Ein Vektor kommt selten allein, Teil 2: Objektorientiert zeichnen

Vektorgrafiken vereinen mathematische Formeln und künstlerische Kreativität zu individuellen Bildern. Allerdings erfordert der Umgang mit den entsprechenden Programmen etwas Übung und eine andere Arbeitsweise als das gewöhnliche Pixelsetzen.

Der vergangene Kursteil hat Sie ja schon mit den grundlegenden Unterschieden von Pixel- und Vektorgrafiken vertraut gemacht. Der Vollständigkeit halber sei es nur noch einmal erwähnt: Vektorzeichnungen bestehen im Gegensatz zu Pixelgrafiken nicht aus einzelnen Bildpunkten, sondern aus Objekten, die einzeln oder als Gruppe eine Grafik bilden. So ein Objekt wiederum ist nichts weiter als eine Art Bildbeschreibung, die jederzeit eine willkürliche Änderung von Größe und Aussehen erlaubt, ohne dabei störende Treppeneffekte und Pixelanhäufungen zu produzieren. Zudem lassen sich alle Objekte auch im Nachhinein verschieben, drehen, kopieren etc. Entsprechen Pixelbilder der mehr oder weniger naturgetreuen Umsetzung von Pinsel- und Tuschezeichnungen, so erinnern Vektorzeichnungen eher an Collagen oder Air-Brush-Arbeiten.

Bild 1. Mit der Bézierlinien-Funktion verbiegen Sie die dicksten Balken

Die folgenden Beispiele entstanden mit dem Vektorteil von »MegaPaint II Professional«, sind aber mit jedem anderen Vektorprogramm ebensogut nachvollziehbar. Jedes Objekt ist über Zugboxen am Objektrahmen in seiner Größe skalierbar. Daneben stapeln Sie jedes einzelne Objekt, wie auf Folie gezeichnet, übereinander. Die Reihenfolge im Stapel und der Zeichenmodus, also das Durchscheinen oder Verdecken einer Figur, legen Sie ebenfalls über einzelne Menüpunkte fest.

Nun haben Sie bestimmt bemerkt, daß mit den einfachen Zeichenbefehlen schnell das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Für viele unregelmäßige Formen stehen einfach keine geeigneten Flächenfunktionen bereit. Dem angehenden Vektorzeichner stehen für solche Fälle die »Bézierlinien« zur Seite. Diese Linien lassen sich wie ein Gummiband in jede gewünschte Richtung ziehen und drehen. Dank dieser Flexibilität sind selbst komplizierte Objekte mit schwierigen Rundungen kein Problem mehr.

Nun ist die Anwendung von Bézier-Kurven nicht ganz ohne, deshalb belassen wir es hier zunächst bei einfachen Fingerübungen. Wählen Sie einmal im Menü »Spezial« den Punkt »Bézier-Kurven« an. Ein Klick mit der linken Maustaste legt den Startpunkt der Kurve, den Mathematikern auch als »Kubistische Spline« bekannt, fest. Ziehen Sie eine kurze horizontale Linie und betätigen Sie nochmals die Maustaste. Der erste Angelpunkt (Zugpunkt) für die Kurvenberechnung ist gesetzt. In Höhe dieses Zugpunktes erfolgt die Krümmung der Kurve, die Wölbung liegt dabei immer in Richtung dieses Punktes. Wenn Sie jetzt den Linienzug senkrecht nach unten fortsetzen und mit einem weiteren Mausklick beenden, so haben Sie schon den zweiten Angelpunkt gesetzt und Sie sehen den ersten, vorerst noch provisorischen, Teil Ihrer Bézierlinie. Die waagrechte und senkrechte Hilfslinie bilden dabei Tangenten, die genau durch den Anfangs-bzw. Endpunkt der Kurve laufen. Auf schmerzlose Weise sehen Sie hier die mathematische Grundlage der Bézierkurven-Berechnung. Das eigentliche Ende naht, wenn Sie den Linienzug nochmals waagrecht zur ersten Linie festlegen, so daß ein zur Seite offenes Rechteck entsteht. Der ehemalige Kreisbogen bildet nun einen Ellipsenbogen. Und auch hier zieht sich wieder die (Hilfs-)Tangente durch den Endpunkt der Kurve.

Bild 2. Objekte klar Umrissen die Outlines

An Kontur gewinnen

Nach dem letzten Mausklick haben Sie die Wahl, die Bézierlinie in Ihr Bild zu übernehmen oder die Hilfspunkte 1 bis 4 neu zu plazieren. Von der letzteren Möglichkeit sollten Sie jetzt ausgiebig Gebrauch machen, denn so prägt sich die Handhabung am leichtesten ein. Bild 1 zeigt noch einmal den Werdegang einer Bézierlinie. Die zweite Bézierkurven-Funktion verbirgt sich bei MegaPaint hinter dem Befehl »Outline«. Der gravierende Unterschied zu der vorhergehenden Funktion besteht darin, daß automatisch ein geschlossenes Objekt entsteht, dessen Außenlinie unregelmäßig geformt ist. Klicken Sie einmal »Outline« im Menü »Spezial« an. Mit dem ersten Mausklick setzen Sie wiederum den Anfangspunkt des zukünftigen Umrisses. In dem darauffolgenden Fenster haben Sie einmal mehr die Wahl. »Linienzug« erklärt sich nahezu selbsttätig, bedenken Sie nur, daß Sie hiermit eine linienhafte, geschlossene Kontur erzeugen. Wir kommen später noch einmal darauf zurück. Der zweite Button hat es in sich. Nach dessen Betätigung sehen Sie wieder eine Hilfslinie bzw. -tangente, die durch den Anfangspunkt verläuft. Genaugenommen erfolgt an dieser Stelle eine Spiegelung des Punktes unterhalb des Fadenkreuzes. In dem Spiegelpunkt liegt auch gleichzeitig der erste Zugpunkt für die Krümmung der Bézierlinie, den Sie durch einen Klick links festlegen. Ein weiterer Mausklick bestimmt Richtung und Steigung der Kurve. Probieren Sie einfach mal mit der Funktion herum. Nach anfänglichem Chaos haben Sie schnell den sprichwörtlichen Bogen raus.

Als grobe Regel gilt, der erste Klick legt den Endpunkt fest, der zweite die Krümmung. Und da die Kurven flüssig ineinander übergehen sollen, ist der Endpunkt der ersten Kurve immer gleich dem Startpunkt der nächsten Kurve usw. Die erste Krümmung berechnet sich aus der vorhergehenden Kurve, die zweite legen Sie höchstpersönlich mit dem (gespiegelten) Zugpunkt fest. Das Ausmaß oder besser die Steigung des Bogens bestimmen Sie über die Länge der Tangente. Betreiben Sie das Spielchen solange, bis der Umriß Ihren Wünschen entspricht. Die fehlende Strecke zwischen dem allerersten Startpunkt und dem augenblicklichen Ende ergänzt das Programm automatisch durch eine gerade Linie, solange, bis Sie die Punkte vereinigen. Im Bild 2 sehen Sie den Anfang einer Outline mit den jeweiligen Hilfstangenten. Natürlich sind solche Objekte auch im Nachhinein über »Outline-Editieren« veränderbar. Probieren Sie diesen Befehl ebenfalls großzügig aus.

Zum Schluß des heutigen Teils noch ein komplettes Kunstwerk, das sich im Mega Paint-Format auf der TOS-Diskette befindet. Bild 3 zeigt den Autor nach drei Wochen Urlaub auf Ibiza. Die Sonnenbrille besteht aus einem Bézier-Outline. Aus Bequemlichkeitsgründen ist das linke Glas seitenverkehrt kopiert und anschließend skaliert. Mit »Outline-Vereinigen« fügen Sie das Gebilde zu einem Objekt. Danach mit »Ellipse« den Charakterkopf entwerfen. Die Haarpracht entwickeln Sie mit dem »Outline-Linienzug«. Den Mund bildet die Funktion »Ellipsentorus«. Alle Objekte setzten Sie mit »Objekt selekt./Objekt bewegen« nach und nach zusammen und färben sie entsprechend über »Objekt Info« ein. Den Werdegang der Grafik können Sie auch mit Hilfe der Grafiken »Gesicht 1 und 2« nachvollziehen, die ebenfalls auf der TOS-Diskette zu finden sind. Experimentieren Sie einfach mit den einzelnen Objekten. Ein Tip zum Schluß: Das Selektieren einzelner Objekte geschieht am leichtesten mitTAB. Sie sehen einen Vorselektierungsrahmen, den Sie durch wiederholtes Drücken von TAB der Reihe nach um jedes Objekt legen. Ein Druck auf ESC selektiert dann endgültig, (wk)

Bild 3. Verschiedene Objekte hinterlassen ein klares Bild

Andreas Wischerhoff
Aus: TOS 10 / 1992, Seite 56

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