Wie kommt der Hit in den Rechner? Arrangierkurs für MIDI-Musikanten,Teil 4

Na, haben Sie sich in den letzten Wochen die Ohren an den ersten beiden Strophen unserer Coverversion »wundgehört«? Dann erwarten Sie sicherlich schon mit Sehnsucht und Spannung den vierten und letzten Teil unseres Kurses, in dem wir unseren kleinen Song komplettieren. Haben Sie Ihr MIDI-Equipment »am Start«? Prima, dann können wir ja loslegen.

Wenn Sie beim letzten Mal alles richtig gemacht bzw. das Arrangement von der TOS-Disk in Ihren Sequenzer geladen haben (na, na, Sie waren doch wohl nicht etwa zu faul, alles selber einzuspielen?), sollte unser Übungsstück jetzt aus einer viertaktigen Intro und zwei achttaktigen Strophen (Teil A) bestehen. Wie wir ja bereits im zweiten Kursteil festgestellt haben, folgt nun ein achttaktiger B-Teil, dem wir uns nun widmen wollen.

Der Einfachheit halber sorgen wir zunächst einmal für das rhythmische Gerüst und kopieren acht Takte unseres Drum-Grooves nach Takt 22-30. Ach so, Sie finden, daß unsere Schlagzeug-Figur nun schon lange genug unverändert vor sich hin läuft. Recht haben Sie. Nehmen wir also eine kleine Veränderung vor. Damit das Ganze aber nicht zu kompliziert wird, lassen wir bei Bass-Drum und Snare alles beim alten und variieren nur die HiHat. Verschieben Sie zu diesem Zweck einfach die »offene HiHat« auf der Vier-Und eines jeden Taktes auf die Vier-Und-Und. Das so entstandene Loch auf der Vier-Und füllen Sie mit einer geschlossenen HiHat. Um am Ende des B-Teils einen besonders »dramatischen« Übergang zum sich wieder anschließenden A-Teil zu erzielen, wollen wir in Takt 22 einen kleinen Stop einbauen. Alle Instrumente sollen auf der »eins« von Takt 22 den letzten Ton spielen, so daß die »zwei« leer bleibt und auf der »drei« die Melodie wieder solistisch einsteigen kann (die Melodie begann »aufaktig«, erinnern Sie sich noch?). Der Witz eines solchen »Breaks« liegt darin, daß die Musik im Kopf des Zuhörers weiterläuft (ähnlich wie mitschnippsende Finger) obwohl die Band zu spielen aufgehört hat.

Keine Sorge, wenn Sie sich den Song nachher komplett anhören, verstehen Sie sicherlich, was ich meine. Um nun diesen Break im Schlagzeug zu realisieren, müssen Sieden kompletten Takt 22 mit Ausnahmeder Bass-Drum auf der »eins« löschen. Unsere Abbildung zeigt wieder, wie's gemacht wird.

Als nächstes wenden wir uns den harmonischen Grundlagen des B-Teils zu und spielen die Orgel ein, die in diesem Song-Abschnitt am wenigsten gefordert wird. Sie »drückt« nämlich einfach nur auf der »eins« die neue Harmonie und hält diese bis zum nächsten Akkordwechsel aus. Um welche Harmonien es sich genau handelt, das sollten Sie jetzt einmal selbst herauszufinden versuchen, wenn Sie eine Aufnahme des Originals besitzen. Es ist nicht übermäßig schwer. Na, haben Sie auch wirklich nicht gemogelt und sich die Aufnahme wenigstens einmal angehört? Dann will ich Sie auch nicht länger auf die Folter spannen und Ihnen das richtige Ergebnis verraten: Bb-Dur (2 Takte), C-Dur(2 Takte), Eb-Dur (2 Takte), d-Moll (1 Takt) und G-Dur (1-Takt). Nehmen Sie jetzt die Orgel entsprechend unserer Abbildung auf und denken Sie daran, den G-Dur Akkord in Takt 22 nur einmal kurz auf der »eins« anzutippen.

Alles klar? Dann schreiten wir jetzt zum Piano, das sich weiterhin in altbewährter Manier mit hämmernden Achteln vorwärts bewegt. Das Voicing für diesen Part entnehmen Sie bitte wieder der Abbildung. Auch hier gilt es, an den Break in Takt 22 zu denken.

Bild 1. Der B-Teil mit anspruchsvollen Baß
Bild 2. Auch das Piano hat gut zu tun
Bild 3. Melodie und Schlagzeug für den B-Teil

Nicht ganz so einfach hat es diesmal der Bassist, dem wir einen etwas anspruchsvolleren Part zugedacht haben. Wer mit der Notendarstellung dieser Stimme nicht zurechtkommt und sich beim Einspielen immer wieder »verhaspelt«, darf ganz ungeniert zur Step-by-Step Methode greifen und den ganzen Part Note für Note in aller Ruhe einzeln eingeben. Wenn Sie sich die Baß-Figur jetzt einmal anhören, stellen Sie sicher fest, daß alles mal wieder viel komplizierter aussieht, als es später klingt.

Da die Bläser in diesem Abschnitt Pause haben, fehlt uns folglich nur noch die Gitarre in der Begleitband. Um Stimmen zu sparen, »klampft« unser Gitarrist wie bereits im letzten Kursteil beschrieben nur die Außenstimmen der Harmonien und zwar immer auf der »zwei« sowie der »drei-und« eines jeden Taktes. Warum wir jetzt wieder die krumme »drei-und« nehmen und nicht die gerade »vier« oder »drei«? Nun, schalten Sie einmal alle Spuren bis auf Schlagzeug, Baß und Gitarre stumm, und lassen Sie den B-Teil »im

Kreis« laufen. Bemerken Sie, wie gut die drei Rhythmusgeber ineinander greifen, wie das Stück dadurch zu grooven beginnt? Nein? Dann schieben Sie doch jetzt die drei-und einmal auf die drei und hören sich das Ganze an. Langweilig, oder?! Und glauben Sie mir, auf der vier wird's auch nicht spannender, denn da erschlägt bereits die Snare-Drum unseren Gitarrero. Bleibt uns also nur noch, die Melodie nachzutragen. Da sich in diesem Abschnitt das »Feeling« des Stücks ein wenig ändert, schlage ich vor, die Melodie jetzt mit einem anderen Instrument zu belegen. Leider sind unsere MIDI-Klangerzeuger ja nicht einmal annähernd so flexibel in ihrer Klangvielfalt wie die menschliche Stimme. Gut geeignet für diesen Part wäre beispielsweise eine bluesige Harmonika. Sollte für diese Spur kein eigener MIDI-Kanal mehr an Ihrem Keyboard verfügbar sein, brauchen Sie jetzt nicht in Panik zu verfallen, sondern einfach nur auf Ihrem alten Melodiekanal mit einem MIDI-Program-Change auf den neuen Sound zu wechseln (nachher natürlich zurückschalten auf Sound 1 nicht vergessen).

Auch diese Melodie eignet sich wieder gut für den belebenden Einsatz des Pitch-Benders, der für einen möglichst gefühlvollen Einsatz aber nur eine maximale Wirkung von +/- 2-3 Halbtönen erzielen sollte. Konfigurieren Sie Ihr Pitch-Rad gegebenenfalls entsprechend. Welche Noten sich besonders für die Pitch-Bender Kosmetik eignen, entnehmen Sie den Markierungen (Pfeil nach oben oder unten) in der entsprechenden Hardcopy. Vergessen Sie dabei aber nicht: weniger ist manchmal mehr.

Wenn Sie jetzt noch einmal ein Blick auf unser Form-Schema werfen, brechen Sie hoffentlich in Jubelgeschrei aus, denn wir haben es fast geschafft. Kopieren Sie flugs die Takte 14-30 auf die Takte 31-47 (bitte unbedingt wieder auf das auftaktige Thema achtgeben) und Sie sind bereit, das letzte viertaktige Puzzleteil unseres Arrangements aufzunehmen. Vorher aber noch einmal zur Sicherheit: Durch Ihre Kopieraktion müßten Sie jetzt folgenden formalen Aufbau vorliegen haben: Intro, 2xA, 1xB, 2xA, 1xB.

Bild 4. Das Schlagzeug in der Bridge
Bild 5. Das komplette Stück im Überblick
Bild 6. Baß, Bläser und Orgel in der Bridge

Bei den nun folgenden vier Takten handelt es sich um eine sogenannte Bridge. Diese »Brücken« dienen - der Name läßt es vermuten - der Verbindung von Formteilen, die man nicht »einfach so« aneinanderhängen möchte. Bridges haben häufig keinen ausgeprägt eigenständigen Charakter. Ihre Funktion liegt mehr im »Hinführen« auf eine neue musikalische Idee. Dementsprechend hat auch unser Exemplar nichts Bemerkenswertes zu bieten, weshalb ich Sie - inzwischen Recording-Profi - bitten möchte, die vier Spuren entsprechend der Abbildungen aufzunehmen.

Wenn Sie jetzt noch einmal das achttaktige Thema A an diese Bridge kopieren, haben Sie unser Demo-Stück komplettiert. Das war's, herzlichen Glückwunsch! Wie, Sie meinen, unserem Stück fehlt noch der Schluß? Ja und nein! Im Original wird das Stück auf

den letzten Takten ausgeblendet, bei einem MIDI-Arrangement aber sicherlich keine ganz zufriedenstellende Lösung. Was zu tun ist? Nun, versuchen Sie doch einfach das, was Sie in den letzten Wochen gelernt haben, an der Gestaltung des Endings auszuprobieren. Wenn Ihnen gar nichts einfällt, werfen Sie mal einen vorsichtigen Blick auf das Intro...

Damit sind wir nun am Ende unseres kleinen Arran-gier-Breviers angelangt, und ich hoffe, Sie konnten die eine oder andere Anregung für das eigene musikalische Schaffen »mit nach Hause nehmen«. Natürlich lassen sich auf der einen Seite im Rahmen eines solchen Kurses nur wenige Aspekte der musikalischen Arbeit mit dem Computer anschneiden, und so mancher fortgeschrittene MIDI-Adept hätte sich gewiß über mehr Details und Tricks gefreut. Auf der anderen Seite werden aber auch viele Neu-Einsteiger hin und wieder über das doch recht flotte Tempo unseres »Crash-Kurses« gestöhnt haben. Egal, zu welcher Gruppe Sie sich auch immer zählen, betrachten Sie einfach diesen letzten Teil nicht als Ende, sondern als Anfang. Verwenden Sie unsere »I can't stand the rain«-Variante, die Sie ja in punkto Aufbau und Machart inzwischen wie die eigene Westentasche kennen, als Ausgangs- bzw. Rohmaterial für weitere Versuche und Experimente. So gibt es auch an diesem Stück noch einiges zu tun: Die Übergänge zwischen den einzelnen Formteilen lassen sich z.B. durch ausgeklügelte Drum-Fills wesentlich interessanter gestalten, vom Schluß sprachen wir bereits. Scheuen Sie sich nicht, Ihnen selbst noch so abwegig erscheinende Ideen zu verwirklichen. Anstelle des Pianos einmal einen Streichersound einsetzen? Warum nicht? Sie finden Gitarren langweilig und bevorzugen alpenländische Zithern? Probieren Sie es! Die Baßstimme im B-Teil kommt Ihnen fade vor? Prima, löschen Sie das Original und spielen Sie Ihre eigene Variante ein. Noch besser: Wagen Sie sich doch einmal an die Realisation eigener Kompositionen, keine Angst, es ist noch kein MIDI-Meister vom Musik-Himmel gefallen. Haben Sie vor allen Dingen dann auch den Mut, Ihr »Opus« Freunden und Bekannten Vorspielen, und hören Sie sorgfältig auf deren Kommentare. Denn oft trifft der unbeteiligte Zuhörer genau des Pudels Kern, an dem wir uns als »Produzenten« die letzten Tage lang die Zähne ausgebissen haben (»Wieso klingt das jetzt bloß so fade...«). Vergessen Sie nicht, auch in der Musik gilt: konstruktive Kritik schult.

So, nun sind der Worte genug gefallen, und wie ein kluger Mensch bereits an anderer Stelle einmal treffend bemerkte: Über Musik sollte man nicht sprechen, Musik muß man machen. In diesem Sinne: viel Erfolg! (wk)


Kai Schwirzke
Aus: TOS 03 / 1993, Seite 90

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