Professionelles CAD: Campus CAD, der Könner

Zeichnung aus dem Bereich Maschinenbau in der Gesamtdarstellung

CAD, computerunterstütztes, technisches Zeichnen, gehört zu den zukunftsträchtigsten Anwendungen von Mikrocomputersystemen. Die respektablen Grafikfähigkeiten, die der Atari ST aufgrund seines Motorola 68000er-Prozessors mitbringt, ließ bei manchem Programmierer schon früh den Ehrgeiz aufkommen, auf diesem preiswerten Computer Dinge zu realisieren, für die den Konstruktionsprofis erheblich teurere Systeme zur Verfügung stehen.

Bereits Anfang 1987 kam die erste Version von »Campus CAD« auf den Markt. Inzwischen liefert das Bochumer Softwarehaus Technobox die Version 1.3 aus, Version 1.4 steht kurz vor der Fertigstellung. Campus gibt es in zwei Ausbaustufen, als vollwertiges Programm für etwa 800 Mark und als abgemagerte Einsteigerversion »Campus Draft« für zirka 150 Mark. Die Dateien und Bibliotheken der beiden Versionen sind uneingeschränkt kompatibel, die Programmstruktur ist im wesentlichen gleich.

Als Hardware-Voraussetzungen benötigt Campus mindestens 1 MByte Arbeitsspeicher, ROM-TOS, Schwarzweiß-Monitor und doppelseitiges Laufwerk. Eine Festplatte oder 2 MByte Arbeitsspeicher für eine größere RAM-Disk sind sehr zu empfehlen, weil sonst viele langsame Diskettenzugriffe die Arbeit behindern.

Technische Zeichnungen liegen oft in großen Formaten (DIN A3 bis DIN A0) vor. Dafür ist der Plotter das geeignete Ausgabemedium. Bei intensiver Nutzung des Programms empfiehlt sich ein hochauflösender Großbildmonitor, wie ihn etwa die Firma Matrix für den ST anbietet. Er liefert bei einer Diagonale von 19 Zoll und mit einer Bildfrequenz von 66 Hz eine Auflösung von 1280 x 1024 Punkten. Dem Zeichner verschafft ein solches Bild viel mehr Übersicht und erspart ihm manchen Zoom, zu dem ihn ein kleiner Monitor gerade bei Campus nötigt. Die Großbildversion von Campus schlägt mit 1300 Mark zu Buche. Das Problem einer technischen Zeichnung im Computer besteht vor allem darin, die großen Ausgabeformate der Zeichnungen auf dem kleinen Bildschirm des Computers abzubilden, die Detailarbeit mit der Übersichtsdarstellung zu verbinden.

Details kontra Gesamtübersicht

Eine weitere Schwierigkeit von CAD liegt darin, daß es sich um Vektorgrafik handelt. Sie konstruieren die Zeichnung als eine Sammlung einzeln ansprechbarer Objekte. Das Programm generiert diese Objekte bei jedem Bildaufbau neu, ein zeitaufwendiges Verfahren. Die große Formatdifferenz zwischen Ausgabe und Bildschirmdarstellung erfordert viele Vergrößerungsschritte und neue Bildaufbauten. So darf sich der Anwender beim Aufbau einer komplexen Zeichnung auch mit Blitter nicht über 20 Sekunden Wartezeit wundern. Jeder Zoom in die Einzelheiten, jede Änderung des Abbildungsmaßstabes, erfordert einen neuen Bildaufbau. Aber vielleicht sollte man in puncto Geschwindigkeit nicht unbescheiden sein. Für die Version 1.1 galt noch die Zeit von drei Minuten Bildaufbau für eine 180 KByte große Zeichnung als »respektabel«.

Für CAD ist eine andere Arbeitsweise nötig, als sie der technische Zeichner bisher gewohnt ist. Das Handbuch weist mit Recht auf die nicht zu unterschätzenden Umstellungsschwierigkeiten hin. Solange man an den Einzelheiten arbeitet, fehlt der Überblick über das Ganze. Man muß also im Geiste die vielen Ausschnitte zusammensetzen. Außerdem nehmen die Einzelteile je nach Abbildungsmaßstab unterschiedliche Größen an. Um die Rationalisierungsmöglichkeiten der digitalen Arbeitsweise zu nutzen, die Kopier-, Verschiebungs- und Spiegelungsfunktionen, muß der Zeichner ein Gefühl für Symmetrien, Gestaltgleichheiten oder Ähnlichkeiten entwickeln. Er sollte mit seinem analytischen Auge die Vorlage in einzelne Module aufgliedern und in Campus auf verschiedene Ebenen verteilen. Das Handbuch enthält drei Übungsaufgaben, die den Anwender in die CAD-Arbeitsweise einführen.

Campus plaziert die Vielzahl der Zeichenfunktionen in einem Block von Piktogrammen auf dem linken Bildschirmviertel. Einige Quadrate sind noch leer, also für Erweiterungen vorgesehen. Die oberen zwei Reihen zeigen zehn Haupteinstellungen, darunter befinden sich die Unterfunktionen der jeweils aktiven Haupteinstellung. Diese Anordnung auf zwei Ebenen ist unvermeidlich, um die Vielzahl der Befehle auf den Bildschirm zu bringen.

Vergrößerung eines Ausschnittes links unter der Hinweislinie »Anstellmutter«

Die übrigen Funktionen von Campus sind in sieben Pull-Down-Menüs untergebracht. »Datei« bietet die üblichen Diskettenoperationen Laden und Sichern, verwaltet die Ebenen (Ein- und Ausblenden, Aktivieren und Löschen) sowie die Symbolbibliotheken, deren Dateistruktur Sie nach Löschvorgängen reorganisieren sollten. »Optimieren« heißt dies in Campus.

Allgemeine Voreinstellungen zum Zeichnen finden Sie im Menü »Global«. Hier geht es um Parameter für Kopieren und Bewegen, Bildaufbau, Trimmen, Raster, Fangradius und dergleichen. So kann man beispielsweise Bewegen und Kopieren jeweils mit einer Maßstabsänderung verknüpfen. Der Bildaufbau läßt sich beschleunigen, wenn Sie bestimmte Elemente wie Text, Bemaßung, Schraffur oder Symbole von der Darstellung ausschließen. Für die Abrundung von Ecken geben Sie den Radius ein, beim Fasen stellen Sie Fasenbreite und Fasenwinkel ein, und der Fangradius kann 1, 3 oder 6 Bildschirmmillimeter betragen.

Für die Linierung stehen sechs Linientypen zur Verfügung, die Vollinie, vier Strichlinien und die Punktlinie. Für den Plotter bedeuten verschiedene Strichbreiten verschiedene Stifte. Diese Stifte k müssen natürlich definiert sein. Campus bietet insgesamt acht »Stiftplätze« an. Im Textmenü stehen die Voreinstellungen zur Beschriftung. Für die Buchstabenhöhe gibt es fünf Fixgrößen von 1,8 mm bis 7 mm und eine frei wählbare Größe. Der Textwinkel, das Schriftattribut »Kursiv« und drei Arten der Bündigkeit stehen zur Auswahl. Das Schraffur-Menü enthält sechs feste Schraffuren und eine frei gestaltbare. Dazu eine Konturdefinition, die das Arbeiten mit Gruppen erlaubt. Die Schraffurebene steht ständig im Hintergrund bereit und muß nicht eigens definiert werden.

Die automatische Bemaßung berechnet die Maßzahl nach der wirklichen Länge des betreffenden Teilstücks und setzt sie an die gewünschte Stelle. Bei manueller Bemaßung geben Sie die Maßzahl von Hand ein. Campus verarbeitet auch Maßzahlen mit Toleranzen. Es sind Strecken- und Punktbemaßungen, Maßhilfslinien und verschiedene Maßbegrenzungszeichen vorgesehen. Als Einheiten akzeptiert Campus metrische Einheiten, Zoll und 1/10-Zoll.

Die Eingabe ist in Campus erfreulich flexibel ausgefallen. Häufig benötigte Befehlsfolgen lassen sich als Makros auf die Funktionstasten legen und in einer beim Programmstart automatisch mitgeladenen Datei speichern. Die numerische Koordinateneingabe kommt ohne das Gleichheitszeichen aus. Weiterhin legen Sie zum Beispiel eine Koordinate mit der Maus fest, eine andere numerisch. Auch Polarkoordinaten mit einer Winkelangabe erkennt das Programm. Zusätzlich läßt sich das zuschaltbare Raster zur Vorauswahl von bestimmten Koordinaten benutzen.

Campus erlaubt den Direktaufruf anderer Programme. Dies kann entweder eine GEM-Anwendung oder eine TOS-Applikation sein, die in der Kommandozeile Übergabeparameter verlangt. Fest belegt sind der Pfad zum Plottmodul, die HPGDSchnittstelle, ASCII und DXF. Leider schweigt sich das Handbuch über die Syntax dieser Schnittstellen völlig aus. Es heißt lediglich, Campus verlange »nach den entsprechenden Angaben über Art und Beschaffenheit der zu wandelnden Datei, deren Übertragungsrichtung und Informationen wie Bildschirmoder Diskettenausgabe«.

Den Ausdruck übernimmt ein Hilfsprogramm namens »Output.Prg«. Dieses Modul arbeitet mit zwei Kollektivdruckertreibern, einem für die pixelorientierten Drucker und einem für die vektororientierten Plotter. Die »Drucker.Sys«-Datei treibt die Matrixdrucker FX 80 und 100, LQ 2500 und 850, NEC P6+7 sowie den Laserdrucker SLM 804. Für die Plotter-Ausgabe akzeptiert Campus HPGL, HP 7580 und 7475, HI 80 und MP 3200.

Natürlich gibt es auch eine Ausgabe auf den Bildschirm. Die Ausgabedatei unterscheidet sich von der Zeichnungsdatei. Mit dem Befehl »Umwandeln in ein Plotfile« bereitet Campus die Ausgabe vor. Das Plotfile enthält nur die sichtbaren Linien einer Zeichnung.

Eine Liste mit 20 Dateien regelt den Ausdruck im Stapelbetrieb. Als Ausgabekanäle sieht Campus die parallele und serielle Schnittstelle, MIDI(!) und Datei vor.

Das Handbuch ist für den professionellen Benutzer trotz einiger Verbesserungen gegenüber der früheren Auflage kein Vergnügen. Es listet lediglich die Menüs auf. Die Erläuterung der einzelnen Befehle und Bildschirmsymbole ist ausreichend, aber es fehlt ein Register, das auf Sachinformation verweist. Zum Beispiel: Wie bewege ich ein Symbol; wie eliminiere ich die Fixpunkte, an denen die Symbole hängen; gibt es eine grafische Übersicht einer Symbolbibliothek? Weitergehende Fragen beantwortet nur der umfangreiche Einführungs- und Übungsteil: Wie ändert man nachträglich die Schriftgröße eines Textes oder das Format der Zeichnung, muß die Funktionstastenbelegung immer CAMPUS.SET heißen, etc.?

Ein Elektronikschaltplan in der Übersicht. Bibliotheken sparen hier viel Zeit.
Eine Anwendung aus der Architektur benötigt genaue Maßstäbe

Auch der Ingenieur täte sich mit einer zusammenfassenden Beschreibung von Befehlen unter funktionalen Gesichtspunkten leichter. Das gegenwärtige Handbuch nutzt eigentlich nur etwas, wenn man es von vorne bis hinten durchliest und dann fast auswendig kennt, zumindest aber weiß, wo spezielle Informationen stehen. Selbst wer das Inhaltsverzeichnis im einzelnen kennt, geht noch in die Irre. Sucht jemand die Zoom-Funktion, wird er nicht fündig. Vielmehr findet sich die Vergrößerung bei dem Befehl »Fenster setzen« wieder. Eine neue Handbuch-Auflage sollte sich außerdem einer Korrekturlesung unterziehen, so-viele Druckfehler sind nicht nötig.

Zu Campus gibt es mehrere Symbolbibliotheken, die jeweils 498 Mark kosten und damit wohl etwas überteuert sind. Bislang sind die Einsatzbereiche Elektronik, Elektrotechnik und Hydraulik/ Pneumatik abgedeckt. Die Campus-Symbole lehnen sich an die DIN-Nor-men an. Im übrigen steht es jedem Anwender frei, aus den vorgefertigten Symbolen eigene, komplexere zu basteln.

Campus CAD stellt mit dem Atari ST eine bemerkenswerte grafische Anwendung auf die Beine. Immerhin bewältigt das Programm beliebig große Zeichnungen, nur der Arbeitsspeicher begrenzt ihre Größe. Das Programm verwaltet bis zu 9999 Ebenen. Wünschenswert erscheint uns in diesem Zusammenhang ein Befehl zum Durchzoomen. Zweifellos erlaubt Campus CAD die sachgerechte und effektive Anfertigung von Konstruktionszeichnungen. Für einen weitergehenden industriellen Einsatz fehlen zur Zeit noch einige Funktionen. Hilfreich wäre hier die Ausgabe und Weiterverarbeitung der beim Zeichnen erfaßten Daten für Werkstückfertigung und Lagerverwaltung. Das Scannen und Vektorisieren von Vorlagen ist ebenfalls eine wünschenswerte Erweiterung. Technobox selbst weist auf das Fernziel CIM hin, die voll vom Computer durchstrukturierte Produktion, und versteht Campus CAD als das erste Teilstück dazu. Man kann sich Campus im Architekturbüro vorstellen, beim Entwerfen elektronischer Schaltungen, im Maschinenbau und in Softwarehäusern für die Konzeption großer Programmablaufpläne. Auf die nächsten Versionen von Campus CAD sind wir gespannt. (wk)

Technobox, Kornharpener Str. 122a, 6430 Bochum 1

Wertung

Name: Campus CAD
Preis: 800 Mark (Normalversion)
Hersteller: Technobox

Stärken:
□ umfangreicher Befehlsvorrat □ Ausgabe bis DIN A0 □ unterstützt Großbildschirm

Schwächen:
□ unzureichendes Handbuch □ teure Zusatzbibliotheken

Fazit:
ein CAD-Programm, das professionellen Ansprüchen für reine Konstruktionsanwendungen voll genügt


Gerhard Bachleitner
Aus: ST-Magazin 06 / 1989, Seite 46

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