Gespräch mit Atari-Geschäftsführer Alwin Stumpf

»Intelligentere Kunden sind bei uns viel besser aufgehoben«

Alwin Stumpf, Geschäftsführer von Atari Deutschland, stellte sich für ein ausgiebiges Interview zu Verfügung.

Alwin Stumpf, Geschäftsführer von Atari Deutschland und Redakteur Ulrich Hofner

ST-Magazin: Besonders in Deutschland wird der ST stark im professionellen Bereich eingesetzt. Die ST-Kunden haben die Angst, Atari könnte die PCs mehr puschen als den ST.

Alwin Stumpf: Der ST ist unser Produkt, und wir stehen nach wie vor sehr viel mehr hinter dem ST als hinter dem PC. Wenn der europäische Markt den ST als professionelles Gerät akzeptiert, stellt sich eigentlich eher die Frage, warum überhaupt PCs und nicht ausschließlich STs. Wir sind Realisten: 70 bis 75 Prozent des Marktes besteht aus MS-DOS- oder kompatiblen Rechnern. Wir haben die gleiche Distribution, und jeder unserer Händler führt mindestens noch einen PC. Warum soll der nicht von uns kommen? Soviel anders ist die Technologie ja auch wieder nicht.

ST-Magazin: Warum verkaufen Sie dann nicht mehr PCs?

Alwin Stumpf: Ich würde gerne sehr viel mehr PCs verkaufen, aber wie Sie wissen, haben wir zur Zeit das Problem mit der DRAM-Knappheit. Die DRAMs, die wir aufgrund langfristiger Verträge und Bindungen bekommen, reichen gerade aus, unser ST-Geschäft wachsen zu lassen, so wachsen zu lassen, wie es der Markt will. Wir haben in einigen Ländern sogar Engpässe. Solange wir diese Engpässe beim ST haben, können wir die PC-Produktion nicht hochfahren. Wir müssen entscheiden, in welchen Computer wir die DRAMs einbauen. Da der ST unser ureigenes Produkt ist, bauen wir natürlich viel mehr STs.

ST-Magazin: Wie sehen Sie die weitere Marktentwicklung in bezug auf die DRAM-Krise?

Alwin Stumpf: Von einer Krise zu sprechen ist übertrieben. Es gibt eine angespannte Situation. Sie ist einmal gewollt herbeigeführt durch die Amerikaner und zum anderen ein technisches Problem durch die Umstellung der Produktion von 256-KBit-Chips auf 1-Megabit-und 4-Megabit-Chips. Dabei sind die Japaner einen anderen Weg gegangen als beispielsweise Siemens: Siemens baute eine neue Fertigungsanlage für 1-Megabit-Chips. Die Japaner rüsteten ihre vorhandenen Fabriken um, jedoch war der Ausstoß an Chips durch Produktionsfehler geringer als angenommen. Deshalb fehlten plötzlich Chips. Das ist das ganze Problem.

Irgendwo sind wir gewohnt, mit solchen Situationen zu leben. 1982/83 mußten wir ein Vermögen für TTLs ausgeben, denn damals gab es plötzlich keine TTLs mehr. Die Industrie hat sich auch hier irgendwie arrangiert, allerdings letztendlich zu Lasten des Endverbrauchers, der heute für ein Produkt etwas mehr zahlen muß als noch vor einem Jahr. Das ist eine ungewöhnliche Entwicklung in unserer Branche, aber es geht zur Zeit nicht anders. Ich rechne aber mit einer mengenmäßigen Entspannung der Situation in 1989.

Dann sollte sich bis 1990 auch das preisliche Niveau wieder normalisieren.

ST-Magazin: Der ST spielt in den einzelnen europäischen Ländern eine unterschiedliche Rolle. In Deutschland ist er sehr anwendungsbezogen, in England ist er eine echte Spielemaschine. Es drängt sich der Eindruck auf, daß Sie den ST als Spielemaschine zwar dulden, aber nicht unterstützen.

Alwin Stumpf: Ihr Eindruck ist richtig, aber das ist nicht unbedingt gewollt. Ich komme wieder auf die DRAMs zurück. Wir mußten wegen der DRAM-Verknappung unsere Marketing-Strategie etwas ändern und gingen mehr in den höherwertigen Marktbereich. Wir sind nicht in der Lage, den Spielebereich richtig zu bedienen, obwohl da ein Riesenmarkt für uns vorhanden wäre. Wir haben uns entschieden, mehr Mega und 1040 STs in den Markt zu bringen. Bei den Megas haben wir keine Probleme mit den DRAMs. Die beginnen aber bereits bei den 1040ern. Den Konsumer-Markt mußten wir zwangsläufig etwas vernachlässigen.

ST-Magazin: Wie sehen die Verkaufszahlen bei den Mega STs aus?

Alwin Stumpf: In den letzten acht Monaten liegen wir im Schnitt zwischen 800 und 1800 Stück pro Monat. Das entspricht etwa 10 Prozent des Volumens der Stückzahlen.

ST-Magazin: Nennen Sie bitte drei Gründe, warum sich ein potenzieller Käufer für einen ST und nicht für den Amiga entscheiden soll.

Alwin Stumpf: Der wesentliche Grund ist, daß der ST-Kunde sein Gerät außer zu Spielen noch vielfältiger einsetzen kann. Beim Amiga sieht es hier ganz anders aus: Wenn er nicht mehr spielen will, muß er die Maschine verkaufen und sich eine neue besorgen. Nehmen wir den 520 ST, da er am ehesten preislich und leistungsmäßig mit dem Amiga 500 zu vergleichen ist. Hier kauft man sich den Schwarzweiß-Monitor, und schon besitzt man einen hervorragenden Computer, auf dem alle Anwendungen laufen, die für STs verfügbar sind. Das Gerät ist auch sehr einfach auf 1 MByte aufzurüsten, was ja beim Amiga nicht so ganz einfach ist, und er hat natürlich unendlich mehr Software. Selbst im Spielebereich halten wir sehr gut mit. Insofern ist der etwas intelligentere Kunde bei uns viel besser aufgehoben. Legt ein Käufer ausschließlich auf den Sound Wert und scheut aber die MIDI-Peripherie, das heißt, daß er nicht so professionell in dieses Gebiet einsteigen will, dann muß er einen Amiga kaufen. Wir erheben nicht den Anspruch, für alle Kunden das richtige Gerät anzubieten, aber wir haben für mehr Kunden das passende Gerät. Das spiegelt sich auch in der Tatsache, daß Softwarehäuser lieber für den ST als für den Amiga Programme entwickeln.

ST-Magazin: Betrachtet man den ST, so stellt man fest, daß sich in den drei Jahren, die er angeboten wird, technisch nicht viel verändert hat, sieht man von mehr Speicher und neuen Gehäuseformen ab. Woran liegt das?

Alwin Stumpf: Das liegt nicht zuletzt an der Entwicklung des deutschen Marktes, der ja der umsatzstärkste Computermarkt von Atari ist. Man orientiert sich natürlich etwas an den bestehenden Märkten. Diese forderten mehr die Entwicklungen, die etwas länger brauchen, beispielsweise die 68030-Maschine. Diese Kapazitäten standen dann aber nicht für die Weiterentwicklung des ST nach unten zur Verfügung. Auch vom Marketing her haben wir stärker nach höherwertigen Produkten gerufen als nach Spielemaschinen.

ST-Magazin: Aber Atari arbeitet doch an einer Spielekonsole auf ST-Basis.

Alwin Stumpf: Eine Spielekonsole auf ST-Basis ist im Moment etwas schwierig, da die RAMs so teuer sind. Eine Spielekonsole braucht, hier sind sich unsere Entwickler noch nicht so ganz einig, mindestens 64 bis 128 KByte RAM. Wenn Sie nun noch den MC 68000 und einige andere Peripherie mit einrechnen, dann ist die Konsole einfach zu teuer, um sie als reine Spielemaschine zu kaufen. Das wäre auch eine Irreführung des Kunden, denn für nicht sehr viel mehr Geld würde er bereits einen vollwertigen Computer bekommen. Insofern macht eine Spielekonsole auf ST-Basis eigentlich keinen Sinn. Es ist ein fantastischer Spielemarkt so um die 200 Mark pro Konsole vorhanden. Geht man höher, über 300 bis 400 Mark pro Konsole, wird der Markt sehr dünn, zur Zeit auf jeden Fall.

ST-Magazin: Atari ist bekanntlich ein Massenhersteller. Betrachtet man die angekundigten Neuentwicklungen wie den Abbaque oder die 68030-Maschine, stellt man fest, daß hier Randgruppen mit außerordentlich leistungsfähigen Computern bedient werden. Hat Atari die Strategie gewechselt?

Alwin Stumpf: Wir müssen den Abbaque völlig separat betrachten. Nehmen Sie die 68030-Maschine. Die ist sehr wohl für einen Massenmarkt bestimmt und wird bei ihrer Markteinführung eine ähnliche Rolle spielen, wie sie vor drei Jahren der ST in diesem Markt spielte. Insofern sehe ich hier keine Änderung. Daß es sich hier um einen Massenmarkt handelt, haben wir bewiesen.

ST-Magazin: Können Sie Sam Tramiels Angabe bestätigen, daß sich der Preis für die 68030-Maschine deutlich unter 10000 Mark bewegt?

Alwin Stumpf: Natürlich. Denn sonst kann sie nicht die Rolle, die der ST seit drei Jahren spielt, übernehmen. Wir sehen diese Maschine auch im Unix-Umfeld, aber ich sehe sie wieder sehr viel stärker als Einzelmaschine in der Industrie, beim Studenten, in der Universität, selbst beim, sagen wir einmal, Superfreak, von denen es ja unheimlich viele gibt.

ST-Magazin: Warum muß man den Abbaque separat betrachten?

Alwin Stumpf: Der Transputer ist eine ganz neue Entwicklung. Nach unserer Einschätzung ist er durchaus in der Lage, auch eine Massenmaschine zu werden. Diese Richtung erschien uns so interessant, daß wir sie nicht auslassen wollten. Aber bei uns finden Sie niemanden, der sagt, der Transputer ist die große Maschine in 1989 oder 1990 oder er wird die herkömmliche Computertechnik ablösen. So weit sind wir noch nicht, aber wir sehen eine Chance in dieser neuen Technik.

ST-Magazin: Es entsteht dennoch der Eindruck, daß sich Atari vom Computerhersteller für das Volk zum Hoflieferanten der Universitäten entwickelt.

Alwin Stumpf: Nein, das ist mit Sicherheit nicht gewollt. Daß wir diese Märkte derzeit so gut mitbedienen, ist eine feine Sache. Wir in Deutschland machen uns viele Gedanken darüber, wie wir den alten 520er-Markt, den wir schon einmal fest in der Hand hatten, mit einer 1000-Mark-Konfiguration wieder stärker für uns gewinnen.

ST-Magazin: Sie sagten, daß die Orientierung neuer Produkte sehr stark von den nationalen Märkten abhängt. Wie weit hat Atari Deutschland ein Mitsprache- oder Beratungsrecht, wenn es um die Entwicklung neuer Geräte geht?

Alwin Stumpf: Nun, Atari ist sehr stark Europa-orientiert. Im ST-Bereich liegen in meinem Verantwortungsbereich etwa 60 Prozent der Konzernumsätze. Das entspricht auch unserem Einfluß auf die Produktentwicklung. Wir sind ja im Management ein relativ kleines Team, und ich stimme mich mit meinen Kollegen ab. Insofern sind das nicht irgendwelche große Beratungen, sondern Dinge, die wir besprechen. Dabei bildet sich eine Meinung. Ich kann Ihnen ein ganz einfaches Beispiel geben: den 520 ST+, der letzten Endes unser Durchbruch war. Diese Linie legten wir mit drei Mann an einem Vormittag in London in einem Hotel fest. Jack Tramiel, Shiraz Shivji und ich. Bereits sechs Wochen später war die Maschine beim Händler.

ST-Magazin: Ist es vorgesehen, bestehende Produkte mechanisch aufzuwerten? Wir denken da an einen 520 ST mit besserer Tastatur...

Alwin Stumpf: Zu diesem Preis ist es sehr schwer, in den 520 ST eine höherwertige Tastatur einzubauen. Dann macht man gleich einen gewaltigen Sprung nach oben. Die Mega-Tastatur ist sicherlich auf Dauer verbesserungswürdig. Auch das Design. Damit kommt auch die Forderung nach einer leiseren Maschine auf. Das ist eine konkrete Forderung, die aus dem Markt kommt. Ich sage Shiraz jedesmal, wenn ich ihn sehe, daß ich endlich den Mega ohne Lüfter und mit eingebauter Festplatte verkaufen möchte.

ST-Magazin: Wie stellen Sie sich Atari Deutschland in drei Jahren vor?

Alwin Stumpf: Von der Umsatzgrößenordnung dürften wir bei etwa einer halben Milliarde Mark liegen. Technisch dürfte die 68030-Maschine das sein, was heute der ST ist.

ST-Magazin: Atari Deutschland hat sich nun auch in Braunschweig angesiedelt. Welche Rolle spielt Braunschweig bei Atari?

Alwin Stumpf: Braunschweig ist eine reine Entwickler- und Engineering-Gruppe, die auf vorhandene Grundlagen aufsetzt. Sie entwickelt Geräte für den europäischen Markt und bringt die unterschiedlichen Produkte zur Marktreife. Braunschweig übernimmt jetzt auch den Transputer, um ihn zur Fertigungsreife zu bringen. Den PC-Bereich hat Braunschweig bereits weitgehend übernommen, aber man macht sich dort bereits jetzt Gedanken, was nach dem PC kommt.

ST-Magazin: Zum Schluß noch eine kurze persönliche Frage: Welchen Computer benutzen Sie privat?

Alwin Stumpf: Zu Hause habe ich einen 1040 ST, im Büro im Moment keinen, aber meine Sekretärin arbeitet mit einem Mega ST 4 mit Laserdrucker. (uh)


Ulrich Hofner
Aus: ST-Magazin 01 / 1989, Seite 14

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