Editorial: Definitionssache?

Messen sind gemeinhin dazu da, sich selbst und natürlich seine Neuheiten vorzustellen. Aber auch, um neue Kontakte aufzubauen oder alte zu pflegen. Wie auf der CeBIT. Die ist ja nun vorbei und auch ich nahm selbstverständlich die Gelegenheit wahr, um längere Gespräche mit den Atari-Oberen aus den USA zu führen. Dabei stand Jack Tramiel, Vater des legendären »C64« und des »Atari ST«, ganz oben auf meiner Wunschliste.

Nachdem Atari in der Vergangenheit einige Schwierigkeiten mit seiner Produktpalette, verschobenen Lieferterminen und der scheinbar erdrückenden Macht der PCkompatiblen hatte, kümmert sich Jack wieder verstärkt selbst um die Geschicke seiner Firma. Im Gespräch mit ihm standen also Fragen nach der Markteinschätzung und der zukünftigen Produktpolitik im Mittelpunkt.

Mr. Tramiel sieht Ataris Zukunft im Consumer-Bereich. Künftig wird es keine teuren Prestigeobjekte wie z. B. die Transputer-Workstations mehr geben, da kaum jemand bereit sei, solche Maschinen zu bezahlen. Auf meine Frage, ob die starke Ausrichtung auf den Consumer-Markt auf Dauer nicht das Aus für anspruchsvolle Anwendungen wie DTP bedeute, antwortete er, Atari hätte immer schon genug Leistung in preiswerte Maschinen gepackt. Und auch der Falcon sei schließlich für DTP und vieles andere ersetzbar. Außerdem verwies er auf Beschleunigerboards, die hier auf der Messe gezeigt würden.

Seine Einschätzung, daß Atari gerade im Consumerbereich Erfolg haben wird, mag prinzipiell richtig und nachvollziehbar sein. Nun ist es aber so, daß die angestammte Atari-Anwenderschaft nicht gerade der Consumer-Schiene zuzuordnen ist. Der Falcon 030 hat sicher auch für diese Klientel Bedeutung, doch er hat das Zeug, auch in klassische Consumer-Märkte vorzudringen. Gerade im Video-und Audio-Bereich könnte er Akzeptanz finden. Atari hat bei Musikern sicherlich einen guten Namen, aber das sind mehr die Spezialisten im Studio und auf der Bühne. Denken wir aber einmal an das Heer von Hobby-Videofilmern: Diese suchen nach einer kostengünstigen Möglichkeit, ihre Filme mit Video- und Soundeffekten aufzumöbeln. Der Falcon kann beides! Nur hat die Sache einen Haken: Kaum einer dieser potentiellen Käufer kennt Atari, geschweige denn den Falcon mit seinen multimedialen Fähigkeiten. Hier muß etwas getan werden und zwar schnellstens. Marketing ist gefragt. Egal wie man Consumer-Bereich definiert, Erfolg hat hier nur der, der virtuos mit diesem Instrument umgehen kann! Es reicht nicht, eine tolle Maschine aufs Band zu legen und sie in den Handel zu bringen — sie muß auch aktiv verkauft werden. Gerade hier gibt es aber erhebliche Defizite. Keiner verlangt, daß jetzt eine millionenschwere Werbekampagne gestartet wird, aber nichts — oder nur Dilettantisches — auf die Beine zu stellen, führt nicht zum Erfolg. Gut, Ansätze waren auf dieser CeBIT zu sehen. Denken Sie nur an die gelungene Live-Vorführung. Aber hier muß noch erheblich mehr geschehen.

In diesem Sinne Ihr


Uwe Wirth
Aus: ST-Magazin 05 / 1993, Seite 3

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