TEMPUS oder Wie GEM das Laufen lernte

Das meistverwendete Programm jedes Programmierers ist der Editor. Besonders bei Compilersprachen ist es wichtig, den Quellcode als Text eingeben und abspeichern zu konnen. Mit dem Anspruch, bessere und schnellere Sprachen zu entwickeln, wuchs auch das Verlangen nach besseren Editoren. Um so verwunderlicher ist es, daß erst jetzt ein Editor entwickelt wurde, der keine Wünsche offen läßt. Wir haben die endgültige Version dieses 'Werkzeuges' unter die Lupe genommen.

Was zuerst auffällt: Der Editor wurde unter GEM geschrieben, was der Bedienerfreundlichkeit zugute kommt. Da unter GEM geschriebene Editoren meist zu langsam waren, ließen einige Firmen ihre Editoren nur unter TOS laufen. Daß GEM keineswegs langsam sein muß, beweist TEMPUS.
Um die Geschwindigkeit des Programms zu testen, haben wir eine Datei geladen, die ca. 70 Kilobytes groß ist. Die Ladezeit und einige andere Merkmale haben wir mit anderen Editoren verglichen, so daß Sie selbst vergleichen konnen. Die Ergebnisse finden sich in Tabelle 1.

Editor-Benchmarks
1st_Word MCC-Ed GST-Editor Ideal Tempus
Laden einer 70 KByte Datei 37 s 39 s 37 s 6 s 10 s
Suchen nach Wort am Textende 25 s 5 s 21 s 2 s *
Ersetzen aller "e" durch "ae" 420 s 1088 s 79 s 514 s 15 s
* war bei Tempus nicht meßbar (ca. 0,5 s)

Ein Meister der Geschwindigkeit

Sein wahres Gesicht zeigt TEMPUS allerdings erst, wenn man beginnt, Texte zu editieren und zu bearbeiten. Gibt man häufig Texte ein, so fällt auf, daß, wenn der Cursor zu schnell eingestellt ist und beim Scrollen die Tastenwiederholfunktion benutzt wird, der Text nach dem Loslassen der Taste meist noch einige Zeilen weiterläuft. TEMPUS dagegen verschiebt den Bildschirminhalt so erstaunlich schnell nach oben oder unten, daß bei normaler Cursoreinstellung kein und bei schneller Cursorgeschwindigkeit nur ein minimales Nachlaufen zu bemerken ist - und das, obwohl dieser Editor nicht unter TOS, sondern unter GEM läuft. Als die Redaktion TEMPUS zum ersten Mal scrollen sah, waren alle stark beeindruckt. Auch hier haben wir einige Vergleiche mit anderen Editoren gemacht. Während man bei 1st Word fast zuschauen kann, wie eine Zeile mehr ruckartig auf dem Bildschirm erscheint, und die Geschwindigkeit im MEGAMAX-Editor gerade noch erträglich ist, huscht bei TEMPUS der Text wie ein Schleier über den Bildschirm.

Um die Geschwindigkeit zu realisieren, wurde der Editor vollständig in Assembler geschrieben. Doch nicht nur die fantastische Scrollgeschwindigkeit, auch alle anderen Funktionen konnen sich sehen lassen. So erledigt TEMPUS zum Beispiel bis zu 562 (!) Vertauschungen pro Sekunde. Wenn er allerdings gegen längere Strings austauschen muß, wird er etwas langsamer - dann schafft er 'nur' noch 500 Vertauschungen. Auch hier haben wir einen Vergleichstest gemacht: In unserem 70k langen Text kam 7440 mal der Buchstabe 'e' vor. Diesen haben wir durch 'ae' austauschen lassen, das heißt, wir haben Tempus mit der schwierigeren Arbeit beauftragt. Der Metacomco-Editor hat für diese Arbeit am längsten gebraucht: Er brachte es auf ganze 1088 Sekunden - das sind über 18 Minuten! 1st Word schlug sich tapfer mit 7 Minuten. Als wir den Test mit Tempus durchführten, trauten wir unseren Augen nicht: Als wolle er die anderen Editoren ärgern, meldete er sich nach sage und schreibe 15,2 Sekunden mit der Meldung, er habe gerade 7440 Stellen ersetzt. Zudem ist die Austauschfunktion nicht nur schnell, sondern auch äußerst komfortabel (Bild 2).

Ähnlich überragend stellte sich TEMPUS auch in der Suchfunktion dar: Beim Suchen nach einem Wort, das am Ende des Textes stand, brauchte 1st Word 25 und der Metacomco-Editor 5 Sekunden. Die Zeit von TEMPUS war nicht feststellbar; sie dürfte etwa bei einer halben Sekunde gelegen haben.
CCD liefert mit TEMPUS indes nicht einen schnellen, sondern auch einen komfortablen Editor. Die Anzahl Funktionen ist kaum zu überbieten . Bevor auf die interessantesten Funktionen eingegangen wird, sollten sich einmal Bild 1 und Tabelle 2 anschauen. Die Vielfalt der Menüleiste wird nur noch von der Menge der Befehle übertroffen. Die in Tabelle 2 dargestellten Befehle sind alle über die Tastatur verfügbar. Dabei wurden, so ging, sogar Ahnlichkeiten mit WORDSTAR-Codes hergestellt, um eine schnellere Einarbeitungszeit zu gewährleisten. Selbst GEM-Gegner kommen durch die Tastenbelegung aller Befehle auf ihre Kosten. Zusätzlich sind die Funktionstasten mit Texten belegbar. Wer also bestimmte Worter (oder auch ganze Sätze) ofters benotigt, legt sie auf den Funktionstasten ab und kann sie dann mit einem Tastendruck wieder aufrufen.

GEM wurde ein wenig überarbeitet

Nach dem Laden von Tempus fällt zunächst die neue Fileselektorbox auf (Bild 3). Abgesehen davon, daß die Originalbox beim Eingeben eines Unterstrichs abstürzt, läßt sie manches zu wünschen übrig. Diesen Gedankengang muß man auch bei CCD gehabt haben, denn in Tempus findet sich eine vollig neue Dateiauswahlbox. Nicht nur, daß man nun endlich sieht, ob man einen Text lädt oder abspeichert, sie bietet auch sonst einige Features:

  1. Die Diskettenlaufwerke sind anklick bar. Dabei werden nur die Laufwerke angezeigt, die auch wirklich zur Verfügung stehen.
  2. Der Pfadname darf 42 Zeichen lang sein.
  3. Die gebräuchlichsten Extender (" * . * ", " * .pas" etc.) sind durch Anklicken wählbar.
  4. Die einzelnen Dateiattribute wie Filelänge, Datum, Uhrzeit sind abrufbar.

Eine tolle Sache, wenn man bedenkt, daß man normalerweise wegen solcher Fragen das DESKTOP konsultieren muß.
Eine zweite Besonderheit: Tempus enthält einen Taschenrechner, mit dem man nebenbei kleinere Rechnungen durchführen kann. Er entspricht den üblichen Taschenrechnern, mit dem Unterschied, daß er Dezimal, Hexadezimal und Binär rechnen kann. Dabei wurden auch logische Operationen einbezogen.

Querverweisliste inklusive

Man kann sogar eine Querverweisliste (Cross-Reference) anlegen, mit der sich (natürlich sekundenschnell) alle Stellen auffinden lassen, an denen zum Beispiel eine bestimmte Variable steht. Klickt man dann in dem Fenster, in dem sich die Querverweisliste befindet, die entsprechende Zeilennummer an, so springt der Cursor im gerade bearbeiteten Text automatisch in diese Zeile. Eine neue und sehr sinnvolle Funktion, zumal dieses Springen in eine bestimmte Zeile nicht nur mit der Querverweisliste, sondern auch mit anderen Texten funktioniert. Hatte man zum Beispiel beim Compilieren mit MEGAMAX einen Fehler, so lädt TEMPUS den Quellcode und die Fehlerdatei. Klickt man die Zeilennummer der Fehlerdatei an, springt man sofort in die fehlerhafte Zeile. Eine tolle Idee! Sollte dem Anwender der eingebaute Zeichensatz nicht zusagen, so kann er Zeichensätze im DEGAS-Format laden. Interessant ist, daß man bei den bis zu vier gleichzeitig bearbeitbaren Texten jeweils auswählen kann, ob man einen 8x8- oder 16x8-Font benutzen kann. Hilfreich ist, daß Tempus auf Kommando die Fenster der gerade in Arbeit befindlichen Texte wahlweise nebeneinander oder untereinander stellen kann. So kann man sehr gut Texte vergleichen und bearbeiten.

Installationen abspeicherbar

Selbst an eine Druckeranpassung wurde gedacht. Dadurch kann sich jeder eine Anpassung für seinen Drucker erstellen und wird ab sofort keine Probleme mehr haben, Texte oder markierte Textstellen (Blocke) auszudrucken. Man kann die Icons wie Drucker, Mülleimer, Diskstation etc. nach Belieben umherschieben und so postieren, wie man es für sinnvolll hält. Daß all diese Einstellungen (selbst Tabulator und Zeilenlänge werden berücksichtigt) abspeicherbar sind, erscheint bei diesem Programm fast selbstverständlich - TEMPUS lädt Sie dann beim Starten selbständig.

Resumee

Man konnte noch einige Feinheiten und Neuigkeiten ansprechen, sie würden allerdings den Rahmen unseres Berichtes sprengen. Alles in allem kann man diesen Editor als ein gelungenes Werk bezeichnen. Nicht nur, daß er durch die Assemblerprogrammierung konkurrenzlos schnell ist und Speicherplatz spart, Tempus wurde auch an alle verbreiteten Shells angepaßt eine frohe Nachricht für diejenigen, die sich mit den mitgelieferten Editoren der entsprechenden Entwicklungssysteme (zum Beispiel TOS-Editoren oder langsame GEM-Editoren) herumärgern mußten. Zugegeben, der Test klingt sehr euphorisch - doch es ist äußerst wahrscheinlich, daß TEMPUS neue Maßstäbe setzen wird. Sollten Sie sich nicht sicher sein, ob Ihnen dieser Editor zusagt: Bei CCD ist eine DemoVersion erhältlich. TEMPUS ist besonders für alle diejenigen ein Muß und eine Bereicherung, die sehr gern angenehm und schnell arbeiten. Wer mochte das nicht? Auch der Preis von 79 DM (!) läßt vermuten, daß Tempus sehr bald in aller Munde sein wird...

Bezugsquelle: CCD - D. Beyelstein Burgstraße 9 D-6228 Eltville


Stefan Höhn / (HE)
Aus: ST-Computer 03 / 1987, Seite 70

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