Atarium

Novembertage

Eigentlich hätte der November für alle ATARI-Fans ein guter Monat werden sollen, konnte man sich doch auf die proTOS am Monatsende freuen. Doch die ersten wichtigen Nachrichten des Monats kamen ausnahmsweise mal wieder von ATARI selbst, und es waren wohl keine guten News. Anfang November fand bei ATARI Sunnyvale eine Massenentlassung statt (so muß man es wohl nennen). Betroffen waren so ziemlich alle, die sich früher mit der TOS-Entwicklung befaßt haben: Craig Suko, Normen Kowalewski, Dave Staugas, aber auch Manager wie Bill Rehbock. Andere, darunter Eric Smith, zogen wenig später die Konsequenzen und suchten sich Jobs mit besseren Zukunftsaussichten. Haben diese Signale irgendwelche Auswirkungen auf die TOS-Welt? Mit Sicherheit. Zunächst einmal steht nun ein für allemal fest, daß es bei ATARI auch in Zukunft kein Engagement im Computermarkt geben wird, zumindest nicht mit TOS-Maschinen. Zweitens unterstreicht es, daß ATARI in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten steckt, sonst würde man kaum Mitarbeiter auf die Straße setzen, die sich jahrelang um die Firma verdient gemacht haben. Es darf darüber gerätselt werden, ob und wenn welche Zukunft ATARI nun noch hat.

proTOS

Kommen wir zur proTOS, die auch dieses Jahr am letzten Novemberwochenende in Hennef stattgefunden hat. Für die Programmierer unter uns gab es einige, teilweise überraschende Neuigkeiten. Die Behne-Brüder präsentierten das längst überfällige MagiC 4.0 mit Falcon-Unterstützung. Erfreulich ist, daß der komplett Überarbeitete MagiC-Desk nun beispielsweise lange Namen unterstützt und daß das AES jetzt Funktionen für Fensterdialoge und Font-Auswahl enthält. Auch der File-Selektor kann nun lange Namen anzeigen. Weniger schön ist, daß notwendige Fortschritte in Hinsicht auf MiNT-Features immer wieder verschoben werden.

Neu und für fast alle Messebesucher überraschend war auch NVDI 4, das nun optional (separates Modul) Schriften im PostScript-Type-I-Format verwenden kann.

N.AES

Aber die Konkurrenz schläft nicht. Overscan überraschte die Messebesucher mit N.AES, einem fast fertigen neuen AES für MINT, das noch im Dezember ausgeliefert werden soll. Das ursprünglich unter dem Namen Sigma entstandene AES fiel speziell durch eine erfreuliche Geschwindigkeitssteigerung gegenüber dem MultiTOS-AES und einigen netten Detailverbesserungen auf . Als Desktop wird eine spezielle Version von Thing ("N.Thing") zum Einsatz kommen (natürlich kann auch jedes andere für MTOS geeignete Desktop eingesetzt werden). Die ST-Computer wird in Kürze darüber berichten. Auf der Hardware-Seite konnte man sich davon überzeugen, daß die neuen PCI-PowerMacs TOS-Programmen unterMagiCMac allerlei Power verleihen. Dasselbe konnte man vom Gemulator, dem ST-Emulator für Intel-PCs, nicht unbedingt behaupten. Zumindest wurde wieder einmal klar, wie wenig irgendwelche Meßwerte aus CPUBenchmarks aussagen. Es bleibt zu hoffen, daß diese Marktlücke bald mit einer Überzeugenderen Lösung geschlossen wird, denn an der CPU-Leistung eines schnellen PCs kann es ja eigentlich nicht hapern. Bei den Clones auf 68K-Basis herrscht nüchtern betrachtet Flaute. Der ,Hades', ein 040-Rechner auf PCI-Basis, muß erst noch fertiggestellt werden und selbst dann stellt sich die Frage, wer sich bei den angepeilten Preisen dafür interessieren soll. Der "Eagle" sollte eigentlich als warnendes Beispiel gedient haben - sowohl für die Entwickler als auch für die Käufer.

WWW unter TOS

Zum Abschluß möchte ich noch einmal auf das vielleicht beeindruckendste Anwendungsprogramm der vergangenen Monate hinweisen. Alexander Clauss' Web-Browser CAB ("Cool ATARI Browser") und die zugehörigen IPRoutinen in STIK (von Steve Adam) mögen vielleicht noch nicht völlig ausgereift sein, beweisen aber, daß man nicht Netscape heißen und der Shooting-Star der Computerwelt sein muß, um einen gut funktionierendes Frontend für das World Wide Web schreiben zu können. Da das ganze Paket noch nicht mal etwas kostet, kann ich nur jedem Besitzer eines Modems empfehlen, ganz schnell nach "WWW15.ZIP" (oder einer neueren Version) Ausschau zu halten (siehe Abbildung). Wennjetzt noch jemand die Anbindung an die zuverlässigeren und flexibleren TCP/IP- Routinen von MiNT-Net schafft, besteht nur noch wenig Grund, neidisch auf "Web Explorer", "Mosaic" oder "Netscape" zu schielen.

Bis zum nächsten Monat!


Julian F. Reschke
Aus: ST-Computer 02 / 1996, Seite 51

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