Die Welt der bunten Datenbilder: Der ST lernt Bildschirmtext

Der jüngste Hoffnungsschimmer für die DFÜ-Welt aus den zuständigen Amtsstuben betrifft Bildschirmtext, den verhätschelten Farbtupfer im tristen Grau des behördlich genehmigten Datenverkehrs.

Das Jahr 1989 soll dem Bildschirmtext-Dienst zu seinem endgültigen Durchbruch verhelfen. Für den reinen Btx-Benutzer verheißt das nur leicht gestiegene Kosten (z. B. Seitengebühren für Mitteilungsseiten, etc.), die der höhere Bedienungskomfort des Systems und wachsende Qualität des Informations- und Kommunikationsangebotes recht-fertigen. Inzwischen bietet nahezu jede Bank einen Btx-Service zur Kontoführung vom heimischen Schreibtisch aus. Immer mehr Datenbanken sind über Btx zugänglich, Versandhäuser halten ihre Waren feil, bei einigen Reiseveranstaltern können Sie Ihren Urlaub direkt buchen, alle Autoverleiher sind im System vertreten, und auch Ihr ST-Magazin ist über Btx (*640640#) Tag und Nacht ansprechbar.

Wir setzen uns hier jedoch weniger mit dem Angebot im Btx-Netz auseinander als vielmehr mit der Hard- und Software-Technologie zur Btx-Nutzung auf dem Atari ST. Neben der Einführung von preiswerten Btx-Endgeräten plant die Post für dieses Jahr, eine der heiligsten Btx-Kühe zu schlachten, die den offiziellen Zugang der Personal Computer zum Btx-System behinderte: Bisher mußten die sogenannten Btx-Decoder 32 Farben aus einer Palette von 4096 Farben auf dem Bildschirm darstellen können. Btx pfeift Ihnen solche Daten nämlich seitenweise mit 480 x 250 Punkte in 32 Farben per Telefonleitung ins Haus. Ein Spezial-Modem mit Postsegen, das berühmte DBT03, oder ein Btx-fähiger Akustikkoppler, zum Beispiel Dataphon s21-23d, verwandeln die »Flötentöne« legal und normgerecht in Computerdaten. Bis zu den Ausgangsbuchsen von DBT oder Koppler bewegt sich jeder Btx-Anwender in gesetzestreuen Bahnen, was »dahinter kommt«, ist entweder teuer oder verboten.

Nach dem Willen der gelben Bilderstürmer errechnen Hardware-Decoder aus den angelieferten Bits und Bytes ein Bild und stellen es auf dem Farbbildschirm dar. An die meisten Decoder können und dürfen Sie Ihren ST über die serielle Schnittstelle anschließen. Geeignete ST-Programme decodieren die »mitgehörten« Btx-Bytes nochmals über einen Software-Decoder und zeigen sie auf dem Computerbildschirm an.

Die preiswertere, aber leider noch verbotene Lösung verzichtet auf den Hardware-Decoder und verbindet den seriellen ST-Port über ein Spezialkabel mit der Ausgangsbuchse des Kopplers (fast legal) oder des DBT03 (illegal, aber von der Post ohne Hausbesuch nicht kontrollierbar). Noch »verbotener«, jedoch besonders leistungsfähig stellt sich Btx mit einem Hayes-kompatiblen Modem an 1200/2400 Baud-Zugängen dar.

Die Aufbereitung der direkt von DBT, Koppler oder gar Modem angelieferten Btx-Daten zu 32farbigen Seiten mit 480 x 250 Punkten bereitet dem schnellen Atari ST kaum Probleme, solange er die fertigen Seiten nur im Speicher zusammenbauen und nicht auf seinem Bildschirm wiedergeben muß. Der für die Punktauflösung bei weitem ausreichende Monochrom-Modus (640 x 400 Punkte) kennt leider nur die beiden »Farben« Schwarz und Weiß. Deshalb setzen die Software-Decoder im ST Bilder in monochrome Pixelmuster um.

Seit unserem letzten Test der Btx-Software für den ST (68000er 1/1988) waren die Programmierer sehr fleißig. Einer erneuten Begutachtung unterzogen sich der »Btx-Manager« (428 Mark mit Interface für DBT03/Dataphon s21-23d) der Firma Drews EDV in der Version 3.0 sowie »Die Box« (298 Mark einschließlich Kabel nach Kundenspezifikation) von phs in Hannover (Version 5.48, noch immer ohne gedrucktes Handbuch!). Eine »abgespeckte« Ausführung der Box (für 99 Mark) ist als Accessory nutzbar.

Die phs-Box lag uns in einer noch nicht fehlerfreien Beta-Version vor, die nach Aussage des Entwicklers wegen der integrierten Debugging-Routinen mit verringerter Geschwindigkeit arbeitet. Das Programm unterstützt die gängigen Hardware-Decoder sowie den Direktanschluß an DBT03, Akustikkoppler und Modems. Automatische Einwahlprozesse für alle Betriebsarten sind eingebunden, funktionierten jedoch aufgrund eines Programmierfehlers in der Modembehandlung noch nicht. Vermutlich auf dem gleichen Fehler beruhen Fehlfunktionen des Software-Decoders wie »Verschlucken« von Btx-Texten oder falsche Zeilenumbrüche, die im Testbetrieb einige Male zum »Aufhängen« des ST führten. Bis zur Auslieferung des fertigen Programms sollen laut phs jedoch alle Probleme beseitigt sein.

Systemeinstellungen wie Schnittstellenbehandlung, Baudraten, Modemtyp, An- und Abwahlprozeduren etc. sind in vier externen Dateien gespeichert, die jetzt mit Hilfe eines eigenen Installationsprogramms und nicht mehr wie in früheren Versionen über einen Texteditor zu editieren sind. Veränderungen der Parameter während des Btx-Betriebs erreicht man lediglich durch Nachladen vorbereiteter Dateien, zum Teil sogar nur nach erneutem Starten des Programmes. Hier wären trotz des unverkennbaren Fortschrittes durch das GEM-geführte Installationsprogramm komfortablere Lösungen denkbar.

Der Box-Desktop besteht aus einer Menüleiste mit sechs Pull-Down-Menüs, dem Btx-Fenster und 16 Icons zur Steuerung wichtiger Programm- und Btx-Funktionen, darunter auch die bekannten Anbieterfunktionen zum Online-Editieren von Btx-Seiten. Das Btx-Fenster läßt sich in zwei Formaten einstellen, nämlich in 1:1-Übersetzung der 10 x 12-Btx-Matrix, die nur einen Teil der Bildschirmhöhe nutzt, und in einer vergrößerten 15 x 12-Pixel-Darstellung, die trotz der rechnerischen Verzerrung dem gewohnten Bild der Hardware-Decoder besser entspricht. Das Btx-System ist nicht nur über Tastatur-Kommandos zu steuern, sondern auch durch Anklicken der entsprechenden Zeichen und Zeichenketten im Btx-Fenster.

Im Menü »Bilder« lassen sich die Btx-Seiten dynamisch als Bild oder als Bildfolge im CEPT-Format speichern. Die Konvertierung in die bekannten ST-Grafikformate und das Auslesen der reinen Textinformationen als ASCII-Datei sind ebenfalls vorgesehen. Für automatisierten Btx-Betrieb bietet die Box gleich mehrere sehr leistungsfähige Verfahren an. Selbstverständlich läßt sich die Tastatur mit Befehlssequenzen belegen. Die sogenannten »Jobs« zeichnen während der Arbeit im Btx-System alle Tastaturoperationen auf und stellen sie in einer speziellen Job-Datei jederzeit zur Verfügung.

Die Jobs lassen sich auch mit einem Texteditor als »,CLI«-Dateien entwerfen. Diese Dateien dürfen Steuerinformationen und Texte enthalten.

Wer noch mehr Leistung verlangt, muß auf den Boxtalk-Compiler warten (voraussichtliche Auslieferung im ersten Quartal 1989), der Pascal-ähnlichen Quelltext in ein Steuerprogramm übersetzt. Ein in der Box integrierter Interpreter versteht dieses Programm und setzt es in Btx-Steuerung um. Die Boxtalk-Sprache enthält Schleifenkonstrukte und logische Entscheidungen mit Auswertung der Rückmeldungen des Btx-Systems.

Im Menü »Einspielen« schicken Sie verschiedene Datentypen wie Bilder, Texte, Telesoftware (mit automatischer Formaterkennung) und sogar sogenannte transparente Daten an die entsprechenden Btx-Seiten ab. Die Seite für transparente Daten (*820#) läßt sich zum Austausch von Nicht-Text-Dateien nutzen.

Sieht man von den üblichen Beta-Version-Problemen einmal ab, hat die phs-Box über ihre schon immer unbestrittenen Qualitäten als offenes Programm für den programmierenden Btx-Kenner hinaus erheblich an Wert für den reinen Anwender gewonnen (alle Routinen des im TDI-Modula geschriebenen Programms sind in Form von DEF-, LNK- und SYM-Dateien erhältlich). Einige Ungereimtheiten in der Bedienung sollte phs allerdings noch beseitigen.

Der »Btx/Vtx-Manager« von Drews EDV verzichtet von vorneherein auf Anbieterfunktionen oder direkte Beeinflussung durch externe Programme. Er ist speziell auf den Btx-Anwender ausgerichtet. Der Desktop des Btx-Managers gliedert sich in die GEM-Menüleiste, in ein Steuerfeld mit Auswahl-Icons und in das Btx-Fenster, das gut 75 Prozent des Bildschirms einnimmt. Größe und Darstellung der Btx-Seiten entsprechen fast deckungsgleich der 15 x 12-Matrix-Darstellung der phs-Box.

Auch der Manager steuert das Btx-System wahlweise mit der Tastatur oder mit der Maus durch Anklicken von Steuerzeichen im Btx-Bild. Die Maussteuerung arbeitet äußerst zuverlässig und vermittelt ein perfektes »GEM-Feeling« im Btx-Betrieb. Das Icon-Feld im linken Bildschirmviertel stellt neben vier Piktogrammen nach Postnorm (Anwahl, Abwahl, Aufdecken, Hintergrund) eine Zehnertastatur mit Stern, Raute und vier häufig gebrauchten Btx-Steuerzeichen zur Mausbedienung bereit. Neun Wahlfelder erlauben die Steuerung der Datei-und Druckoperationen mit Hilfe einfacher Mausklicks. Darunter befinden sich neun Auswahlfelder mit Tastaturmakros, die zusätzlich mit der Maus abrufbar sind. In einem komfortablen Makroeditor als Programmbestandteil des Managers kann der Benutzer jederzeit, auch bei der Online-Arbeit im Btx-System, auf 93 Makros zugreifen, diese verändern oder neu anlegen.

In neuer Schönheit: die phs-Box

Wer noch größere Makros benötigt, entwirft Textdateien mit Steuercodes. Textdateien lassen sich nämlich mit dem Manager sozusagen als Makros online ins Btx-System schicken. Dabei entfällt jede Begrenzung hinsichtlich der Makro-Länge. Man vermißt allerdings auch hier logische Entscheidungen, Schleifen und Verzweigungen. Drews bietet bereits mit dem Telex-Manager und dem Mitteilungs-Manager zwei Zusatzprogramme der Firma Priro in Bornheim an, die beliebige Textdateien im ASCII- oder 1st Word-Format für die entsprechenden Seiten im Btx-System »portioniert« und mit den erforderlichen Steuercodes aufbereitet. Auf Wunsch integrieren diese beiden Text-Manager sogar die Btx-Anwahl-Prozedur in die Telex- und Mitteilungsdateien. Nachrichten über Erfolg oder Mißerfolg der Sendungen erscheinen anschließend in entsprechenden Protokolldateien.

Alle Programm-Parameter sind über sechs Pull-Down-Menüs zugänglich. Ob Decoderwechsel, Modembetrieb in verschiedenen Baudraten oder DBT03, mit oder ohne automatische Anwahl- und Einlog-Prozedur, alle Einstellungen lassen sich jederzeit wechseln oder beeinflussen. Kurz gesagt, in diesem Programmteil bietet der Manager ein Optimum an Variabilität mit beispielhafter Bedienerführung.

Noch funktioneller: der Btx-Manager

Der Btx-Manager gibt sich international. Im Pull-Down-Menü »Btx/Vtx« stellt man den fast fehlerfrei arbeitenden Software-Decoder auf die Bildschirmtext-Systeme der Schweiz, Luxemburg und Frankreich ein. Wer also künftig sein Nummernkonto auf einer Schweizer Bank über Btx vom heimischen Schreibtisch aus verwalten will, ist mit dem Btx-Manager bestens versorgt.

In einem Vergleich der beiden vorgestellten Btx-Programme schneidet der Software-Decoder des Btx-Managers besser ab als sein Gegenstück in der phs-Box. Allerdings hat sich der Unterschied zwischen den beiden Lösungen deutlich verringert. Auch hinsichtlich des Bedienungskomforts hat die phs-Box leicht aufgeholt. Wir können sie inzwischen auch für den reinen Btx-Nutzer empfehlen, vorausgesetzt, die Fehler der Beta-Version lassen sich ausmerzen. Der geringere Preis der Box tröstet über die verbliebenen Kritikpunkte hinweg. Potentielle Programmierer und »Btx-Hacker«

sollten die phs-Box vor dem Kauf genau prüfen, da sie im Hinblick auf diesen Anwendungsbereich mit mehr Leistung als der Btx-Manager aufwartet. Die Firma Drews hat aber bereits für dieses Jahr eine Art Btx-Bibliothek zum Einbinden in eigene Programme angekündigt. Der Manager ist in C geschrieben.

Wer jedoch ein betriebssicheres und bequem zu bedienendes Programm sucht, das sich gleichzeitig flexibel an verschiedene Btx-Systeme im In- und Ausland anpaßt, sollte sich trotz des höheren Preises mit dem Btx-Manager anfreunden. GEM-Komfort der höchsten Leistungsklasse zeichnen dieses hervorragende Programm aus. Ist der Sieg auch knapper ausgefallen als noch vor einem Jahr, der Btx-Manager hat auch dieses-mal die Nase vorn. (uh)

Vertrieb:

Drews EDV+Btx, Bergheimerstr. 134b, 6900 Heidelberg

phs, Davenstedter Str. 8, 3000 Hannover 91

PRIRO GbR, Zentwinkelsweg 16, 5303 Bornheim 1


Wolfgang Fastenrath
Aus: ST-Magazin 02 / 1989, Seite 38

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