Die Reise durch den genialen Sektor: SY77-Editor von Geerdes

»Sie betreten den genialen Sektor« verspricht Yamaha in der Werbung für ihr Synthesizer Flagschiff, den SY77. Doch entpuppt sich der geniale Sektor direkt nach dem Eintritt als wahrer Parameterdschungel. Gelingt es der Geerdes »SY/TG77 Softworkstation«, den rechten Weg durchs Daten-Dickicht zu weisen?

Wer schon einmal versucht hat, Klänge für den »Ess-Üpsilon Siebenunsiebzich« zu programmieren, der kann ein Lied von den bis zu 1000 (in Worten: tausend) Parametern singen, die sich hinter einem einzigen Wohlklang verbergen. Trotz der exzellenten Benutzeroberfläche des SY 77 sehnt man sich schnell nach einem Editorprogramm. Die Berliner Firma Geerdes reagierte als erste auf den Hilferuf der Klangtüftler und präsentierte mit der »SY/TG 77 Softworkstation« (SWS) einen kompetenten Software-Lotsen.

Der Name Softworkstation läßt schon erahnen, daß es sich hier nicht nur um ein reines Editorprogramm handelt. Zum Lieferumfang gehört auch der bekannte Geerdes Sequenzer »1st Track« in der Version 2.0, wobei beide Programme bereits mit 1 MByte Speicher im Multitasking-Verbund arbeiten. Die Benutzung dieses 24-Spur Recording Programms erfolgt wahlweise. Wer Speicher sparen möchte oder einen anderen Sequenzer besitzt, startet die SWS einfach ohne 1st Track.

Da ein Editorprogramm aufgrund der bereits angesprochenen Parameterflut zwangsweise sehr komplex ausfallen muß, verzichtet dieser Test auf eine detaillierte Schilderung aller Funktionen. Unser Interesse gilt vielmehr der Frage, ob es der SWS gelingt, für Ordnung und Übersicht im Datenwust des »genialen Sektors« zu sorgen.

Die in GFA-Basic 3.5 programmierte SWS verzichtet völlig auf die Atari-typische GEM-Umgebung. Anstelle der gewohnten Menüleiste zeigen sich verschiedene Buttons, die z.B. der Anwahl anderer Programmteile dienen. Da dieses Konzept konsequent realisiert wurde - z.B. befinden sich alle »Exit«-Buttons immer links oben - fällt die Umgewöhnung nicht weiter schwer. Schade nur, daß so die Nutzung von Accessories entfällt.

Bild 1. In der Abteilung AWM2 geht's übersichtlich zu

Gut gelungen ist der Manager-Teil der SWS, in dem Sie Ihre Sounds, Multis und Panoramaprogramme verwalten. Das Kopieren und Verschieben von Sounds zwischen Bank, Bibliothek und Stack geht problemlos von der Hand. Eine SWS-Library faßt bis zu 1000 Einträge, wobei sich jeder Sound einer von 128 »Groups« zuordnen läßt. Bei diesen Groups handelt es sich um Klangkategorien wie »Streicher« oder »Bass«. Sie erleichtern das Auffinden von Sounds mit ähnlichen Klangeigenschaften. Mit der Find-Funktion spähen Sie nicht nur nach Klängen aus einer Group, sondern ermitteln auch Sounds mit gleichen Zeichenketten im Namen. Das Suchkriterium »str« findet z.B. die Sounds Strings, Astral und Mistral. Die sinnvoll plazierten Icons sorgen zusätzlich für komfortables Arbeiten.

Besondere Erwähnung verdient das »I.C.H.«, das »Intelligent Combination Handling«. ICH sorgt dafür, daß der Speicherinhalt Ihres ST stets identisch mit dem des angeschlossenen SY77 ist. So verhindert ICH z.B. das versehentliche Löschen von Voices, die an einem Multi beteiligt sind, oder das Überschreiben von Panorama-Programmen, die fest zu einer bestimmten Voice gehören. Trotzdem wäre es praktisch, das ICH deaktivieren zu können. Viele SY77-Besitzer steuern ihren Synthesizer mit einem Softwaresequenzer und nehmen deshalb die Multi-Belegung direkt über MIDI-Program-Change-Befehle vor. In diesem Fall ist das ICH hinderlich, da das Löschen einer geschützten Voice nur möglich ist, wenn auch das dazugehörige Multi in den Papierkorb wandert.

Der Voice-Editor ist der umfangreichste Programmteil der SWS. Folgende Bildschirmseiten verbergen sich hinter dem »Edit«-Button: »Common Parameter Edit«, »AWM-Element Edit«, »AFM-Element Edit«, »Micro-Tune Edit« und »Effekt Edit«. Innerhalb dieser Seiten lassen sich z.T. weitere Editoren und Fenster z.B. für Filter und Hüllkurve aufrufen. Sie sehen, die Komplexität der Klangsynthese schlägt sich direkt im Programmaufbau nieder. Die Aufteilung der einzelnen Bildschirme ist im großen und ganzen gut gelungen, wenn auch einige Editorseiten wie z.B. der FM-Editor das Auge mit ihrer ungeheuren Informationsflut fast überfordern. Andererseits sieht man so alle wichtigen Parameter mit einem Blick und muß sich nicht durch noch mehr Pop-Up-Menüs und Bildschirmseiten wühlen. Die hier gewählte Form der Aufteilung ist ein gelungener Kompromiß.

Echten Anlaß zum Tadel gibt die Geschwindigkeit, mit der das Programm seine verschiedenen Arbeitsseiten aufbaut. Teilweise dauert es bis zu zwei Sekunden, bis nach Anwahl eines Icons oder Buttons überhaupt etwas passiert. Dann müssen Sie noch einmal bis zu sieben Sekunden (z.B. im FM-Editor) für den folgenden Bildaufbau in Kauf nehmen. Von flüssigem Arbeiten kann da nicht die Rede sein. Dies ist um so schwerwiegender, da ein ständiger Wechsel zwischen den Editorseiten gar nicht ausbleibt. Vielleicht sollte man bei Geerdes einmal darüber nachdenken, ob nicht eine schnellere Compilersprache bei so aufwendigen Projekten besser geeignet wäre. GFA-Basic scheint in dieser Disziplin jedenfalls hoffnungslos überfordert.

Ist eine Seite erst einmal aufgebaut, läßt es sich wieder flott und angenehm arbeiten. Kopieren von Elementen, Hüllkurven- und LFO-Daten, das Zusammenstellen von Drumsets und Multis sowie das Setting des Effekt Prozessors, all das erledigt die SWS mit Bravour. Der Blick ins Handbuch gehörte Dank der guten Benutzerführung zu den seltenen Momenten bei der Erkundung des Programms. So wäre die SY/TG 77 Softworkstation ein rundherum gelungenes und empfehlenswertes Programm, gäbe es nicht die angesprochenen Verzögerungen beim Bildschirmaufbau. Da die SWS mit 398 Mark relativ teuer ist, sollten sich Interessenten die bis auf wenige Ausnahmen funktionstüchtige Demoversion von Geerdes schicken lassen. Wer sich an den gelegentlichen Zwangspausen nicht stört, erhält einen gut durchdachten und vollständigen Editor für seinen SY77. Dabei ist auch zu bedenken, daß mit der SY/TG 77-Softworkstation der erste Editor überhaupt für die neue Yamaha Synthesizer-Generation vorlag. Das Geerdes-Programm verrichtet bereits seit August 1990 seinen anstrengenden Dienst. Als nützliche Beigabe findet sich noch ein Konvertierungsprogramm, das DX7-Bänke und -Libraries der verbreitetsten Editoren in SY77-Sounds umwandelt. So lautet denn das Urteil des strengen Testers: trotz Bedenken gut. (wk)

Info: Geerdes, Bismarckstr. 84. 1000 Berlin 12

Bild 2. Die AFM-Sektion wirkt überfüllt

WERTUNG

Name: SY/TG77 Softworkstation
Preis: 398 Mark
Hersteller: Geerdes MIDIsystems

Stärken: Gelungenes Konzept □ 1st Track als Zugabe □ DX7 Sound Konverter

Schwächen: Zum Teil extrem langsamer Bildaufbau □ Dongle-geschützt

Fazit: Ein gelungener Editor, der seiner vielschichtigen Aufgabe gerecht wird.


Kai Schwirzke
Aus: TOS 02 / 1991, Seite 128

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