Austerlitz: Morgensonne über Austerlitz

Es gibt für die Fans historischer Schlachten jede Menge Simulationen. Wir haben in diesem Beitrag einige herausgesucht, die sich mit dem Kriegsgetümmel um Austerlitz befassen.

Am Morgen des 1. Dezember 1805 marschierten gegen sieben Uhr über 80000 Russen und Österreicher von den beherrschenden Höhen des »Pratzen« in die nebligen Niederungen herab, um 70000 zurückweichende Franzosen zum Kampf zu stellen. Doch am selben Abend noch flüchtete ein aufgelöstes Heer ostwärts und Napoleon war nicht nur unbestrittener Herr des Schlachtfelds, sondern ganz Mitteleuropas.

Für den ST sind zwei Computersimulationen erschienen, die jedem Freizeit-Strategen Gelegenheit geben, die Geschichte auf eigene Faust neu zu schreiben. Es handelt sich um eine neue 3D-Simulation der bekannten »Dr. Peter Turcan«-Reihe (von ASS/ Mirrorsoft vertrieben) und ein Szenario in klassischer Brettspielperspektive aus dem Viererpack »Great Battles« der kleinen US-Firma »Royal Software« (das Paket enthält noch Waterloo, Gettysburg und Shiloh).

Werfen wir zunächst einen Blick auf die »Austerlitz« -Version von PSS. Während des Ladens hat der Spieler die Möglichkeit, einige Hilfen zuzuschalten, die den Spielfluß zwar deutlich verlangsamen, aber für Anfänger dringend zu empfehlen sind. Es empfiehlt sich z. B., die Wirkung der eigenen Geschütze beim Feind zu überwachen.

Die Spieler betrachten das Schlachtfeld in 3D-Perspektive von ihrem Hauptquartier aus.

Die Simulation beginnt um sieben Uhr am Morgen und läuft in Viertelstundenschritten bis 17 Uhr. Dieses Raster erweist sich als etwas grob, da sich besonders die Kavallerie sehr schnell bewegt und so mitunter wie von Geisterhand verschoben auftaucht.

Kern des Spiels ist neben der 3D-Darstellung das Echtzeitkommandosystem. Das funktioniert so: Der Spieler kann untergeordnete Truppen nur auf dem Umweg über die Korpskommandeure unter Einsatz von Meldereitern schriftlich befehligen. Der jeweilige Korpskommandeur entscheidet dann, ob und wie ein erteilter Befehl durchgeführt werden kann.

In Echtzeit kommandieren

Die Simulation unterscheidet Programm- und Spielbefehle. Erstere können beliebig eingegeben werden und umfassen Blickrichtung, Punktestand, Informationen über die Kommandogliederung sowie Speichern und Pause. Die Spielbefehle beschränken sich auf acht pro Zug. Sie regeln den gesamten Ablauf des Kampfes von den mächtigen Befehlen zur Änderung der Grundstrategie eines Korps bis zur minimalen Richtungsänderung einer Division. Der Spieler erhält dadurch einzigartige Einblicke in die Komplexität einer solch riesigen Armee. Allerdings erscheint es merkwürdig, daß ein charismatischer Führer wie Napoleon ein vor ihm stehendes Regiment nicht direkt beeinflussen kann, sondern erst schriftlich den Korpskommandeur um Erlaubnis fragen muß.

Den Ausgang der Gesamtschlacht errechnet der Computer anhand einer komplexen Wertung von Siegpunkten. Entscheidend ist dabei die Höhe der Truppen-Verluste.

Historische Original-Befehle und die zumeist sinnvolle Unterstützung durch Unterkommandeure erleichtern den Einstieg erheblich. Nichts wirkt sich jedoch so verheerend aus wie der Wunsch, überall dabeisein und alles selbst regeln zu müssen. Der erfolgreiche Kommandeur legt sich zu Beginn eine Hauptstoßrichtung fest, sucht sich anschließend einen geeigneten Aussichtspunkt, übergibt die außer Sicht liegenden Fronten samt Reserven seinen Unterkomman-deuren und kümmert sich selbst nur noch um die Entscheidung.

Das Spiel gibt dem Möchtegern-Napoleon sofort nach dem Laden einen exzellenten optischen Eindruck vom Wesen der Schlacht. Die Hügelketten erscheinen im Vergleich zum Vorgänger »Waterloo« wie leergefegt, in den eigenen Reihen klaffen weite Lücken, Meldereiter brauchen zwei Stunden, um den anderen Flügel zu erreichen. Die Simulation wird Hobbystrategen auf unabsehbare Zeit faszinierende Varianten liefern können, gerade auch aufgrund der exzellent nachempfundenen Kommunikationsprobleme sowie des unberechenbaren moralischen Faktors. Kleinere Schwächen fallen demgegenüber kaum ins Gewicht.

Glück gehört auch dazu

Völlig anders dagegen präsentiert sich das brettspielartige Austerlitz-Szenario von Royal Soft:

Alle Truppen bewegen sich auf einer Karte, die genau einen Bildschirm füllt. Befehlshaber sieht das Spiel vom Korpskommandeur aufwärts vor. Sie beeinflussen das Spiel durch ihre Präsenz oder ihren Tod entscheidend. Nach Laden des Szenarios hat man die Möglichkeit, vier Schwierigkeitsgrade sowie erschwerende Varianten auszuwählen.

Der Spielverlauf entspricht dem von Brettspielen.

Glück spielt beim Royal-Soft-Austerlitz eine erhebliche Rolle, da die einzelnen Kampfergebnisse nicht durch reinen Stärkevergleich, sondern auch mit Hilfe eines Zufallsgenerators ermittelt werden. Aufgrund der geringen Zahl von Einheiten kann eine kurze Pechsträhne entscheidende Folgen haben. Dem Glück nachhelfen kann man allerdings durch rücksichtslosen Einsatz von Kommandeuren. Natürlich hat das erhebliche Folgen fürs eigene Punktekonto. Der Ausgang der Schlacht wird mit einer doppelten Punktwertung ermittelt: Sieger ist, wer mehr Gelände in Form von Siegpunkten beherrscht, der Grad des Sieges ergibt sich anhand der Truppenverluste. Diese lebensnahe Unterteilung verhindert das bei Brettspielen so beliebte Verheizen aller Truppen, wo der Letzte zwar sieggekrönt, aber meist einsam vom Feld reitet. »Austerlitz« von Royal Soft enthält somit alle Features, die man von einer Brettumsetzung gemeinhin erwartet und bietet zusätzlich einige gelungene Optionen.

»Austerlitz« von PSS präsentiert sich gegenüber seinem Vorgänger »Waterloo« in verbessertem Gewand. Neben den beiden Spieldisks findet sich eine abwaschbare Karte mit den Ausgangspositionen der Heere, ein englisches Handbuch sowie eine mehrsprachige Befehlsübersicht.

Das Handbuch ist endlich fest geheftet und die Schrift lesbar. Sehr gut gelungen: der historische Teil und die Einführung in den Befehlsparser. Leider fehlt bei den PSS-Spielen immer noch ein Farb-code zur Identifikation der Truppenteile und eine Liste der Anfangsbefehle. Noch ärgerlicher ist jedoch die historisch zwar richtige, aber im Spiel völlig unbrauchbare Kriegsgliederung. Aufgrund der Unflexibilität des Programms, das nur Infanterie-Regimenter zu 1000 Mann und nur Bewegung in geschlossener Division kennt, wurde die Zahl der Einheiten im Spiel völlig neu berechnet und einige Divisionen aufgespaltet, um sie in Teilen bewegen zu können. Dem Verfasser des Handbuchs ist dies offenbar entgangen, so daß man im Spiel nicht nur etwa ein Drittel der nach Handbuch vorhandenen Einheiten vermißt, sondern alsbald feststellt, daß mehrere im Handbuch nicht erfaßte Divisionen nichtstuend im Gelände her-umlümmeln. Die »deutsche« Befehlsübersicht erinnert leider noch immer an die Gebrauchsanleitungen koreanischer Elektrogeräte. PSS sollte sich wirklich etwas mehr Mühe geben: Miese Handbücher ärgern nicht nur Strategiefans.

»Great Battles«-Austerlitz von Royal Soft dagegen besteht aus einer einseitigen Diskette und einem englischen Handbuch. Das beschreibt zunächst auf 20 Seiten die für alle Szenarien geltenden Regeln und geht dann auf je zehn Seiten auf die einzelnen Schlachten ein. Die historische Einführung zu Austerlitz nebst zwei Karten ist recht gut gelungen, die anschließende Kriegsgliederung nebst Siegpunkttabelle erscheint schlüssig und übersichtlich. Erhält man vom Distributor noch eine deutsche Übersetzung dazu, ist das Glück vollkommen.

Abstrakt: Die Grafik zeigt wirklich nur das Allernötigste

Gottgleiche Spielerposition

Das Spiel präsentiert sich mit allen Vor- und Nachteilen der Brettumsetzungen. Umfassende Sicht, Kommunikation und Informationsfülle sowie die grenzenlose Todesbereitschaft der Einheiten geben dem Spieler eine geradezu gottgleiche Position, lediglich eingeschränkt durch die zahlreichen Sonderoptionen sowie den stets gleich gut informierten Gegenspieler. Wie der knappe Programmumfang allerdings befürchten ließ, kann man den Computergegner glatt vergessen. Er hält sich an keinerlei historische Pläne, sondern spielt ein reines »Brute-Force«-Programm, wobei er geschickt seine Reserven verschiebt. Er läßt sich jedoch leicht von der Rolle und an den Rand der Vernichtung bringen. Wesentlich interessanter wird das Programm in der Zwei-Spie-ler-Option mit eingeschalteten Zusatz-Schwierigkeiten, besonders durch hohe Punktabzüge beim Verlust von Führern. Mit dem historischen Original hat das Spiel — abgesehen von der exakten Zusammensetzung der Armeen — wenig zu tun, die Schlacht könnte ebensogut in der Antarktis ablaufen.

Fazit: »Austerlitz« von Royal Soft ist bei hervorragendem Preis-Leistungs-Verhältnis ein konventionell aufgemachtes Strategiespiel mit gut rekonstruierter historischer Ausgangsposition und vielen einstellbaren Varianten, jedoch einer enttäuschenden Spiellogik. Die Solovariante ist nur denen zu empfehlen, die es ihrem Atari mal richtig heimzahlen wollen. Im Zweispielermodus dagegen unterhält das Programm manche Stunde mehr. Ein Gefühl für Historie kann es allerdings nicht vermitteln.

PSS dagegen hat mit seiner »Austerlitz«-Variante eine historisch und optisch sehr gelungene Studie geliefert, die Schwächen liegen hier im Handbuch und kleineren Details der Truppensteuerung. Der Kompromiß zwischen Historizität und Spielbarkeit ist einigermaßen gut gelungen, die Führerqualitäten sind im Interesse der Spannung allerdings stark zugunsten der Russen verschoben und angeglichen. Napoleon würde im Grab rotieren, aber für ihn ging es auch um mehr als zehn Stunden Spielspaß... (hu)

Austerlitz

Hersteller: PSS/Mirrorsoft

Preis: 84,95 Mark

Bemerkung: 0-2 Spieler, nur Farbe/Lowres

Great Battles

Hersteller: Royal Software

Preis: 54,95 Mark

Bemerkung: Austerlitz-Szenario auf der Diskette vorhanden, 0-4 Spieler, Farbe/Lowres

ASS/Mirrorsoft-Austerlitz bei: United Software GmbH, Carl-Bertelsmann-Str. 161,4830 Gütersloh 1


Hans Joachim Sütterlin
Aus: ST-Magazin 09 / 1990, Seite 132

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