IBP 190 ST: Der 19"-ATARI

Den kleinsten ST der Welt hat vermutlich die Firma IBP im Programm. Um ein für industrielle Anwender, für die ein Plastikkasten mit der Aufschrift ATARI grundsätzlich nicht in Frage kommt, geeignetes System zu schaffen, hat man in mühseliger Kleinarbeit das ganze Platinenlayout des ST neu entworfen und den ganzen Rechner auf drei Europakarten zusammenschrumpfen lassen. Damit das ganze auch wirklich für industrielle Zwecke brauchbar ist, wurde auch gleich eine Buserweiterung für Eurobus-Karten eingebaut. Damit ist es möglich, praktisch beliebige I/O-Karten, z.B. für Steuerungszwecke, an den ST anzuschliessen. Da der Eurobus ein Standardbus ist, sind auch eine Menge Erweiterungskarten verfügbar.

In unserem Test-Rechner, bei dem das Rechnermodul ein paar Zentimeter in einem 19"-Gehäuse mit zwei Höheneinheiten einnimmt, waren zum Beispiel drei I/O-Karten eingebaut: Je eine digitale Ein- und Ausgabekarte mit vierundzwanzig bzw. sechzehn Kanälen und eine acht-kanalige 12-Bit-A/D-Wandler Karte mit einer Wandlungsrate von 30 Mikrosekunden. Zusätzlich im Testgerät: Zwei Floppy-Laufwerke von niedrigster Bauart (Herrlich leise !). Alles zusammen brauchen diese sechs Einschübe nicht einmal zwei drittel der Gehäusebreite. Von den insgesamt 14 Steckerleisten, die in einem 19"-Einschub Platz finden, sind noch sechs frei. Das Gehäuse ist um einiges tiefer als eine Europa-Karte; im ‘Hintergrund’, hinter der Eurobus-Platine, ist ein leistungsfähiges Netzteil eingebaut. Der Rechner braucht übrigens nur eine einfache 5 Volt-Spannungsversorgung bei einem Strombedarf von ca. 1.6 Ampere.

Für den harten Einsatz in der rauhen Wirklichkeit ist das extrem massive und schwere Metallgehäuse wohl wirklich bestens geeignet. Leider hatte mein Elefant gerade Ausgang, so daß ich keinen konkreten Belastungs-Test vorweisen kann. Sicherlich kann man den Rechner-Einschub bei Bedarf oder spezielle Anwendungen (Schalttafeln usw.) auch in einem anderen Gehäuse verwenden.

Auf der Frontplatte (Aluminium) des Rechnermoduls, sind sämtliche Anschlüsse des ST herausgeführt. Dabei werden für Monitor. RS232-Schnittstelle, Tastatur und die Midi-Anschlüsse 9-polige Sub-Miniatur-D-Buchsen bzw. Stecker verwendet. Das ist zwar nicht unbedingt Norm (Midi) aber es hat den Vorteil, das es auch unsanfter Behandlung widersteht. Für Färb- und Mono-chrom-Bildschirm werden unterschiedliche Anschlüsse verwendet.

Auch der Reset-Knopf steht auf der Frontplatte zur Verfügung. Floppy-Laufwerke und Hardisk können direkt auf der Platine angeschlossen werden; eine Harddisk-Kassette muß also nicht umständlich über den DMA-Port-Stecker auf der Frontplatte angeschlossen werden.

Die Tastatur des Gesamt-Systems stammt vom Mega ST. Als Monitor wird ein SM 124 mit modifiziertem Kabel verwendet; alles wie gewohnt also.

Die Hardware des 190 ST entspricht bis auf einige Erweiterungen der eines Mega ST. Hauptunterschied für den ‘normalen’ Anwender ist, das in der Grundversion nur 512 KByte Speicher zur Verfügung stehen. Es ist allerdings möglich, das Gerät auf 2 Megabyte aufzurüsten. Auch der Blitter ist serienmäßig nicht enthalten, kann aber nachgerüstet werden. Viel interessanter für industrielle Anwendungen dürfte aber sein, daß ein Sockel für den arithmetischen Coprozessor bereits vorhanden ist. Da inzwischen fast jeder wichtige Compiler in einer Version für den 68881 zur Verfügung steht, ist dies wirklich brauchbar. Allerdings muß für den Einbau ein wenig gelötet werden. Der ATARI-Romport ist in der Grundausstattung nicht vorhanden. Dafür sind auf der Platine aber Sockel für bis zu 128 KByte ROM oder akkugepuffertes (!) SRAM vorhanden, die den normalen Adressraum des ROM-Ports belegen. Mit einer externen Erweiterung können aber auch normale Romport-Module angeschlossen werden.

Der Audio-Ausgang des 190 ST kann etwas mehr Krach machen als ein normaler ST: Ein 1-Watt-Verstärker sorgt für Leistung.

Schließlich kann man die Übertragungsrate des Midi-Interfaces bis auf 126 KBaud erhöhen, was vor allem für die Vernetzung mehrerer Rechner interessant ein dürfte.

Schließlich ist im Rechnereinschub eine etwas ausgefeiltere RESET-Logik eingebaut als man sie vom normalen ST kennt. Wenn die Spannung der Stromversorgung unter 4.75 Volt sinkt, erzeugt der Rechner automatisch einen Reset. Beim Einsatz einer Harddisk ist es möglich, die Power-up-Reset-Phase um 15 Sekunden zu verlängern, so daß Harddisk und Rechner über einen gemeinsamen Schalter ein-und ausgeschaltet werden können. Schließlich gibt es eine Watchdog-Logik, die per Software aktiviert werden kann.

Für professionelle Anwendungen ist die interessanteste Hardware-Erweiterung natürlich das Eurobus-System, der eigentlich für 8 Bit-Peripherie für die Prozessoren aus der 65XX- und 68XX-Bau-reihe konzipiert wurde. Dabei wurde auf möglichst flexible Adressdekodierung Wert gelegt, um möglichst viele Eurobus-Karten am ST verwenden zu können.

Die I/O-Karten sind recht einfach programmierbar. Bei der A/D-Wandler-Karte ist ein einfaches Assembler-Modul, das sich mit Hochsprachen-Modulen linken läßt, zur Initialisierung und Wertabfrage im Lieferumfang enthalten, zusammen mit einem GEM-Demo-Programm, das einfach Oszilloskop-Funktionen simuliert. Ein ähnliches Modul wird auch für die digitalen I/O-Karten mitgeliefert.

Im IBP-Lieferprogramm gibt es noch einige weitere Karten, z.B. mit Timern, integrierenden A/D-Wandlern, seriellen Schnittstellen, Floppysteuerungen usw.

Die Dokumentation aller Teile des Systems ist ganz hervorragend. Die Karten werden ausführlich beschrieben, darüber hinaus sind aber auch Schalt- und Bestük-kungspläne, bei der A/D-Karte sogar Datenblätter der verwendeten Bauteile enthalten. Eine wirklich vollständige Beschreibung also. Zusätzlich wird die Lektüre durch eine kleine Süßigkeiten-Zugabe in jedem Handbuch entschieden erleichtert. Ich habe mich nämlich nicht an die Hersteller-Empfehlung gehalten und die Schokolade bereits vor der Lektüre der Anleitung verspeist.

Fazit

Der 190 ST ist nicht nur der kleinste, er ist wohl auch der robusteste und einer der vielseitigsten STs. Dies wurde auf der ATARI-Messe auch mit verschiedenen tragbaren Ausführungen auf der Basis des gleichen Rechner-Moduls vorgeführt. Eines dieser Geräte war mit einem winzigem Monitor im 19"-Gehäuse ausgestattet (es war allerdings nicht für den Verkauf gedacht), ein anderes, mit einem größeren Einbau-Monitor soll in Serie hergestellt werden. Wer immer noch daran gezweifelt hat, das man mit dem ST echte Profilösungen für die Industrie schaffen kann, wird durch diese ST-Version eines besseren belehrt. Ganz billig ist diese Lösung natürlich nicht, aber für einen Industrie-Computer immer noch extrem preiswert. Im Vergleich zu den meist auf einfachen PCs basierenden ‘normalen' Industrie-Computern erhält man auf jeden Fall sehr viel mehr und komfortabler verfügbare Leistung bei zum Teil erheblich niedrigeren Preisen.

Die Verarbeitung ist vorbildlich, ebenso fast die ganze Dokumentation; andere Hersteller von Produkten für den nichtindustriellen Profibereich könnten sich davon eine Scheibe abschneiden.

CS

Bezugsadresse:

IBP Gerätebau GmbH Lilienthalerstr. 13 3000 Hannover

Bild 2: Die umfangreiche Dokumentation


Aus: ST-Computer 11 / 1988, Seite 28

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