Degenis III plus: Der Kunst-Rechner

Degenis III plus macht Formeln zu Bildern

Wie fast alles im Leben, bleiben auch Computer-Programmierer nicht von Mode-Einflüssen verschont. Ein unübersehbarer Mode-Trend weist derzeit in Richtung »Bewegte Computer-Grafik«. Als »Dernier Cri« der Software-Designer gelten hier augenscheinlich Programme zur Animation dreidimensionaler Objekte. Mit dem Grafikprogramm »Degenis III plus« will sich die Firma IPA Comtec zum Trendsetter in drei Dimensionen aufschwingen.

Degenis verlangt als Minimalausstattung einen Atari ST mit 1 MByte Arbeitsspeicher, ein doppelseitiges Diskettenlaufwerk sowie wahlweise einen Farb- oder Schwarzweiß-Monitor. Wegen zeitaufwendiger Speicheroperationen beim Fixieren von Animationssequenzen ist eine Festplattenstation zu empfehlen.

Das Handbuch von Degenis III plus ist mit 78 Seiten viel zu knapp und zu unübersichtlich ausgefallen. Außerdem erschwert der »Kopierschutz« des Handbuches in Form einer braunen Papierfarbe das Lesen erheblich.

Das Programm hingegen läßt sich nach Installation unter Angabe der persönlichen Daten erfreulicherweise uneingeschränkt auf Arbeitsdisketten oder auf eine Festplatte kopieren. Bei der Arbeit sollten Sie jedoch jederzeit die Seriennummer Ihres Programmes parat haben: Eine unregelmäßig eingeblendete Dialogbox zur Eingabe der Seriennummer stört den Arbeitsablauf.

Vergewissern Sie sich vor dem Start von Degenis III plus, daß keine Accessories installiert sind: Jedes aktive Desktop-Accessory führt unweigerlich zum Absturz von Degenis. Nach erfolgreichem Programmstart erscheint ein schwarzer Bildschirm mit einer GEM-ähnlichen Menüleiste, aus der sämtliche Funktionen über Pull-Down-Menüs abzurufen sind. Die Pull-Down-Menüs stellen die einzigen Bedienungselemente des Programmes dar, was sich beim Arbeiten häufig als zeitintensiv erweist.

Degenis verfügt über zahlreiche Mal-und Manipulationsfunktionen, wie man sie auch von anderen 2D-Malprogrammen her kennt. Hierzu zählen Werkzeuge wie Stift, Pinsel, Sprühdose oder Lupe. Über die Funktionen zum Zeichnen von Kreisen, Rechtecken und ähnlichen Gebilden hinaus sind unter dem Menüpunkt »Grundformen« ausgefallene dreidimensional erscheinende Figuren wie beispielsweise Zylinder, Kegel, Pyramiden abrufbar.

Hintergrundbilder mit Format: Figuren...
...und Linien für räumliche lliusion

Das Bearbeiten von Bildausschnitten zählt ebenfalls zum Repertoire von Degenis III plus. Diese Ausschnitte lassen sich nach Belieben biegen und verzerren. Degenis III plus benutzt zum Speichern der Grafiken und Ausschnitte ein eigenes Format, lädt jedoch Bilder der gängigen, nicht komprimierten ST-Standardformate mit Konvertierung unterschiedlicher Bildauflösungen.

Natürlich können die Programmierer von Degenis den ST-Bildschirm nicht in ein echtes 3D-Display verwandeln. Wie alle anderen 3D-Malprogramme bedient sich auch Degenis einiger optischer Tricks zum Erzielen einer scheinbaren Dreidimensionalität in zwei Ebenen.

Die erste Ebene bildet die Hintergrundzeichnung. Zahlreiche Linienraster, wie man sie als Landschaftsdarstellung einiger 3D-Spiele kennt, vermitteln bei geschickter Anwendung einen räumlichen Eindruck. Eine abgewandelte Form dieser Linienraster entsteht durch Zuhilfenahme von Sinus- und Cosinus-Berechnungen. Zusätzlich können Sie mit Hilfe des sogenannten »3D-Funktions-Plotters« auf der Basis diverser mathematischer Funktionsgleichungen Rasternetze mit Raumwirkung erzeugen.

»Echte« 3D-Objekte — also Projektionen von Körpern, die durch Raumkoordinaten im ST-Speicher definiert sind — errechnet Degenis in erster Linie aus sogenannten Rotationskörpern. Der Anwender zeichnet in einem speziellen Editor die Kontur des gewünschten Körpers. Anschließend »rotiert« das Programm die entworfene Schablone um eine senkrechte Achse. Die für eine solche Kontur-Linie maximal zugelassene Anzahl von 40 Punkten ist viel zu gering ausgefallen. Dies führt besonders dann zu Engpässen, wenn die Konturen des 3D-Körpers rund erscheinen sollen. Eine einmal gezeichnete Schablone ist nachträglich nicht mehr veränderbar. Weitere Hilfsmittel, beispielsweise Funktionen zum Berechnen einfacher geometrischer Figuren wie Rechtecke, Halbkreise und Kreisbögen fehlen gänzlich.

Bei Verlassen des Editors erscheint nach kurzer Berechnungszeit ein der Kontur entsprechendes Drahtgittermodell auf dem Bildschirm. Das auf diese Weise definierte 3D-Objekt ist vielfach in Form und Aussehen veränderbar. Dabei unterscheidet Degenis III plus zwischen Grund- und Änderungsparametern.

Die Grundparameter bilden drei einstellbare Variablen, die die Form des Rotationskörpers beeinflussen. Die erste Variable bestimmt den Rotationswinkel des Kontursegmentes. Bei einem Wert von 360 Grad errechnet Degenis ein spindelförmiges Gebilde, bei kleineren Werten die entsprechenden Spindelsegmente.

Raumgestaltung: Rotationskörper im Degenis-All

Der Wert für die Anzahl der maximal 90 Ebenen gibt an, aus wievielen Einzelteilen Spindel oder Spindelsegment bestehen sollen. Die Einzelteile sind in etwa mit den Stücken eines Kuchens vergleichbar. Je mehr Ebenen man verwendet, desto runder erscheint natürlich auch der Umriß des Körpers. Gleichzeitig erhöht sich jedoch die benötigte Rechenzeit zum Zeichnen des Rotationskörpers. Es bleibt dem Anwender überlassen, einen geeigneten Kompromiß zu finden. Daß ein Rotationskörper nicht unbedingt rund sein muß, erkennt man spätestens beim Wert 4 für Ebenenzahl. Rotieren Sie ein Quadrat und verwenden dabei nur vier Ebenen, so erhalten Sie einen Würfel. Ein entsprechender Körper mit drei Ebenen wird logischerweise zum Keil.

Der dritte Grundparameter betrifft den Winkel des Lichteinfalls, der natürlich bei einem Drahtgittermodell keinerlei Wirkung zeigt. Degenis III plus beschränkt sich nicht nur auf die Darstellung eines Körpers als Drahtgittermodell. Angefangen bei einer gedeckten Darstellung, in der die verborgenen Linien nicht zu sehen sind, bis hin zur Verwendung schattierter Flächen stehen zahlreiche Variationen bereit, die den scheinbar dreidimensionalen Körpern zu optischem Volumen verhelfen.

Die Änderungsparameter bestimmen die räumliche Lage und die Größe des Objektes. Die ersten drei Einträge legen die Neigungswinkel des Objektes bezüglich der drei Raumachsen fest. Die nächsten drei veränderbaren Werte beziehen sich auf die Position des Körpers in X-, Y-und Z-Richtung. Mit Hilfe der letzen drei Werte verändert der Anwender die Größe des Objekts, und zwar unabhängig für jede der drei Achsen.

Neben den Rotationskörpern sahen die Degenis-Programmierer eine zweite Form der dreidimensionalen Objekte vor, die Ebenen- beziehungsweise Zentralprojektion von Flächenobjekten. Dabei projiziert das Programm eine gezeichnete Fläche in die Tiefe und erzeugt auf diese Weise Säulen- oder plattenförmige Objekte. Leider dürfen die Flächenobjekte nur maximal 18 Eckpunkte besitzen. Außerdem sind Projektions-Objekte lediglich als Drahtgittermodelle darstellbar.

Fertige Raumkörper lassen sich in der aktuellen Darstellung als Objekt speichern. Die gespeicherten Objekte kann der Anwender zu einem späteren Zeitpunkt einzeln laden und Stück für Stück zu komplexen Modulen zusammensetzen.

Im Animationsteil bietet Degenis III plus zwei Verfahren, die sogenannte Rotations- und die Sequenzanimation. Zur Herstellung eines Rotationsfilmes benötigt Degenis lediglich drei Angaben.

Zunächst bestimmen Sie die Achse, um die sich das Objekt drehen soll. Anschließend legen Sie fest, um wieviel Grad der Körper gedreht wird und aus wievielen Einzelbildern die Drehung besteht. Den Rest erledigt das Programm, indem es die errechnete Bildfolge auf Diskette oder Festplatte speichert. Das Zusammenfügen mehrerer Filmsequenzen zu einem längeren Film ist nicht vorgesehen. Gleiches gilt auch für die Animationssequenzen, in denen Degenis jedoch eine bedeutend größere Flexibilität zuläßt, begleitet von einem wesentlich höheren Arbeitsaufwand. Jede Bewegung des Objekts, hervorgerufen durch einen entsprechenden Tastendruck, entspricht einem Bild der Sequenz. Das Objekt läßt sich um sämtliche Achsen in 5-oder 10-Grad-Schritten drehen und in die sechs Richtungen des Animationraumes verschieben. Auch bei dieser Funktion vermißt man Hilfen, die ständig wiederholte Aktionen wie das Zurücklegen einer bestimmten Strecke oder das Drehen um einen bestimmten Winkel vereinfachen.

Degenis III plus zeigte sich als leistungsfähiges Mal- und Animations-Programm für 3D-Darstellung. Flüssige Bewegungsabläufe und ausgezeichnet arbeitende Hidden-Line-Funktionen beweisen die hohe Qualität der programminternen Algorithmik. Hervorzuheben ist die Fülle an Malwerkzeugen zum Entwurf von Hintergrund-Bildern mit 3D-Effekt. Leider ist es den Programmierern nicht gelungen, eine adäquate Benutzeroberfläche zu schaffen. Um im Bild der Mode zu bleiben: Degenis III plus ist eine Hose aus edlem Stoff, bei der die Taschen zugenäht sind und gelegentlich der Reißverschluß klemmt.

(W. Fastenrath/uh)

IPA COMTEC, Gutmuthsstraße 16, 1000 Berlin 41

Hier wird gedreht: Degenis mit 3D-»Filmstudio«

Wertung

Name: Degenis III plus

Preis: 239 Mark

Hersteller: IPA COMTEC

Stärken:

□ einfaches Erzeugen einer Animation mit 3D-Objekten □ interessante Funktionen zur Gestaltung des Hintergrundes □ unterstützt hohe und mittlere Bildschirmauflösung

Schwächen:

□ hoher Preis □ keine Accessories erlaubt □ Handbuch nicht ausführlich genug □ Bedienung über die Menüleiste erweist sich als umständlich □ Hilfsfunktionen für komplexe Arbeitsschritte fehlen

Fazit:

leistungsfähiges 3D-Mal- und Animationsprogramm mit erheblichen Schwächen in der Benutzeroberfläche


Andreas Käufer
Aus: ST-Magazin 04 / 1989, Seite 28

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