Gelber Aufstand: Die neuen Postleitzahlen und ihre Auswirkungen

Die weltweit wohl größte Datenumstellung seit es Computer gibt, kommt in ihre heiße Phase. Zum 1. Juli müssen Abermillionen Datensätze in zigtausend Datenbanken an das neue Postleitzahlensystem angepaßt sein.

Ausgerechnet in der Ferienzeit, schimpfen Postler wie Daten Verarbeiter, wird den Behörden, Betrieben und nicht zuletzt den Postbeamten die mit Abstand aufwendigste und teuerste Datenumstellung zugemutet. Andernfalls, so hat die Post angekündigt, droht entweder ein Strafporto oder aber die Briefe werden erst verspätet zugestellt.

Die Beweggründe der Post, auf ein fünfstelliges Leitzahlensystem umzusteigen, mögen durchaus einleuchten - nur der Zeitpunkt und die Aufteilung der Postleitzahlen, die Anfang Februar den Lokalzeitungen zum weiteren Abdruck zugingen, sorgten für einigen Unmut unter den Schreiberlingen. Viele andere westeuropäische Länder benutzen nämlich schon längst fünf-, teilweise sogar sechsstellige Postleitzahlen. Durch die Wiedervereinigung kam es zu 802 doppelt belegten Postleitzahlen, die bis zur Einführung des neuen Systems durch das Voranstellen von »W-«, beziehungsweise »O-« zu kennzeichnen sind. Nach Aussagen der Post halten sich aber nur die wenigsten daran. Obwohl derzeit lediglich 5300 Nummern in den vierstelligen Postleitzahlen belegt sind, entschied sich der »gelbe Riese« für ein wesentlich genaueres fünfstelliges System.

Die neuen Postleidzahlen

Die 5er-Reihe teilt sich in zwei Bereiche: eine zweistelligen Regionsnummer und einen dreistelligen Zustellschlüssel für Stadt, Stadtteil, Straße, Großkunde oder Postfachschrank.

Bei der Vergabe der Regionsnummern spielten allerdings nicht nur organisatorische Gründe eine Rolle, auch die Politik mischte kräftig mit. So verhallte zwar der Wunsch Bayerns nach einer gemeinsamen ersten Ziffer auf dem Weg zu den Post-Oberen. Auch der Postministerwechsel Anfang des Jahres von Christian Schwarz-Schilling (CDU) zu Wolfgang Bötsch (CSU) konnte die grausame Zweiteilung des Freistaates nicht mehr verhindern. Bayerische Psychiater müssen sich wohl auf massenhaft auftretende Identitätskrisen einstellen.

Erfolgreicher konnten Vertreter der Regionen Köln/Bonn und Düsseldorf/Essen plausibel darlegen, daß sie weder regional, sprachlich, menschlich, historisch noch sonstwie irgendwelche Gemeinsamkeiten besitzen und daß dies auch unbedingt durch verschiedene Regionsnummern zum Ausdruck kommen muß - mit katastrophalen Folgen. Da nämlich keine weiteren Regionsnummern zur Verfügung standen, entschied sich die Post, dem Raum Dresden/Leipzig die Ziffer »0« voranzustellen. Daß allerdings Adreßverwaltungen und Datenbankprogramme auf eine vorangestellte Null im glücklichsten Fall mit einer Fehlermeldung reagieren, schreckte die Postler nicht ab. Schließlich sind auch Stempel, Briefbögen, Visitenkarten, und Vordrucke an das neue System anzupassen. Vertriebsfirmen, die ihre Haupt- und Zwischenlager oder Ausfahrrouten an den Zustellbezirken der Post orientierten, müssen neu disponieren. Die Reihe der Auswirkungen ließe sich fast beliebig fortführen.

Nicht nur wegen der fünften Ziffer sind ganze Eingabemasken von Adressverwaltungsprogrammen neu zu setzen, denn auch die Zustellbezirke, bisher am Ende des Ortsnamens, sind in Zukunft direkt in der Postleitzahl verschlüsselt. Desweiteren bekommen Postfächer eine eigene Leitzahl.

Großkunden mittäglich mehr als 2000 Posteingängen, erhalten ihre eigene Postleitzahl. Damit erreicht man den »Spiegel« zum Beispiel über drei Adressen mit jeweils anderen Postleitzahlen: die Anschrift via Straße, einem eigenem Postfach und als Großkunde.

»Das Wort Chaos hat fünf Stellen« (FAZ)

Da die Zustellbezirke nun wesentlich kleiner ausfallen (für Berlin 635 Zustellbezirke) ziehen sich lange Straßen über mehrere Bezirke hinweg, mit jeweils eigenen Zahlenkolonnen. So liegen die Mainzer Landstraße in Frankfurt oder die Dachauer Straße in München in sechs verschiedenen Bezirken. Das ganze gipfelt dann im Falle der Dachauer Straße in München zwischen den Hausnummern 145 und 149: In diesem Abschnitt befinden sich vier Bezirke mit keineswegs aufeinanderfolgenden Postleitzahlen (145: 80335, 146: 80637, 148: 80992 und 149: 80636). Bei derlei Willkür sei »kein Lerneffekt mehr drin«, mäkelt Frankfurts Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD). Die Logik hinter den neuen Leitzahlen bereitet auch noch Postlern Probleme. So teilten diese bei einer feierlichen Übergabe dem Bundestag erst mal eine falsche 5er Nummer zu.

Die neuen Regionen der Bundespost ab 1.7.93

   
01 Dresden 53 Bonn
02 Oberlausitz 54 Eifel
03 Niederlausitz 55 Rhein-Nahe, Mainz
04 Leipzig 56 Westerwald
06 Sachsen-Anhalt Süd 57 Siegerland
07 Ostthüringen 58 Sauerland
08 Vogtland 59 Lippetal
09 Erzgebirge 60/61 Frankfurt am Main
10 Berlin-Zentrum 63 Main-Spessart
12/15 Berlin-Südost 64 Odenwald
13/16 Berlin-Nord 65 Rheingau, Wiesbaden
14 Berlin-Südwest, Potsdam 66 Saarland, Saarbrücken
17 Vorpommern 67 Pfalz
18 Mecklenburger Bucht 68/69 Rhein-Neckar
19 Mecklenburg,
Seenplatte, Schwerin 70/71 Stuttgart
20/22 Hamburg-Nord 72 Oberer Neckar
21 Hamburg-Süd 73 Schwäbische Alb Nord
23 Lübecker Bucht 74 Nordwürttemberg
24 Schleswig-Holstein
Nordost, Kiel 75 Nordschwarzwald
25 Schleswig-Holstein West 76 Karlsruhe
26 Friesland 77 Ortenau
27/28 Bremen 78 Obere Donau
29 Lüneburger Heide 79 Breisgau
30/31 Hannover 80/81 München-Stadt
32/33 Ostwestfalen 82 München-Süd
34 Eder-Habichtswald 83 Oberbayern
35 Lahn 84 Niederbayern
36 Röhn 85 München-Nord
37 Südliches Leinetal 86 Donau-Lech
38 Harz 87 Allgäu
39 Sachsen-Anhalt Nord,
Magdeburg 88 Bodensee
40 Düsseldorf 89 Schwäbische Alb Ost
41 Schwalm-Nette 90/91 Nürnberg
42 Bergisches Land Nord 92 Oberpfalz
44 Dortmund 93 Bayerischer Wald West
45 Nördliches Ruhrgebiet 94 Bayerische Wald Ost
46/47 Niederrhein 95 Fichtelgebirge
48 Münsterland 96 Nordfranken
49 Emsland 97 Mainfranken
50 Köln-West 98 Thüringer Wlad
51 Köln-Ost 99 Nordthüringen, Erfurt
52 Ruhrtal

Nachdem der Datenabgleich in die amtliche Schreibweise erfolgte, wird die neue Postleitzahl ermittelt (Quelle: Postdienst)

Das Postprojekt, das vielen Bürgern so gar nicht einleuchten will, wird unter den Postexperten einvernehmlich positiv aufgenommen. So soll sich der Rationalisierungsgrad mit Einführung der »PLZ 5« (Postler-Jargon) deutlich verbessern lassen. Während sich zur Zeit nur etwa 24 Prozent der Briefe automatisch sortieren lassen, sollen es künftig bis zu 80 Prozent sein. Denn momentan tun sich die Leseautomaten schwer, die Zustellbezirksnummern zu lesen, wenn überhaupt vorhanden (da teilweise nur der Ortsteilname angegeben ist), zum anderen gibt es bei den viel zu großen Bezirken öfter gleichnamige Straßen. Hier muß kostenintensiv von Hand sortiert werden. Ist eine Postsendung erst einmal im richtigen Bezirk angelangt, teilen sich nach der Reform maximal noch 20 Postboten den Austrag. Diese überschaubare Größe vereinfacht das Austauschen falsch sortierter Post.

Was der Post bis zum Jahr 2000 rund 20000 Arbeitsplätze einsparen soll, scheint für die meisten Postkunden wohl eher ein riesiges Paket von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit dem feinen kleinen Unterschied, daß die Kosten der ABM-Stellen die Postkunden selbst zu tragen haben.

Bei rund 60 Briefen täglich, rechnete der Spiegel vor, benötigt die Sekretärin von Münchens Oberbürgermeister Kronawitter täglich zwei Stunden alleine für das Nachschlagen der neuen »bürgermeisterfeindlichen« Postleitzahlen, denn nach Post-internen Tests fallen durchschnittlich zwei Minuten für das Nachschlagen der neuen PLZ5 an. In weitaus größerem Maße trifft es zum Beispiel das Versandhaus Quelle. 9 Millionen Mark veranschlagt der Fürther Großversender alleine für die Umstellung des DV-Bereiches. Eine eigens eingerichtete Projektgruppe beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Datenabgleich der rund 27 Millionen Datensätze und der Anpassung der Software. Daß diese Kalkulationen durchaus realistisch sind, bestätigt auch die Deutsche Bank, die mit etwa fünf Millionen Mark für die Umstellung rechnet. Das summiert sich, laut Angaben der Ploenzke AG in Kiedrich (autorisierter Software-Entwickler der Deutschen Postreklame), in der ganzen Republik auf 4 Milliarden Mark.

Das Rationalisierungsprojekt kostet aber auch die Post erst mal 200 Millionen Mark für die Umstellung. Davon fließen 80 Millionen in die Werbung für das »Neue Denken« (Post). Postminister Bötsch beauftragte 20 Großdruckereien, um die neue Post-Bibel in einer Auflage von 40 Millionen ab Mitte Mai unter den Postkunden zu verteilen. In dem 1000 Seiten Standardwerk finden sich dann alle neuen Postleitzahlen von Aach (PLZ 78267) bis Zwuschen (PLZ 06926). Der Zwei-Kilo-Wälzer fällt deshalb so groß aus, weil sich in den größeren Städten (ca. 208 Städte) nur mit Hilfe des kompletten Straßenverzeichnisses die genaue Postleitzahl ermitteln läßt.

Allerdings hat sich für die Post auch eine neue Einnahmequelle aufgetan. Mit insgesamt 90 MByte Leitdateien (ohne Software), aufgeteilt nach Bundesländern (jeweils 150 Mark), soll sich der Datenabgleich automatisieren lassen. Für die fehlende Software sind inzwischen zahlreiche große und kleine Software-Firmen eingesprungen. Oder aber die Post übernimmt den Datenabgleich direkt (1500 Mark Grundpauschale plus ca. 25 Mark für je 1000 Adressen). Weitere Strafabgaben sind fällig, wenn die Adressen um den 1.7.93 übersetzt werden sollen. Dies allerdings formuliert die Post »geschäftsfördernder« als Rabatt im Falle eines möglichst frühen Abgleichs.

Die Adreßübersetzung erfolgt auf Grund der Datenstrukturen der Postdateien zweistufig. Im ersten Schritt findet eine Konvertierung der Orts- und Straßennamen in die amtliche Schreibweise statt.

Gängige Schreibweise amtliche Schreibweise
8 München-Bogenhausen 8000 München 80
Lichtenberg Str. 6 Lichtenbergstraße 6
7890 Tiengen 7890 Waidshut-Tiengen 2

Außerdem sind die Abgleichprogramme mit Hilfe der Leitdateien in gewissen Grenzen in der Lage, eventuell falsch geschriebene Straßen- oder Ortsnamen in ihre korrekten Pendants zu wandeln.

Postexperten schätzen, daß etwa 40 Prozent aller Adreßbestände falsch oder zumindest fehlerhaft sind.

Selbst in gut gepflegten Datenbanken liegt die Fehlerquote noch bei 5 Prozent. Was da allerdings in teilweise 20 Jahre alten Archiven schlummert, wagen sich Beratungsunternehmen gar nicht erst vorzustellen. Insgesamt läßt das Problembewußtsein bei den DV-Verantwortlichen zu wünschen übrig. Nicht ohne Grund fürchtet Wilhelm Hübner, Vorsitzender des Verbandes der Postbenutzer: »Da wird so mancher noch sein gelbes Wunder erleben«. Wenig beruhigen kann da die Aussage vieler Anbieter von Umstellungs-Software, wonach auch die Leitdateien der Bundespost nicht fehlerfrei sind. Die normierten und fehlerbereinigten Adressen lassen sich dann in einem zweiten Schritt an die PLZ 5 anpassen.

Das Umstellungsverfahren selbst läßt sich in Abhängigkeit der verwendeten Software auf zweierlei Wegen realisieren: In einer Schattendatei werden über einen längeren Zeitraum hinweg die Adressen Stück für Stück an das neue System angepaßt. Am Stichtag tauscht man die alten Datensätze durch die der Schattendatei aus. Somit kann man frühzeitig mit dem Abgleich beginnen, vorausgesetzt der Datenbankmanager beherrscht den parallelen Betrieb zweier Datenbanken.

Besonders selbstbewußten DV-Spezialisten steht noch ein zweiter Weg offen. Jene übersetzen nämlich die Adressen in einer Nacht- und Nebelaktion vom 30.6. auf den 1.7. mit Überstunden en masse und unter Beistand aller verfügbaren Götter. Sollten die Götter Sie dann doch im Stich gelassen haben, ändern Sie einfach Ihr Motto: von »Schreib mal wieder« in »Ruf doch mal an«. (ah)

Weitere Informationen und Dienstleistungen:

Die Firma Omikron GmbH in Pforzheim bietet eine Umstellungs-Software auch für den Atari an. Die Leitdateien (ohne Software) erhalten Sie bei: Deutsche Postreklame GmbH, Postfach 160211. 6000 Frankfurt 1. Über diese Adresse kann man auch ein dialogfähiges Auskunftssystem PLZ alt/neu beziehen.

Einzelne neue Postleitzahlen lassen sich über Btx: *2300010 (Tel. 0130-55555) erfragen.

Der direct plus-Umstellservice der Deutschen Postreklame GmbH, Wiesenhüttenstr. 18, 6000 Frankfurt 1, übernimmt die Adressübersetzung.


Jürgen Lietzow
Aus: TOS 06 / 1993, Seite 55

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