Als Vater des Amiga und Vice-President von Amiga Computers Inc. war Jay Miner jahrelang fast eine Kultfigur der amerikanischen Computerszene. Doch dann wurde die Amiga-Niederlassung in las Gatos geschlossen und Miner zog sich scheinbar zurück. In Wirklichkeit zählt er noch immer zum harten Kern der Szene. Heute übt der Insider Jay Miner harte Kritik an Commodore. Horst Brandl sprach mit ihm.
Seit Monaten hatten wir versucht, Kontakt zu Jay Miner zu bekommen. Auch alle Bemühungen, ihn während meines USA-Besuchs im Sommer dieses Jahres aufzuspüren, waren vergebens: Er kreuzte mit seinem Boot irgendwo vor der Küste Kaliforniens und war selbst für engste Vertraute einfach nicht erreichbar.
Erst ein schier unvorstellbarer Zufall hat uns auf der Comdex, der riesigen Computer-Messe in Las Vegas, zusammengeführt. Das Technische Institut New York demonstrierte am Commodo-re-Stand ihr neues Genlock-Interface, welches das Bild einer Video-Kamera auf den Monitor übertrug. Gerade als ich das Monitorbild fotografierte, schob sich Jay Miners massiger Körper ins Bild. Nun hieß es, diesen Zufall zu nutzen! Dave Haynie, der Entwickler der 68020-Karte für den Amiga 2000, sprang hilfreich ein und machte uns miteinander bekannt. Jay Miner und ich vereinbarten ein Treffen in San Francisco.
Am späten Nachmittag des 11. November fahre ich schließlich auf dem Highway 180 in Richtung Süden. Ich soll Jay Miner bei einem Besuch der »First Amiga User Group«, der F.A.U.G., begleiten. Die Sonne scheint, ich bin bester Laune und voller Erwartung auf unsere Begegnung. Vorbei an der Abfahrt Sunnyvale wechsele ich auf den Highway 280 in Richtung Santa Cruz. Jay’s präziser Beschreibung nach, muß ich an der nächsten Abfahrt, Mountain View, raus. Von da aus ist der Weg zu seinem Haus nicht schwierig; auch sein grauer Lincoln parkt davor.
Ich bin etwas nervös. Schließlich ist Jay Miner einer der besten Chip-Designer in Silicon Valley. Und hier sitzen die besten Entwickler der Welt.
Ich klingele, Hundegebell, mit freundlichem Lächeln öffnet Jay Miner höchst persönlich. An seinen vier kleinen Hunden vorbei, gelangen wir in den Raum, in dem sein Amiga 1000 steht. Während wir noch auf Willy, seinen besten Freund, warten, macht er mich mit seiner Frau bekannt. Wir kommen schnell ins Gespräch. Miner ist eine imposante und zugleich überaus sympathische Persönlichkeit. Sein voller grauer Bart gibt seinen Gesichtszügen Güte und Verschmitztheit. Jay — wie in den USA unter Bekannten üblich, reden wir uns mit den Vornamen an — fragt mich, auf seinen Computer deutend, ob ich denn die Unterschriften auf der Innenseite der oberen Gehäusehälfte kennen würde? Jeder Amiga-Fan kennt den Pfotenabdruck neben seinem Namenszug. Er gehört Mitchy, einem kleinen schwarzen Hund, der Jay jeden Tag zur Arbeit begleitet hat. Heute allerdings fühlt Mitchy sich nicht ganz wohl, muß deshalb einen blauen Pullover tragen und ist etwas zurückhaltend. Hunde haben in seinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt — und Mitchy besonders. Denn schließlich sei er daran »schuld«, daß Jay niemals seiner Position angemessen im Rampenlicht gestanden hat. Weil Mitchy das Fliegen nicht verträgt, flog er, Jay Miner, eben auch nicht, und ließ lieber andere seinen Amiga präsentieren.
Bevor Jay zu Amiga Computers wechselte, war er Chip-Designer bei Atari. Die hervorragenden Grafik-Fähigkeiten des Atari 400, 800 und des Videospiels 2600 sind einzig Jay Miner zu verdanken.
Denn er hat einst die Chips »Antic«, »Pokey« und »GTIA« entwickelt. Gerade kommt Willy. Auch er besitzt natürlich einen Amiga 1000. Da die Zeit drängt, machen wir uns gleich auf den Weg zum noblen Hyatt Regency-Hotel, wo das F.A.U.G.-Treffen stattfindet. Jay und Willy amüsieren sich köstlich über mein verblüfftes Gesicht, als Jay seine elektronische Landkarte am Armaturenbrett des Lincoln einschaltet. Ein etwa 15 mal 15 Zentimeter großer Plasma-Bildschirm zeigt alle Straßen der nahen Umgebung. Ein Dreieck symbolisiert das Auto. Durch Zoomen erhält man einen Überblick über die Nebenstraßen oder kann sie präzis ermitteln.
Jay mag diese technischen Spielereien. Auch sein Haus ist so ausgestattet. Zum Fernsehen benutzt er zum Beispiel einen Sony-Großbildprojektor.
Im Hotel angekommen, wird Jay herzlich begrüßt. Sofort ist er von interessierten Amiga-Besitzern umringt, die ihm Fragen über Fragen stellen. Plötzlich bahnt er sich einen Weg durch die Menschengruppe und geht mit ausgebreiteten Armen auf einen Mann zu. Es ist R.J. Mical, einer der Software-Entwickler von Amiga Computers. Heute ist Mical bei Epyx. Auf der kleinen Bühne in dem Raum präsentiert diesmal Newtek ein neues Produkt. Auch Dale Luck trifft ein, Erkennungszeichen: Blouson mit großem Amiga-Ball auf dem Rücken und seinem Namen auf der Vorderseite. Von ihm stammen die Grafik-Routinen des Amiga-Betriebssystems. Und noch einen weiteren »Ehemaligen« begrüßt Jay: Jim Mackarz. Dann beginnt die von Newteks Vice-President Paul Mont-gomery moderierte Show. Commodores neueste Amiga-Werbespots laufen auf einer Großprojektorwand. Vorsichtig sucht ein Mann im Jeanshemd noch einen Platz: Dan Silva, der Autor von Deluxe Paint. Jay ahnt wohl meine Gedanken und flüstert mir zu: »Das ist wirklich der erste Amiga-User-Club. Und ich bin sein erstes Mitglied.« Recht hat er, jeder User-Club wäre stolz auf diese Mitglieder.
Insgesamt sind jetzt etwa 250 Leute im Saal. Großes Interesse löst die Demonstration von Newteks brandneuem »Video-Toaster« aus. In Echtzeit verändert er ein eingespieltes Videobild. R.J. Mical sitzt vor der Kamera. Das Amiga-Bild erscheint auf der Video-Wand. Es wird vom Video-Toaster in 20 kleine Bilder unterteilt. Beifall. Nun erscheinen zwei große Bilder, von denen eines gespiegelt wird. Mical gestikuliert wild mit seinem vom Amiga erzeugten Zwillingsbruder. Der Beifall wird noch lauter. Als Newtek-President Tim Jenison das Bild schließlich auf eine imaginäre Kugel projiziert, erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt. Mical läuft auf die Bühne. Er möchte endlich wissen, was die neue Karte überhaupt macht, denn von seinem Platz hinter der Video-Kamera aus, konnte er nicht sehen, warum die anderen so laut gelacht haben. Jay schlägt sich vor Vergnügen auf die Knie. Fast zwei Stunden dauern die Vorführungen und der Enthusiasmus der Teilnehmer ist beeindruckend und mitreißend. Hier herrscht »Amiga-Feeling« pur.
Es ist etwa zehn Uhr, als Jay und ich wieder zurückfahren. »Was für ein Rezept hast du, um so erfolgreich zu sein?«, frage ich ihn. »Harte Arbeit, Intelligenz, gute Jeans und eine ganze Menge Glück«, antwortet er prompt.
1964 hat Miner begonnen, Chips zu entwickeln. Erst für Quarzuhren, dann — wie viele Chip-Designer — für Taschenrechner. »Einen Chip habe ich sogar für einen Herzschrittmacher entwickelt«, sagt er. Chips zu designen ist für ihn so reizvoll, weil jede Applikation verschieden ist. »Hast du heute einen Chip fertig, fängst du morgen wieder bei Null an. Ich habe nie versucht, einfach Vorhandenes zu verbessern, sondern immer nach neuen Lösungen gesucht.«
Perfektion spielt für Jay dabei eine große Rolle. Bei jedem Programm könne man ein bißchen mogeln, etwas unsauber programmieren. Niemals aber bei einem Chip, meint er. Jay programmiert heute noch kleine Programme in C. Die Antwort auf meine Frage, wo denn für ihn die größten Probleme bei der Chip-Entwicklung liegen, überrascht völlig: »Darin, daß die Leute nie wissen, was sie wollen.« Denn ein Produkt entstehe durch Entwickler und Marketing-Leute. Meist sagen dann die Marketing-Leute was sie brauchen und das Team fängt an zu planen. »Nur, wenn heute ein Marketing-Mann kommt, dann warte mit der Arbeit bis morgen, denn da fällt ihm garantiert was Neues ein. Wenn sie zum Beispiel einen Sprite wollen«, sagt er wild gestikulierend weiter, »dann gib ihnen acht.«
Ob das bei Amiga auch so war, möchte ich wissen. »Nein, wir wußten genau, was wir wollten: Die beste Maschine für Flugsimulationen, die man zu dieser Zeit bauen konnte.« Wieder hat er wohl meinen erstaunten Blick gemerkt, denn, als müsse er sich endlich mal was von der Seele reden, fügt er mit entschlossener Stimme hinzu: »Wir wollten nie, daß der Amiga so aussieht wie heute. Das ist nicht mehr mein Amiga.«
»Aber wie«, frage ich ihn, »sollte er denn aussehen?«
»Unser Amiga hat keine Tastatur und kein Diskettenlaufwerk. Das sollte man zwar zusätzlich kaufen können, es war aber nicht von vornherein vorgesehen.«
Geplant war der Amiga, erfahre ich von Jay, als ein tolles Telespiel. Ganz einfach zu bedienen und mit einigen weiteren Funktionen ausgestattet. Zum Beispiel sei der ursprüngliche Amiga in der
Lage gewesen, einen wesentlich besseren Sound zu liefern, als es der jetzige könne. Nun begrenze ein Tiefpass-Filter seinen Frequenzumfang, denn der Amiga müsse jetzt an das Telefon anschließbar sein und dort gesammelte Nachrichten an den Anrufer weitergeben können. Und so habe man für die notwendige Verständlichkeit den Frequenzumfang begrenzt. »Die Symbiose des Amiga vom Tfelespiel zum Computer also.«
Von den Motorola-Prozessoren ist Miner begeistert: »Viel früher wollte ich schon einen Computer auf 68000-Basis bauen. 1979 habe ich bereits vorgeschlagen, diesen Prozessor zu verwenden und einen komplett neuen Computer zu entwickeln. Ich war damals noch bei Atari. Aber keiner hat auf mich gehört.«
»Aber mit dem Amiga hast du ihn doch gebaut«, werfe ich ein. Das ist der Punkt, an dem Miner mit seinen tiefsten Empfindungen, die er einem Computer gegenüber aufbringen kann, herausplatzt: »Ja, aber wie denn? Der Amiga ist doch veraltet. Niemand würde ihn heute so designen — eine Grafik-Maschine mit nur 6 Bitplanes. Zu unserer Zeit waren die RAM-Chips teuer. Wir mußten auf Tricks zurückgreifen, um so viele Farben mit wenig RAM erzeugen zu können. Heute würde ich mindestens 16 oder 24 Bitplanes verwenden. Das bringt über 16 Millionen Farben. Ich könnte den Amiga besser und schneller machen. Aber nicht Commodore entscheidet über ihre eigenen Produkte, sondern die Banken.«
Jay wird immer aufgeregter. Er holt sich einen Orangensaft. Als er zurückkommt, hat er sich etwas beruhigt. Ich habe das Gefühl, besser nicht weiter in dieser Wunde zu bohren. Außerdem beginnt die Zeit zu drängen. Bevor ich aufbreche, stelle ich ihm die letzte Frage: »Jay, welcher Art von Prozessor gibst du die größten Zukunftschancen: Einem 68030, Spezialchips wie denen des Amiga oder Transputern?«
»Keinem von den dreien. Wenn ich schnelle Grafik-Maschinen bauen wollte, dann würde ich Pipelining benutzen.
Mehrere gleiche Prozessoren sitzen dabei in einer Reihe und verarbeiten jeweils einen Teil eines Befehls.« Und damit beenden wir ein Gespräch, das gewiß noch Stunden hätte gehen können, wenn es keine Uhren gäbe.
Als ich wieder im Auto sitze, bin ich doch sehr nachdenklich. Jay Miner — sicher einer der ganz Großen unter den Computer-Designern. In zwanzig Jahren hat er mehr als fünfzig Chips entwickelt. Doch das hat er nicht nur mit seinen Chips für Atari und Amiga der ganzen Welt bewiesen. Es wird auch heute noch deutlich, wenn man mit diesem Mann spricht — einem Mann mit kühlem Verstand und Warmherzigkeit, mit vielen Ideen, die er nicht mehr einsetzen kann und einer massigen Statur, die dennoch über seine Sensibilität nicht hinwegtäuschen. Und ich bin überzeugt, daß da mit Amiga irgendwann einmal »mehr gelaufen« ist, als er erzählt. Sicher ist seine Lebensart etwas skurril. Aber mir geht die ganze Rückfahrt über der Gedanke nicht aus dem Kopf, was für Computer dieser Mann heute bauen würde, wenn er die nötigen finanziellen Mittel hätte, (hb)