Bobo: Knastologie und Gitterkunde

"Bobo" ist anders als andere Spiele. Auch der gleichnamige "Held" ist anders als die meisten gängigen Helden - deshalb sitzt er auch im Kittchen. Comic-Freunde kennen ihn vielleicht bereits aus den französischen Bobo- Strips; ältere Leser erinnern sich wahrscheinlich noch daran, daß er früher in den "Fix und Foxi"-Heftchen Stammgast war.

Was der gelbschwarz gestreifte Knastbruder im ritterburgartigen Zuchthaus Riegelfest so alles erlebt, ist wirklich zum Brüllen.

Erste Lachsalven sind vermutlich schon zu hören, wenn jemand die erste der beiden "Bobo"-Disks ins Laufwerk legt. Die Handlung beginnt: Scheinwerferkegel tasten sich durch den nächtlichen Hof des Gefängnisses, bis sie an einer eifrig hackenden Gestalt hängenbleiben. Großaufnahme: Geistesgegenwärtig nutzt der verhinderte Ausbrecher die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu einer Ballettvorführung. Erst dann kommt das Titelbild.

Bis zu sechs Spielern können hier agieren (natürlich immer schön der Reihe nach). Sechs verschiedene Episoden aus dem Gefängnisalltag wurden in originelle Spiele umgesetzt, die durch die gelungene Grafik schon im Demomodus ein Genuß sind.

Bobos erste Aufgabe ist es, als Kalfaktor das Mittagessen an die Mithäftlinge zu verteilen. Nacheinander tauchen im rustikal möblierten Speisesaal bis zu sechs abenteuerlich aussehende Gestalten auf, die ihrem Hunger durch wüstes Geschirrklappern Ausdruck verleihen. Nun gilt es, die hungrigen Mäuler mit einer undefinierbaren grünen Pampe zu stopfen, auf die sich die wilden Gesellen jedoch mit wahrer Begeisterung stürzen. Hierbei muß man jedoch äußerst fix zu Werke gehen, so daß kaum Zeit bleibt, Nachschub aus der Küche zu holen. Die Esser verlieren nämlich schnell die Geduld; das Ergebnis ist, daß sie dem Austeiler den Essenstopf über den Kopf stülpen. (Dadurch ist diese Szene verständlicherweise beendet.)

Zur Strafe muß Bobo (und somit der Spieler) dann im Keller Kartoffeln schälen - im Akkord! Durch Hin- und Herbewegen des Joysticks führt man das Schälmesser, bis die Kartoffel blank ist. Dann kann man sie hinterrücks in die Küche werfen. Der Koch ist jedoch wachsam, so daß man ein schlampig geschältes Exemplar postwendend an den Hinterkopf bekommt. Da von Zeit zu Zeit weitere Kartoffeln nachgeliefert werden, versinkt ein ungeübter Schäler schnell in einem Berg von Erdäpfeln.

Prompt wird der arme Bobo dann zum Raumkosmetiker befördert; er darf den Flur schrubben. Dummerweise herrscht hier reges Treiben. Die sechs vorhandenen Türen spucken laufend Menschen und Tiere aus, die natürlich wieder entsprechende Dreckspuren hinterlassen. Bobo muß also eine wahre Sisyphusarbeit verrichten. Diese Szene ist übrigens die einzige, die man aus der Vogelperspektive betrachtet.

Bobos viertes Abenteuer dreht sich um einen Massenausbruch er Trampolin. Laufend springen Häftlinge aus den Fenstern des Gefängnisses auf das Trampolin. Dieses muß Bobo immer so verschieben, daß seine Kollegen über die Gefängnismauer katapultiert werden. Dabei darf er jedoch den Winkel nicht zu flach werden lassen, da die Kumpels sonst recht unsanft mit der Mauer Bekanntschaft machen. Auch in diesem Bild sind die Akteure wieder sehr schön animiert. Sogar wer das Trampolin verfehlt hat, bietet noch einen Gag: Er verduftet dann mit einer "comiclike" gestalten Staubwolke um die Ecke.

Das fünfte Bild ist weniger aufwendig gestaltet und auch spielerisch weniger reizvoll. Bobo flüchtet diesmal auf einer elektrischen Überlandleitung dem Sonnenuntergang entgegen. Da ihm jedoch ständig Isolatoren und Blitze in die Quere kommen, kann er sich auch hier nicht gerade ausruhen. Per Joystick-Befehl wechselt er zwischen den drei parallel verlegten Leitungen hin und her.

Im sechsten und letzten Bild werden bezüglich Grafik und Einfallsreichtum dann noch einmal alle Register gezogen. Auch über dem Zuchthaus Riegeltest ist die Nacht hereingebrochen. Unser Held liegt nach diesem aufregenden Tag im Bett und versucht zu schlafen. Leider stellen aber seine fünf lautstark schnarchenden Zellengenossen ein ernstzunehmendes Hindernis dar. Also raus aus den Federn und die Kumpels durch Rütteln zu einem weniger geräuschvollen Schlafstil gemahnt. Unangenehmerweise steht zwischen den beiden dreistöckigen Betten jedoch eine Schüssel mit Sträflingskost, über die man tunlichst nicht stolpern sollte. Ihr Scheppern animiert nämlich sämtliche Schläfer wieder zum Schnarchen. Gewertet wird der Zeitanteil in Prozent, den Bobo ungestört in seinem Bett verbringt.

Jede Szene verfügt über eine eigene Begleitmelodie. Die Musik ist gar nicht übel; als speziellen Tip zum Reinhören empfehle ich das samtweiche Schlaflied der sechsten Episode. Von jedem Spielteil aus kommt man mit der ESCAPE-Taste wieder zurück zum Titelbildschirm, wenn dies auch bisweilen nicht ganz reibungslos geschieht. Als Übergang zwischen den einzelnen Szenen sieht man jedesmal Bobo verzweifelt (und von einem Gendarmen verfolgt) einen Fluchttunnel graben. Für jede der sechs Episoden aus Bobos Knastalltag wird die erreichte Punktzahl getrennt erfaßt. Am Tagesende (nachdem man den erschöpften Sträfling ins Bett gebracht hat) werden dann alle Punkte zu einer Gesamtpunktzahl addiert.

"Bobo" gehört zu den seltenen Programmen seiner Gattung, die durch wirklich originelle Spielideen begeistern und der Comic-Vorlage mit Sicherheit keine Schande machen. Man braucht auch vor der französischen Anleitung nicht zurückzuschrecken, da man mit etwas Phantasie Spiel und Beschreibung ganz gut zu deuten vermag. Einziger Kritikpunkt ist die exotische Tastaturbelegung. So liegt z. B. das A auf dem Q, und auch einige andere Buchstaben haben die Plätze getauscht. Da die Tastatur jedoch ohnehin nur für die Eingabe der Teilnehmernamen benötigt wird, ist dies zu verkraften. Um "Bobo" spielen zu können, braucht man einen Farbmonitor. Der Joystick läßt sich sehr gut durch die Pfeiltasten (und SPACE) ersetzen, was ich bei einigen der Episoden vorziehe.

1 System: Atari 16 Bit
Bezugsquelle: Ariolasoft


Thomas Tausend
Aus: Atari-Magazin 06 / 1988, Seite

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