Calligrapher Professional 3: Neues aus den Textschmiede

Beim Calligrapher Professional vollzogen, steht nun eine 3 vor dem Punkt. Wir haben die Verbesserungen wie die Kooperation mit Multitaskern begutachtet.

Das komfortable Installationsmenü

Zwar berichteten wir erst im September letzten Jahres über den Calligrapher Professional [1], inzwischen hat sich jedoch so viel an diesem umfangreichen Paket zur Textverarbeitung und Gestaltung geändert, daß es Zeit für einen erneuten Test ist. Wir geben Ihnen einen Überblick über Neues beim Komplettpaket, das aus dem »Calligrapher 3« selbst und dem »GOLD-Paket« besteht, welches etliche Module umfaßt. Dazu zählen ein Formeleditor mit LaTeX-Export, Wörterbücher und Thesauri in verschiedenen Sprachen, ein Barcode-Modul, Index Verwaltung, Logogestaltung und vieles mehr.

Die erste der Installationsdisketten enthält wie bisher das Programm zum Einrichten des Calligraphers auf Ihrer Festplatte. Es wurde vollkommen neu geschrieben. Mußten Sie sich bisher wegen des Verzichts auf GEM-Einbindung mit manueller Pfadeingabe ohne Dateiauswahlbox plagen, ist das nun vorbei: eine Dialogbox stellt übersichtlich alle Grundeinstellungen dar. Dazu gehört die Wahl der Festplattenpartition oder des Diskettenlaufwerks, auf dem Sie Calligrapher einrichten möchten. Bei den Auflösungen gibt es nur zwei Wahlmöglichkeiten: die mittlere ST-Auflösung oder alle höheren. Dies schließt sowohl die monochrome ST-Auflösung als auch den Großbildschirmmodus des TT ein. Sogar der zum Zeitpunkt unseres Tests noch nicht in den Läden gesichtete Falcon 030 ist im Dialog verzeichnet. Offenbar hatten die Hersteller Gelegenheit, das Funktionieren des Calligraphers auf diesem sicherzustellen.

Mittels Pop-up-Menüs können Sie zwei Drucker wählen, die Sie bei der Arbeit mit Calligrapher ansteuern möchten. Die Funktion »Speicherverwaltung für Multitasking« veranlaßt das Programm, mit seinen Zugriffen auf das RAM so zurückhaltend zu verfahren, daß parallel laufende Prozesse nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Nachdem Sie alles korrekt selektiert haben, starten Sie das automatische Kopieren der Dateien auf die gewünschte Zielpartition. Wegen der optimierten Zugriffe auf die Dateien hält sich das Wechseln der Disketten in Grenzen.

Ist die Installation abgeschlossen, ist Calligrapher 3 startbereit. Gegenüber der alten Version ist kein Neubooten des Computers nötig. Aus den früheren Problemen, die sich aus der nicht ganz unkritischen Art der GDOS-Nutzung ergaben, haben die Programmierer gelernt und verzichten nun auf das Anlegen einer eigenen ASSIGN.SYS-Datei. Die bisherigen Autoordner-Programme entfielen ebenfalls. NVDI-Benutzer werden sich freuen, machte ihnen doch die bislang mitgelieferte exotische GDOS-Version das Leben schwer. Sie müssen nun nicht mehr auf die gewohnte Beschleunigung der Bildschirmausgaben verzichten. Die Calligrapher-Zeichensätze im Pixelformat sind durch den Wegfall der ASSIGN.SYS-Datei entkoppelt von den normalen GDOS-Fonts. Das ist ein Vorteil, da sie untereinander nicht voll kompatibel sind, wie sich beim Test des Calligrapher 2 herausstellte.

Für weitergehende Einstellungen am Programm können Sie das mitgelieferte Konfigurationsprogramm aufrufen, mit dem Sie Verhalten und Größe des Calligrapher-eigenen Caches festlegen. Auch die Druckerauswahl kann hier nochmals getroffen werden. Besonders wichtig für den Betrieb unter Multitasking-Systemen wie »Mag!X« und »Multi-GEM« ist die Einstellung, wieviel Speicher der Calligrapher minimal und maximal anfordern darf.

Worttrennungen sind kein Problem
Das Konfigurationsprogramm des Calligrapher

Nach dem Aufrufen des neuen Calligraphers, der jetzt auch problemlos und schnell im TT-RAM läuft, fällt sofort auf, daß die Tastaturbefehle, die Sie weiterhin mit einem externen Programm frei zuordnen können, in den Menüs angezeigt werden; ein Schritt in die richtige Richtung. Noch besser hätte es uns gefallen, wenn die Funktionen gleich mit den standardgemäßen Shortcuts belegt wären.

Praktisch ist die neue Fähigkeit, RTF-Dokumente (Rich-Text-Format) zu importieren und exportieren. Das auch in der MS-DOS-Welt weitverbreitete Format sorgt für einen standardisierten Austausch von Dokumenten ohne Verlust der Textattribute und Zusätze wie Fußnoten.

Wohlpropoptioniert

Sicher kennen Sie die Situation: Sie möchten eine Seite ansprechend gestalten und kurz vor der Fertigstellung merken Sie, daß der Text zu lang ist. Bisher war das absatzweise Vergrößern oder Verkleinern nicht zu vermeiden, besonders aufreibend, wenn sich in den Absätzen Formeln, Tabellen und ähnliches befinden. Calligrapher 3 wartet mit einer für solche Fälle segensreichen Funktion auf: der proportionalen Größenänderung. Sie selektieren einfach den gesamten zu ändernden Bereich und skalieren ihn schrittweise. Die Proportionen der verschiedenen Elemente zueinander bleiben dabei erhalten. Bei solchen Aktionen macht sich die gesteigerte Geschwindigkeit der Fontcaching-Algorithmen bemerkbar.

Die kleinen Verbesserungen sind es, die den Calligrapher immer mehr Freunde gewinnen lassen. Jetzt wird beim Verschieben der Linealmarker ein Lot angezeigt, an dem Sie sich orientieren können. Wer schnell genug drei Mausklicks ausführt, selektiert damit ganze Absätze. Mathematiker und Physiker freuen sich über den um Produkte, Vereinigungen und Schnitte erweiterten Formelsatz. Ein externes Programm setzt die Ausgaben des Formeleditors in das TeX-Format um, das in der Wissenschaft eine herausragende Position hat. Sprachwissenschaftler finden Gefallen am neuen Wörterbuch und dem Thesaurus für die englische Sprache amerikanischer Prägung.

Bei der automatischen Worttrennung können Sie nun angeben, wie viele Buchstaben mindestens vor dem Trennstrich (Prefix) oder dahinter (Suffix) stehen müssen, damit überhaupt getrennt wird. Eine kostenlose Zusatzdiskette enthält einen Treiber zur Ausgabe von Telefaxen mit dem Programm »Tele Office« der Firma TKR. Die Postscript-Ausgabe wurde an den Stand der Technik angepaßt und ist nun auch des »Level 2«-Formats mächtig.

Mit dem »FlexText«-Modul können Sie Logos und Überschriften gestalten. Als Grundtypen stehen Ihnen alle vom Calligrapher geladenen Zeichensätze zur Verfügung. Sie können beliebige Texte eingeben, die entlang von geometrischen Formen, wie Kreisen, Ellipsen, Linien und Bezierkurven positioniert werden. Das Füllraster der Buchstaben ist ebenso frei aus der Palette der GEM-Muster wählbar wie die Größe der Zeichen, der Startwinkel und die Ausrichtung. Einzelne Elemente oder die ganze Grafik können Sie in Prozentschritten verkleinern oder vergrößern. Es fehlt hier noch eine Funktion, die die Grafik nach Veränderungen automatisch aktualisiert — im Moment geschieht das nur nach Selektierung des »Update«-Buttons. Auch das millimetergenaue Verschieben von Elementen ist im Flextext-Modul möglich. Ist eine Grafik fertiggestellt, wird sie als Standard-GEM-Metafile gespeichert und kann sofort in das Calligrapher-Dokument übernommen werden.

Formeldesign wird zum Kinderspiel
Flexibel: das Flextext-Modul

Ein potentieller Störfaktor unter Multitasking-Systemen ist das Verbiegen des GEMDOS-Traps ohne Verwendung des XBRA-Protokolls durch den Calligrapher. Haben Sie eine Grafikkarte installiert, sollten Sie sich vor dem Kauf informieren, ob das Programm mit Ihrer Konfiguration läuft. Einige Bildschirmzugriffe nehmen noch nicht vollständig den sauberen Weg über das VDI. Der Anpassung an die Möglichkeit der Bedienung im Hintergrund liegender Fenster unter »WINX«, »Mag!X« und »MultiTOS« bedarf auch die Fensterverwaltung: Wenn Sie auf das Schließfeld eines nicht zuoberst liegenden Fensters klicken, schließt der Calligrapher fälschlicherweise das vordere. Wer hier gutgläubig das Sichern des Textes ablehnt, kann böse Überraschungen erleben. Wir gehen davon aus, daß diese Probleme im Zuge der Fortentwicklung von Calligrapher ausgeräumt werden. Schön wäre es, wenn der Hersteller MultiTOS-Anwendern zumindest auf Wunsch eine Version ohne eigenes Desktop zur Verfügung stellen würde. Die Umschaltung zwischen dem Calligrapher und anderen Programmen wäre dann flüssiger.

Der Calligrapher Professional in der neuen Version 3 hat einige relevante Verbesserungen erfahren. Allein die prinzipielle Lauffähigkeit im Multitasking wird für viele angesichts des MultiTOS ein gewichtiges Kaufargument sein. Mit Zusatzpaketen läßt sich der Calligrapher individuellen Bedürfnisse anpassen. Die Programmierer sollten jedoch bald die Übersichtlichkeit der Oberfläche erhöhen und die genannten Fehler beseitigen. Dann hat es beste Chancen, zu einem Referenzprogramm nicht allein des Atari-Marktes zu werden.

(uw)

WERTUNG

Calligrapher Professional

Preis: 418 Mark
zusätzlich für GOLD-Paket (enthält Formeleditor, Sprachenpaket, Businesspaket): 198 Mark
Hersteller: Working Title

Stärken: universelles Text-verarbeitungs- und Gestaltungssystem, viele Verbesserungen gegenüber der Vorversion

Schwächen: verstößt noch gegen einige Richtlinien über Programmierung und Benutzeroberflächengestaltung

Fazit: Der Calligrapher ist auf dem Weg zu einem Referenzsystem der Textverarbeitung

[1] Patrick Dubbrow, Von der Idee zur Gestaltung, ST-Magazin 9/1992 Working Title GbR, Lilienweg 12, 5300 Bonn 1


Patrick G. Dubbrow
Aus: ST-Magazin 02 / 1993, Seite 44

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