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ATOS - Around The Operating System Das ATOS-Magazin 3/96

Alpträume





Wie lebt es sich mit einem toten System? Viele Atarianer kennen die mitleidig-spöttelnden Äußerungen der PC-User, die nicht glauben wollen, daß man immer noch an seinem guten alten Atari festhalten will. Wintel-MPC (Multimedia-Computer unter Windows mit Intel-Prozessor) haben im Bewußtsein von Otto Normaluser sämtliche alternativen Systeme verdrängt. Wen wundert es, daß so mancher Atari-User Torschlußpanik bekam, spätestens als sich der Rückzug Ataris aus dem Computer-Geschäft konkretisierte, statt die Gerüchte über den geheimnisvollen ultimativen neuen Rechner wahr werden zu lassen. Hier also die erste Story aus dem Leben eines Atari-Users. Sie wird noch Folgen haben.




Mit einem Puff verschwand der Atari TT, der bislang treu seine Dienste verrichtet hatte, von meinem Schreibtisch. Kurz darauf rief Herr K. an, dessen Falcon ihm zuvor noch fleißig beim Harddisk Recording assistiert hatte. Von seinem Rechner war nur noch das Netzkabel übriggeblieben. Dafür fehlte das Netzkabel zum Drucker. Er hatte die Kabel wohl mal vertauscht, meinte er, mit leichter Hysterie in der Stimme.

Das Fax einer DTP-Agentur trudelte ein. Wo zuvor noch mehrere gut ausgestattete TTs standen, waren jetzt nur noch einzelne Grafikkarten, Monitore von Fremdanbietern und externe Festplatten zu sehen.

Das Telefon des ortsansässigen Atari-Händlers war dauerbesetzt. Während ich das Besetztzeichen vernahm, malte ich Kreise in den Staub, der bislang unter dem TT-Gehäuse verborgen war. Dabei stieß ich auf einen vom vielen Fotokopieren kaum noch lesbaren kleinen Zettel:

»Die ATARI corp., Sunnyvale gibt bekannt, das ab sofort sämtliche Aktivitäten im Bereich der Home- und Personal-Computer eingestellt werden. Da kein Support mehr gewährleistet werden kann, werden sämtliche ausgelieferten Rechnersysteme der Typen ST, STE, MegaST, MegaSTE, TT030, Falcon030 und Falcon040 eingezogen. Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen.«

Panik stieg in mir hoch. Das hatte ich jetzt davon, so hartnäckig auf ein aussterbendes System zu setzen. Sämtliche Daten waren jetzt verschollen, alle Investitionen in Hard- und Software für die Katz. Selber schuld!

So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren, ich schnappte mir einen Stapel Schecks und machte mich auf den Weg zum bekannt günstigen PC-Höker um die Ecke.

Der Laden war überfüllt. Ich fand eine Warteposition neben einem bunten Stapel mit Soundblastern, Aktiv-Boxen, Flightsticks und Multimedia-CDs und sah mich um. Viele bekannte Gesichter tauchten in der Menge auf und verschwanden wieder, wenn die Meute einen weiteren Schritt in Richtung Verkaufstresen machen konnte.

Ganz vorne war ein älterer Herr zu sehen, der auf seinem 1040 ST immer mit Signum! kleinere Infoblätter für seinen Schützenverein erstellt hatte. Der Verkaufsberater hinter dem Tresen riet ihm zu einem Pentium 90 unter Windows 3.11 mit 4 MB RAM im Paket mit Soundblaster-Pro, 64-Bit-2MB-Grafikkarte, zwei IDE-Festplatten und einem 14"-VGA-Monitor, das sei für seine Zwecke genau die richtige Konfiguration. Dazu noch Word 6 als OEM-Version ohne Handbücher, bitte bar oder per Scheck zahlen. Nein, das System sei vorkonfiguriert, es müßten nur noch Sicherungskopien von DOS, Windows und Word auf Diskette übertragen werden. Wenn er Fragen habe, kenne er doch sicherlich jemand, nein, nicht hier bitte, man sei schließlich keine Beratungsgesellschaft ...

Ich fühlte mich beobachtet und sah mich um. Hinter mir stand Klaus, den ich von früheren Treffen unserer Mailbox kannte. Schnell hatte er seinen ST abgestoßen, als er merkte, daß der Spiele- und Raubkopierer-Markt eindeutig in Richtung DOS-PC umschwenkte. Nun trug er ein Namensschild des PC-Hökers.

»Na, das ist ja eine Überraschung«, sprach er mich an, »hast Du endlich gemerkt, daß Du mit Deiner Spielekonsole kein Land mehr siehst? Willst Du jetzt endlich einen richtigen Computer?«

Ich unterdrückte mühsam eine Reaktion, die strafrechtlich mildernd noch als Affekthandlung hätte gewertet werden können und erzählte ihm von dem Schicksal meines TT. In seinem breiten Grinsen konnte ich ein nur schlecht unterdrücktes Triumphgefühl ausmachen, hatte ich doch immer über seine ewigen Konfigurationsprobleme meine Witzchen gerissen, wenn er von seinen nächtlichen IRQ- und DOS-Speicher-Optimierungsbemühungen berichtete, um endlich die ultimative neue Jet-Simulation mit besonders realistischen Gegnern spielen zu können und Soundkarte, CD-Rom, serielle Schnittstellen, Scanner-Schnittstellenkarte, Grafikkarte, Flightstick und Maustreiber gleichzeitig konfliktfrei betreiben zu können.

Jetzt war er oben auf und fragte mich mit leicht arrogantem Tonfall, für welche Konfiguration ich mich denn entschieden hätte. Ich gestand mein Unwissen ein und bekam neben einem mit Ausrufezeichen und neongelb hinterlegten Comic-Preisblasen zugepflasterten Werbezettel den Rat, doch wiederzukommen, wenn ich wisse, was ich wolle.

So unhöflich abgeschoben, machte ich mich auf den Heimweg. Als ich an dem Laden meines langjährigen Atari-Händlers vorbeikam, sah ich, daß dort sämtliche Schilder abmontiert und die Schaufenster zugenagelt waren ...

Nach einer schlecht durchträumten Nacht fällt es immer sehr schwer, die Orientierung wiederzufinden. Ich konnte es nicht glauben, daß ich tatsächlich schemenhaft die vertrauten Umrisse des TT auf dem Schreibtisch sehen konnte. Ich setzte mich an den Rechner, schaltete ihn ein und erinnerte mich an die Nachricht aus dem Internet, die jemand in die Atari-Diskussionsgruppen im MausNet gepostet hatte. Atari hatte sich offiziell aus der Computerproduktion zurückgezogen.

Während ich mein Maustausch-Skript startete, um die über Nacht aufgelaufenen Mails abzurufen, tätschelte ich die von Atari-Usern liebevoll spöttelnd als Butterdose bezeichnete Festplattenabdeckung des TT. Nein, so schnell würde ich mich nicht den DOSen ergeben ...

VR