Eisiger Wind: Interview mit Digital DeskTop

Matthias Bähr (links) ist einer der vier DDT-Geschäftsführer, Andreas Pirner (rechts) leitet den DDT-Vertrieb

Zentralisation, Vertriebskrise, Händlersterben: keine rosigen Zeiten in der Computerbranche. Die Strukturkrise macht auch vor den Atari-Händlern nicht halt. Neue Vertriebskonzepte sind gefragt, die langfristig die Existenz lokaler Händler sichern. »Digital Desktop«, ein Verbund von derzeit sieben lokalen Atari-Anbietern, besinnt sich auf die Tradition der Einkaufsgenossenschaft. Auch im Marketing und Vertrieb ist bei DDT gemeinsames Handeln angesagt. TOS sprach mit DDT-Initiator Matthias Bähr.

TOS: Was ist DDT und wie kam es dazu?

Bähr: DDT ist ein Verbund von sieben gleichberechtigten Computerhändlern, die innerhalb einer Non-Profit-Struktur seit einem Jahr Zusammenarbeiten. Am Anfang stand die Idee, daß man in der Masse stärker ist. Das macht sich erstmal beim Einkauf bemerkbar, denn als Händlergemeinschaft bekommen wir bessere Konditionen bei den Herstellern. Im Computerbereich ist der klassische Gedanke der Einkaufsgenossenschaft bislang ziemlich unterentwickelt. Außerdem hatten wir als lokale Händler vor, professionell, vierfarbig und auffällig in Zeischriften zu werben, ohne daran finanziell kaputt zu gehen. Die Kosten werden nun zu gleichen Teilen auf die Mitglieder von DDT verteilt. Messe-Stände und Marketing lassen sich in einer Gemeinschaft auch besser organisieren. Angesichts der akuten Zentralisation im Computerhandel hat der kleine Einzelkämpfer heute sonst kaum Überlebenschancen. Mittlerweile kommen auch Entwickler auf uns zu, denn DDT stellt einen Marketing-und Vertriebs-Kanal bereit.

TOS: Schließen sich Atari-Händler zu Genossenschaften zusammen, weil sie es heute schwerer haben als andere Händler?

Bähr: Nein, DDT ist kein Atarispezifisches Konzept. Wir möchten systemübergreifend sein und unterstützen ein breites Anwendungsspektrum. Dabei stehen Office Automation und gemischte Netzwerke im Mittelpunkt. Atari-, Apple- und MS-DOS-Systeme sind bei uns gleichberechtigt. Jeder DDT-Händler sollte diese Systeme vertreiben, egal welchen Schwerpunkt er dabei setzt. Willkommen sind deshalb auch Apple-Händler, die Atari in ihr Programm nehmen wollen.

TOS: Was bringt eine Genossenschaft den Kunden?

Bähr: Zunächst: mehr Know-how. Jeder Händler ist Spezialist für ein bestimmtes Thema. Vom Erfahrungsaustausch unter den DDT-Mitgliedern profitieren die Kunden. Wir streben einen Mitarbeiter-Austausch an, der den Wissens-Transfer gewährleistet. Vom günstigen DDT-Einkauf profitieren die Kunden durch Sonderangebote. Die Preisvorteile erreichen den Käufer, ohne daß es dem Händler an die Substanz geht. Zu geringe Margen gefährden die Existenz eines Händlers und am Ende steht der Kunde allein da. Schließlich erlaubt uns DDT neue Service-Leistungen wie die Vier-Jahres-Garantie. Ein loser Händler-Verbund würde so etwas organisatorisch nicht auf die Reihe kriegen. DDT soll sich flächendeckend entwickeln, um bundesweit das gleiche Niveau zu bieten. Unsere Zielsetzung sind 20 bis 30 Händler bis Ende 92.

TOS: Atari dürfte über ihre Initiative sehr glücklich sein. Kommt Ihnen Atari in irgendeiner Form entgegen?

Bähr: Ein Händlerverbund birgt für einen Hersteller immer die Gefahr, abhängig zu werden. Kein DDT-Händler hat aber Interesse daran, Atari zu schwächen, denn wir brauchen eine starke Firma Atari. Wir werden uns deshalb mit Atari zusammensetzen, um Vorbehalte aus dem Weg zu räumen. Schließlich ist die ganze Situation derzeit so kritisch, daß sich niemand den Luxus erlauben sollte, sich im Sandkasten zu fühlen und mit Förmchen zu schmeißen.

TOS: Woher kommen neue DDT-Mitglieder?

Bähr: Nicht jeder Händler ist in der Lage, bei DDT mitzumachen. Es kann an der Größe, an der Leistung oder der Zielsetzung scheitern. Einen Cash & Carry-Laden können wir im DDT einfach nicht gebrauchen. Wir suchen potente Händler, von denen es in der Atari-Szene leider nicht mehr viele gibt. Im norddeutschen und süddeutschen Raum sieht es besonders schlecht aus. München ist ein weißer Fleck. Ein Münchner muß seinen Atari per Versand kaufen. Wir werden dort etwas tun.

TOS: Sie sind aber auch im Cash & Carry-Bereich aktiv.

Bähr: Ja, DDT-Mitglieder und weitere Firmen haben den Versandhandel Axept gegründet. Der Genossenschafts-Gedanke spielte auch hier eine Rolle. Im Gegensatz zu DDT entfallen bei Axept aber kostenintensive Faktoren wie Beratung und Support. Allein unser Geschäft in Berlin hat heute 25 Mitarbeiter. Mit so einem intensiven Service können wir einen ST nicht für'n Appel und ein Ei verkaufen. Axept schließt die Lücke nach unten, denn es gibt eine Kundengruppe, die weder Service noch Beratung will. Wir werden in ein paar Großstädten Axept-Shops gründen, die als reiner Abholmarkt arbeiten.

TOS: Gibt es eine Verbindung zwischen Axept und DDT?

Bähr: Eigentlich nur über die beteiligten Personen. Axept ist kein Mitglied von DDT.

TOS: Welche Erwartungen haben Sie als Atari-Händler an die nähere Zukunft? Wird das Geschäft auf kleinerer Flamme kochen?

Bähr: Hoffentlich nicht. Auch wenn ich in erster Linie Kaufmann bin: Apple-Computer finde ich heute professioneller als einen Atari. Viele Dinge, zum Beispiel das Betriebssystem, sind bei Apple besser gelöst. Da kann Atari noch eine Menge lernen. Trotz vieler Unkenrufe gibt es aber immer noch deutliche Preisunterschiede. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis ist der Atari bisher ungeschlagen. Seitdem wir Apple im Programm haben, fällt es uns leichter, unseren Kunden die individuellen Vor- und Nachteile zu demonstrieren. Systemübergreifend bieten wir den direkten Vergleich zwischen verschiedenen Lösungen. Und plötzlich merken wir: Der Atari läßt sich viel besser verkaufen, wenn ein Apple danebensteht. Wenn die Apple-Händler alle Atari im Programm hätten, würde Apple sein blaues Wunder erleben. Andererseits habe ich ein bißchen Angst, was Atari angeht. Die Probleme fingen an, als Atari aus den Kaufhäusern rausgeflogen ist: Ein Computer, der im Kaufhaus steht, landet auch im Fachhandel. Doch den Kaufhaus-Markt hat man kampflos Commodore überlassen. Erst wenn Atari wieder in die Kaufhäuser zurückkehrt, werden sie ein Comeback im Fachhandel haben. Aber auch so wird das Atari-Geschäft nur überleben, wenn der Falcon noch dieses Jahr kommt. Mit Mega STs und TTs kann ich mich nicht mehr über's Weihnachtsgeschäft retten. Der ST Book kam ein Jahr nach seiner Vorstellung auf den Markt. Was er an Innovation hatte, ist mittlerweile verpufft. Wenn uns dasselbe mit dem Falcon passiert, dann gute Nacht Marie. (ah)



Aus: TOS 09 / 1992, Seite 50

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