Im Zeichen der Maus: Freies Zeichnen und perspektivische Gestaltung mit und ohne Computer

Bild 1. Die Kaffeetasse entsteht aus Ellipsen und Strichen

Wo ein ungeschultes Auge nur das Äußere zu erfassen vermag, da nimm« das Geschärfte ganze Welten war.

Ausgiebige Beobachtung, etwas Vorausplanung und ein wenig Training sind nötig, um mit der Maus und einem Grafikprogramm kleine Kunstwerke zu schaffen. Selbst Ungeübte sollten nach dem ersten Teil unseres Mini-Zeichenkurses schon die ersten Bilder erfolgreich auf den Monitor gezaubert haben. Rufen Sie sich das bisher Gesagte, vor allem den Teil über die Perspektive, ins Gedächtnis zurück. Erinnern Sie sich noch an die Horizontlinie mit dem aufliegenden Fluchtpunkt und die Fluchtlinien? Sie legen hiermit die Perspektive eines Bildes fest. Die einzelnen Elemente einer Grafik bedürfen einer ähnlichen Planung und Konstruierung, damit Formen und Proportionen feststehen. Sie schaffen sich so gewissermaßen ein Grundgerüst, das dem zu zeichnenden Gegenstand Halt und Form zugleich gibt.

Zunächst möchte ich einem weitverbreiteten Irrtum entgegentreten. Die Qualität einer Zeichnung ist nicht abhängig von der Menge der gezeichneten Einzelheiten und deren möglichst exakter Ausführung. Vielmehr sollen Sie ganz bewußt Unwesentliches beiseite lassen und das Charakteristische eines Motivs hervorheben. Die Kunst bei der Kunst liegt darin, geschickt auszuwählen und das Nebensächliche zu Gunsten der Hauptsache zu opfern. Sie lenken so den Blick des Betrachters auf das Wesentliche. Meister im Weglassen sind übrigens die chinesischen Tuschezeichner, deren Bilder oft nur aus wenigen Strichen bestehen.

Bild 2. Die Größe der Öffnung hängt vom Verhältnis zur Horizontlinie ab.

Doch nun zur Praxis. Nehmen Sie als Modell das unvermeidliche Utensil eines jeden Computerfreaks, die Kaffeetasse. Versuchen Sie einmal, das passende Grundgerüst zu zeichnen. Beginnen Sie mit der vertikalen und horizontalen Achse. Benutzen Sie hier die Linienfunktion Ihres Grafikprogramms. Die Tassenöffnung besteht aus einer EllipseO), der Tassenboden entspricht der gleichen Ellipse, wobei die X-Achse gleich der oberen und die Y-Achse etwas verlängert ist. Sie schauen gewissermaßen von oben auf die Tasse (vgl. Bild 1). Das Entfernen der Hilfslinien dürfte kein Problem für Sie sein, schauen Sie dazu eventuell noch einmal in den vergangenen Kursteil. Die eigentlich runde Öffnung der Kaffeetasse müssen Sie aus Gründen der Perspektive als Ellipse darstellen. Je weiter sich diese Öffnung der Augenhöhe des Betrachters (Horizontlinie) nähert, desto schmaler ist der Querdurchmesser. Direkt auf Augenhöhe ist die Öffnung nur noch als waagerechte Linie zu erkennen, der Betrachter blickt frontal auf die Tasse. Bild 2 verdeutlicht dieses nochmals.

Eine weitere hilfreiche Methode zum Zeichnen von Gegenständen ist das Abmessen. Mit Hilfe eines Lineals, Bleistifts oder ähnlichem versuchen Sie, die Größenverhältnisse Ihres Motives abzuschätzen. Stellen Sie sich eine senkrechtstehende Glasscheibe vor Ihrem Motiv vor. An dieser imaginären Scheibe legen Sie vertikal und horizontal Ihr Lineal an. So lassen sich die Breite und Höhe des Gegenstandes vermessen. Sie erfassen die Proportionen einzelner Teile, so daß diese beim Zeichnen im richtigen Größenverhältnis zueinander stehen. Ihre Kaffeetasse ist also z.B. eine Bleistiftlänge hoch und ca. eine halbe breit. Der Abstand vom hinteren Tassenrand zum vorderen beträgt ein viertel Bleistift, die maximale Breite des Henkels gerade ebensoviel, usw.

Wichtig ist dabei, daß Sie Ihren Maßstab immer absolut waagerecht und senkrecht halten und nicht etwa schräg in den Raum hinein. Die ermittelten Maße zeichnen Sie als Rechtecke ein. Zuvor legen Sie einen Rahmen an, der die äußeren Begrenzungen Ihres Motives festlegt. Zusätzlich müssen Sie das Grundgerüst aus einer horizontalen und vertikalen Linie festlegen, damit Sie nicht auf die schiefe Bahn geraten. Wie in einem Puzzel fügen Sie Rechteck um Rechteck aneinander und ergänzen mit weiteren Hilfslinien. Die Rundungen legen Sie mit Hilfe der Kreis- und Ellipsenfunktionen an. Vergleichen Sie Ihr Zeichengerüst immer wieder mit dem Original und ändern Sie es solange ab, bis die Formen gut festgehalten sind (vgl. Bild 3a).

Mut zum Freihandzeichnen

Im nächsten Schritt wechseln Sie die Stiftart und gehen in den Freihandmodus. Sie zeichnen nun innerhalb dieses Gerüstes das Motiv fertig aus (vgl. Bild 3b). Auch hier müssen Sie immer wieder mit dem Original vergleichen, beobachten und abmessen. Gehen Sie nicht zu zögerlich zu Werke. Gerade das Freihandzeichnen mit der Maus verlangt schwunghafte Bewegungen. Natürlich können Sie auch andere Zeichenfunktionen ihres Programms einsetzten. Sie sollten allerdings darauf achten, daß die Bild dann nicht zu schematisch wirkt.

Nutzen Sie beim Übertragen der Proportionen auch die Bemaßungsfunktionen Ihrer Grafikanwendung. Eine gute Hilfe ist der Einsatz des Fadenkreuzes, das viele Zeichenprogramme wahlweise zur Verfügung stellen. Somit dürfte es Ihnen nicht schwer fallen, die Formen und Maße Ihres Motives auf die Zeichenfläche zu übertragen. Sie sollten sich gerade im Anfang nicht scheuen, wirklich erst das Grundgerüst und dann den Umriß zu zeichnen. Ihre Zeichnung entwickelt sich allmählich von innen heraus. Behalten Sie dabei das Motiv in seiner Gesamtheit im Auge. Bitte versuchen Sie nicht, immer nur ein Teilstück des Ganzen zu zeichnen und dann das Nächste anzustückeln. Alle Teile müssen in einem Bezug zueinander stehen, so behalten Sie die Proportionen im Griff.

Richtig professionell gestalten Sie Ihre Zeichnungen, wenn Sie Ihr Augenmerk auch auf die Bildkomposition richten. Überlegen Sie schon beim Anordnen der einzelnen Bildelemente, wo das Hauptaugenmerk liegen soll. Dieser Teil bildet den Mittelpunkt der Komposition, die restlichen Elemente gruppieren Sie so um den Mittelpunkt, daß die ungefähre Form eines Dreiecks entsteht. Die Spitze des Dreiecks befindet sich im oberen Drittels des Bildes. Allerdings liegt dieser Zentralpunkt nicht genau in der Mitte der Zeichenfläche, sondern etwas seitlich nach links oder rechts versetzt. Weiterführende Literatur zum Thema Zeichnen und Grafik finden Sie nicht nur für Atari-Computer. Auch Apple- und DOS-Bücher vermitteln im Bereich Grafik Grundlagen, die für alle Bereiche gelten. Wer sich darüber hinaus auch für das Zeichnen ohne Computer interessiert, der sollte einmal in die folgenden Bücher schauen. Hier erhalten Sie leicht verständliches Grundwissen. Die Übungen sind sehr gut nachvollziehbar und vor allem auch für das Zeichnen am Monitor anwendbar. (wk)

Bild 3. Aus Rechtecken entsteht nach und nach das fertige Motiv

Bücher zum Thema Zeichen

Bruce Robertson, Intensivkurs Zeichnen in 500 Übungen, Augustus Verlag, ca. 25 Mark • Karl Chr. Heusser, Freihändig Zeichnen und Skizzieren, Augustus Verlag, ca. 40 Mark • Wendon Blake, Grundkurs Zeichnen, Ravensburger Verlag


Andreas Wischerhoff
Aus: TOS 05 / 1992, Seite 74

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