Grafisches Lernprogramm »Waidmannsheil«: Jägerlatein

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Jägerlatein nennt man es, wenn ein in Jagddingen erfahrener Mensch ordentlich auf die Pauke haut — bei Seeleuten heißt so etwas »Seemannsgarn spinnen«. Bevor Sie sich aber erfolgreich in der erwähnten Fachsprache verbreiten dürfen, ist einiges an Fleißarbeit erforderlich — ein guter Jäger muß sehr vieles wissen. Um einen Teil dieser Kenntnisse zu erwerben, zu pflegen und wenn nötig zu erneuern, bietet die Firma Baumann Computer aus Kirchdorf in Bayern ein spezielles Lernprogramm an: »Waidmannsheil«.

Die schlichte Verpackung weist auf die Einschätzung der Hersteller hin: Ein gutes Programm ist ihnen offenbar wichtiger als eine repräsentative Schachtel. Nach dem Einlegen der (nicht jagd-)grünen Diskette und Start des Programms ist eine Weile nichts weiter zu hören als das fleißige Summseln der Motoren — insgesamt wollen mehr als 530 KByte geladen sein.

Das Titelbild zeigt einen zünftigen »Waidwerker« auf der Pirsch — mit Gewehr, Fernglas und Dackel; wir sind weiterhin auch ohne diese Utensilien zurechtgekommen.

Grafische Lernsoftware

Das von seinem Autor als »grafische Lernsoftware« bezeichnete Programm arbeitet mit vielen Bildern, die als Fragemedium dienen. Manche Dinge, die sich nur schwierig in grafischer Form darstellen lassen, erfragt die Software per Textfenster. Die Antworten erwartet »Waidmannsheil« als Texteingaben per Tastatur. Dabei genügen dem Computer zwei Buchstaben, um eine Antwort als richtig zu bewerten (Beispiel: »wi« für »Lendenwirbelsäule«). Daß man auf diese Weise manch' kapitalen »Bock schießt«, ohne eine entsprechende Reaktion zu erleben, dürfte klar sein.

Insgesamt stellt das Programm auf Wunsch über 400 Fragen zu den verschiedenen Wissensgebieten. Unter »Wildtiere« fragt der Computer 35mal nach allgemeinen Grundlagen. Wer »Haarwild« anwählt, wird 180fach über die verschiedenen Vertreter dieser Sparte ausgefragt, vom normalen Reh bis zum Elch. Darüber hinaus erscheinen Stein- und Rehböcke, diverse Geweih- und Gebißformen sowie manche Textfragen.

Der Menüpunkt »Federwild« eröffnet die nächste Runde mit 55 Fragen zu Fasanen und Enten, Birk- und Rebhühnern, Schnepfen und Greifvögeln. Eine eigene Rubrik haben die Hunde bekommen. Vom Skelett bis zu hundetypischem Ungeziefer reicht der Frage-Zirkel.

Von großer Bedeutung sind für die Jagd natürlich die Werkzeuge des Waidmanns, die Waffen. Hier muß der Prüfling beweisen, daß er unter anderem eine Doppelbockbüchse von einer Büchsflinte unterscheiden kann. Die verschiedenen Verschlüsse (Purdey bis Doppelgreener) sind ebenso berücksichtigt wie die diversen Munitionsarten.

Leider fehlt jeglicher Hinweis auf eine sinnvolle Verwendung — wer glaubt, man könne mit Kleinkaliberwaffen auf Großwildjagd gehen, wird vom Programm leider keines Besseren belehrt.

Sieht man »Waidmannsheil« vor dem Hintergrund der an einen Nachwuchsjäger gestellten Anforderungen, so stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung eines solchen Programms. Sollte es der Autor als Hilfe zur Vorbereitung auf die Jagdprüfung konzipiert haben, muß er sich fragen lassen, warum sein Programm so wichtige Bereiche wie Naturschutz, Jagdgesetz oder Revierpflege außer acht läßt. Auf den ersten Blick gelangt man nach dem Studium von »Waidmannsheil« zu dem Schluß, hier werde die Jagd mit einem Freizeitvergnügen verwechselt, bei dem gelangweilte, zu gut betuchte Zeitgenossen anläßlich sogenannter Treibjagden wahllos alles niederknallen, was sich bewegt — bekanntlich verhält sich ein Teil des Waidvolkes in manchen Landstrichen leider so. Wer sich ernsthaft auf die Jagdprüfung vorbereiten will, der benötigt ein Vielfaches der Informationen, die »Waidmannsheil« bietet.

So gestaltet sich eine Quizrunde. Grafische Aufgaben und Textfragen wechseln ab.

Waidmannsheil gibt erste Einblicke

Richtet sich der Autor dagegen an den Naturfreund »ziviler« Art, so fragt man sich ebenso, wo denn der Nutzen des Programms zu suchen sei. Ein von Wald und Flur Begeisterter wird auch ohne oberflächliche Kenntnis der Jagdwaffen seine Freude an Flora und Fauna haben; der Waffennarr dagegen dürfte kaum sonderliches Interesse für die verschiedenen Tierarten aufbringen. Der Blick auf den Verkaufspreis lenkt schließlich die Gedanken in die richtige Richtung. Für knapp 50 Mark bekommt der Laie die Gelegenheit, einen unverbindlichen Blick in die jägerische Fachwelt zu werfen. Denn dafür — und nur dafür — reicht die genannte Themenpalette aus.

Soweit zum Inhalt des Programms. Kommen wir zur computertypischen Umsetzung, zu dem, was die ST-Gemeinde vor allem interessiert. Die Grafikeigenschaften des ST gestatten es, die dargestellten Tierarten in hervorragender Weise abzubilden. Die Sammlung von mehr als 50 detailgetreuen Bildern wurde vom Autor des Programms sorgfältig zusammengestellt. Insofern ist die Bezeichnung »grafische Lernsoftware« berechtigt. Die Situation des Lernenden wird bereits beim Programmstart deutlich. »Name des Prüflings« läßt im ersten Moment einen strengen Lehrmeister erwarten.

Methodisch steht »Waidmannsheil« auf einer Stufe mit diversen Vokabeltrainern. Nach mehreren Durchgängen bleibt, nicht zuletzt der anschaulichen Bilder wegen, manches beim Lernenden »hängen«.

Zur Selbstkontrolle des Anwenders verwaltet das Programm eine Ergebnisdatei, die Grundlage einer abschließenden Wertung ist. Dabei erscheinen die verschiedenen Fragebereiche mit den jeweils erzielten richtigen Antworten in Prozentangabe. Auf diese Weise orientiert sich der »Jagd-Schüler« schnell, in welchem Fragekomplex weitere Übungssitzungen erforderlich sind.

Nach einer Help-Funktion, die dem Lernenden etwas auf die Sprünge hilft, suchten wir vergebens. Auch ein Handbuch ist nicht vorhanden. Zumindest ein kurzer Handzettel über die wichtigsten Schritte der Benutzerführung sollte das Leben hier erleichtern.

Programmtechnisch besteht »Waidmannsheil« aus insgesamt vier Dateien, wobei vor dem Lernprogramm ein Startmodul abläuft. Die Grafiken sind in den Datenfiles zu suchen. Als vorteilhaft erweist sich diese Strategie beim Laden des Programms: Nach Ablauf der Leser-Routine erfolgen keine weiteren Zugriffe auf die Diskette bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Auswertungsroutine das Schreiben der entsprechenden Datei vornimmt. So erreicht das Programm eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit.

Hier ist ein Programmfehler zu verzeichnen. Hat man versehentlich die Diskette schreibgeschützt, erscheint zwar die entsprechende Alert-Box. Der Benutzer kann jedoch nicht sinnvoll reagieren, da das Programm mit bemerkenswerter Gründlichkeit den Mauszeiger abgeschaltet hat.

Der zweite Fehler betrifft die Steuerung des Tastatur-Wiederholfaktors. Eine leichte Bremse erscheint durchaus angebracht, da man ansonsten durch etwas zu langen Druck auf die Return-Taste ungewollt eine Frage überspringt.

Fassen wir zusammen. Die grafische Lernsoftware »Waidmannsheil« von Baumann Computer bietet für 49 Mark eine Menge an gut aufbereiteten aussagekräftigen Grafiken bei fehlendem Kopierschutz.

Inhaltlich ist die Konzeption auf die Vorbereitung zur Jagdprüfung zwar nicht zu leugnen, gleichwohl erreicht dieses Programm ein so hoch gestecktes Ziel nicht. Eine Erweiterung um die fehlenden Prüfungsgebiete oder die Anlehnung an ein Lehrbuch in Jagddingen ist sicherlich sehr aufwendig, würde aber auch höhere Ansprüche an das Programm befriedigen. Einen Eindruck — eine Art Schnupperstudium — der Dinge, die ein Jäger beherrschen muß, vermittelt Waidmannsheil dennoch.

Auch dem, der sich für sein Geld einige interessante Tiergrafiken anschaffen will, sei es durchaus empfohlen. Darüberhinaus versetzt das Programm vielleicht in die Lage, sich im »Jägerlatein« halbwegs gekonnt auszudrücken. Wer sich jedoch ernsthaft der Jagd widmen will, dem sei — neben einem gründlichen Studium von Naturkunde, Jagdgesetz, Umweltschutzbestimmungen, Richtlinien zum Artenschutz und dergleichen mehr — auf den Vorschlag »Waidmannsheil« die bei Jägersleuten typische Antwort angeraten: »Waidmannsdank!«.

(wk)

Baumann Computer, Obere Schwemmbichler Straße 25, 8371 Kirchdorf

Wertung

Name: Waidmannsheil, Version 2.01
Preis: 49 Mark
Hersteller: Baumann Computer, Kirchdorf

Stärken:
□ hervorragende Tiergrafik □ fehlender Kopierschutz □ hohe Arbeitsgeschwindigkeit

Schwächen:
□ inhaltliche Konzeption ohne realistisches Lernziel (Jagdprüfung) □ fehlendes Handbuch □ Programmierfehler bei Alert-Box- und Tastaturabfrage

Fazit:
preiswertes Lernprogramm, das einen Eindruck der zur Jagd notwendigen Kenntnisse vermittelt

Das Programm arbeitet mit aufwendigen Bildern. Haben Sie kein Interesse am Jagen, ist es immer noch eine gute Bilder-Sammlung.

Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 07 / 1989, Seite 21

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