Kaos 1.4.2 - Betriebssysteme Test (Folge 1)

Ist die Betriebssystemoptimierung »Kaos 1.4.2« besser als das Original-TOS? Gibt es Probleme mit Programmen und Emulatoren? Wie verträgt sie sich mit externer Hardware? Diesen und anderen offenen Fragen gehen wir in der ersten Folge unseres Erfahrungsberichts nach.

Kaos 1.4.2 ist kein neues Systemprogramm. Es ist die Modifikation des Atari-Betriebssystems TOS 1.4. Gravierende Inkompatibilitäten waren deshalb auch bei unserem Härtetest nicht zu erwarten. Zusätzliches Sicherheitsventil der Entwickler: Eingebaute Betriebssystemkorrekturen lassen sich auch mittels einer Konfigurationsdatei abschalten (siehe Abb. 3).

Wir wollten dem Betriebssystem mit einer speziellen Rechnerkonfiguration auf den Zahn fühlen. Ziel war es, eine typische Heimanwendersituation zu simulieren; wesentlich dadurch erschwert, daß zahlreiche Atari-Rechner mit internen und externen Hardware-Zusätzen ausgerüstet sind.

Mit dem »Junior-Frommer« von »Maxon« wurde Kaos in 512-KBit-EPROMS gebrannt. Vorteil: Sie bieten Platz für zwei Betriebssysteme. Damit hatten wir die Möglichkeit, jederzeit zwischen Kaos und dem Original-TOS 1.4 umzuschalten.

Als Basisrechner verwendeten wir einen nahezu ausgedienten STM 520 (bisher mit ROM-TOS 1.0), schlössen eine externe Cherry-Tastatur an, bauten den Hardware-Emulator »PC-Speed«, die Grafikerweiterung »Autoswitch Overscan« und eine Speichererweiterung (2 MByte) ein. Mit dieser speziellen Rechnerkonfiguration sollte man etwaigen Mängeln sicherlich auf die Schliche kommen.

Wir beachteten dabei auch, daß nur wenige User Beschleunigerkarten verwenden. Obwohl wir uns davon überzeugen konnten, daß Kaos auch im Betrieb mit allen neuen »Motorola«-Prozessoren (68010 bis 68030) sattelfest ist, sollte unser Härtetest zunächst die Systemtauglichkeit unter konventionellen Bedingungen aufs Korn nehmen.

Glaubt man den Programmierern, ist zumindest die GEM-Dialoggeschwindigkeit für Kaos auch ohne Hardware-Beschleuniger kein Problem. Wir machten die Probe aufs Exempel. Bereits der erste Test mit dem Performance-Display »Quickindex« lieferte uns eindrucksvolle Daten: Kaos baut GEM-Dialogboxen doppelt so schnell auf wie das »Rainbow-TOS«.

Diesen zusätzlichen Turbo-Gang verpaßten die Entwickler dem System, durch Einbau eines neuen GEM-»Window Managers«. Das Original-TOS zeichnet beim »Redraw« nach Fensteroperationen (Schließen, Verschieben, Toppen, Vergrößern) alle Desktop-Fenster neu. Ein unnötiger Rechenaufwand, fanden die Programmierer, zumal er auch für den TOS-üblichen Flackereffekt verantwortlich ist. Bei Fensteroperationen macht Kaos gehörig Dampf: Während das Original-TOS selbst Fenster, in denen keine Veränderung vorgenommen wurde, akribisch neu zeichnete, löst Kaos die Systembremse.

Das läßt sich selbst mit bloßem Auge überprüfen; z.B. im Desktop oder in der Desktop-Alternative »Kaosdesk« mit der Funktion »Anzeigen als Text«.

Beim Vergrößern gibt's allerdings mit einigen Programmen Schwierigkeiten, die getreu einer ungeschriebenen TOS-Doktrin den Neuaufbau von Fenstern voraussetzen. Durch vorherige Konfiguration von Kaos läßt sich diese Schwachstelle aber leicht beheben. Überdies verkleinert das Systemprogramm Windows nicht bereits beim ersten Mausklick, sondern wartet zunächst auf eine zusätzliche Mausbewegung.

Gemeinsam mit Software-Beschleunigern steigert sich Kaos bei GEM-Dialogen in einen Geschwindigkeitsrausch. Die Entwicklerversion des »NVDI«, ein Akzelerator, der demnächst unter dem Produktnamen »New VDI« bei »Bela Computer« erhältlich ist, unterstützt einen mehr als achtfach schnelleren GEM-Dialog. TOS 1.4 war mit NVDI im Vergleich lediglich doppelt so schnell.

Fenstergrößen lassen sich mit der Betriebssystemvariante pixelgenau einstellen. In nahezu allen Programmen können inaktive Fenster per Mausklick aktiviert werden. Dafür gibt es einen zusätzlichen Button links vom Maximalgrößenfeld. Der dritte Knopf in der oberen Fensterleiste ist zur Zeit das Erkennungsmerkmal von Kaos.

Kaos im Betrieb ohne (links) und mit NVDI (rechts)

Auch bei Plattenzugriffen beweist die Entwicklerversion Sprinterqualitäten. Ganz ohne Software-Beschleunigungshilfe sind Plattenzugriffe zwischen zehn und 40 Prozent effizienter, was sich vor allem auf »zerklüfteten« Partitionen bemerkbar macht. Nebenbei arbeitet die Optimierung mit integriertem Fastload-Patch. Damit lassen sich Disketten schneller lesen. Im Gegensatz zu konventionellen Lösungen wird dieses Feature lediglich beim Lesen aktiviert. Vorteile, die durch den Sektorversatz ab TOS 1.4 entfallen.

Einige Erweiterungen des überarbeiteten Systemprogramms sind jetzt schon in allen Programmen wirksam. Darüber hinaus lassen sich zahlreiche Features in Anwendungen nutzen, die eigens für Kaos geschrieben wurden oder für die die TOS-Variante besondere Schnittstellen bereitstellt.

Eines dieser Programme ist Andreas Kromkes alternativer Desktop »Kaosdesk«, in dem zahlreiche Kaos-Modifikationen erst richtig zur Geltung kommen. Dazu gehört auch, daß Disketten im DOS-Format (728000 Byte) beschrieben werden.

Besonders erfreuliche Neuerung, zu der man nicht einmal Kaosdesk benötigt: Der gesamte Atari-Zeichensatz läßt sich über die Tastatur aufrufen. Dazu wird das Keyboard mit »ALT/Capslock« umgeschaltet. Internationale Sonderzeichen sind dadurch jederzeit auch innerhalb von Programmen erreichbar.

Probleme damit gab's bei der Version 3.11 von »1st Word Plus«. Vermutlich, weil sich in dieser nicht mehr ganz taufrischen Auflage der Text-Software die Programmierer in die Scancode-Verarbeitung einmischen. Ergebnislos war der Funktionsaufruf auch bei »Tempus« und Betaversionen , von »Tempus Word«. In allen früheren und der neuesten Version (3.15) von Word Plus, läßt sich dieses Feature jedoch problemlos einsetzen.

Da Kaos im Vergleich zum Standard-TOS eine andere Hard-Disk-Abfrage verwendet, koppelten wir den Test-ST mit zwei unterschiedlichen Festplatten: »HD 30« von »Vortex« und »Hard & Softs« Speed Drive mit Rodime- SCSI-Laufwerk. Beim Booten von Festplatte macht Kaos zwei Versuche, um das »Unit Attention« zu erkennen. Unabhängig davon, wann diese Bereitschaftsmeldung von der Festplatte übermittelt wurde, wartete Kaos zunächst jedoch nur auf die Rückmeldung der Vortex-Hard-Disk.

Das Ganze klappt bei SCSI-Festplatten von Hard & Soft allerdings noch nicht, wenn das gesamte Equipment über einen Hauptschalter eingeschaltet wird.

Fatale Systemfehler durch »amoklaufende« Programme fängt Kaos mit der Meldung: *** FATALER FEHLER: *** SYSTEM ANGEHALTEN *** ab. Das Original-TOS reagiert hier zumeist mit einem Dauer-Boot.

Durch »Cookies«, eine Systeminformationstabelle, erhalten Programme Aufschlüsse über die Systemkonfiguration. Atari bietet dieses Feature ab TOS-Version 1.6. Auch Kaos operiert mit den handlichen »Keksen«. Der __FPU Cookie (bisher lediglich im TT-TOS installiert), der eine »Floatingpoint-Unit« anzeigt, wurde mit einer Auswertroutine für den FPU-Typ versehen und gibt im »High-word« einen der folgenden Werte zurück:

0 = keine FPU
1 = Atari-Register FPU
2 = Line-F-FPU
3 = Atari-Register FPU + Line-F-FPU
4 = mit Sicherheit 68881-Line-F-FPU
5 = Atari-Register FPU + mit Sicherheit 68881-Line-F-FPU
6 = mit Sicherheit 68882-Line-F-FPU
7 = Atari-Register FPU + mit Sicherheit 68882-Line-F-FPU
8 = 68040-interne Line-F-FPU
9 = Atari-Register FPU + 68040-interne Line-F-FPU (Das »Low-word« ist derzeit immer 0.)

Wenn das System in einen kritischen Zustand gerät, sind — Trick der Entwickler — die Interrupts gesperrt. Damit, meint Mitentwickler Dirk Katzscke, »stürzt Kaos wesentlich seltener als TOS ab«. Zusätzlich enthält es bereits wichtige Korrekturen von Betriebssystemroutinen. Damit erübrigen sich Patch-Programme im AUTO-Ordner (»TOS14FIX.PRG«, »POOL-FIX.PRG«, »VDI- FIX. PRO«).

Außerdem wurden Tastenwiederholung sowie Wiederholungs-Verzögerung auf einen anderen Wert gesetzt und der Zeileneditor von GEM-DOS erweitert. Er läßt sich von TOS-Programmen nutzen, die über keine eigene Zeileneingaberoutine verfügen. Informationen zum Editorfunktionsumfang finden Sie im untenstehenden Kasten, (em)

Fortsetzung im nächsten ST-Magazin

Die Funktionen des Zeileneditors:

Return — schließt die Eingabe ab. Setzt den UNDO-Puffer;

Enter — wie CR, läßt aber UNDO-Puffer unverändert;

Cursor links — Cursor eine Position nach links;
Cursor rechts — Cursor eine Position nach rechts;
Shift-l-Cursor links — setzt Cursor auf den Anfang der Eingabezeile;
Shift-l-Cursor rechts — setzt Cursor auf das Ende der Eingabezeile
Home — wie Shift+Cursor links;
Tab — Anfang/Ende der Eingabezeile;
Cursor hoch — letzte Eingabe(n) wiederholen;
Cursor runter — letzte Eingabe(n) zurückscrollen;
Shift+Clr — Eingabe löschen;
Delete — Zeichen unterhalb des Cursors löschen;
Backspace — Zeichen vorm Cursor löschen, gleichzeitig Cursor nach links;
UNDO — letzte Eingabe holen (max. 319 Zeichen Puffer);
F1..F10 — Funktionstastenwerte aus dem Environment;
Insert — Einfügemodus
Shift-t-Insert — Überschreibmodus

Anmerkung: Aus dieser Zusammenstellung wird bereits deutlich, daß der UNDO-Puffer insgesamt 319 Zeichen umfaßt, die dynamisch auf die eingegebenen Zeichenketten verteilt werden. Somit lassen sich je nach String-Länge die letzten 10 bis 20 Eingaben zurückholen, wobei die älteste unvollständig sein kann, (em)


Egbert Meyer
Aus: ST-Magazin 01 / 1991, Seite 48

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