Zeichnen auf dem Vulkan: Lavadraw 3.1

Malprogramme für den Atari ST gibt es schon wie Sand am Meer. In Farbe, Schwarzweiß, als CAD- oder DTP-Programm, preiswert oder für viel Geld zu haben — in der Masse geht manches unter. Manchmal jedoch erscheinen Produkte auf dem hart umkämpften Markt, die einen genaueren Blick lohnen, beispielsweise Lavadraw 3.1.

Der erste Kontakt mit dem Programm gestaltet sich ungewohnt. Eine Abfragebox erscheint: Wie viele Schirme sollen's denn sein? Daß ein Zeichenprogramm mehr als eine Bildschirmseite zum Gebrauch anbietet, ist inzwischen nichts Weltbewegendes mehr. So ganz üblich ist es jedoch nicht, wenn sich diese zu einer einzigen großen Zeichenfläche kombinieren lassen. Lavadraw stellt den Besitzern von Mega STs 25 Bildschirme im Raster 5x5 zur Verfügung. Das sollte auch für größere Projekte reichen.

Nach der Abfrage erscheint die Hauptseite des Programms. Sie erinnert an ein Zeichenprogramm, das bereits seit längerem bekannt ist. Die auf der rechten Seite angeordnete Menüleiste zeigt grafische Symbole, über die Sie Zugriff auf zahlreiche Befehle erhalten. Bereits die stattliche Anzahl von über fünfzig verschiedenen Befehlen läßt vermuten, daß sich die Programmautoren manches haben einfallen lassen, was nicht zum Alltäglichen zählt.

Die »Kommandozentrale« von Lavadraw präsentiert sich zweigeteilt. Das bereits erwähnte grafische Symbolfeld teilt sich den Befehlsvorrat mit einer normalen GEM-Menüleiste, die die Abwicklung der Daten-Import- und Export-Funktionen übernimmt. Dabei fällt auf, daß das Programm drei verschiedene »Formate« verwaltet: Arbeit, Objekt und Bild. Mit Arbeit ist die aktuelle Sammlung aller Schirme gemeint. Das Objekt steht für einen beliebigen Bildschirmausschnitt (kompatibel zu Mono-star) und ein Bild ist eine Bildschirmseite — wie üblich. Neben den normalen Diskettenoperationen bietet Lavadraw eine Formatierroutine (82 Spuren, 10 Sektoren) an, so daß im Notfall die Platzbeschaffung auf Diskette gewährleistet ist. Neben dem Screen-, dem Degas- und dem IMG-Format bearbeitet Lavadraw das auch für Signum benötigte STAD-Format. Letzteres fällt hier sogar noch etwas kompakter als beim Vorbild aus, ohne daß es zu Inkompatibilitäten kommt. Als Bonbon schlägt das Programm vor, welches Speicherverfahren, STAD oder IMG, die bessere Ausnutzung des Diskettenplatzes erlaubt.

Das Druckermenü gestattet die Anpassung des Programms an 9- und 24-Nadler, an den HP-Laserjet sowie den Atari-Laserdrucker. Für die Nadeldrucker wählen Sie den Ausdruck nach Druckdichte (ein- bis vierfach) und nach Blattformat.

Das Interessanteste an einem Zeichenprogramm sind immer die angebotenen Funktionen. Aus diesem Blickwinkel repräsentieren die 55 verschiedenen Symbole eine beachtliche Vielfalt. Allerdings lehrt die Erfahrung, daß die Menge allein noch nichts besagt. Die Angebote sollten die Zeichenarbeit effektiv unterstützen, wobei vier verschiedene Arten, ein und denselben Kreis auf den Schirm zu zaubern, den Befehlsumfang nur unwesentlich verbessern.

Bei Lavadraw ist das eher umgekehrt. Neben den üblichen Varianten der Strich- und Kreis-, Dreieck- und Polygonerzeugung fallen die Befehle für »Kreis durch 3 Punkte« (das Programm berechnet aus der Angabe dreier auf dem Kreisbogen liegenden Punkte Mitte und Radius) und »Kurve durch n Punkte« auf (n steht für maximal 1000 Punkte, die eine geschwungene Linie verbindet). Die Erzeugung einer Archimedischen Spirale ist ebenso vorgesehen wie die Darstellung einer dreidimensionalen Pyramide. Die Sprühdose versprüht sowohl ein Füllmuster als auch einen frei gewählten Bildschirmausschnitt; dabei sind Sprühgeschwindigkeit und -größe in je drei Stufen einstellbar. Das eingebaute Klemmbrett läßt sich über fünf verschiedene Symbole nutzen. Neben »Rein«, »Raus« und »Löschen« schreiben Sie den Inhalt des Klemmbretts auf Diskette. Umgekehrt arbeitet das Beschicken des Klemmbretts auch vom Disklaufwerk.

Kommen wir zu den Feinheiten. Wie auf einem Bild zu erkennen, bietet das Programm manch ungewohnten Verfremdungseffekt. Da läßt sich ein Bildausschnitt — fast wie im Kino — an eine imaginäre Wand projizieren, auf eine Kugel oder eine Tonne kleben. Das Bildformat erfährt auf Wunsch stufenlose Veränderung, X- und Y-Achse sind in Prozenten einzustellen. Die Qualität der Verkleinerungen, Vergrößerungen und Projektionen kann sich sehen lassen; das Flicken der so oft beim Vergrößern entstehenden Lücken bleibt dem Lavadraw-Anwender erspart. Lineare Verzerrungen und zehn verschiedene Verbiege-Funktionen runden den Effektbereich ab. Die beliebige Drehung eines Bildausschnitts erscheint dagegen fast trivial. Kurzerhand erzeugen Sie Lissajous-Figuren oder Rechteckspiralen, und wer auf die Schnelle einen Monats-Kalender benötigt — bitteschön, kein Problem. Selbst einen Taschenrechner finden Sie hier.

Zur halbautomatischen Bemaßung einer Zeichnung steht eine eigene Funktion zur Verfügung; den Maßstab stellen Sie im »Optionen«-Menü ein, Bemaßungslinien zieht man wie normale Gerade. Schließlich finden auch die Scanner-Benutzer etwas Brauchbares: für Handy-Scanner, deren größere Brüder vom Typ Hawk der Firma Marvin, und einen Selbstbau-Videodigitizer ist die Treibersoftware bereits integriert.

Neben dem Lob für die im großen und ganzen sehr sauber arbeitenden Funktionen müssen sich die Autoren auch etwas Kritik gefallen lassen. Zunächst arbeitet die »Kino-Projektion« manchmal unwillig, da die Maus-Steuerung nur innerhalb relativ enger Grenzen funktioniert. Die Eingabe von Text ist leider auf 30 Zeichen begrenzt. Die Spezialfonts von La-vadraw sind nur in einer Größe nutzbar. Ein spezielles Konverter-Programm erlaubt jedoch das Laden von Signum-Fonts. Die stehen dann als neue Zeichensätze zur Verfügung und bieten vielfältige Schriftendarstellung.

Die Anzeige des aktiven Füllmusters sucht man vergebens, wie überhaupt die Füllroutine eher zu den gemächlichen ihrer Art gehört. Und beim Ausdruck seines Machwerks wartet der Anwender mitunter lange, bis das Programm feststellt, daß der Drucker nicht mitspielt — die System-Timeout-Routine ist hier nicht mehr akzeptabel.

Den größten Kritikpunkt aber stellt das Handbuch dar. Zwar geht man dem Ganzen nicht ungewarnt entgegen — »Jetzt kommt das Schlimmste! Die Anleitung!« ist diese überschrieben. Da haben die Autoren wahrlich nicht untertrieben. Eine nachvollziehbare Systematik fehlt teilweise ebenso wie ein Schlagwortverzeichnis. Die Nachbesserung sei den Autoren ins Stammbuch geschrieben!

Schließen wir die Akten. Lavadraw 3.1 ist ein insgesamt ordentlich programmiertes, reichhaltig ausgestattetes und komfortables Zeichenprogramm, das aufgrund seiner weitreichenden Effektfunktionen für viele Anwender interessant sein dürfte. Dazu lassen der fehlende Kopierschutz und der anwenderfreundliche Preis die — mit Ausnahme des Handbuchs nicht sehr schwerwiegenden — Mängel fast vergessen. Kurz: empfehlenswert. (wk)

K&L Datentechnik, Bahnhofstr. 11, 3551 Bad Endbach

Wertung
Name:Lavadraw 3.1
Preis:ca. 99 DM
Vertrieb:K&L Datentechnik
Stärken: * großer Funktionsvorrat * interessante Effekte von hoher Qualität * einfache Bedienung * Lupe mit integrierten Zeichenfunktionen * stufenlose, schnelle Formatänderungen * komfortables Klemmbrett * Fonteditor wird mitgeliefert * kein Kopierschutz * niedriger Preis * Konverter für Signum-Fonts
Schwächen: * Handbuch * Druckerfehlfunktion wird nur per Timeout erkannt * eigene Zeichensätze nur in einer Größe nutzbar * keine Anzeige des Füllmusters
Fazit: reichhaltiges Zeichenprogramm mit interessanten Spezialeffekten

Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 06 / 1989, Seite 24

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite