Wie kommt der Hit in den Rechner? Arrangierkurs für MIDI-Musikanten,Teil 3

Haben Sie Ihr MIDI-Equipment verkabelt, den Computer angeschaltet und Ihren Sequenzer geladen? Prima, dann sind Sie ja bestens gerüstet, um im dritten Teil unseres Arrangierkurses die restlichen Spuren der »I can’t stand the rain«-Strophen aufzunehmen. Frisch ans Werk!

Bild 1. Die Blues-Tonleiter (unten) im Vergleich zur normalen C-Dur-Tonleiter. Die Blue-Notes sind durch Sternchen markiert.

Erinnern Sie sich noch an die kleine Hausaufgabe vom letzten Kursteil? Sie sollten dabei die Unterschiede zwischen dem Arrangement auf der TOS-Diskette und unserer Kurs-Version aufspüren. Eine einfache Übung, oder? Wie die meisten von Ihnen sicherlich richtig erkannt haben, liegt die Antwort in der Baß- und Schlagzeugspur verborgen. Der Baß variiert nämlich gelegentlich etwas seine Basisfigur und leitet durch eine kleine, rhythmisch-melodische Verzierung am Ende der acht Takte den nächsten Song-Abschnitt ein. Der »Schlagzeuger« hält sich zwar strikt an unser »Bumm-Zack Bumm-Bumm-Zack«-Schema, sorgt aber durch kleine »Fill-Ins« auf der Snare-Drum in Takt 10 und 13 für ein wenig rhythmische Abwechslung.

Abwechslung in unser bislang noch etwas karges Schlagzeug-Baß-Piano-Gerüst -Sie sollten spätestens jetzt das Arrangement vom letzten Mal geladen haben - bringt auch die Gitarrenspur, die wir als nächstes der Begleitung hinzufügen wollen. Gitarrenparts per MIDI-Klangerzeuger einzuspielen, erweist sich allerdings häufig als ein nicht ganz unproblematisches Unterfangen. Zum einen existieren nämlich gerade für die Gitarre eine Unzahl verschiedenster Spieltechniken, die zum anderen in hohem Maß von der Art des verwendeten Instruments abhängen. So eignet sich z.B. eine mit Nylonsaiten bespannte Gitarre nur sehr bedingt zum mit einem Plektrum gespielten Rhythmusgeber. Im Gegensatz dazu klingt ein typischer Rhythmusgitarrensound außerordentlich befremdlich, wenn er für das in Folk-Kreisen sehr beliebte »Finger-Picking« herangezogen wird. Erschwerend kommt für uns MIDIaner natürlich noch hinzu, daß uns bei den vorhandenen Gitarren-Samples sowohl das Instrument als auch die Spieltechnik unwiderruflich vorgegeben sind. Wenn uns also zwar der Sound aber nicht die Spieltechnik gefällt, sind Hopfen und Malz verloren. Natürlich besteht die Abhängigkeit »Instrument + Spieltechnik = Sound« auch bei jeder anderen Instrumentengattung, nur trägt sie bei der Gitarre in besonders krasser Weise zur Authentizität bei. Selbst ein in musischen Fragen unbedarfter Laie wird mit 100%iger Sicherheit eine per MIDI eingespielte von einer »echten« Gitarre auf Anhieb unterscheiden.

Bild 2. Die Melodie des Songs spielen Sie am besten »live« in Ihren Sequenzer ein

Ein weiteres Problem der »Gitarre im Computer« resultiert aus der Stimmung der sechs Saiten, durch die sich zwangsweise ein festgelegtes »Voicing« (unter Voicing versteht man, einfach ausgedrückt, die Reihenfolge der Töne eines Akkords, z.B.: Quinte unten, Grundton in der Mitte und Terz oben) für viele Akkorde ergibt. Dieses Voicing unterscheidet sich oft erheblich von der Griffweise eines Keyboarders. Will man nun eine besonders authentische Gitarrenaufnahme einspielen, informiert man sich also am besten bei einem Gitarristen (oder in einer sogenannten »Grifftabelle«), wie dieser die Akkorde greifen würde. Keine Angst, soviel Aufwand betreiben wir aber nicht und wählen für unseren Gitarristen ein ganz gewöhnliches Keyboard-Voicing. Wie bereits im letzten Teil, zeigen wir Ihnen die einzelnen Instrumental-Parts sowohl als Key-Editor-Darstellung als auch in konventioneller Notenschrift. Ob Sie die Pattern in Real-Time oder Step-by-Step eingeben, hängt dabei ganz allein von Ihren Tastenkünsten ab. Da sich das Gitarren-Pattern lediglich über vier Takte erstreckt, vergessen Sie bitte nicht, es durch einmaliges Kopieren auf die benötigten acht Takte zu bringen. Wählen Sie dann für diese Spur möglichst einen E-Gitarren-Sound (z.B. »Single Coil«) und keine Akustik-Variante. Auch sollten Sie keine »muted« (gedämpfte) Gitarre verwenden, da sich dieser Typus nicht zur Wiedergabe von Harmonien eignet.

Bild 3. Das Bläser-Motiv: einfacher geht's nicht!

Mit einem kleinen Tip wollen wir dann unsere, zugegebenermaßen recht umfängliche, Gitarren-Sektion beenden: Sollten Sie langsam in Stimmennot geraten oder aber befürchten, daß Ihrem Klangerzeuger spätestens bei der Melodie die Puste ausgeht, sparen Sie durch Löschen der mittleren Gitarrenstimme (auf unserem Bildschirmfoto schwarz markiert) eine Stimme. Da bereits das Piano die vollständigen Harmonien spielt, fällt diese Reduktion nicht stark ins Gewicht.

Um noch eine weitere Klangfarbe zur Gestaltung der ersten beiden Strophen zur Verfügung zu haben, nehmen wir als nächstes die Orgelspur hinzu. Da wir mit Piano und Gitarre bereits zwei »durchlaufende« Harmonie-Instrumente beschäftigen, beschränkt sich unser Organist auf kleine Blues-Phrasierungen. Auf unserem Bildschirmfoto sehen Sie die »einfache« Ausführung der Orgelspur, wie sie sich leicht auch ohne große pianistische Fähigkeiten einspielen oder problemlos in einem Editor eingeben läßt. Das klingt eigentlich schon ganz nett, doch steigert sich der »bluesige« Charakter deutlich, wenn Sie noch sogenannte »Blue-Notes« mit in Ihr Spiel einbinden. Bei den Blue-Notes handelt es sich um die kleine Terz und die verminderte Quint innerhalb der jeweils passenden Blues-Tonleiter (siehe Bild 4). Man kann nun diese Blue-Notes als »Vorschlagsnoten« verwenden, um auf die Dur-Terz bzw. die reine Quinte hinzuleiten. Wie das Ganze klingt, hören Sie anhand des Arrangements, das natürlich auf dieser TOS-Diskette wieder enthalten ist. In der Abbildung sehen Sie, daß solche »Vorschlagsnoten« sehr dicht an der eigentlichen Zielnote sitzen. Sie lassen sich daher mit einem Editor nur sehr mühsam eingeben. Man spielt solche Phrasen, bei denen es sehr auf das »Feeling« ankommt, am besten überein Keyboard in Real-Time ein. Trotz MIDI und ausgefeilter Sequenzer-Software kommen Sie halt manchmal um das Üben nicht herum.

Bild 4. Der Organist läßt's bluesig klingen

So, damit haben wir das Backing für die erste Song-Hälfte komplett eingespielt und können uns an das Arrangement der ersten beiden Strophen wagen. Kopieren Sie zunächst einmal von Takt 6-14 die Drum-, Baß und Piano-Spuren, so daß unser Arrangement bis Takt 22 reicht. Um beide Strophen etwas voneinander abzusetzen, schlage ich vor, daß wir die Orgel in der ersten Strophe weglassen und erst bei der Wiederholung (Takt 15-22) hinzunehmen. Denn nichts ermüdet Zuhörer mehr als ein Song, der vom ersten bis zum letzten Ton auf »Volldampf« läuft. Es ist für den Hörer wesentlich interessanter, wenn sich ein Arrangement langsam aufbaut und im Laufe des Stücks immer wieder leichte Änderungen erfährt. Sollten Sie übrigens trotz unserer Sparmaßnahme auf der Gitarrenspur in die Stimmen-Bredouille geraten, lassen Sie einfach in der zweiten Strophe die Gitarre weg.

Wenn Sie bislang alles richtig gemacht haben, sieht unser Song jetzt wie folgt aus: 5 Takte Intro, 1. Strophe mit Schlagzeug, Baß, Piano und Gitarre von Takt 6-14 gefolgt von der 2. Strophe (Takt 15-22) in der gleichen Besetzung, nur zusätzlich noch verstärkt durch die Orgel.

Alles klar? Gut, dann wagen wir uns nun an die Melodiestimme, die wir wiederum als Key-Editor- und Noten-Darstellung vorbereitet haben. Da aber natürlich gerade Gesangparts durch ihre außerordentliche Lebendigkeit und Nuancierung in der Stimmgebung leben, ist es wenig ratsam, solche Passagen statisch in einem Editor einzugeben. Sie sollten sich daher, wenn irgend möglich, mit der Melodie soweit vertraut machen, daß Sie sie »live« per Keyboard (oder Blaswandler etc.) einspielen können. Probieren Sie dabei auch, durch Spielhilfen wie Pitch-Bending, Aftertouch oder Modulationsrad diesen Part möglichst ausdrucksvoll zu gestalten. Hüten Sie sich aber vor allzu wildem Einsatz dieser Hilfsmittel, denn das nervt die Zuhörer mindestens ebenso wie eine zu sterile Melodie. Sie sollten daher auch ruhig den Versuch wagen, die Gesangsspur nicht zu quantisieren und eventuelle Ungenauigkeiten in Ihrem Lieblingseditor zu korrigieren. Wenn es dann immer noch partout nicht klappen will, dürfen Sie natürlich »aufs Knöpfchen drücken« - aber nur als letzte Rettungsmaßnahme! Viele Sequenzer bieten übrigens Quantisierungsroutinen, die sich in ihrer Stärke beeinflussen lassen (z.B. LIVE, oder »Iterative Quantize« bei Cubase). Falls vorhanden, versuchen Sie Ihr Glück doch erst einmal mit einer sanfteren Gangart, bevor Sie zum »Holzhammer« greifen.

Bild 5. Die schwarz markierten Noten können Sie weglassen, falls es eng wird

Der Lebendigkeit unserer Coverversion äußerst zuträglich wäre es auch, wenn Sie die Melodie der ersten Strophe nicht einfach in die zweite Strophe kopieren, sondern sie noch einmal neu einspielen würden. Da Ihnen dabei mit 100prozentiger Sicherheit keine identische Kopie der ersten Strophe gelingt, haben Sie so schon wieder etwas Abwechslung in das Stück gebracht. Wenn Sie (wie der Autor beim Einspielen des Songs für die TOS-Diskette) zu faul sind, beide Strophen getrennt einzuspielen, vergessen Sie bitte nicht, daß Sie die Melodie von Takt 5-14 nach Takt 14-22 (nicht 15, denken Sie an den Auftakt!) kopieren. Unsere Soundempfehlung für die Melodie: ein möglichst kraftvoller Solo-Synthesizer-Sound, gut geeignet ist auch ein rauchiges Saxophon-Imitat.

So, damit wären wir eigentlich am Ende unseres dritten Kursteils angelangt - wenn wir nicht noch ein kleines, aber sehr feines Detail vergessen hätten: die Brass-Section. Die Damen und Herren »am Gebläse« haben nämlich die ehrenvolle Aufgabe, ein dreitöniges Motiv in die Strophe einzuwerfen. So unbedeutend dieser Einwurf auch scheinen mag, seine Wirkung ist geradezu umwerfend und neben den »Regentropfen« aus dem Intro ein Markenzeichen von »l can't stand the rain«. Also, werfen Sie rasch einen Blick auf die entsprechende Abbildung und ergänzen Sie Ihr Arrangement.

Jetzt haben Sie es aber wirklich geschafft, können sich entspannt zurücklehnen und genußvoll Ihrem Opus lauschen. Bis zur nächsten TOS, da widmen wir uns dann dem B-Teil. (wk)

Bild 6. Die ersten beiden Strophen sind komplett!

Kai Schwirzke
Aus: TOS 02 / 1993, Seite 54

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