Atari-Neuheiten: ... da waren's doch noch drei!

Obwohl Atari auf der CeBIT öffentlich nur »MultiTOS« vorstellte, gab's im Verborgenen einige interessante Neuigkeiten zu entdecken.

Falcon 030: außen ein Spatz, innen ein Falke

Da war man von weither angereist und dann das — nicht nur Fachbesucher waren enttäuscht, daß Atari nur das neue Multitasking-Betriebssystem »MultiTOS« präsentierte. Die Atari-Gemeinde hatte zu solch bedeutendem Anlaß natürlich auch neue Hardware erwartet. Leider konnten nur die Presse und einige ausgesuchte Entwickler einen Blick auf die geheimnis-umwitternden Entwicklungen aus Ataris Hardwarelabors werfen. Was wir aber dort gewahrten, war eine kleine Sensation. So fand sich in der Pressemappe die Meldung über einen neuen Laserdrucker, den »SLM 406«. Das Besondere an diesem Gerät: die ungewöhnliche Schnittstellenausstattung. Ein SCSI-Anschluß! Sollte dieser Laser etwa nur für den »TT« gedacht sein? Nein, viel wahrscheinlicher ist eine Abkehr vom DMA-oder ACSI-Bussystem. Diesen Schluß läßt die zweite — allerdings sehr zögerliche — Präsentation des zum aggressiven »Falcon 030« umgetauften »Sparrow« zu. Doch schön der Reihe nach:

Am ersten Messetag gab’s bei Atari nur MultiTOS zu sehen, neue Hardware konnten auch versierte Standspione nicht entdecken. Erst die Pressekonferenz lichtete den Nebel — wenn auch nur dürftig. So versprachen die amerikanischen Atari-Oberen der Presse Workstation-Power zu erschwinglichen Preisen. Der News-Hungrige konnte dann eine Präsentation bewundern, die ihresgleichen suchte...

Es war schon beschämend, welch dilletantische Show auf der Bühne stattfand. Während fetzige Musik aufs Publikum eindonnerte, hob sich der Vorhang auf der Bühne und gab den Blick auf einen gigantischen Monitor frei, auf dem farbenfrohe Grafik-Demos in hoher Auflösung abliefen. Woher die bezaubernden Grafiken kamen, blieb zunächst unklar. Erst beim zweiten Blick entdeckten viele den kleinen, unscheinbaren Computer im Gewand eines 1040 ST neben dem Bildschirm. Kaum jemand wollte glauben, daß dieser Winzling für Grafiken und Sound verantwortlich zeichnete. Natürlich erwartete jeder der Anwesenden nun genauere Details zu dieser Wundermaschine, aber Pustekuchen: Die Atari-Gewaltigen ließen sich nur den verwendeten Prozessor, einen MC 68030 entlocken. Ansonsten gab’s nur so brisante Antworten wie »schnell genug«, »genügend Farben« zu hören. Allerdings konnte ST-Magazin im Verlauf der Messe doch einiges über den ominösen Greifvögel erfahren.

Der »Falcon 030« kommt im Gehäuse des »1040 ST« daher, allerdings in vornehmem Anthrazitgrau. Die Tastenbeschriftung war bei den Demo-Geräten gelb. Im Innern werkelt ein »MC 68030« mit 16 MHz, der durch einen Blitter mit derselben Taktfrequenz, wahlweise einem Mathe-Coprozessor und man höre und staune einem »DSP 56001« unterstützt wird. Gerade dieser DSP ließ Fachleute aufhorchen, denn dieser digitale Signalprozessor erweist sich als wahrer Tausendsassa! Übrigens verhilft ebendieser Chip auch dem »NeXT« zu seiner legendären Power. Die Einsatzgebiete sind vielfältig und sicher noch nicht genau ausgelotet, aber denkbar sind Anwendungen im mathematischen, grafischen und musikalischen Bereich. Aber auch so profane Dinge, wie z. B. ein High-Speed-Mo-dem, lassen sich realisieren. Genaueres zum DSP erfahren Sie ab Seite 10.

Auch sonst hat es der kleine Falcon faustdick unter der Haube. So kann der Speicher standardmäßig bis zu 14 MByte ausgebaut werden. Aber auch hier ist noch nicht Schluß, denn die Architektur des Rechners läßt es nach Entwicklerinformationen durchaus zu, den gesamten Adreßbereich des MC 68030 direkt anzusprechen.

Solch einer Maschine mußten die Entwickler natürlich auch die nötige Bildschirmauflösung verpassen: So beherrscht der Falcon — bis auf die höchste Schwarzweißdarstellung — alle Auflösungen des »Atari TT«. Aber damit noch nicht genug. Sicher ist ein Modus mit 640 x 480 Punkten bei 16 Bit Farbtiefe, also fast »True Color«, und 800 x 600 Punkten mit 256 Farben. Orakelt wurde, daß sich die Bildschirmdarstellungen in weiten Bereichen sogar frei wählen lassen sollen. Nun, wir werden es bald sehen.

Jack Tramiel: Workstation fürs traute Heim

Sicher hingegen ist, daß der Falcon dank des eingebauten Blitters in der Auflösung TT-Mittel, also 640 x 480 — aber bei 256 Farben — etwa sechs- bis achtmal schneller sein soll als das Flaggschiff der Atari-Flotte.

Echter SCSI-Bus

Solch ein Computer muß natürlich über eine entsprechende Peripherie walten können. So soll sich eine IDE-Festplatte im Gehäuse integrieren lassen. Für externe Festplatten und andere Erweiterungen (Laser-Drucker) soll ein SCSI-2-Bus bereitstehen, der den bisherigen ACSI-Port (DMA) sicher an die Wand spielt.

(Bei der Pressedemonstration blinkte die Harddisk-LED immer wieder kurz auf, wahrscheinlich um Sounddaten nachzuladen.) Auch der gesichtete Atari-SCSI-Laser SLM 406 legt den Verdacht nahe, daß sich Atari endgültig vom ACSI-Port verabschiedet.

Aber auch sonst kann sich die Schnittstellenvielfalt sehen lassen: So finden sich neben den üblichen Schnittstellen parallel Centronics, seriell RS232, Maus und Joystick, eine Local-Area-Net-work (LAN), ein Anschluß zum DSP (26polig), Mikrofonein- und Soundausgang, und zwar Stereo.

Sicherlich dürfte sich noch so einiges im Tastaturgehäuse des Falcon 030 verbergen, doch die Informationen tröpfelten wie gesagt nur sehr spärlich. Ohne aus dem Kaffeesatz lesen zu wollen, wird der Neue Ataris Produktpalette aufrollen und den Anfang einer neuen Atari-Computergeneration begründen.

Das neue Multitasking-Betriebssystem wird bestimmt auf dem Falcon laufen und seine neuen Fähigkeiten unterstützen. Der Prozessor 68030 ist ja geradezu für Multitasking-Umgebungen prädestiniert.

Auf der CeBIT stellte MultiTOS — es basiert auf dem »MiNT-Kernel« von Eric Smith — seine Leistungsfähigkeit auf dem TT unter Beweis. Aber auch auf den »kleinen STs« soll MultiTOS laufen, allerdings mit Einschränkungen, die durch den Prozessor begründet sind (Memory-Protection). Neben der halbstündlich stattfindenden Demonstration konnte man das Multitasking-Feeling auch an vielen Arbeitsplätzen am Stand auskosten. Genaueres zu MultiTOS finden Sie im »Atarium« ab Seite 54 und vom MiNT-Entwickler Eric Smith auf Seite 8.

Auch den neuen Laser »SLM 406« konnte das Publikum auf dem Stand nirgendwo entdecken, obwohl er einen fertigen Eindruck hinterließ. Er druckt mit einer Auflösung von 300 x 300 dpi, verdaut Formate von DIN A4 bis DIN B5, bei einem Ausstoß von vier Seiten pro Minute. An sich sind diese technischen Daten nichts besonderes, doch die Atari-Enwickler haben sich etwas Besonderes einfallen lassen: die Anbindung an den Computer erfolgt über eine SCSI-Schnittstelle. Der SLM 406 harmoniert somit nicht nur mit Computern der TT- und Falcon-Serie, sondern auch mit den Rechnern des Mitbewerbers Apple! Dazu mußten die Ingenieure einen für Atari-Gepflogenheiten neuen Weg beschreiten: Der SLM 406 verfügt nämlich als erster Laser von Atari über ein eigenes Gedächtnis. Wie groß dieses sein kann, blieb allerdings — wie so vieles auf dieser Messe — ein Geheimnis.

Insgesamt hinterließ Atari auf der CeBIT ein zweigeteiltes Bild: Einerseits war die Präsentation der Neuheiten recht fragwürdig, andererseits zeigten die Entwickler, daß sie in letzter Zeit ihre Hausaufgaben gemacht haben und uns einige Überraschungen ins Haus stehen. Atari braucht sich im Konzert der Mitbewerber eigentlich nicht zu verstecken, die Neuentwicklungen werden sicherlich den Markt verändern und mitbestimmen. Auch die vage Preisangabe für den Falcon 030 — »für jeden erschwinglich« — stimmt optimistisch, (uw)

SLM 406: mit SCSI-Anschluß und eigenem Speicher
# Die vorläufigen technischen Daten des Falcon 030

Prozessoren:
CPU: MC 68030
Signalprozessor: DSP 56001
Blitter
FPU-Sockel

Taktfrequenz CPU und Blitter: 16 MHz
Speicher: standardmäßig bis zu 14 MByte RAM
Grafik:
alle ST/TT-Auflösungen außer 1280 x 960 monochrom
800 x 600 bei 256 Farben
640 x 480 16 Bit

Massenspeicher:
HD-Floppy mit 1,44 MByte
2,5 Hard disk auf Wunsch (IDE/AT-Anschluß)

Schnittstellen: Centronics parallel, RS232, LAN, DSP, Maus/Joystick usw.
Sonstiges: Stereosound (Aus- und Eingang)


Uwe Wirth
Aus: ST-Magazin 05 / 1992, Seite 6

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