Wie kommt der Hit in den Rechner? Arrangierkurs für MIDI-Musikanten, Teil 1

So sieht Black&White im Sequenzer aus

Irgendwann einmal hat jeder MIDIaner genug mit der Begleitautomatik seines Keyboards herumgespielt. Selbst ist der Mann heißt dann die Devise, doch scheitert so mancher Hobbykomponist in spe daran, seine musikalischen Einfälle in klingende Szene zu setzen.

Im ersten Teil unseres Kurses möchten wir Sie daher zunächst mit ein paar wichtigen Grundregeln vertraut machen. Derart gerüstet, wagen wir uns dann in den nächsten Ausgaben an das Arrangement eines bekannten Hits. Doch auch in diesem Teil kommt die Praxis nicht zu kurz: Anhand eines kurzen Standard-MIDI-Files werfen wir einen ersten Blick hinter die Kulissen eines aktuellen Pop-Arrangements.

Um an unserem Kurs teilzunehmen, benötigen Sie übrigens kein besonders aufwendiges oder gar teures Equipment, ein einfacher MIDI-Klangerzeuger - notfalls auch ohne Tastatur - und ein kleiner MIDI-Sequenzer reichen hier völlig aus. Ihre Soundquelle sollte allerdings wenigstens über sechsfachen MIDI-Multimode und sechzehnstimmige Polyphonie verfügen. Steht Ihnen nur weniger »Leistung« zur Verfügung, besteht die Gefahr, daß sich unser Song nicht bis zum letzten i-Tüpfelchen nachvollziehen läßt. Richtig luxuriöses Arrangieren erlauben Expander oder Keyboards der »GM« (General MIDI)-Klasse (z.B. Roland Sound Canvas oder Korg 03W/R), die bei sechzehnfachem Multimode 24stimmig spielbar sind.

Im übrigen hängt aber die musikalische Qualität eines Arrangements in nur geringem Maße von der Qualität des oder der verwendeten Klangerzeuger ab. Ein guter Arrangeur wird selbst aus einem 300-Mark-Billigstkeyboard beeindruckendere Songs zaubern als ein ungeschickter Instrumentator aus dem 10000-Mark-Nobelsampler. Oft wird bei der Arbeit mit »einfacherem« Equipment aus der Not gar eine Tugend, wenn nämlich bei der Überwindung »baulich« bedingter Schwachpunkte (z.B. knappe Stimmzahl, kleine Auswahl an Sounds) plötzlich originelle Problemlösungen hervorgehen, die sonst niemals ihre »kreative Dunkelkammer« verlassen hätten. Weniger ist eben oft mehr!

Bevor Sie mit der Aufnahme eines neuen Songs beginnen, sollten Sie sich über folgende Punkte wenigstens grob Klarheit verschaffen:

  1. In welchem Musikstil (ungefähr) möchte ich das Arrangement ein-spielen?

  2. Welche Instrumente benötige ich für die »Basic Tracks« (Fachausdruck für das harmonisch-rhythmische Grundgerüst)?

Versuchen Sie bereits so früh wie möglich, eine recht genaue Klangvorstellung vom angestrebten Endergebnis zu entwickeln. Sie verhindern damit, daß Sie sich im Eifer des Gefechts in eine Sackgasse hineinarrangieren, aus der dann lediglich der Griff zum »Power Off« Schalter Ihres Ataris führt. Wenn man nämlich erst nach einem halben Tag Arbeit an einer schmusigen Pop-Ballade merkt, daß das wummerige Hard-Rock-Schlagzeug und der knackige Funk-Baß nicht so recht zum sanften Saxophon-Thema passen wollen, ist bereits Hopfen und Malz verloren. Es lohnt sich also, seine Ideen, ähnlich der Gliederung bei schriftlichen Arbeiten, ein wenig vorzustrukturieren.

Eine gute Möglichkeit, seine Klangvorstellung zu trainieren, besteht im »Durchhören« von Aufnahmen professioneller Kollegen. Versuchen Sie dabei herauszufinden, welche Instrumente die Produzenten dabei hauptsächlich verwendeten, und wie sich aus deren Zusammenspiel der typische Sound des Stückes ergibt. Sie stellen dabei vermutlich fest, daß die meisten Songs viel sparsamere Arrangements aufweisen, als Sie eigentlich erwartet hätten. Scheuen Sie sich auch nicht vor dem Versuch, einfach mal Ihre Lieblings-Band per MI DI zu kopieren - auch Richard Wagner hat mehrere Male die Partitur Beethovens 9. Symphonie abgeschrieben, um dem Meister auf die Schliche zu kommen. Wenn das Endprodukt dann auch nicht so klingen mag, wie Sie es sich vorgestellt haben, macht das nichts. Gelernt haben Sie daran in jedem Fall.

Gutes Übungsmaterial bieten auch die zahllosen fertig arrangierten MIDI-Files diverser Anbieter, zumal Sie hier auch noch direkt ins Geschehen eingreifen dürfen.

Auf der TOS-Disk finden Sie in dieser Ausgabe im Archiv »Black& White« ein kurzes Stück im bekannten MIDI-Standard-File-For-mat. Bei diesem Arrangement handelt es sich um eine sehr gut »herausgehörte« Adaption (Intro + eine Strophe und Refrain) des Michael Jackson Hits »Black or White« seiner aktuellen CD »Dangerous«. Laden Sie diesen Song jetzt in Ihren Sequenzer und wählen Sie entsprechend den Tracknamen für jede Spur ein passendes Instrument aus. Die Tracks »Guitar 1« und »Guitar 2« dürfen Sie dabei auf einen gemeinsamen MIDI-Kanal legen, da die zweite Gitarre lediglich die erste »doppelt«, d.h. zur Klangverstärkung noch einmal dasselbe spielt. Die dritte Gitarre sollten Sie, wenn irgend möglich, mit einem anderen (akustischen) Gitarrensound versehen, Sie kommen dann dem Original besonders nah.

Ebenfalls nur einen einzigen MIDI-Kanal benötigen Sie für die beiden Spuren »Drums« und »Percussion«. Die korrekte Wiedergabe des Rhythmus-Arrangements setzt allerdings eine Organisation der Drum-Sounds nach dem »Ro-Iand«-Standard voraus. Die mit »LeadVox« bezeichnete »Gesangsspur« belegen Sie am besten mit einem kraftvollen Solo-Synthesizer-Sound.

Michael Jackson auf der Spur

Alles klar? Dann schalten Sie doch, bevor Sie sich das Arrangement das erste Mal komplett an hören, vorläufig die Gesangsspur stumm. Wir nehmen Sie später mit hinzu. Achten Sie nun besonders auf die äußerst sparsame Instrumentierung. Das »Backing« wird nämlich prinzipiell nur durch Schlagzeug, Baß und Gitarre getragen.

Alle Komponenten sind dabei nicht etwa wie die verschiedenen Schichten einer Lasagne »aufeinandergepappt«, sondern greifen ähnlich wie die Zahnräder eines Uhrwerks ineinander.

In erster Linie für den »Groove« verantwortlich zeichnen natürlich Schlagzeug und Baß. Hören Sie sich diese Spuren einmal gesondert an, und richten Sie Ihr spezielles Ohrenmerk auf den wiederum sehr sparsam verwendeten Synthesizerbaß, der vor allen Dingen durch seine typische Spielweise mit geschickt eingesetztem Pitch-Bending viel an Lebendigkeit gewinnt.

Das I-Tüpfelchen des Drum-Arrangements bildet die Percussion-Spur (Shaker, Cowbell und Handclaps), die erst für den richtigen »Drive« nach vorne sorgt. Dieser Effekt wird besonders deutlich, wenn Sie z.B. von Takt 13 bis 17 nur die Baß- und Drum-Spur »im Kreis« (Cycle-Mode) laufen lassen und dann nach einiger Zeit die Percussion hinzuschalten.

Merken Sie, wie das Stück plötzlich »zu leben« anfängt, und das, obwohl das komplette Backing »hart auf Sechzehntel« quantisiert wurde? Des Rätsels Lösung: Nicht etwa die recht oft gerühmte »menschliche« Abweichung von der exakten Zählzeit, sondern die feinen dynamischen Abstufungen und Akzentuierungen innerhalb der Rhythmusgruppe verleihen diesem Arrangement die rechte Würze.

Wer eine Aufnahme des Michael Jackson Originals besitzt, sollte diese jetzt einmal zum Vergleich heranziehen - und sich dann hoffentlich wundern, daß das Backing in seinem Computer zu 99% identisch mit dem des berühmten »Jacko« ist. Einzig erwähnenswerter Unterschied: bei den Gitarren 1 und 2 handelt es sich im Original um eine verzerrte E-Gitarre, deren Klang sich mit normalem MIDI-Equipment nur unzureichend reproduzieren läßt. Aber ansonsten, glauben Sie mir, wird auf der CD nicht ein Ton mehr produziert als gerade auf Ihrem Computer!

Halt, einen wichtigen Punkt haben wir natürlich noch vergessen: die ebenfalls auf Sechzehntel quantisierte Gesangsspur klingt natürlich im Vergleich mit Michael Jacksons exaltiertem und variationsreichem Gesangsstil mehr als lahm und raubt daher dem Arrangement wieder viel von seinem Groove. Was man dagegen tun kann? Das verraten wir in den nächsten Kursteilen. Versuchen Sie doch aber mal, diese Spur selbst ohne Quantisierung einzuspielen... (wk)


Kai Schwirzke
Aus: TOS 12 / 1992, Seite 53

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