TOS unter DOS mit GEMulator: Verkehrtes Weltbild

Daß ein Atari ST DOS-Rechner emuliert, ist seit dem legendären »PC Speed« kein Reißer mehr. Umgekehrt ging es bisher nicht. Jetzt haben ein paar Amerikaner einen ST-Emulator für MS-DOS-Computer zusammengebastelt.

Was ist eigentlich ein Emulator? Das Ding tut so, als sei es was ganz anderes, ein anderer Computer beispielsweise. Richtig. Genügt es aber, wenn der Emulator die andere Hardware nur interpretiert? Oder besser: Wie lahm darf ein Emulator sein, um noch als Emulator zu gelten?

Bevor wir die Diskussion fortsetzen, zunächst in Kurzfassung die Vorgeschichte: Seit Monaten geistern Gerüchte über eine Atari-ST-Emulatorkarte für MS-DOS-Computer durch die Szene. Ein für allemal einen Schlußstrich unter das Hick-hack mit Atari ziehen, einen schnellen DOS-Rechner abgreifen und trotzdem nicht auf die liebgewordene Atari-Software verzichten müssen — das wär’s doch! Leider hat der »GEMulator«, so der Name der Karte, ein paar gravierende Haken, die den Spaß einschränken.

Großer und kleiner Klaus: MS-DOS mit TOS-Desktop
Auf die Karte passen vier TOS-Versionen

Er interpretiert lediglich eine 68000er CPU inkl. Atari-ST-Hardware. Und zwar Schritt für Schritt im Arbeitsspeicher. Das GEMulator-ROM-Reader-Board verfügt deshalb nicht über einen eigenen 68000er Prozessor, sondern lediglich über acht Sockel, die bis zu vier Betriebssystem-Versionen aufnehmen können (TOS 2.06 deutsch oder amerikanisch, TOS 1.0, ROM- oder RAM-Version, TOS 1.4, ROM-Version). Die TOS-ROMs mußten natürlich original übernommen werden, wollte der GEMulator nicht den traurigen Weg eines »Aladin« gehen (vom Markt geklagter Mac-Emulator für ST).

Im Klartext: Der GEMulator tut nichts anderes, als einen 68000er Befehl in 386er kompatiblen Code zu konvertieren. Leider benötigt der 386er satte zehn Schritte, um einen einzigen Atari-ST-Befehl zu emulieren. Um eine Echtzeit-Simulation zu realisieren, muß der DOS-Rechner also zehnmal schneller arbeiten als der emulierte ST.

Zweites Problem: Die Speicherverwaltung unter DOS. Ein entsprechend großer Adreßraum muß bereitgestellt werden, um erstens die rund 3 MByte Emulatorsoftware aufzunehmen und zweitens genügend Speicher für das emulierte Atari-RAM (2 MByte) freizuhalten. Da der 68000er Prozessor 32-Bit-Register einsetzt, die unter DOS erst ab 80386SX-CPU zur Verfügung stehen, scheiden 8086-/8088- und 80286-Systeme von vorneherein aus (wegen des kleinen Arbeitsspeichers und der niedrigen Rechengeschwindigkeit wären sie ohnehin nicht geeignet).

Hardware-Voraussetzungen

Alles in allem sind die Hardwareanforderungen für den Betrieb des GEMulator also nicht eben bescheiden: Rechner ab 386SX aufwärts, Minimum 4 MByte RAM (eigentlich 8 MByte), Minimum 10 MByte freier Festplattenspeicher. Soll der Emulator unter Windows 3.0 oder 3.1 laufen, müssen gar 16 MByte RAM zur Verfügung stehen — auf einem 486er mit 33 oder 50 MHz.

Dazu eine schnelle VGA-Grafikkarte mit entsprechendem Monochrom- bzw. Farbmonitor sowie eine Microsoft-kompatible Maus.

Die Emulatorkarte findet Platz in einem 8-Bit-Steck-Slot. Zum Lieferumfang der PC-Steckkarte gehört ein amerikanisches TOS 2.06.

Die Emulatorsoftware liegt als gepacktes selbstextrahierendes ZIP-File vor und belegt rund 4,6 MByte der Festplatte. Mit dem Entpacken der Daten werden drei Start-Dateien aktiv: »GEMULDOS« zum Starten des GEMulator mit 8 MByte RAM, »GEMULVM« zum Start mit virtueller Speicherverwaltung (falls »nur« 4 MByte RAM im 386/486er vorhanden sein sollten. Die erzeugte Swap-Datei auf der Hard disk frißt dann rund 5 MByte.) und last not least »GEMULWIN.BAT« zum Start unter Windows.

Unter Windows werden die Bildschirmdaten des emulierten Atari ST in ein Fenster gelenkt. Nach dem Programmstart meldet sich der Setup-Bildschirm mit den verfügbaren TOS-Versionen. Getreu dem Motto »Welches Schweinderl hätten’s denn gern« will das Programm außerdem zwischen Färb- und Monochromemulation unterschieden wissen. Wichtig ist ferner, ob mehrere Laufwerke genutzt und ob A mit B vertauscht werden soll (SWAP-Befehl, interessant, wenn DOS-Laufwerk A: 5,25-Zoll-Format besitzt). Sollen die unter Windows zur Verfügung stehenden Mauskoordinaten auch für den GEMulator-Betrieb gelten? Anschließend versucht der emulierte Atari wie gewohnt von Diskette zu booten und schließlich erscheint der GEM-Desktop. Unser 80486SX-Rechner mit 8 MByte RAM erreichte ca. 75 Prozent der Geschwindigkeit eines 8-MHz-ST mit 68000er CPU.

Entscheidend ist neben der Geschwindigkeit auch die Frage, wie kompatibel der Emulator zum Original Atari ST ist. Keinerlei Probleme hat der GEMulator mit sauber programmierten Applikationen, so laufen u. a. die bekannten Softwarebeschleuniger »Quick ST« (kein Wunder, GEMulator und Quick ST stammen vom selben Autor) und NVDI (mit oder ohne GDOS). Dummerweise meckert der GEMulator beim Versuch, Disketten mit 10 Tracks zu laden.

Bei einigen Applikationen gibt es Schwierigkeiten mit den Datenpfaden, so versucht z. B. »That’s Write« seine Installationsdatei zu lesen und findet sie nicht. Die Testversion verweigerte außerdem den Zugriff auf die PC-Festplatte. Die Installation größerer Programme ist auf dem PC daher schlicht unzumutbar.

DynaCadd/2 läuft auch unter Windows
  | Monochrom-Emulation NVDI 2.01c | Monochrom-Emulation ohne NVDI | 320x200 Farbe NVDI 2.01c | 320x200 Farbe ohne NVDI ---------- | --- | --- | --- | --- CPU Memory | 97% | 94% | 96% | 94% CPU Register | 33% | 33% | 33% | 33% CPU Divide | 353% | 353% | 341% | 353% CPU Shifts | 477% | 490% | 480% | 489% 64 KB Read | 78% | 81% | 71% | 74% Gemdos File | 96% | 110% | 115% | 94% TOS Text | 209% | 59% | 120% | 60% TOS String | 731% | 60% | 193% | 60% TOS Scroll | 77% | 62% | 75% | 64% GEM Dialog | 120% | 44% | 111% | 44%

486SX 25 MHz, 64 KByte Cache, 4 MByte RAM, 16-Bit-VGA

  Monochrom-Emulation NVDI 2.01c Monochrom-Emulation ohne NVDI 320x200 Farbe NVDI 2.01c 320x200 Farbe ohne NVDI
CPU Memory 98% 100% 97% 100%
CPU Register 34% 34% 34% 34%
CPU Divide 369% 353% 355% 354%
CPU Shifts 505% 490% 478% 489%
64 KB Read 76% 94% 74% 114%
Gemdos File 98% 111% 95% 110%
TOS Text 251% 66% 154% 64%
TOS String 836% 68% 238% 65%
TOS Scroll 79% 65% 79% 68%
GEM Dialog 138% 53% 131% 47%

486SX 25 MHz, 64 KByte Cache, 8 MByte RAM, 16-Bit-VGA

  Monochrom-Emulation NVDI 2.01c Monochrom-Emulation ohne NVDI 320x200 Farbe NVDI 2.01c 320x200 Farbe ohne NVDI
CPU Memory 98% 100% 97% 100%
CPU Register 34% 34% 34% 34%
CPU Divide 369% 353% 355% 354%
CPU Shifts 505% 490% 478% 489%
64 KB Read 76% 94% 74% 114%
Gemdos File 98% 111% 95% 110%
TOS Text 251% 66% 154% 64%
TOS String 836% 68% 238% 65%
TOS Scroll 79% 65% 79% 68%
GEM Dialog 138% 53% 131% 47%

Mega ST 4, 68000er CPU 8 MHz, TOS 2.06, Blitter aus

Mit 8 MByte RAM erreicht ein 486SX die Geschwindigkeit eines Mega ST 4, emuliert aber nur 2 MByte RAM

Ungewohnt: TOS 2.06 unter Windows
Ein Klassiker: Neochrome auf dem PC

Ganz versagte der GEMulator bisher beim Versenden bzw. Empfangen von Daten über die serielle Schnittstelle. DFÜ-, FAX- und BTX-Programme starten zwar (s. Liste) und versuchen Kontakt aufzunehmen, aber dabei bleibt es dann auch. Das ZYXEL-U-1496-Modem z. B. zeigt eine DTR-Meldung, die lediglich besagt, daß das Modem einen betriebsbereiten Computer entdeckt hat.

Grundsätzliche Probleme treten derzeit auch bei Spielen aller Art auf: Zu 90 Prozent funktionieren sie nicht. Die Gründe liegen bei den teilweise rabiaten Kopierschutzmaßnahmen und hardwarenaher Programmierung der Spiele.

Bei Programmabstürzen kommt entweder der integrierte 68000er Debugger oder die Reset-Taste (F12 auf dem MFII-Keyboard) zum Einsatz. Der bekannte Affengriff Ctrl/Alt/Delete hämmert gleich den ganzen PC nieder, also Vorsicht!

Für neue Versionen haben die Entwickler versprochen, eine 4-MByte-RAM-Emulation zu realisieren und die Geschwindigkeit zu optimieren. Weiterhin soll der GEMulator die mittlere TT-Auflösung zur Verfügung stellen und eine 68030er Emulation unterstützen. Außerdem soll er dann auch die Festplatte seiner Hardwareplattform ansprechen und nutzen können. Geplant ist auch die Unterstützung von Netzwerken, voller Sound- und MIDI-Support.

Alles in allem ist der GEMulator zwar ein hochinteressantes Projekt aber leider (oder zu Glück?) noch Lichtjahre von einem akzeptablen Produkt entfernt — vor allem für diesen Preis! Schade! An allen Ecken und Enden hapert die Zusammenarbeit mit der PC-Hardware, die sich eben ziemlich vom ST unterscheidet. Vor allem die Unterschiede zwischen den unzähligen MS-DOS-Clones dürften kaum in den Griff zu bekommen sein. Z. Zt. ist der GEMulator insgesamt noch ziemlich absturzfreudig und in keiner Weise als Alternative für ST-Freunde zu empfehlen. (hu)

# Geplante Updates
# Was läuft?
   
1st Adress Lavadraw plus 4.0d
1st Mail MDISK 6.9
1st Word Plus 2.02d, 3.20 TT MPK PCB Editor 11/2.0
7up 2.09d Multi-Term Pro 1.40d
Adimens ST plus 3.0 und 2.3 MUTIL 2.1e
Arbabesque 1.1 und Fontmaker NVDI 2.01c
Bolo PC Ditto 3.96 (!)
CAD3D 2,0e Pegasus Plus (Print-Technik-Version)
Calamus 1.09N Programm des Lebens V5.0
Calamus S Qfax/Pro 3.88
CAMPUS CAD 1.3d/e Quick ST
Degas Elite l.le (Mono & Color) Quickindex 2.2
Degas-Snap Rufus 1.11 Rel 4
Devpac Assembler 1.25d Script I.OOd
Dirsort ST Math v2.3
Diskus 2.05/2.00d ST Paint 2.00
Drews BTX/VTX-Manger v 4.0 Starfile ST
DynaCadd 1.30d Starflight ST
Edison Sympatic Paint 1.04d
Fast File Mover 1.4d Tempus 2.10
FCOPY III That’s Pixel 1.0
Flight Simulator II The Creator
GEMTEST VIP GEM 1 .Id, GEM-Redraw-Fehler
GFA-Basic 1.1 aufgrund TOS 2.06
HD-Cookie Word Perfect ST deutsch
Infocom Text-Adventures XACT
Kobold 1.07 XControl, deutsch
Larry 1

WERTUNG

GEMulator

Hersteller: Darek Michoka (Branch Always Software)
Preise: 555 Mark USA: 299,95 $ (ROM-Reader und Shareware-Version v1.0e), 59,95 US$ (Update und Registrierung auf Vollversion)

Stärken: ROM-Reader-Steckkarte ermöglicht Aufnahme von Mac- oder Amiga-ROMs, ROM-Reader für max. vier Betriebssysteme, unterstützt 1,44- und 1,2 MByte-Floppies

Schwächen: sehr langsam, Maus ruckelt, kein Festplattenbetrieb, kein Sound-, MIDI-, Joystick-, Echtzeituhr-Support, keine Unterstützung der seriellen Schnittstelle, TOS 2.06 nur in US-Version verfügbar, TOS-2.06-ROM wird in der Emulation als RAM-Version reloziert, DIP-Schalter lassen sich mangels fehlender Adreßschalterbelegung nicht umstellen, Kompatibilitätsprobleme mit anderen PC-Steckkarten, Update-Möglichkeit und Registrierung derzeit nur über USA möglich

Fazit: im derzeitigen Entwicklungsstand zu diesem Preis absolut indiskutabel, darüber sollten weder die Fotos noch die abgedruckten Leistungsdaten hinwegtäuschen

Vertrieb (Deutschland): Richter Distributor, Hagener Sir. 65, 5820 Gevelsberg

Vertrieb (Hardware, d. h. GEMulator/ROM-Reader-Platine): Purple Mountain Computers Inc., 15600 NE 8th St. Ste A3-412, Bellevue, WA 98008, U.S. A.

Vertrieb (Software, Updates und Registrierung): Branch Always Software, 14150 N.E. 20th Street Suite 302, Bellevue, WA 98007, U.S.A.


Guido Stumpe
Aus: ST-Magazin 01 / 1993, Seite 14

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