Wer das Schachspiel lernen will, bekommt mit der »Paul Whitehead Schachschule« einen tollen Schachlehrer.
Seitdem es Computer gibt, existiert die Meinung, daß ein Computer besser Schach spielen muß, als ein Mensch, denn schließlich machen Computer keine Fehler durch mangelnde Konzentration oder durch schlechte Vorausberechnung. Die Realität hat dabei gezeigt, daß bislang kein Computer, selbst eine Cray 2 nicht, einen wirklichen Meisterspieler in einem Turnierspiel schlagen kann.
Der amerikanische Großmeister Paul Whitehead will den Computer aber für ganz andere Zwecke ein-setzen. Er sieht in ihm ein Mittel, um dem Laien auf einfache und anschauliche Art und Weise Schach beizubringen. Kein Buch kann so individuell auf die Wünsche und das Lerntempo des Schülers eingehen, wie ein Programm auf einem Computer. Aus seinem Bestreben heraus, Schach für alle populär zu machen, begann Paul Whitehead 1984 ein völlig neues Schachprogramm zu schreiben. Das Ergebnis ist die »Paul Whitehead Schachschule«. Das Programm enthält neben dem Lernprogramm auch noch ein ausgewachsenes Schachprogramm.
So beginnt die Arbeit stets mit der Frage, ob man das Tutorprogramm oder das Schachprogramm laden möchte. Entscheidet man sich für den Tutor, erscheint kurze Zeit später das Hauptmenü, das die sieben grundlegenden Lektionen enthält. Es beginnt mit den einfachsten Schachregeln, geht über die Eröffnung und das Mittelspiel und endet mit sehr weitreichenden Erklärungen über das Endspiel. Für Eröffnung und Endspiel gibt es sogar einen zweiten Teil mit weiterführenden Informationen. Man kann sich so gleich die Lektion heraussuchen, für die man sich interessiert. Wenn man noch me Schach gespielt hat. findet man in der ersten Lektion eine behutsame Einführung. Durch ein raffiniertes Menüsystem wird der Benutzer von Punkt zu Punkt geführt und erfährt alles Wichtige über das Schachbrett, die Figuren und die Schachregeln. Selbst die Rochade mit allen Ausnahmen und das En-passent-Schlagen der Bauern wird leicht verständlich erklärt. Das Programm benutzt für Vorgänge Beispiele auf dem Schachbrett, die Zug für Zug vorgespielt werden. Man kann nach eigenen Wünschen die Stellung durchspielen und jederzeit auch einige Züge zurückgehen. Durch die Demonstration auf dem Bildschirm sind Fehler beim Nachspielen ausgeschlossen.
Wer mit »Paul Whitehead Schachschule« arbeiten will, braucht nichts von Computern oder von Schach zu verstehen. Das Programm ist für den absoluten Laien konzipiert. Das heißt aber nicht, daß man nur ein grundlegendes Wissen vermittelt bekommt. Obwohl alle Erklärungen sehr leicht zu verstehen sind, geht das Programm auf alle wichtigen Bereiche ein. Durch die Menüstruktur kann man schließlich wählen, ob man wirklich lernen will, wie man mit einem Springer und einem Läufer ein Matt herbeiführt. Wer sich die schwierigen Passagen noch nicht zutraut, kann auch erst die einfachen Teile aller Lektionen durchnehmen, bevor er die komplizierten Themen angeht. Da der Tutor über 600 Beispiele auf drei Diskettenseiten gespeichert hat, kann man sich vorstellen, wie lange es dauert, bis man alle Lektionen durchgenommen hat.
Damit man nicht nur passiv zusieht, stellt das Programm bei vielen Beispielen auch Alternativen, aus denen man sich einen Zug heraussuchen kann. Je nachdem, wie man sich entscheidet, geht die Partie weiter, wobei das Programm nicht mit Kommentaren spart. Wenn man die Züge zurücknimmt, kann man sich auch die anderen Varianten ansehen. Das interaktive Handeln ist eine der Stärken des Programms und macht das Arbeiten mit ihm sehr angenehm. Durch das zwanglose Ausprobieren lernt der Spieler mehr als durch starre Formen wie bei einem Buch. An einigen Punkten sind sogar kleine Spiele eingebaut, bei denen man Schachaufgaben lösen muß, die mit dem zuvor behandelten Themengebiet Zusammenhängen. Hier kann man überprüfen, wie gut man alles verstanden hat.
Beim Tutor fällt nur der langsame Bildschirmaufbau negativ auf. Es dauert immer eine Weile, bis das Schachbrett gezeichnet und alle Figuren gesetzt sind. Danach kann man einen Teil zügig durchnehmen, weil nur an einigen Stellen noch mal nachgeladen wird. Als Schach-Lernprogramm ist »Paul Whitehead lehrt Schach« sehr empfehlenswert.
Der fortgeschrittene Spieler findet zwar kaum Neues. Wer aber gerne Schach lernen möchte oder nur die Regeln beherscht und seine Spielstärke verbessern möchte, findet mit diesem Programm einen geduldigen und effektiven Lehrer.
Als Bonbon gibt es zum Tutor noch ein richtiges Schachprogramm, an dem man seine neuen Kenntnisse erproben kann. Das Programm trägt den furchterregenden Namen »Kaffeehaus-Monster«. Dahinter verbirgt sich aber kein figurenfressendes Ungetüm, sondern nur ein reguläres Schachprogramm, das genau wie beim Tutor nur die 2D-Darstel-lung aus der Vogelperspektive verwendet. Es existieren acht Spielstärken. Darunter befinden sich zwei spezielle Level. Der eine spielt Blitzschach, bei dem jeder Spieler maximal fünf Minuten Zeit für die gesamte Partie hat. Der andere nennt sich »Infinite«, was aber nicht heißt, daß sich das Programm für alle Ewigkeit verabschiedet, sondern nur, daß der Computer so lange sucht, bis er den besten Zug gefunden hat. Dieser Modus ist besonders beim Briefschach hilfreich. Durch Tastendruck kann man den Computer aus dem langen Nachdenken auch herausreißen. Der Computer führt dann den besten Zug aus, den er bis dorthin gefunden hat. Man muß aber nicht unbedingt gegen den Computer antreten, sondern kann auch den Computer gegen sich selbst kämpfen lassen oder mit einem Freund am Bildschirm spielen. Dieses hat aber nur den Vorteil, daß der Computer unmögliche Züge verhindert, was so manchen Streit bei der Regelauslegung vermeiden hilft. Ansonsten ist das Spielen mit richtigen Figuren vorzuziehen, allein weil nach unseren Erfahrungen am Bildschirm nicht die richtige Atmosphäre aufkommt.
Wie es bei guten Schachprogrammen üblich ist, kann man falsche Züge zurücknehmen, eigene Stellungen ausbauen und komplette Partien laden, speichern, ausdrucken oder automatisch nachspielen lassen. Für die Freunde von Schachaufgaben gibt es auch eine Funktion für Mattaufgaben. Das Programm sucht bei der bestehenden Situation nach der schnellsten Mattvariante. Dabei zeigt es an, wie viele Züge dafür nötig waren.
Für das eigentliche Spiel gegen den Computer gibt es drei wichtige und hilfreiche Funktionen. Die erste ist, den Computer nach einem geeigneten Zug suchen zu lassen. Sie ist mit dem Tauschen der Seiten identisch, so daß man zum normalen Weiterspielen immer ein zweites Mal den Computer überlegen lassen muß. Möchte man aber die Seiten wirklich tauschen, zum Beispiel am Anfang einer Partie, ist es zweckmäßig, das Brett um 180 Grad zu drehen, was auch vorgesehen ist.
Gesteuert wird das gesamte Programm über die Tastatur. Man gibt über sie nicht nur die Züge ein, sondern ruft auch alle Funktionen durch einen Tastendruck auf. Bei der Steuerung darf man nicht auf die vielen Menüs hoffen, die den Spieler beim Tutor begleiten. Einzige Annehmlichkeit für den Benutzer sind zwei Bildschirme mit einfachen Hilfen. Daß auf der Hilfsseite auch steht, wie man die Hilfsseite aufruft, beweist einen gewissen Hang zum Perfektionismus. Man sollte es aber trotzdem gut studieren und sich besonders die etwas merkwürdige Syntax zum Umwandeln eines Bauern einprägen. Diese Feinheit, die im entscheidenen Augenblick aber zu einem großen Hindernis werden kann, ist auf der Hilfsseite nämlich nicht vermerkt. Die Hilfsseite erfüllt aber dennoch ihren eigenen Zweck. Auf ihr sind nochmal alle Tasten und ihre Funktionen aufgelistet. So kommt man auch beim Spielen ohne Handbuch aus.
Das »Kaffeehaus Monster« erweist sich beim Spiel als zäher Gegner, dessen Stärken eindeutig im Mittelspiel liegen. Hier findet das Programm in der Regel den stärksten Zug, sofern man ihm genug Zeit läßt. Im Endspiel hat es aber wie viele andere Programme teilweise eklatante Schwächen. In der Eröffnung begeht das Programm nicht unbedingt Fehler, es verfügt aber auch nicht über eine Eröffnungsbibliothek. Dadurch muß das Programm selbst bei Standardsituationen lange nachdenken. Viel schwerer wiegt noch, daß das Programm bei der gleichen
Stellung und der gleichen Bedenkzeit immer den gleichen Zug ausführt. Bei unseren Tests haben wir eine Variante herausgefunden, mit der man das »Kaffeehaus Monster« bei der höchsten Spielstufe mit absoluter Sicherheit schlagen kann. Der Neuling wird davon nicht viel merken, der erfahrene Spieler darf aber nicht hoffen, mit verschiedenen Eröffnungsvarianten des Computers konfrontiert zu werden, was bei größerer Erfahrung sehr wichtig ist. Durch wechselnde Varianten lernt man wesentlich mehr, als durch die ständige Wiederholung einer Stellung. Durch eine umfangreiche Eröffnungsbibliothek lernt man neue Varianten kennen, die streng nach der Theorie vom Computer gespielt werden. Das ist der beste Weg, um sein eigenes Eröffnungsrepertoir zu erweitern.
Das »Kaffeehaus Monster« rundet das Lernpaket gut ab. Nach der Theorie im Tutor-Teil hat man hier die Chance, aktiv Schach zu spielen und festzustellen, wie weit man bereits ist und wo noch Schwächen liegen. Als kostenlose Beigabe ist das Programm wirklich hervorragend. Hobbyspieler werden an diesem Programm ihre Freude haben. Für den Fortgeschrittenen dürfte sich die Investition von 100 Mark wohl kaum lohnen. Wer aber Schach lernen will, erhält ein sehr gutes Paket, das alle Wünsche für die ersten Schritte befriedigt.
Für unseren Test in der Happy-Redaktion stand uns leider nur die englische Version zur Verfügung. Es wird aber eine deutsche Übersetzung geben. Das bezieht sich nicht nur auf das Handbuch, sondern auch auf die Texte auf dem Bildschirm. Man braucht also keine Angst vor unverständlichen Texten und Erklärungen zu haben. (gn)