Dauerbrenner: MS-DOS-Emulatoren für den Atari ST

Seit der Vorstellung des Atari ST und der CeBIT 1985 wurde immer wieder der Wunsch nach einem MS-DOS-Emulator für diesen Computer laut. Atari versprach seinerzeit, selbst einen Emulator auf den Markt zu bringen. Um die Entwicklung von TOS-Programmen für den ST nicht zu bremsen, entschloß man sich bei Atari dazu, den Emulator in der berühmten Schublade verschwinden zu lassen. Betrachtet man heute die große Menge an Software, die für den ST verfügbar ist, so handelte Atari wohl richtig.

Trotzdem wünschten sich viele ST-Besitzer ein solches Gerät, denn viele arbeiten im Beruf, oder in der Ausbildung mit einem IBM- oder einem zum sogenannten Industriestandard kompatiblen PC.

Jedoch blieb der Wunsch nach einem leistungsfähigen Hardware-Emulator von seiten der Hersteller unerfüllt. Lediglich ein Produkt namens »Supercharger« geisterte vor rund einem Jahr durch die verschiedenen Fachzeitschriften. Bei dem Supercharger handelt es sich um eine Entwicklung der Frankfurter BetaSystems AG. Ein kleines Kästchen in Zigarrenschachtelgröße sollte jedem ST zur MS-DOS-Kompatibilität verhelfen. Dieses Projekt scheiterte offensichtlich an technischen Problemen, die die BetaSystems AG mit der Entwicklung und Fertigung eines Customs-Chips hatte. Dieser Baustein enthält die gesamte Logik des Emulators. Bis auf einen sehr instabil laufenden Prototyp, der auf der CeBIT 1988 dem breiten Publikum vorgestellt wurde, konnte die Frankfurter Firma keine Resultate aufweisen. Außerdem bestand der Emulator überwiegend aus RAM-Bausteinen, die wegen der RAM-Krise sehr teuer sind. Dadurch ist der Preisunterschied zwischen einem »echten« PC und dem Supercharger kaum mehr der Rede wert.

ST Besitzer, die auf eine MS-DOS-Kompatibilität ihres Computers nicht verzichten konnten, mußten bis vor kurzem mit einer reinen Software-Lösung vorlieb nehmen. Das amerikanische Softwarehaus Avant-Garde Systems liefert seit dem Sommer 1987 den »pcditto«, ein Programm, das den ST in einen PC verwandelt.
Zum Lieferumfang dieses Emulators gehört neben einer Diskette ein schmales Anleitungsheft, das die Installation und die Nutzung der vollen Kapazität der ST Diskettenstationen erklärt. Auf der Diskette befindet sich noch eine README-Datei mit wichtigen Zusatzinformationen vor allem für Festplattenbesitzer.

Mit einem Programm paßt man den Emulator an die Hardware seines STs an. Darunter fallen:

Die wichtigsten MS-DOS-Programme laufen unter pc-ditto. Programme, die direkt auf Adressen zugreifen, verweigern zwangsläufig ihren Dienst: Sie setzen Hardware voraus, die ihnen pc-ditto nicht bietet. Hierunter fallen vor allem Kopierprogramme zum Kopieren geschützter Software, da diese direkt den Disketten-Controller eines IBM-PCs ansprechen.

Das große Handicap dieses Emulators ist seine Arbeitsgeschwindigkeit. Besonders beim Scrollen in einem Editor oder in einer Textverarbeitung stößt man schnell an die Grenzen des pc-ditto. Der Grund: Pc-ditto verzichtet gänzlich als Software-Emulator auf unterstützende Hardware. Damit taugt dieser Emulator nicht als echte Alternative zu einem Hardware-Emulator. Einem Hineinschnuppern in die MS-DOS-Welt steht allerdings mit diesem Programm nichts im Wege.

Derselbe Hersteller kündigte im April auf der Comdex in Chicago einen neuen MS-DOS-Emulator an. »pc-ditto II« basiert auf einem Hardware-Zusatz. Er soll einen Norton-Faktor von 3,0 erreichen. Damit wäre er dreimal schneller als ein mit 4,77 MHz getakteter original IBM XT. Weitere technische Merkmale von pc-ditto II sind laut Herstellerangaben:

pc-ditto II kostet in den USA 299,95 Dollar. Sobald uns ein Exemplar erreicht, unterziehen wir es einem ausführlichen Test und berichten über unsere Erfahrungen mit pc-ditto II.

Seit Ende Juni dieses Jahres erfüllt sich ein Wunsch für viele ST Besitzer:
Mit »PC-Speed« steht endlich ein leistungsfähiger Hardware-MS-DOS-Emulator zur Verfügung. Dieses Gerät stellten wir bereits in unserer letzten Ausgabe vor. Sein Aufbau unterscheidet sich grundsätzlich von allen bisher vorgestellten Ideen. PC-Speed findet seinen Platz auf dem Prozessor des STs. Er wird also nicht über den ROM oder DMA Port an den ST angeschlossen. Durch dieses Konzept hat der Prozessor dieses Emulators direkten Zugriff auf den Systembus und damit auf das RAM des STs. Dieses Verfahren bringt neben einem Preisvorteil auch einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil, da der Flaschenhals »Schnittstelle« entfällt.

Der MC 68000 bietet die Möglichkeit, einem anderen Chip die Kontrolle über den Bus anzuvertrauen. Die MMU sendet im ST eigenständig Daten über den Bus, ohne dabei die CPU mit Rechenzeit zu belasten. Dieses Verfahren heißt in der Fachsprache Bus Arbitration. PC-Speed setzt genau hier an: Der MC 68000 teilt sich den Systembus mit einem NEC V30, dem Herz des Emulators. Die Signale des V30 bereiten dabei zwei PALs, also zwei programmierbare Logikbausteine, für den 68000er Bus auf. Die Steuerung der Bus Arbitration übernimmt die Emulator-Software.

Das etwa 60 KByte große Programm enthält ein zirka 8 KByte großes BIOS, das aus V30-Code besteht und die Tastaturabfrage und Bildschirmausgabe übernimmt. Dadurch glänzt PC-Speed mit einer überraschend schnellen Ausgabe auf den Monitor, da der V30 den Bildspeicher schneller scrollt als sein Kollege von Motorola.

Unter PC-Speed hat man die Wahl zwischen zwei Grafikkarten: CGA oder Hercules. Über ein Installationsprogramm ordnet der Anwender den 16 Farben des CGA-Textmodus die vier Farben der 640 x 200ST-Auflösung zu.
Die Hercules-Auflösung unterscheidet sich mit ihren 720 x 348 Punkten völlig von der des STs im Schwarzweiß-Modus (640 x 400 Punkte). PC-Speed stellt daher nur einen Ausschnitt der Bildschirmseite dar. Mit der Tastenkombination < Alternate Pfeiltaste> verschiebt man den Ausschnitt nach links oder rechts.

Soweit zur Technik dieses Emulators. Bei ersten Tests zeigte sich, daß PCSpeed nicht einmal den Vergleich mit einem »echten« Kompatiblen scheuen muß. Wie sich das Gerät im harten Dauertest bewährt, erfahren Sie in einer der nächsten Ausgaben. Endlich scheint der Wunsch vieler ST Besitzer in Erfüllung zu gehen: Ohne die hohen Kosten für einen weiteren Computer können Sie auf den großen Pool der PC-Software zugreifen. (uh)


Robert Stähler
Aus: ST-Magazin 08 / 1989, Seite 23

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