Der ST/TT tippt fremd!

Das zweifellos Wichtigste an einem guten Computer sind zum einen die Bildschirmqualität und zum anderen eine gute Tastatur. Der Atari ST erfüllt die erste Bedingung durch seinen monochromen Monitor mit dem gestochen scharfen Bild mit Bravour. Leider läßt seine Tastatur (zumindest bei den 260/520/1040 STs) doch sehr zu wünschen übrig.

Schwammiger, unpräziser Anschlag, kein Druckpunkt, nie weiß der Anwender genau, ob sein Zeichen auch wirklich vom Computer übernommen wurde. Auch die Tastatur bei den Mega ST-Computern ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß, weil die Tasten kappen unüblich groß ausgefallen sind. Tippfehler sind die üblen Folgen dieser Spar- und Design-Maßnahme von Atari. Einige findige Firmen haben sich mit Notlösungen, wie z.B. neuen, anders geformten Tastenkappen beholfen, die einfach gegen die alten ausgetauscht werden. Dies brachte schon eine gewisse Verbesserung, aber von einer echten professionellen Tastatur, wie man sie von PCs gewöhnt ist, kann dabei immer noch nicht die Rede sein. Abhilfe kann hier nur eine Hardware-Lö sung schaffen, die es erlaubt, normale PC- Tastaturen an den ST anzuschließen. Auch auf diesem Gebiet gibt es mittlerweile einige Anbieter. Meistens wird dabei ein Interface an den ROM-Port oder gar an den MIDI-Port angeschlossen. Dies blockiert nicht nur wichtige Schnittstellen, es ist auch spezielle Software zum Betrieb der PC-Tastatur notwendig und- wie sich jeder denken kann- geht das nicht immer ohne Probleme ab. Selbststartende Spiele oder Anwenderprogramme, welche direkt den Tastaturprozessor des Atari ansprechen (auch das gibt es!), können leider nicht mit einer solchen Tastatur zusammenarbeiten. Auch Hardware-Emulatoren, wie beispielsweise der Spectre 3.0 oder AT-Speed, funktionieren dabei nicht, da sie eigene Routinen zum Abfragen der Tastatur benutzen. Hier gibt es nur einen Weg: es muß ein Interface her, das an die Tastaturschnittstelle angeschlossen wird und den originalen Tastaturprozessor des ST beinhaltet. Nur dadurch kann eine 100%ige Kompatibilität zur normalen ST-Tastatur gewährleistet werden. Einen Vertreter dieser Sparte haben wir zum Test zuf Verfügung gestellt bekommen. Es ist das PC-Tastatur-Interface der Firma HG-Computersysteme. Ein Blick auf das ca. 5 x 7 x 3 cm kleine, schwarze Kunststoffkästchen läßt nicht vermuten, was al les in ihm steckt. Ein fest angeschlossenes Kabel führt heraus und Buchsen für Maus, Joystick und eine normale 5 polige DIN- Buchse zum Anschluß beliebiger PC-Tastaturen sind zu erkennen. Das Kabel endet in einem (Atari üblichen) amerikanischen Telefonstecker. Besitzer eines Mega ST, Mega STE oder TT können also gleich, ohne ihren Computer zu öffnen, das Inter face anstelle der ST-Tastatur anschließen. Lediglich den Tastaturprozessor (6301) muß man aus dem original Atari-Keyboard entfernen (hierzu die Atari-Tastatur öffnen und den Chip vorsichtig aus dem Sockel hebeln) und in den dafür vorhandenen Sockel des Interfaces einsetzen. Wichtig dabei ist, daß der Prozessor korrekt in den Sockel gedrückt wird, (Markierung auf dem Chip seitengleich mit der Nase des Sockels). Bei verkehrtem Einbau ist es ziemlich sicher, daß der Chip sich binnen kürzester Zeit ins „Nirwana“ verabschiedet. Diesen Umbau kann man sich aller dings ersparen, wenn man einen Tastaturprozessor (gegen Aufpreis) bei HG- Computersysteme mitbestellt. Dieser ist dann gleich in dem Interface eingebaut. Bei Computern der Serie 260/520/1040 ST bzw. 1040 STE ist der Anschluß ungleich komplizierter. Zunächst muß man den Computer öffnen und den Stecker der eingebauten Tastatur von der Hauptplatine abziehen. Auch hier braucht man den Tastaturchip nur umzustecken, wenn man keinen extra mitbestellt hat. Zusätzlich muß aber auch das Kabel am Interface ausgetauscht werden. HG-Computersysteme liefert zu diesem Zweck ein Spezialkabel mit. Dieses verbindet direkt die ST-Hauptplatine mit dem Interface. Lei der gibt die Anleitung keinen Hinweis, wie das Kabel aus dem ST-Gehäuse her ausgeführt werden soll. Man kommt nicht darum herum, in die Werkzeugkiste zu greifen und sich selber einen „Ausgang“ aus dem ST-Gehäuse zu feilen.

Doch nun zum Praxistest. Bei uns ver richtete das Interface auf Anhieb seinen Dienst. Die ebenfalls bei HG-Computersysteme erhältliche Cherry-Tastatur zählt ohne Zweifel mit zu den besten Tastaturen auf dem Markt. Es lassen sich aber auch viele andere Keyboards verwenden, einzige Bedingung: Sie müssen zwischen XT und AT umschaltbar sein. Benutzt wird die Stellung „XT“ (bei manchen Tastaturen auch „PC“ genannt). Die Belegung solcher Tastaturen entspricht nicht ganz dem Atari-Standard. Es gibt z.B. keine UNDO- und HELP-Tasten, dafür aber zwei weitere Funktionstasten (Fl 1 & F12). Es lag also nahe diese anstelle der HELP- und UNDO-Tasten zu verwenden. Auch die Sonderzeichen sind bei dem Atari-Keyboard teilweise anders plaziert. Hier machten die Entwickler des Tastatur-Interfaces „Nägel mit Köpfen“ und ließen sowohl die original ST-Tastenkombinationen (z.B. SHIFT-ALT-“Ö“ = geschweifte Klammer) als auch die auf der PC-Tastatur aufgedruckten Zeichen (ALT- “7" = geschweifte Klammer) zu. Falls es aber ein Programm geben sollte, welches gerade diese Tastenkombinationen für sich benutzt, lassen sich die emulierten Sonderzeichen auch abschalten, so daß sich die PC-Tastatur 100%ig wie eine ST-Tastatur verhält. Mit diesen Möglichkeiten ist man wirklich für alle noch so exotischen Programme gerüstet. Uns ist während der Testphase auch kein Programm untergekommen, bei dem die Tastatur ihren Dienst versagt hätte. Zusätzlich zu der normalen und der speziellen Sondertastenbelegung ist auch noch ein neuer Cursor-Tasten-Modus integriert worden. Schaltet der Anwender die „NUM- LOCK“-Funktion ein, leuchtet die dazugehörige Leuchtdiode in der Tastatur auf. Mit den Cursor-Tasten wird nun der Mauszeiger anstelle eines Cursors in groben Schritten bewegt. Hier wird also quasi eine Art „ALT-LOCK“-Funktion emuliert. Den Tasten des Ziffernblock kommt dann auch eine neue Bedeutung zu. Mit den Ziffern „4“,“8",“6",“2" kann der Mauszeiger pixel weise bewegt werden, „+“ und „ENTER“ simulieren dann die rechte bzw. linke Maustaste. Besonders bei Zeichen- und CAD-Programmen bringt das erhebliche Vorteile. Pixelgenaues Positionieren mit der Maus ist immer ein anstrengendes Unterfangen für Augen und Hände. Per Tastatur kann dies z.T. erheblich einfacher und schneller gehen.

Neben den Sonderzeichen wertet das Interface auch einige Tastenkombinationen als Sonderfunktionen für sich aus. So läßt sich z.B. ein Hardware-Maus-Speeder aktivieren oder ein Reset nur für das Interface auslösen. Letzteres kann des öfteren zum „Retter in der Not“ werden, wenn mal der Tastaturprozessor(6301) „abstürzt“. In der Regel hilft dann nur noch der „Affen-Griff‘ zum Reset- Taster des Computers, aber wichtige Daten gehen unter Umständen verloren. Hier kann der Tastaturprozessor durch die Kombination: rechte ALT-Taste; rechte CTRL-Taste; „DE- LETE“, meist wiederbelebt werden, ohne daß der Computer selbst einen Reset durch führt. Im Test traten mit dieser Funktion allerdings ein paar kleine Probleme auf. Die Tastatur schien nach einem solchen Reset nicht mehr richtig zu funktionieren. Wirre Zeichen wurden zum Computer gesandt, und der „NUM- Lock“-Modus blieb permanent aktiv. Durch einen Kalt- bzw. Warmstart des Computers ließ sich dies aber beheben. Ein einziger Wunsch bleibt offen. Es wäre sicherlich das Tüpfelchen auf dem I, wenn sich die Tastenbelegung nach eigenen Vorstellungen anpassen ließe. So ist man leider auf die vorgegebene Belegung beschränkt, aber die o.a. Lösung würde sich sicherlich unverhältnismäßig hoch auf die Kosten des (so schon recht teuren) Interfaces auswirken.

Fazit: „100 Prozent kompatibel zur Atari-Tastatur!“, versprach die Werbung. Dies können wir nach diesem Test auch bestätigen. Weder exotische Programme oder Spiele, noch PC- oder Mac-Emulatoren verweigern die Zusammenarbeit mit dem HG-Interface und der Cherry-Tastatur. Die durchdachte Lösung bezüglich der Sonderzeichen, die nützliche „Cursor-Maus-Emulation“ und die hohe Betriebssicherheit führen dazu, daß wir das Gerät durchaus empfehlenswert finden. Vielleicht wird nicht jeder Atari ST-Anwender eine Profi-Tastatur benötigen, aber für „Vielschreiber“ und „rasende Reporter“, die täglich Texte kilobyteweise in die Tasten hämmern, ist das Interface von HG-Computersysteme eine praktikable Lösung, zu dem auch noch kompatibel zu allen Anwendungen und Spielen. Lediglich der Preis läßt den Normalanwender etwas zurückschrecken. 189,-DM für das Interface (mit Handbuch) plus ca. 200,- DM für eine professionelle Tastatur (Cherry) schlagen doch kräftig zu Buche. Für Anwender, die ihren ST lieber nicht aufschrauben wollen, fallen zusätzlich 50,- D M für den Tastaturprozessor an. Damit liegt der Gesamt preis für eine Komplettlösung bei über 400,- DM. Klar, daß hier der professionelle Markt angesprochen wird. Hierfür ist aber ein solches Instrument beinahe unverzichtbar.

Bezugsadresse:
HG Computersysteme
Giselastr. 9 W-5100 Aachen



Aus: ST-Computer 07 / 1991, Seite 58

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