Guitar ST: Gitarren-Sequenzer - fast wie Live

Gitarrengott Jimi Hendrix konnte Zeit seines Lebens weder Noten lesen, noch erkannte er einfache Akkorde auf dem Piano. Er brauchte auch »Guitar ST« nicht — viele andere Gitarristen aber werden allerdings die Vorteile dieses einzigartigen Sequenzers schnell schätzenlernen.

Gitarren sprechen ihre eigene Sprache — kein Wunder, daß sich Gitarristen nur schwer in ein fremdes musikalisches Korsett zwängen lassen. Akkorde versteht er nicht als Sammlung einzelner Töne, vielmehr sieht er jeden Akkord als Griff vor seinem geistigen Auge.

Aber auch musikalisch trennen Keyboarder und Gitarristen Welten. Viele Musiker hören sofort, ob ein Song auf einem Klavier oder einer Gitarre entstanden ist. Allein schon die Wahl des Akkordmaterials entlarvt den Ursprung. Dies gilt im Besonderen auch für das Voicing — die Lage der einzelnen Akkordtöne.

Da das Werkzeug einen wesentlichen Anteil am Ergebnis einer Arbeit hat, verspricht ein neues Sequenzer-konzept mehr als lediglich eine bequemere Bedienungsoberfläche. Der Violett-Verlag ist diesen Weg mit dem »Guitar ST« konsequent zu Ende gegangen.

Das Revolutionäre in Guitar ST ist sein musikalisches Konzept. Im Mittelpunkt der Mainpage steht ein Gitarrenhals mit 16 Bünden. Eine Bibliothek stellt die benötigten Akkorde in Form editierbarer Grifftabellen dar. Der Vorteil: Gitarristen erkennen auf einen Blick die musikalischen Zusammenhänge. Was mit diesen Chords nun geschieht, bestimmt das »Zupftechnik«-Fenster. Hier steckt der eigentliche Clou des Programms. Die Zupftechnik bestimmt den Rhythmus und die Schlagmethode. Auch dafür gibt's eine editierbare Bibliothek. Der Editor ist dabei prima gelungen: Auf sechs stilisierten Saiten wird die Picking- Technik — Zeitpunkt und Reihenfolge der anzuschlagenden Saiten, Tonlängen — dargestellt. Eingehende MIDI-Signale übersetzt der Sequenzer automatisch in Tabulatur-Schrift. Dazu beherrscht er sämtliche bekannten Quantisierungs-Routinen — Startpunkt, Länge, relative und absolute Quantisierung etc.

Selbst wenn der angeschlossene Synthesizer wie eine Trompete klingt — die spezielle Spieltechnik und das unverwechselbare Voicing der einzelnen Akkorde verbreitet immer ein gewisses Gitarrenflair.

Die zentralen Elemente speichert Guitar ST in Bibliotheken. Deshalb sind auch elementare Datenbank-Funktionen im ST integriert. So findet sich selbst bei 400 möglichen Akkorden schnell der richtige.

Das Arrange-Fenster fügt Akkorde und Zupftechnik zu einem Song zusammen. Jede Saite kann einen eigenen MIDI-Kanal erhalten — ganz nach dem Vorbild der — wegen technischer Unzulänglichkeiten etwas außer Mode gekommenen — MIDI-Gitar-re. So kann jede Saite eigene Pitch-Bend-Effekte realisieren, ohne dabei die Tonhöhe der anderen Saiten zu beeinflussen. Seit Version 3.0 spielt Guitar ST im Duett: Jetzt gibt es zwei Gitarren, beide splittbar.

Besonders komfortabel: das Setzen von Loops. So ist es möglich, für jeden Takt einen Repeat-Wert zuzuordnen.

Lobenswert sind die Druckfähigkeiten der neuen Version 3.0: Tabulator-Schrift und Gitarren-Griffbilder sind innerhalb eines Notenblatts frei kombinierbar. Im Layout-Mode können dabei noch Feinanpassungen vorgenommen werden. Guitar ST verwendet für den Druck Signum Fonts.

Praktisch: Wer kein MIDI-Instrument besitzt, hört einfach über den internen Atari-Lautsprecher mit. (mn)

Guitar ST 3.0

Hersteller: Johanna Bindgen

Preis: 199 DM

Vorteile: Trennung von Rhythmus und Akkord, guter Ausdruck, automatische Akkord-Erkennung, beliebig viele Loops möglich, Bibliotheken, jede Saite erhält einen eigenen MIDI-Kanal, unterstützt internen Atari-Speaker, schreibt Standard-MIDI-File

Einschränkungen: nur 192 Ticks/Bar-Auflösung, eingeschränkte Polyphonie

Fazit: Editor mit großer Bibliothek für Zupftechniken und Gitarren-Chords mn



Aus: ST-Magazin 10 / 1991, Seite 104

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