SchneeBIT: Eine verschneite CeBIT ’87

Bei kalter Witterung und heißer Atmosphäre fand die größte Computer-Messe der Welt statt. Doch auch durch Schnee, Eis und chaotische Straßenverhältnisse ließen sich die Besucherscharen nicht abschrecken - die Anzahl der Computerinteressierten stieg gegenüber dem Vorjahr stark an.

Zum zweiten Mal war Hannover Treffpunkt internationaler Aussteller, die mit ihren Neuigkeiten eine Woche lang für Aufregung sorgten. Hersteller aller Länder zeigten eine bunte Palette von Produkten für fast alle gängigen Computer. Mit ihrer 205 000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche und fast 2200 Ausstellern ist CeBIT zweifelsfrei die weltweit bedeutendste Ausstellung im Informatik- und Kommunikationsbereich. Mit der im letzten Jahr erstmals praktizierten Entscheidung, die Hannover-Messe in CeBIT und Industrie-Messe zu teilen, wurde ein Schritt gemacht, der beinahe historisch zu nennen ist. Daß die Entscheidung richtig war, läßt sich am Zuwachs der Aussteller-Anzahl und an der vergrößerten Ausstellungsfläche feststellen. Die Anzahl der ausländischen Aussteller hat sich von 375 auf ca. 760 vergrößert. Mit rund 400000 Besuchern ist die Anzahl der Interessierten gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent gestiegen. Auffallend ist, daß man in der geräumigen Halle des Messe-Centers in Hannover nicht nur einzelne Produkte, sondern zunehmend auch anwendungsbezogene Problemlösungen findet.

Sh. Shivji, S. Tramiel, J. Tramiel und A. Stumpf bei der Pressekonferenz von ATARI

Für den Laien, der nicht unbedingt seine tägliche Tätigkeit am Computer verrichten muß, aber trotzdem an dieser Technologie interessiert ist, bot die CeBIT verschiedene Veranstaltungen an, die meist leicht verdauliche Informationen lieferten. Eine dieser Veranstaltungen ist das Computer-Camp, das gleichermaßen für Jugend, Eltern und Lehrer interessant ist.

Quo vadis, ATARI?

Daß der europäische und speziell der deutsche Markt für ATARI von großer Bedeutung ist, wurde auch in diesem Jahr wieder durch die Anwesenheit aller wichtigen Leute aus Sunnyvale bewiesen. Jack, Sam und Leonard Tramiel sowie Chefentwickler Shiraz Shivji waren auf der Messe anzutreffen; man konnte sich von ihnen persönlich die neuen Produkte erklären lassen.

Sam Tramiel, Präsident der ATARI-Gesellschaft, konnte dieses Jahr außerordentliche Ergebnisse vorweisen. Der Umsatz im vergangenen Jahr betrug $258.131.000 gegenüber $141.987.000 im Jahr 1985, was einen Zuwachs von 81,8 % bedeutet. Auch in den Vereinigten Staaten gewinnt der ATARI ST immer größere Marktanteile, in Europa ist er bereits einet der meistverkauften Personal-Computer. Diese großartige Jahresbilanz hat ATARI dazu ermutigt, wichtige neue Produkte herzustellen: Ein IBM PC-Clone, mit dem sich ATARI eine Tür in die übrige Welt der PC-Computer öffnen möchte, sowie eine neue Generation der ST-Rechner, die sogenannten MEGA-Rechner, die ebenfalls auf der CeBIT vorgestellt wurden.

Alwin Stumpf zieht Bilanz

Auch Alwin Stumpf, Geschäftsführer der deutschen ATARI GmbH, hatte einen hervorragenden Jahresabschluß zu berichten. ATARI Deutschland hatte im Jahr 1986 einen Umsatz von DM 141,58 Millionen erreicht. Dieser Umsatz entspricht ungefähr 28 % des gesamten Konzern-Umsatzes. Damit ist die deutsche Sektion einer der wichtigsten Umsatzfaktoren ATARIs. Dieser Umsatz entspricht für 1986 in verkauften Stückzahlen: 40 000 ST Computer der 1 MByte Klasse (520 ST + und 1040 ST) und 33 000 der kleineren Modelle (260 ST und 520 ST/M). Wenn man zu diesen Stückzahlen noch die von 1985 und dem ersten Quartal 1987 hinzuaddiert, so kann man schätzen, daß bis heute ungefähr 120000 ATARI-ST-Rechner verkauft wurden.

Auf der traditionellen ATARI-Pressekonferenz wurden von Alwin Stumpf die neuen Produkte vorgestellt.

PC-Clone von ATARI

Laut ATARI ist die Entscheidung, einen IBM-PC-Kompatiblen zu produzieren, kommerziell motiviert. Alwin Stumpf bemerkte, man sei inzwischen finanziell so stark geworden, daß ATARI ein Marktsegment, das momentan ungefähr 75 % des gesamten Computermarktes ausmacht, nicht auslassen wolle. Mit ihrer Firmenphilosophie „Mehr Leistung für weniger Geld“ haben die ATARI-Techniker einen IBM-Kompatiblen mit sehr gutem Grundstandard entwickelt. Der Kompatible wird in einem kleinen Gehäuse geliefert, in dem das Netzteil und eine 5 1/4 Zoll-Floppy untergebracht sind. In der Grundkonfiguration wird er mit 512 KB RAM Hauptspeicher geliefert, der bis 640 KB auf der Hauptplatine erweiterbar ist. Zusätzlich zum Hauptspeicher ist ein 256 KB großer Bildschirmspeicher integriert, der eine Entlastung des Hauptspeichers bedeutet. Der ATARI PC wird serienmäßig mit einem EGA-Chip, der alle gängigen Standards (CGA, EGA und Hercules) emuliert, ausgeliefert. Sämtliche Peripheriegeräte der ST-Serie lassen sich an den PC anschließen; das gilt für die 3,5 Zoll-Floppy, die Harddisk und auch für die Maus. Der ATARI PC soll Ende Juni auf dem deutschen Markt eingeführt erden. Erwähnt wurde ein Preis von 1798 DM, er könnte sich aber im Sommer noch ändern. Zum Lieferumfang gehören übrigens GEM und eine ganze Reihe der GEM-Programme, die auf den IBM PCs laufen. Um welche Programme es sich dabei handelt, wurde leider noch nicht bekanntgegeben; der Gegenwert soll allerdings ca. 500 Dollar(!) betragen.

Der ATARI PC-Clone mit Floppy

Die Mega-Serie

Die neue Tastatur des Mega ST

Wer vermutet, bei den neuen Mega-Rechnern von ATARI handele es sich nur um Computer mit einer größeren Speicherkapazität, hat nur bedingt Recht. Die neuen ST-Rechner werden in drei verschiedenen Hauptspeichergrößen geliefert: 1 MB, 2 MB oder 4 MB RAM. Damit ist aber noch nicht alles über sie gesagt. ATARI hat erkannt, daß auch das Design eine große Rolle spielt: Man ißt auch mit den Augen. Die Tastatur und die Zentraleinheit wurden getrennt, so daß vom gewohnten Äußeren nicht viel übriggeblieben ist. An der Tastatur wurden einige Änderungen vorgenommen; sie ist jetzt flacher und der Druckanschlag ist härter gefedert. Der Joystick- und Mausanschluß sind am hinteren Teil des Gehäuses untergebracht. Die Tastatur ist über ein Spiralkabel mit der Zentraleinheit verbunden, dadurch gewinnt der Anwender Bewegungsfreiheit während der Arbeit.

Die neue Tastatur von hinten. Joystick- und Maus Stecker wurden jetzt am hinteren Teil des Gehäuses untergebracht.

Grundplatine, Floppy (ein doppelseitiges Laufwerk mit 720 KB) und Netzteil wurden in ein kompaktes und gut gestaltetes Gehäuse untergebracht: Der ganze Kabelsalat verschwindet. Auch im Layout wurden Änderungen vorgenommen. Der Hauptspeicher ist beim Mega ST 2 und 4 mit dem 1 Mega Bit-Chip ausgestattet. Zum ersten Mal wurde der Systembus des 68000er (alle Adress-, Daten- und Steuerleitungen) vollständig herausgeführt. Dazu befindet sich neben dem 68000er Prozessor eine Steckleiste. Dieses echte Manko der alten ST-Serie, das mit Sicherheit viele potentielle Käufer abgeschreckt hatte, ist somit behoben. Die Grundplatine wurde mit vier Abstandsbolzen versehen, die, die Möglichkeit bieten, eine Zusatzplatine unterzubringen. Auf der Messe wurde der Mega ST zum Beispiel mit einer typischen und sehr sinnvollen Anwendung für den herausgeführten Bus gezeigt: Eine kleine Platine mit dem Floating-Point-Coprozessor 68881, der alle mathematischen Prozesse enorm beschleunigt, wenn er entsprechend programmiert wird, wurde mit dem Systembus des ATARI-Rechners gekoppelt. Diese Karte, die nicht zum Lieferumfang gehört, wird für weniger als DM 1000,- gleichzeitig mit der Einführung der Mega-Rechner zu erhalten sein. Der Coprozessor wird mit einer Taktfrequenz von 20 MHz betrieben. Aber auch alle anderen denkraren Erweiterungen, die den Bus des ST benötigen, können in Zukunft als Zusatzplatine leicht eingebaut werden.

Geöffneter Mega ST 4: Volle 4 MByte RAM auf der Basis der neuen Mega Bit Chips.

Die Mega-ST-Rechner werden in der Grundausstattung prinzipiell mit dem schnellen Block-Transfer-Chip (BLT, auch Blitter genannt) geliefert, das angepaßte TOS unterstützt diesen vollständig. Ferner wurde die Möglichkeit ergeben, die Blitterunterstützung vom Desktop aus im Menü EXTRA abzuschalten; somit bleiben alle ST-Rechner kompatibel. Auf dem Weg zur Verbesserung des ST wurde nicht gespart; die Techniker von ATARI haben auch eine batteriegepufferte Echtzeit-Uhr mit separatem Uhren-Quartz im Gehäuse untergebracht. Die bekannten Schnittstellen (RS232, Festplatte (DMA), Drucker (Parallel), Floppy, MIDI sowie Videoausgänge) sind an der Rückseite des Gehäuses herausgeführt. Auch der ROM-Port wurde beibehalten, so daß alle Steckkarten für diesen Port auch in Zukunft ihren Zweck erfüllen können. Die Festplatte wurde in einem Gehäuse mit gleichem Format und Design eingebaut, so daß sie direkt auf den Mega ST gestellt werden kann. Sie trägt den Namen SH 205. Ansonsten entspricht sie der bekannten SH 204. Die Einführung auf dem deutschen Markt soll Anfang Sommer stattfinden, auf jeden Fall vor dem ATARI PC. Die Preise: Mega ST1 DM 2498, -, Mega ST2 DM 2998, - und Mega ST4 DM 3998,-. Alle Geräte werden mit monochromem Monitor und Maus geliefert.

Die Produktion des 260 ST wurde mit der Ankündigung der neuen Rechner eingestellt. Stattdessen wird in dieser Preisklasse nur noch der 520 STM samt kleiner Floppy, Maus und TOS im ROM zum Preis von DM 998,-geliefert. Ferner wird die kleine Floppy SF 354 jetzt für DM 399,- geliefert. Im Lieferumfang ist eine Maus enthalten!

Zusatzplatine mit Arithmetik -Coprozessor 68881.

Der Laserdrucker

Auch neue Drucktechnologien wurden von A1ARI berücksichtigt. Auf der CeBIT wurde als Weltpremiere der ATARI-SLM-Laserdrucker erstmals vorgestellt. Er hat eine Druckgeschwindigkeit von acht Seiten pro Minute bei einer Auflösung von 300 Punkten pro Zoll. Somit ist er um ein mehrfaches schneller als jeder Typenraddrucker, der nur annähernd vergleichbare Ergebnisse liefert. Der Laserdrucker von ATARI ist außerdem grafikfähig und kann jeden Schrifttyp sowie jede Darstellung des Bildschirms, in welcher Auflösung auch immer, wiedergeben. Die Steuerung wird direkt vom Rechner übernommen, so daß er nur in Verbindung mit einem Mega ST mit mindestens 2 MB sinnvoll zu betreiben ist. Das hat den Vorzug, daß der Laserdrucker keinen eigenen Speicher benötigt. Deswegen braucht er auch keinen besonderen Zeichensatz zu laden, sondern übernimmt ihn direkt vom Computer. Der Drucker wird am DMA-Port angeschlossen, bietet aber die Möglichkeit, weitere für den DMA-Port bestimmte Geräte anzuschließen. Dazu wird eine Interfacebox im Lieferumfang enthalten sein. Mit dem Laserdrucker, der mit einem ATARI Mega ST2 für ca. DM 6000,- zu haben sein wird, ist es also möglich, für wenig Geld in die Welt des Desktop-Publishing richtig einzusteigen. Auch hier wird Anfang Sommer als Termin für die Markteinführung genannt. Bei ATARI wird sogar erwogen, das Kombinationspaket mit einem Desktop-Publishing-Programm inklusive auszuliefern.

Neues Gehäuse des Mega ST. Man kann das Batteriefach der eingebauten Uhr erkennen.

In Sachen Software

Von ATARI selbst war dieses Jahr in Sachen Software nicht allzuviel zu sehen. Die neueste Version von 1st Word, Ist Word plus, war schon vor der Messe fertig, ebenso OS9, ein Multitasking-Multiuser-Betriebssystem, das für den ATARI ST portiert wurde.

Eine neue Version der relationalen Datenbank ’Adimens ST’, die jetzt über Rechenfelder verfügt und einen völlig in GEM eingebundenen INIT-Teil zum Erstellen der Maske hat, war ebenfalls zu sehen. Leider wird diese Version erst im Sommer erhältlich sein.

Im Gegensatz zum Vorjahr waren diesmal sogar 56 Arbeitstische am ATARI-Stand vorhanden, an denen nicht nur ATARI die neusten Produkte vorführte, sondern größtenteils fremde Hersteller unter dem „Dach“ von ATARI ihre Produkte präsentierten. So wurden neben neuer Software und speziellen Branchenlösungen auch Hardware-Erweiterungen gezeigt, die für eine immer größere Verbreitung der ST Rechner sorgen dürften. Über diese Produkte werden wir in der nächsten ST Computer ausführlichst berichten.



Aus: ST-Computer 04 / 1987, Seite 6

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