»Type Art« für digitale Reinzeichnungen und Schriftgestaltung: Der Feinschliff

Schriftgestaltung stößt auf reges Interesse, seit entsprechende Programmfähigkeiten auf den Atari-Rechnern nicht nur verbal, sondern auch praktisch verfügbar sind. Erst Vektorschriften und anspruchsvolle Layoutsoftware erlauben eine Schriftgestaltung, die auch lypographen zufriedenstellt. Das Werkzeug dazu liefert DMC mit seinem »Type Art«.

Das wachsende Interesse am Thema konnte ich den zahlreichen, sehr interessierten Reaktionen auf unseren Schriftgestaltungskurs in den TOS-Ausgaben 11/91 bis 1/92 entnehmen. Kernthema vieler Gespräche, die ich im Anschluß an den Kurs führte, war immer wieder die starke Einschränkung durch die Software für Schrift- und Logotypegestaltung.

Für diesen Test stand nun eine Software zur Verfügung, die die zahlreichen Einschränkungen der bisherigen Vektor-Font-Editoren in das Reich der Computer-Geschichte verbannen soll. »Type Art« lag in der Version 1.02 vor, die avisierte Version 1.03 erreichte mich trotz mehrerer Telefonate leider nicht mehr vor Redaktionsschluß. Type Art kommt auf einer Diskette und mit einem Handbuch im Schuber zum Anwender. Das Handbuch ist passend zur neuen »Calamus SL«-Produktfamilie gestaltet. Besitzer von Calamus SL finden das Kapitel »Kleine Schriftkunde« hier unverändert wieder.

War diese allgemeine Einführung in das Thema Schrift für die Layoutsoftware völlig ausreichend, so wünscht man sich für ein anspruchsvolles Schriftgestaltungs-Programm eine ausführlichere Darstellung. Seit Freigabe der Software haben sich außerdem zahlreiche wesentliche Neuerungen zum Handbuch ergeben, die lediglich als Readme-Datei, nicht aber als gedruckte Handbuchseiten vorliegen. Die Anwendung des sonst wirklich guten Handbuches leidet etwas darunter.

Die Installation der Software ist durch den Verzicht auf Kopierschutz kein Problem. Nach dem Start präsentiert das Programm ein vorbildlich aufgebautes Formular zur Zeichensatz-Information. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings noch kein Zeichensatz geladen ist, ein seltsamer und langfristig nervenzehrender Einstieg. Der »Weiter«-Button gibt endlich das Desktop frei. Type-Art präsentiert sich mit drei Pulldown-Menüs, einer variablen Iconleiste und dem GEM-Arbeitsfenster. Nach dem aus Calamus bekannten und bewährten Prinzip, verbergen sich unter dem Iconfeld zahlreiche weitere. Wegen der verblüffenden Fülle an Funktionen, die das Programm zu Beginn fast un bedien bar erscheinen lassen, erweisen sich die ebenfalls aus Calamus bekannten Kurztexte am rechten oberen Bildschirmrand als recht hilfreich. Geradezu optimal für den Einstieg ist die Idee, hinter jedem Icon eine Funktionsbeschreibung zu verstecken. Das Prinzip ist einfach: Icon selektieren, HELP-Taste drücken und schon erscheint ein verständlicher Hilfstext inklusive Hinweis auf die betreffende Handbuch-Seite. Eine kreative Idee mit Vorbild-Charakter.

Das GEM-Fenster ist glücklicherweise nicht auf eine Größe festgelegt, wie beim legendären ersten Vektorfont-Editor von DMC. Der Arbeitsbereich läßt sich zudem in Stufen oder frei wählbar vergrößern. Hilfslinien sind exakt zu positionieren und zu verschieben, hilfreich erweisen sich hierbei die ein-und ausschaltbare, in der Genauigkeit zu definierende Koordinaten-Angabe und das unverzichtbare Lineal. Im Hintergrund lassen sich Rastergrafiken frei positionieren und der Grau- oder Farbton der Grafik nach Geschmack verändern. Wichtiger wäre dem Anwender sicher noch, verschiedene Bildformate in den Hintergrund zu legen. Bisher ist nur das IMG-Format vorgesehen.

Vorbildlich ist die automatische Vektorisierung der im Hintergrund liegenden Rasterbilder. Eingescannte Buchstaben lassen sich in Sekundenschnelle vektorisieren und weiterverarbeiten. Die Vektorisierung erfolgt durch »Speedline«, bekannt aus Calamus SL. Dummerweise klappt nur die Vektorisierung einfacher Objekte (z.B. Buchstaben) problemlos. Will man etwas schwierigere Vorlagen zu genau vektorisieren, kommt nur die halbe Vektorzeichnung heraus. Bleibt nur zu hoffen, daß der Kunde sich mit dem halben Logotype zufrieden gibt, ansonsten gilt es, eine Calamus Vektorgrafik zu importieren oder die Vorlage manuell zu vektorisieren.

Type Art erlaubt den Im- und Export im CVG-Format. Die Möglichkeit, vorhandene Vektorgrafiken in jeden Zeichensatz also auf jede gewünschte Taste zu legen, eröffnet fantastische Anwendungsperspektiven für DTPIer. Leider knausert der Programmierer auch hier mit Formaten. Außer CVG geht nichts, weder GEM-Metafile noch CVD, weder HPGL noch DXF. Das ist wie ein Porsche ohne Straße.

Glücklich wer programm-extern konvertieren kann. Hoffentlich ein Zustand, der schnell vorübergeht. Bei der Arbeit erweist sich Type Art schnell als das erste wirklich praxisnahe Reinzeichen-Programm. Type Art erlaubt die parallele Bearbeitung von zwei Zeichensätzen, auch von (völlig legal) geschützten Calamus-Classic-Types. Durch Mischen der beiden Zeichensätze erzeugt man individuelle Schrift-Garnituren. Logotypes lassen sich in der Hausschrift auf eine Taste legen, Sonderzeichen integrieren, Tastaturbelegungen verändern und häufig benutzte Dingbats in der Hausschrift integrieren. Hilfreich erweisen sich bei solchen Arbeiten die Buchstaben-Clipboards. Zum Löschen einzelner Zeichen steht natürlich der obligatorische Mülleimer parat.

Für die vollständige Veränderung einer Schrift stehen alle Funktionen eines modernen Vektor-Zeichenprogramms zur Verfügung. Die Vektorpfad-Bearbeitung, in den meisten Programmen quälend umständlich und ungenau, gerät in Type Art zum reinen Vergnügen. Durch zahlreiche Hilfsfunktionen erzeugen Sie mühelos saubere Rundungen und glatte Übergänge. Auf dem Farbbildschirm lassen sich Stützpunkte und Tangenten farblich auseinanderhalten, aktive Pfade ändern ihre Farbe. Monochrom sind aktive Pfade oder Objekte gestrichelt dargestellt. Fährt der Mauszeiger, den Sie übrigens auch über ein Digitalisier-Tablett bewegen dürfen, über einen Stützpunkt des Vektorpfades, ändert der zugehörige Pfad seine Farbe und ein Gong ertönt. Unterschiedliche Aktionen bewirken nicht nur optische, sondern auch akustische Reize verschiedener Tonlagen. Nicht jedermanns Sache, bei kniffligen Objekten aber gelegentlich hilfreich. Als sehr praktisch erweisen sich die in übersichtliche Gruppen zusammengefaßten Pop-Up Menüs, die unnötige Mauswege sparen und an die man sich schnell gewöhnt.

Mit den üblichen Vektor-Zeichen Funktionen gab sich der Programmierer Hasso Baudis allerdings nicht zufrieden. Der mit der Werbebranche vertraute Programmierer weiß, was das Gestalterherz wünscht. Geradezu genial ist beispielsweise die »Join«-Funktion. Wer kennt nicht die gute alte »Time 50« aus den Calamus-Gründertagen. Wie viele der frühen Designer-Schriften bastelt sich der Zeichensatz aus zusammengesetzten Buchstabenbestandteilen zusammen. Spätestens seit »Outline Art« auf den Markt kam, erwiesen sich solche Schriften als Fiasko. Völlig ungeeignet sind derlei Baukasten-Schriften für Plotter. Type Art löst das Problem per Mausklick. Die Software erzeugt völlig selbstständig eine professionell brauchbare Outline-Schrift. Fast erscheint es da als Selbstverständlichkeit, daß ein Plottertreiber im Programm integriert ist. Problemlos machen Sie mit Type Art Ihre Autobeschriftung bis zum Format DIN A0 selbst, wobei sich das Plotmaterial optimal ausnutzen läßt. Die Genauigkeit des Plotters läßt sich einstellen, die Ergebnisse genügen professionellen Ansprüchen.

Doch zurück zu den Zeichenfunktionen. Die Join-Funktion eignet sich natürlich auch für die Verschmelzung einzelner Objekte, bei veränderter Drehrichtung verwandelt sie ein Objekt in eine »Stanze« für andere Objekte. Hervorragend sind die zahlreichen Funktionen die der Programmierer in den »Objekteditor« integriert hat. Dieses geniale Werkzeug finden allerdings nur die Leser der eingangs erwähnten Readme-Datei. Da sich auf der rechten Maustaste seit dem letzten Update stets die Undo-Funktionär den letzten Arbeitsschritt befindet, ruft man den Editor nun über die <Enter>-Taste auf. In Echtzeit läßt sich hier das Objekt in Breite und Höhe verändern, horizontal und vertikal neigen, stufenlos drehen, dehnen und stauchen, proportional vergrößern oder verkleinern sowie horizontal oder vertikal spiegeln. Das alte Objekt ist während der Arbeit im Objekt-Editor gestrichelt sichtbar, hervorragend gelöst. Natürlich begnügt sich Type Art nicht mit diesen Verfremdungs-Möglichkeiten. In verschiedenen Rechnern lassen sich Objekte verzerren, auf frei definierbare Zylinder oder Kugeln projizieren, spiegeln oder trapezförmig verändern. Wem die zahlreichen Vorgaben nicht ausreichen, dem steht ein Formel parser für die Eingabe eigener Formeln zur Verfügung. Was begehrt man mehr?

Versteckt, aber bereits eingebaut, ist das Verfetten und Abmagern von Buchstaben und das Erzeugen echter Outline-Schriften. Diese im Handbuch noch nicht erwähnten Fähigkeiten erlauben es, aus einer Schrift ganze Schriftfamilien abzuleiten, damit geht für viele DTPler ein großer Wunsch in Erfüllung. Kleine Rechenfehler, wohl der Grund für das Verstecken der lang ersehnten Funktionen, lassen sich mit wenigen Mausklicks korrigieren.

Die Herstellung eines Zeichensatzes ist eine Sache, das perfekte Kerning, also der korrekte Abstand der Zeichen zueinander, eine andere. Hier liegt der Schwachpunkt der bisherigen Zeichensatz-Editoren und die große Stärke von Type Art. Eine Fülle von Vorgaben erlaubt den optimalen Buchstabenausgleich. Über einen Filter läßt sich der ganze Zeichensatz zur Bearbeitung freigeben, oder die Arbeit auf Versalien, Gemeine oder Ziffern beschränken. Der komplette Zeichensatz wird nach Vorgabe gekernt. Die Sachkenntnis des Programmierers zeigt sich in Funktionen wie Hohlraum-Erkennung, Serifen/Steigungs-Erkennung, der Wahl zwischen Treppen- und Block-Kerning und der Möglichkeit Ausnahmekerning-Pärchen zu erzeugen. Im Kerning-Kontroll-Formular läßt sich jede beliebige Zeichenkombination erzeugen, prüfen und korrigieren. Erstmals lassen sich damit Schriften auf einem Atari optimal ausgleichen und schlechte Schriften professionell korrigieren.

Mit Type Art liegt erstmals eine professionelle Schriftbearbeitungs-Software für Atari-Rechner vor, die dem altbewährten Ikarus-System das Wasser reichen könnte. Ein hervorragender Zeichensatz-Editor, aber auch ein Reinzeichnungs-Programm. Die Plotfähigkeiten erlauben den Einsatz in der Werbetechnik, allerdings lediglich bis zum Format DIN A0. Für den professionellen Einsatz, und hierfür ist Type Art prädestiniert, fehlt die Möglichkeit, Postscript-Schriften zu bearbeiten und zu erzeugen, nicht jeder Kunde arbeitet schließlich auf Atari. Glücklicherweise denkt man hierüber nach Aussage des Programmierers bereits ernsthaft nach. Eine ärgerliche, weil unnötige Einschränkung stellt die Reduzierung auf jeweils nur ein Raster- und Vektorbild-Format dar, schließlich muß der Profi auch Dateien aus Mac- und DOS-Rechnern übernehmen und Dateien für diese Systeme erzeugen. (wk)

DMC, Postfach 89. 6229 Walluf

WERTUNG

Name: Type Art 1.02
Preis: 698 Mark
Hersteller: DMC

Stärken: Bearbeitung geschützter Fonts □ Mischen zweier Zeichensätze □ zahlreiche neue Bearbeitungsfunktionen □ hervorragende Kerning-Funktionen □ Join Funktion □ unterstützt Plotter und Digitalisier-Tablett □ umfangreiche Help- und Undo-Funktionen □ großer Funktionsumfang

Schwächen: Lange Einarbeitungszeit □ zu wenige Im- und Export-Treiber □ Autotracer nur bedingt brauchbar □ keine Bearbeitung und Erzeugung von Postscript-Schriften □ wichtige Neuerungen zum Handbuch nur als Readme-Datei


Rüdiger Morgenweck
Aus: TOS 03 / 1992, Seite 36

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