten auch die ersten DTP-Programme ihre Schwächen: Probleme mit den Umlauten und einige Eigenheiten amerikanischer Typografie, die hierzulande nicht gebräuchlich sind (zum Beispiel gespreizter Blocksatz), plagten die frühen Desktop Publisher. Inzwischen sind diese Probleme überwunden.

Vom Blatt zum Bildschirm

Nicht überwunden ist dagegen das Gestaltungsproblem. Als die Textverarbeitung zur Standardanwendung wurde, hat man den Sekretärinnen ihre mechanischen Schreibmaschinen weggenommen und ihnen dafür eine intelligentere, elektronische Version der Schreibmaschine auf den Tisch gestellt, die ihnen eine Menge überflüssiger Arbeit und Routine abnahm. Die Sekretärin hatte mit der Textverarbeitung auch deshalb so wenig Probleme, weil lediglich eine mechanische Schreibmaschine durch ihr elektronisches Pendant ersetzt wurde. Das eingespannte Blatt Papier wurde der Bildschirm. Die Benutzung änderte sich etwas, aber alles in allem bekam die Sekretärin etwas in die Hand, mit dessen Handhabung sie vertraut war, denn jedes Schriftstück, das mit einem normalen Textverarbeitungssystem geschrieben wurde, könnte man auch — mit wesentlich mehr Arbeitsaufwand, versteht sich — mit einer normalen Schreibmaschine schreiben.

Deshalb ging der Sprung vom eingespannten Blatt Papier zum Bildschirm relativ problemlos vor sich, das Betätigungsfeld hat sich ja nicht geändert, man hatte nur plötzlich ein neues, besseres Werkzeug.

Bei Desktop Publishing liegt der Fall nun anders. Ein Desktop Publishing-System ersetzt nicht eine Schreibmaschine, es tritt an die Stelle einer Setzerei. Nun weiß zwar fast jeder, wie man mit einer Schreibmaschine umgeht, der Umgang mit Typo-meter und Reprokamera ist den meisten potentiellen Käufern eines DTP-Systems jedoch nicht geläufig.

Dies soll nun nicht heißen, daß Desktop Publishing nur heiße Luft sei und man den Einsatz solcher Systeme besser ausgebildeten Fachleuten überläßt. Ganz im Gegenteil: DTP kann die Kosten senken, die Aktualität der eigenen Drucksachen erhöhen.

Desktop Publishing erleichtert und vereinfacht aber nicht nur gewohnte Aufgaben, sondern eröffnet eine Fülle neuer Perspektiven. Deren richtige Verwirklichung muß man erst lernen. Niemand, der vorher in der Lage war einen Brief mit Hilfe einer Textverarbeitung zu gestalten, kann sofort mit Grafiken richtig umgehen. Er macht sie zu klein — der Briefmarkeneffekt — oder zu groß — der Postereffekt.

Vergleichen wir es wie den Umstieg von Tuschfaß und Feder auf eine Kombination aus Füller, Bleistift, Malerpinsel, Farben und Palette. Wer von den tollen Funktionen träumt, beherrscht noch lange nicht deren Einsatz in der Praxis.

Bevor man in der Lage ist, ein neues, überaus vielfältiges Werkzeug wie Desktop Publishing sinnvoll einzusetzen, muß man sich eingehend mit der Thematik beschäftigen.

Das Setzerhandwerk ist Jahrhunderte alt. Setzer wissen viel über die Gestaltung von Schriftstücken. Aber sie wissen nichts, was ein engagierter Benutzer im Büro nicht auch lernen könnte. Natürlich wird der normale Büroanwender niemals aus dem Handwerk eine Kunst machen, so wie es ein Herr Greno mit seinen Büchern tut. Aber das ist auch nicht der Sinn der DTP-Systeme. Die sind dazu da, Gedrucktes effektiver, preiswerter, aktueller, sauberer und übersichtlicher zu gestalten. Um diese Ziele zu erreichen, muß man kein Setzer sein. Aber man muß ein paar Grundregeln beachten und etwas mitdenken. Die Lektüre des Handbuchs allein genügt hier nicht.

Der Benutzer hat heute in einem guten Programm sehr viel mehr gestalterischen Spielraum als in früheren Textverabeitungsprogrammen. Aber um mit diesem Spielraum sinnvoll umzugehen, muß er wenigstens die wichtigsten Prämissen des Druckhandwerks kennen. Desktop Publishing ist nie eine Revolution gewesen, sondern das letzte Glied einer Evolution, an deren Anfang Programme wie Wordstar standen. Und so wie diese Programme im Laufe der Zeit immer besser wurden, so steigen auch die Ansprüche an den Benutzer. Er muß mitwachsen, um die Programme sinnvoll einsetzen zu können. Das wird auch in Zukunft gelten, denn die Evolution ist noch lange nicht zu Ende. Apple-Gründer Steve Jobs wurde gründlich mißverstanden, als er anläßlich eines Vor-trags sagte, in zwei Jahren werde es DTP nicht mehr geben. Jobs wollte damit nicht sagen, daß Desktop Publishing keine Zukunft habe. Er war vielmehr der Meinung, daß in naher Zukunft jedes Textverarbeitungsprogramm gleichzeitig und selbstverständlich auch ein DTP-Programm sein wird. Eine These, die heute eine Vielzahl von Produkten bestätigen.

Von den Programmen überholt

Das große Problem in Sachen Desktop Publishing, das auch die Setzer und die Gewerkschaften der Druckindustrie beschäftigt, ist folgendes:

Die Programme haben ihre Evolution schneller durchlaufen als die meisten Benutzer. Viele Desktop Publishing-Programme sind heute bereits als professionelle oder semi-profesionelle Werkzeuge einzusetzen. Die meisten Benutzer beherrschen aber nicht die vielfältigen Gestaltungsarten, die ein Desktop Publishing-System vereint. Oft bemerkt der Unbedarfte die mangelnde Qualität seiner gestalterischen Arbeit nicht auf Anhieb, denn alles, was aus dem Laserdrucker kommt, sieht ohnehin »wie gedruckt« aus. Wegen dieser klaffenden Lücke zwischen dem vielfältigen gestalterischen Werkzeug und dem Wissen um deren sinnvollen Einsatz, tun viele Setzer Desktop Publishing als Teufelswerk ab: Der Gestaltungsmüll, der täglich über unsere Schreibtische flutet und uns lehrt, wie eine Times gleichzeitig kursiv, unterstrichen und outlined aussieht, bewirkt das Gegenteil der Intention des Autors. Diese Publikationen stoßen ab, wo sie werben sollen, sie gehen im Einerlei der DTP-Produkte unter, wo sie auffallen sollen und verwirren, wo sie Überblick bieten sollen.

Am Anfang war...

Ein Schriftstück schaffen, macht Arbeit, auch wenn man sich der DTP-Technik bedient. Bevor man sich vor den Bildschirm setzt, sind einige grundlegende Gedanken wichtig. Wenn wir uns die Arbeit machen und etwas schreiben, dann wollen wir meistens auch, daß unser Text gelesen wird, daß er beim Leser im Gedächnis haftet, daß er Handlungen auslöst, daß er übersichtlich ist und den Leser nicht abstößt, sondern anzieht.

Jedes Schriftstück besteht aus den zwei Komponenten Inhalt und Form. Beide Komponenten bestimmen den Eindruck, den es beim Leser hinterläßt. Beides sollte sich ergänzen, nicht gegeneinander arbeiten. Eine Novelle, so gut sie auch sein mag, verliert viel von ihrer Wirkung, wenn man sie wie das Kleingedruckte im Mietvertrag in winziger Schrift an den unteren Blattrand quetscht. Die Paragraphen eines Mietvertrags wiederum werden dagegen viel von ihrem ernsten und ernstgemeinten Charakter verlieren, wenn man sie in riesiger Schmuckschrift in rosa auf himmelblaues Papier druckt. Auch einen hübsch gedruckten Strafzettel mit Herzchenrand würden wir nicht sonderlich ernstnehmen. Deshalb die erste und wichtigste Regel: Gestaltung ist niemals Selbstzweck, sie ist immer dazu da, den Inhalt eines Schriftstückes lesbar, übersichtlich, leichter erfaßbar und glaubwürdig zu machen. Die Wahl der Schrift, des Zeilenabstands und des Papiers sind bei einem professionellen Setzer nie Willkürentscheidungen. Er hat sich immer etwas dabei gedacht, hat versucht eine bestimmte Wirkung beim Leser zu erzielen, das Schriftstück nicht nur schöner, sondern auch übersichtlicher zu gestalten. Wer das einmal verstanden hat, der wird Gedrucktes nie mehr mit den gleichen Augen betrachten.

Aus dieser Grundregel der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit resultieren nun ein paar Regeln, die den übelsten Anfängerfehlern den Garaus machen.

Regel Nummer l und gleichzeitig die wichtigste: Lieber wenig Schriften in wenig Varianten sinnvoll und überlegt einsetzen, als eine Vielzahl von verwirrenden Kombinationen aus Kursiv, Unterstrichen und Outlined und das womöglich noch in verschiedenen Größen.

Regel Nummer 2: Die Struktur eines Dokuments vorher festlegen. Nicht einfach ins Blaue hinein anfangen, einen längeren strukturierten Text zu bearbeiten. Auch über die Auswahl der Grundschriften eines Dokuments läßt sich sagen: Weniger ist mehr! Die Untersuchung von profesionell gemachten Zeitungen und Zeitschriften zeigt, daß man ohne weiteres mit zwei oder drei Grundschrften auskommt. Die Schriften wirken unterschiedlich: Seriflose, wie die Helvetica, wirken zumeist sachlicher als serifbetonte Schriften, wie unsere Times, der oft etwas klassisch-seriöses anhaftet.

Serifen sind dabei die kleinen Häckchen und Nasen, die am Ende der Linienzüge, die einen Buchstaben formen, angesetzt sind.

Regel Nummer 3: Auch der Durchschuß, also der Abstand zwischen den einzelnen Zeilen, wirkt auf den Leser. Ein zu weiter Durchschuß kann den Eindruck vermitteln, ein Schriftstück vermittle nicht genügend Information oder sei nicht sachlich genug.

Ein zu enger Durchschuß macht den Text schwer lesbar, läßt ihn zu »massiv« und unverdaulich erscheinen. Auch der Gesamteindruck einer Seite ändert sich durch Variation des Durchschusses und der Schriften. Ein engerer Zeilenabstand macht die Seite insgesamt dunkler.

Das nächste Problem, das viele DTP-Einsteiger plagt, ist die Verteilung von Bild und Text auf der Seite. Leider gibt es hier keine pauschalen Regeln. Eine Seite oder Doppelseite sollte als Einheit zu erkennen und in sich ausgeglichen sein. Bei einer mehrseitigen Publikation folgen alle Seiten in gewissen Grenzen einem gewissen Gestaltungsraster. Durch die gezielte Aufteilung von Text, Bild und Weißraum einer Seite erzielt man verschiedene Effekte. Eine Seite kann ruhig oder lebhaft, ordentlich oder gewagt wirken, luftig oder vollgepropft. Auch hier gilt: Was möchte man mit seinem Schriftstück erreichen?

Innerhalb des Textes gibt es ebenfalls einige Punkte zu beachten. So sind Initiale nicht ein Selbstzweck, sondern eine Art Angelhaken für das Auge. Sie zeigen dem Leser, wo der Text beginnt. Ein Leser wird immer zuerst auf das Bild, dann auf die Überschrift und schließlich aui das Initial blicken.

Angelhaken

So gibt es viele Einzelheiten die ein Setzer oder ein Layouter selbstverständlich beachtet, dem normale Anwender aber meist übersieht. Wenigstens die Grundregeln über Schriften und die Einheit von Form und Inhalt eines Schriftstücks eignet man sich besser schon im eigenen Interesse an.

Papier wird noch lange Zeit der Informationsträger Nummer eins bleiben, und wenn wir wollen, daß in der Flut von Papier, die heute den Leser überschwemmt, unser Schriftstücke heraussticht und in Erinnerung bleibt, müssen wir notgedrungen ein paar Grundregeln einhalten, die schon seit Jahrhunderten bei den Setzern Anwendung finden. Denn schließlich und endlich ist Desktop Publishing nichts anderes als die Renaissance des Papiers. Gedruckte Kommunikation ist heute wichtiger und gebräuchlicher als je zuvor, sonst würde es diese Flut aus Papier gar nicht geben. Alternativen sind bis auf Jahre hinaus nicht in Sicht. Wer heute also mehr über die Gestaltung von Drucksachen lernt, investiert letztlich nur in seine eigene Zukunft und erspart seinen Mitmenschen und Lesern oft Ärger (hb)


Thomas Niedermeier
Aus: ST-Magazin 08 / 1988, Seite 119

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