Tempus-Word (V 0.91): …nur tippen müssen Sie noch selbst!

Das langsame 1st Word Plus, seit Beginn der ST-Ära Standard auf dem Atari-Rechnet; kann wohl kaum mit den Textverarbeitungs-Giganten MS-Word und WordPerfect Schritt halten. Tempus-Word, die langersehnte Textverarbeitung der Firma CCD, in einer Vorversion erschienen, (Version 191, limitierte Auflage 500) zeigt, daß sich das lange Warten gelohnt hat.

Wie schon der gleichnamige Tempus-Editor, ist auch Tempus-Word vollkommen in Maschinensprache geschrieben und daher in puncto Verarbeitungsgeschwindigkeit kaum zu übertreffen. So braucht das Programm zum Durchscrollen eines elf Seiten langen Textes 39 s. Zum Vergleich: Der extrem schnelle Tempus-Editor benötigt 30 s, 1st Word Plus (Version 3.15) ganze eineinhalb Minuten. Wer jemals eine 250 Seiten lange Dissertation bearbeitet hat, kann sich unschwer vorstellen, was das bedeutet. Doch damit nicht genug: Die Qualitäten von Tempus-Word zeigen sich auch beim »Suchen & Ersetzen«: Um 45 Textstellen in denselben Dokument zu ersetzen, braucht die Text Verarbeitung nur 3 s, der komplette Austausch eines Zeichensatzes durch einen anderen oder Scrollen mittels Rollbalken sind mit der Stoppuhr nicht mehr zu messen: Das Ergebnis ist sofort auf dem Bildschirm sichtbar.

Genug der grauen Statistik: Eine gute Textverarbeitung läßt sich nicht allein an der Geschwindigkeit messen. Die Anforderungen sind so vielfältig und zahlreich, wie die Anwender selbst. Ein Redakteur hat andere Ansprüche als ein Student, ein Gelegenheitsschreiber, ein Drehbuchautor, eine Sekretärin... und Tempus-Word wird in der endgültigen Version eine Menge Anforderungen erfüllen.

Die Benutzeroberfläche von Tempus-Word ist der des Tempus-Editors sehr ähnlich. Die in Arbeit befindlichen Texte (immerhin bis zu acht gleichzeitig) werden als aufgeschlagenes Buch dargestellt. Darüber hinaus finden sich am oberen und unteren Bildschirmrand große, übersichtlich angeordnete Icons für wichtige Textfunktionen und einige Besonderheiten, die Tempus-Word bietet. Die Anordnung der Icons läßt sich verändern und abspeichern, so daß man das Desktop ohne Schwierigkeiten an individuelle Anforderungen — z.B. an einen Großbildschirm — anpassen kann.

Neben einem Notizblock mit bis zu zehn Notizzetteln, der auf Wunsch beim Starten von Tempus-Word gezeigt wird, ist ein technisch-wissenschaftlicher (unterstrichen) und kaufmännischer (normal) Taschenrechner durch ein Desktop-symbol dargestellt. Die Ergebnisse soll man später in den Text übernehmen können, wenn die Option »Rechnen im Text« eingebaut ist. Eine Uhr bietet neben dem Einstellen des Systemdatums und der Uhrzeit die Möglichkeit, bis zu vier feste Wecktermine und eine Intervallweckzeit einzustellen.

Jeder Text hat seinen eigenen »Laufzettel«, dieses »Text-lnfo«zeigt alle wichtigen Daten
Bis zu 16 Font-Register sind jetzt schon verfügbar und der Zeichensatz wird originalgetreu angezeigt
Datenschutz pur... für jeden Text steht die Option für einen Paßwortschutz zur Verfügung
Gedächtnisstütze für den alltäglichen Gebrauch, auf Wunsch erscheint sofort nach dem Laden der Notizblock

Besonders interessant sind die Optionen, die sich hinter dem Statistik-Icon verbergen. Bei Doppelklick informiert Tempus-Word den Anwender über allgemeine statistische Angaben wie bisherige Arbeitsdauer, Anschläge im Text und noch verfügbarer Speicher. Wenn man jedoch das Disk-Icon über das Statistik-Icon zieht, öffnet sich eine Statistik darüber, wie viele Tempus- und wie viele andere Dateien im aktuellen Verzeichnis gespeichert sind. Vor allem gibt Ihnen das Programm hier die Möglichkeit zu überprüfen, wieviel Speicher Ihre Daten auf Diskette benötigen und wieviel Ihnen noch zur Verfügung steht. Jeder, der schon einmal nach langwieriger und ermüdender Arbeit seine Daten auf Diskette sichern wollte, um dann festzustellen, daß dieselbe voll ist, wird die Option sehr schätzen. Übrigens: Sollten Sie wirklich einmal vergessen haben, eine Leerdiskette zu formatieren, läßt sich dies aus Tempus-Word heraus nachholen.

Einen großen Pluspunkt haben sich die Programmierer auch mit dem Druckerspooler — »Drucker-Queue« genannt — verdient. Während des Druckens über parallele und serielle Schnittstelle kann man im aktuellen Dokument fast ohne Einschränkungen Weiterarbeiten. Die Spoolergeschwindigkeit läßt sich dabei zwischen 50 und 9999 Zeichen/s einstellen. Lediglich der DMA-Port — und damit der Atari-Laserdrucker — kann nicht über den Spooler betrieben werden.

Zur Zeit noch nicht verwirklicht ist eine Funktion, mit deren Hilfe man Textteile und Grafiken »Zwischenlagern« kann, ohne sich um deren Formate zu kümmern. Eine solche Ablage, die vom Apple Macintosh her vielleicht dem einen oder anderen Leser bekannt ist, nimmt dem Anwender die sonst notwendige Unterscheidung und Verwaltung der verschiedenen Formate ab.

Last but not least lassen sich gängige Textformate wie rechts-, linksbündiger und zentrierter Text, Blocksatz, drei feste und ein bis auf 1/10 mm frei definierbarer Zeilenabstand über die Icons im unteren Bildschirmteil anwählen. Natürlich ist auch ein Papierkorb vorhanden, mit dessen Hilfe Dateien aus dem Arbeitsspeicher, gelöscht werden können.

Insgesamt macht die Desktop-Oberfläche einen aufgeräumten Eindruck. Sie ist nicht zu überladen und auch für ungeübte Anwender leicht zu bedienen.

Sehr komfortabel ist auch die Arbeit in den Texten selbst. Eine ausführliche »Online-Hilfe«, aufgerufen durch rechten Mausklick auf den entsprechenden Menüeintrag, erspart einem im Falle eines Falles meist Handbuch-Blättereien. Der Hilfetext wird von einem externen Datenträger — Diskette oder Festplatte — nachgeladen und belegt daher keinen unnötigen Speicherplatz.

Ebenfalls gelungen sind zwei Optionen, die es ermöglichen, mehrere Textstellen gleichzeitig zu bearbeiten: So kann man bis zu acht (!) Dokumente im Arbeitsspeicher halten. Die Größe jedes einzelnen Dokuments wird dabei nur durch den Arbeitsspeicher begrenzt. Es ist z.B. völlig egal, ob Sie acht Dateien mit je 100 KByte oder eine mit 730 und sieben mit je 10 KByte laden. In GEM können bis zu vier Fenster gleichzeitig geöffnet sein. Das heißt, daß Sie in Tempus-Word entweder vier verschiedene Texte öffnen können oder mit Hilfe sog. Subfenster vier Bereiche desselben Dokuments. In diesem Fall belegt die Datei den Arbeitsspeicher nur einmal.

Im Text selbst geben ein Textlineal und eine Info-Zeile Informationen über die aktuelle Seiten-, Zeilen- und Spaltenposition, einen eventuell gerade aktiven Block und über das zuletzt gelöschte Wort. Beides läßt sich jedoch bei Bedarf auch abschalten.

Zwar ist Tempus-Word kein Desktop-Publishing-Programm und will in diesem Bereich auch sicher nicht mit »Calamus« konkurrieren. Doch die Gestaltungsmöglichkeiten in Tempus ermöglichen umfangreichere Dokumente, Zeitungen, Wurfzettel oder ähnliches bequem und schnell zu erstellen.

Im Seitenlayout lassen sich z.B. Kopf-und Fußzeilen, Spalten- und Seitenformate über die Maus bis auf zehntel Millimeter genau variieren. Selbstverständlich sind die Bemaßungen auch in Inch und Punkt möglich, darüber hinaus aber auch in Buchstaben. Dabei zeigt eine Ganzseitendarstellung alle Positionen des gewählten layouts, in dem Bereiche frei definierbar sind. Dem Wunsch vieler Anwender kommt die Arbeit in bis zu neun Parallelspalten auf einer Seite entgegen. Bis zu vier verschiedene Seitenlayouts können in einem Dokument gemischt werden. Das Seitenlayout bestimmt jedoch nur das Grundformat des Dokuments. Die frei definierbaren Absatzformate lassen jederzeit ein Verlassen des Grundlayouts zu.

Durch konsequentes »WYSIWYG«-Prinzip, verschiedene Schriften und eine Reihe von Attributen kann man Texte großzügig gestalten und layouten.

Nicht nur die Attribute fett, kursiv, hell, hoch und tief stehen zur Verfügung. Insgesamt lassen sich 15 Schriftattribute — darunter schattiert, hinterlegt usw. — direkt aus dem Text aufrufen.

Gespannt sein darf man auf eine geplante Schnittstelle zu Calamus, die laut CCD und DMC geplant ist. Demnach soll Tempus-Word irgendwann Texte im Calamus-CTX-Format speichern können. Die Textverarbeitung ist eine sinnvolle Ergänzung zum bekannten DTP-Programm, wenn sich alle Tempus-Word-Möglichkeiten direkt in Calamus Umsetzen lassen.

Gerade für Vielschreiber hat Tempus allerhand zu bieten, nicht nur die bereits eingangs erwähnte Verarbeitungsgeschwindigkeit. So lassen sich die Tasten mit frei definierbaren Makros belegen, und über das Menü »Extra« können bis zu 20 abgespeicherte Floskeln direkt eingeladen werden. Die integrierte Silbentrennung arbeitet zuverlässig wahlweise halb- oder vollautomatisch, d.h. auch während des Schreibens. Bis zu 20 Such-und Ersatzzeichenketten lassen sich voneinander unabhängig speichern.

Ein weiterer Clou ist mit der Textinfo-Box gelungen! Sie erlaubt Einblick in alle wichtigen Informationen wie Autor, Thema, Zweck, Bearbeitungszeit, ob ein Paßwortschutz vorliegt oder nicht und vieles mehr. Ob Sie nach Anschlägen, Zeilen oder Zeit arbeiten: Die Textinfobox zeigt den aktuellen Stand.

Fazit

Auch wenn sich Studenten und wissenschaftliche Schreiber noch ein wenig gedulden müssen — Fußnotenverwaltung sowie Kopf- und Fußzeilen sind noch nicht implementiert — Tempus-Word bietet bereits jetzt sehr viel. Vorsicht ist allerdings noch geboten, da das Programm hin und wieder völlig unvermutet abstürzt. (Wehe dem, der kein rechtzeitiges Backup gemacht hat!) Wenn jedoch Tempus-Word Version 1.0 auf den Markt kommt, braucht sich der Atari ST auch im Textverarbeitungsbereich nicht mehr zu verstecken. Ob die Vorversion für 449 Mark oder die Vollversion für 649 Mark — für Vielschreiber lohnt sich die Anschaffung des Programms in jedem Fall. (mb)

CCD Creativ Computer Design. Burgur 9, 6228 Eltville

Eine Zukunftsvision: Bereits geschriebener Text wird nachträglich In »Form« gebracht

Karolin Lauterbach
Aus: ST-Magazin 06 / 1990, Seite 90

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