Atari '89

Vor vier Jahren hat ATARI mit seiner ST-Serie eine gewaltige Veränderung in der Welt der Personal-Computer bewirkt. Ein Rechner wurde geschaffen, der bezüglich des Preises nicht seinesgleichen fand und bezüglich der Leistung in dieser Preisklasse unerreichbar geworden ist. Damals wurde mit Sicherheit ein neues Blatt in der Geschichte des Computers geschrieben. Dieses Blatt ist noch nicht vollständig, die Geschichte hat ihre Nachfolger...

Vor vier Jahren war ATARI eine im Konkurs begriffene Firma, die fast ausschließlich wegen ihrer Spielautomaten bekannt war. Es gehörte damals viel Mut dazu, unter einem solchen Namen einen Rechner auf den Markt zu bringen, der in einem Bereich konkurrieren sollte, in dem sich bereits große, bekannte Namen etabliert hatten. Man kann aber sagen, daß die Firma es trotz ihres Rufes nach vier Jahren geschafft hat, sich umzugestalten. ATARI ist nicht mehr nur ein Spielkonsolenproduzent, sondern vor allem in Europa der Hersteller eines Rechners, der ATARI ST heißt. Es sollte nicht übersehen werden, daß dieser Durchbruch nicht unbedingt überall geschehen ist. In den USA ist der ATARI ST-Rechner immer noch ein fast unbekanntes Wesen. Meistens wird der ST mit irgendwelchen Spielautomaten für das Wohnzimmer assoziiert. Die absolute Marktführung von IBM und IBM-Kompatiblen (auch in den Wohnzimmern) zu durchbrechen, ist dem ST in Amerika nicht gelungen. Aber vielleicht schafft das die nächste Generation. Anders ist die Lage in Europa und speziell in Deutschland. Wenn man die Umsatzstatistik der ATARI Incorporation betrachtet, wird man feststellen, daß der Hauptanteil des Gesamtumsatzes in Europa liegt - und das zum großen Teil mit dem ST-Rechner. Die Ursache dieser Sonderstellung (auf einem relativ kleinen Markt) ist schwer einzuschätzen. Mit Sicherheit spielte beim ATARI ST das Preis-/Leistungsverhältnis die Hauptrolle. Und auf der Basis dieser Politik baut ATARI konsequent weiter. Im Jahr 1988 brachte ATARI die ATW-Transputer-Rechner auf den Markt und kündigte zusätzlich die TT-Serien an. Mit den Transputern versucht ATARI noch einmal, mit leistungsfähiger Hardware, die aber immer noch erheblich günstiger ist als die der Konkurrenz, in einen neuen Bereich einzudringen. Die TT-Rechner sind der logische Nachfolger des ST, auch wenn sie preislich momentan noch deutlich über den STs liegen.

Der ST und die Zukunft

Daß Nachfolgemodelle auf dem Markt eingeführt werden, bedeutet nicht unbedingt, daß die alten Rechner sofort in der Mülltonne landen müssen. Der ST-Computer ist ein Rechner, der durch seine leistungsstarken Merkmale in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird und noch in weiteren und vielfältigeren seinen Einsatz finden kann. Insofern kann man behaupten, daß sich der ST-Rechner in seiner Klasse noch weiterentwickeln wird.

Ein paar Beispiele sollen demonstrieren, daß an dieser Weiterentwicklung stark gearbeitet wird: Die neue TOS-Version, die kurz vor ihrer Auslieferung steht, wenn nicht mal wieder irgendein gravierender Fehler entdeckt wird: der ST-Laptop, der ebenfalls fertig ist und im Mai an die Händler ausgeliefert werden soll; die 44 MByte-Wechselplatte, die ebenfalls bald den Weg zu den Händlern finden soll, und zuletzt noch ein neuer Großbildschirm namens SM 194. Wenn man noch die Software-Palette sieht, die von ATARI selbst unterstützt wird, findet man noch eine Untermauerung dieser Argumentation. Es sind, wie gesagt, keine leeren Worte, sondern feststehende Tatsachen.

Von zu Hause und unterwegs

Was mit einem Rechnertyp anfing, hat sich mittlerweile in eine Vielzahl dem Anwender angepaßte ST-Modelle verwandelt. Dem ST 520 von vor vier Jahren folgten schnell andere STs nach. In Leistung und Gestaltung hat sich einiges geändert. Der ST hat die Wohnzimmer verlassen und ist langsam aber sicher in Büros und Universitäten eingedrungen. Mit dem Modell 1040 hat ATARI den ersten Schritt in den Bürobereich getan. Es folgten die MEGA-Rechner, die in diesem Jahr vom MEGA ST1 vervollständigt wurden. Aber auch anderes wurde dieses Jahr Realität. Der ST wurde mobil...

Mein Name ist Stacy, ich bin ein ST

Schon im Jahr 1987 wurde erwähnt, daß ATARI oder eine Firma, die von ATARI beauftragt wurde, mit der Konstruktion eines ST-Laptops beschäftigt war. Sogar Fotos wurden gezeigt, aber der kleine portable ST kam nicht. Auf der CeBIT '88 wurde über dieses Thema gar nicht mehr gesprochen, so daß man das Gefühl bekam, daß er nicht mehr kommen würde. Dieses Jahr wurde er - im Gegensatz zur vorherigen Comdex in Las Vegas - dem Publikum als Fertigprodukt vorgestellt.

Er ähnelt einem grauen Aktenkoffer mit einem froschgrünen LC-Display und ist völlig ST-kompatibel. Durch seine Maße und sein Gewicht kann man ihn immer bei sich tragen (wenn nur ein wenig mehr Platz für die Akten da wäre! Naja!). Man kann ihn am Stromnetz anschließen oder mit Akkus betreiben. Die Akkus reichen im Dauerbetrieb für 6 bis 7 Monate und werden - logischerweise - am Netz angeschlossen nachgeladen.

Die Tastatur ist der MEGA ST-Tastatur qualitativ gleichwertig. Alle Funktionstasten sind oben (doppelreihig) vorhanden. Nur die Cursortasten sowie Help, Undo usw. wurden nach oben verlegt, was für einen Einsatz in Textverarbeitungsprogrammen sehr lästig sein kann. Aufgrund von Platzproblemen ist die Zehnertastatur, obwohl sie vollständig ist, um einiges kleiner geraten, so daß man entweder kleine Finger haben oder sehr vorsichtig beim Eintippen von Zahlen sein muß.

Stacy - der ATARI Laptop

Für die Freunde der Maus müssen wir mitteilen, daß keine vorhanden ist. Keine Angst. Die Maus wurde nur durch einen Trackball ersetzt, was genauso komfortabel wie eine Maus ist und nicht so viel Platz in Anspruch nimmt. Nach einer gewissen Zeit wird jeder Stacy-Anwender feststellen, daß der Trackball mehr als ein notwendiger Kompromiß ist und mit Sicherheit keine Maus mehr haben wollen. Apropos Maus. Falls Sie dann immer noch eine Maus einsetzen möchten, sei erwähnt, daß sich auf der rechten Seite Anschlüsse für Joystick und Maus befinden. Also handelt es sich im Grunde genommen beim Trackball um eine Erweiterung.

Auf den Rückseiten befinden sich alle Schnittstellen, die man bei den anderen ST Rechnern findet: DMA, Centronic, RS232 und Floppy. Ein doppelseitig eingebautes Floppy-Laufwerk gehört zum Lieferumfang. Man kann allerdings später auch noch ein weiteres einbauen. Derselbe Platz kann aber auch für eine Festplatte benutzt werden, die dann ebenfalls mit Akku betrieben wird. Der Midi- und der ROM-Port befinden sich auf der linken Seite des Stacy.

Das LC-Display arbeitet im Monochrombetrieb mit einer Auflösung von 600x400 Bildpunkten. Falls man den Laptop zu Hause mit einem SM 124 oder einem Farbmonitor betreiben möchte, gibt es keine Probleme. Der Stacy besitzt ebenfalls einen Monitorausgang wie jeder andere ST auch.

Für wen ist dieser ST-Rechner nun gedacht? In erster Linie für alle, die viel am ST schreiben oder entwickeln. Sozusagen als Zweitgerät, zur Vorführung von Soft- sowie Hardware. Wenn wir den Preis betrachten (ca. DM 3400.-) müssen wir sagen, daß er momentan nur für die professionelle Anwendung konzipiert ist.

Die nächste Generation

Daß ATARI nicht nur beim ST-Rechner bleiben wird, ist logisch. Ein anderes Verhalten würde man als Anachronismus bezeichnen. Aber daß ATARI einen neuen Rechner auf den Markt bringt, der mit dem ST kompatibel ist, hätte man nicht unbedingt gedacht. Man kann die Überlegung anstellen, warum ATARI nicht einen Zwischenschritt gemacht und einen Rechner auf der Basis eines MOTOROLA 68020-Prozessors entwickelt hat. Die Überlegung ist vor allem dann richtig, wenn man bedenkt, daß ein Konkurrent in diesem Bereich (Apple) einen solchen Weg eingeschlagen hat. Andererseits ist die Leistungssteigerung eines 68020-Prozessors gegenüber einem 68000 nicht so groß, die Preissteigerung, die damit verbunden ist, zu kompensieren. Betrachtet man aber die Merkmale eines 68030, wird man feststellen, daß dieser 32 Bit-Prozessor wesentlich vielfältiger und leistungsstärker ist als sein Vorgänger.

Zwei Rechnermodelle werden die Nachfolger des ST: der TT und der TTX, die zueinander kompatibel sind. Auf beiden Rechnern werden ebenfalls Programme laufen, die am ST geschrieben sind. Gewisse Einschränkungen wird man in Kauf nehmen müssen: Die Auflösung eines TT ist am ST zum Beispiel nicht möglich.

Die verspätete Lieferung der neuen TOS-Version hat eins mit der Entstehung des TOS30, dem Betriebssystem des TT, gemeinsam: Man versucht, es aufwärtskompatibel zu machen. Den Kern dieser beiden Rechner bildet, wie schon gesagt, ein MOTOROLA-Prozessor 68030. Es ist der Nachfolger des 68020, und er ist auch wesentlich leistungsstärker als der 68000, der im ATARI ST eingebaut ist. Der 68030 ist ein echter 32 Bit-Prozessor, der dem CISC-Konzept entspricht. Durch die Anzahl an Registern besitzt dieser Prozessor aber den Hauch einer RISC-Architektur. Der MMU-Koprozessor des 68020 ist in den 68030 eingebaut, weshalb er sich für die Implementierung komplexer Betriebssysteme (UNIX zum Beispiel) ideal eignet.

Motorola 68030 - der Prozessor des TT

Ein sehr schneller Cache-Speicher hilft bei der Abarbeitung von Befehlen. Der Prozessor kann bis max. 33 MHz getaktet werden, was aber am TT nicht geschehen wird. Dort wird die Taktfrequenz bei 16 MHz liegen. Wer trotz dieser Geschwindigkeitssteigerung nicht zufrieden ist, hat die Möglichkeit, einen mathematischen Koprozessor einzubauen, der bei manchen Routinen oft Wunder bewirkt. Der 68020 und der 68030 besitzen beide ein Koprozessor-Interface, wodurch die Kopplung der CPU mit einem Koprozessor problemlos möglich wird. Im TT und TTX kann man wahlweise den MC 68881 oder den Nachfolger MC 68882 anschließen.

Aber ein Prozessor allein macht noch keinen Computer. Dazu gehört noch viel mehr. Neben den normalen Schnittstellen, die der ATARI ST besitzt, verfügen die TT und TTX-Maschinen noch über vieles andere mehr: Zwei asynchrone RS232- und zwei serielle SDLC-Schnittstellen (z.B. ideal für einen Anschluß an ein lokales Netz), SCSI-Interface, VME-Busanschlüsse u.a. Beim Floppy-Kontroller wird wahlweise der alte WD 1772 oder der WD 2793 verwendet. Auch der Soundchip wurde nicht erneuert. Der Yamaha-Sound-Generator YM2149 bleibt uns somit erhalten. Er ist - wie jeder ST-Besitzer weiß - in seinen Sound-Eigenschaften sehr beschränkt, aber in seinem Preis-/Leistungsverhältnis optimal. Auch bei der TT-Serie wird der YM2I49 genau wie beim ST für andere Ausgaben ‘mißbraucht’.

Über den in diesem Chip eingebauten I/O-Port (zweimal 8 Bit) werden die Centronic-Schnittstellen bedient. Ebenso wird der Soundshifter, der für die Ausgabe der erzeugten Töne über eine Audio-Buchse sorgt, angesteuert. Man kann sich darüber streiten, ob es nicht von Vorteil gewesen wäre, einen wesentlich leistungsstärkeren Soundchip einzubauen. Die Frage erübrigt sich aber, wenn man den Einsatzbereich dieses Rechners bedenkt. Es ist mit Sicherheit kein Computer, der in jedem Wohnzimmer stehen wird, und ebensowenig wird dieser Rechner für die Programmierung von Spielen eingesetzt. Wenn man Musik, professionelle Musik, machen möchte, benutzt man die Midi-Schnittstellen.

In der Grundausstattung besitzt der TT-Rechner 2 MByte RAM, die vom Videoteil und für das restliche System benutzt werden können. Falls der Speicher nicht reicht, kann man diesen (allerdings nicht den Video-Bereich) bis 16 MByte erweitern. Warum ‘nur’ 16 MB, wissen wieder einmal nur die ATARI-Ingenieure. Der 68030 kann bis 4 GigaByte direkt adressieren. Man muß aber nicht gleich übertreiben. Ferner ist das Betriebssystem in einem 512 KByte-ROM-Bereich untergebracht.

Für den Anschluß an herkömmliche Monitore sorgen ein Analog- und ein RGB-Ausgang. Die Tastatur ist Mega ST-kompatibel mit Anschlüssen für Maus und Joystick. (Anscheinend befaßt man sich doch mit dem Gedanken, daß der eine oder andere auch Pac-Man oder ähnliches auf diesem Rechner spielen wird.) Sowohl Tastatur als auch Joystick und Maus werden beim TT wie beim ST über eine 6850 ACIA verbunden. Auch der Midi-Port wird über eine solche ACIA angesteuert.

Mehr Farbe und mehr Pixel

Auch in der Auflösung sowie in der Farbwiedergabe ist der TT seinen Vorgängern überlegen. Sechs verschiedene Video-Betriebsarten kennen der TT und der TTX-Rechner. Monochrom können sie bis 1280x960 Pixel darstellen. In der Auflösung von 640x480 kann dieser Rechner 16 Farben aus einer Palette von 4096 gleichzeitig darstellen. Eine Sondereinstellung (die allerdings nicht sehr sinnvoll erscheint) ist der Duochrom-Betrieb bei einer Auflösung von 640x400. (Die einzelnen Farben sind völlig frei programmierbar.) In der niedrigen Auflösung können 256 Farben aus einer Palette von 4096 gleichzeitig dargestellt werden. Wie oben erwähnt, gibt es insgesamt 6 verschiedene Video-Arten, wobei die fehlenden nur Untermengen der schon erwähnten sind. Es ist eine Erweiterung geplant, die an den VME-Bus angeschlossen wird, falls diese Auflösung nicht ausreicht.

Und was ist mit der Software?

Wie erwähnt, werden die TT Maschinen mit dem TOS30 ausgeliefert, einem Betriebssystem, das kompatibel zu dem ST-TOS ist. Dadurch ist gewährleistet, daß jede sauber programmierte Software des ST direkt und problemlos läuft. Ferner ist ein Betrieb unter UNIX möglich, obwohl dieses Betriebssystem nicht im Lieferumfang enthalten ist. Der TTX-Rechner wird von Anfang an mit UNIX V.3.1 ausgeliefert, wodurch sich ein breiteres und sehr reiches Software-Spektrum eröffnet.

... und wann wird geliefert?

Im Gegensatz zur CeBIT '88 hatten wir auf der Hannovermesse in diesem Jahr die Möglichkeit, den TT im Einsatz zu sehen. Wir geben zu, daß dies, ebenso wie im vorigen Jahr, nicht für das breite Publikum der Fall war. Der große Unterschied liegt darin, daß man letztes Jahr nur einen grauen Kasten bewundern konnte, der nicht richtig funktionierte. Auf der CeBIT '89 dagegen haben zahlreiche Softwarehäuser sogar die Möglichkeit gehabt, ihre Programme auf dieser Maschine zu testen.

Der TT ist jetzt in der Produktionsphase und wird im Herbst in Deutschland eingeführt. Bis dahin werden auch sämtliche Software- und Hardwareproduzenten die Möglichkeit haben, ihre Programme an diese Maschine anzupassen. Im Gegensatz zu dem ST vor vier Jahren wird es bei der neugeborenen Generation von Anfang an eine Menge an fertiger Software geben, die erprobt ist und problemlos auf diesem neuen Rechner funktioniert.

Transputer-News

Es ist etwas still geworden um das ATARI Transputer-Projekt. Inzwischen haben sich im Verborgenen allerdings eine Menge Neuigkeiten angesammelt.

Als erstes: Die ursprünglich Abaq genannte Workstation hat jetzt einen endgültigen Namen: Sie heißt nun ganz prosaisch ‘ATW’ für ‘ATARI Transputer Workstation’.

Allen Lesern zur Erinnerung: Ein ATW besteht aus einem Mikroprozessor vom Typ T800 aus der Transputer-Familie der Firma INMOS, der mit 4 Megabyte RAM ausgestattet ist. Mit der Außenwelt kommuniziert dieser extrem schnelle Prozessor über einen Mega-ST, der Tastatur, Maus und Festplatte (die allerdings nicht über das Standard-ST-Interface, sondern eine echte SCSI-Schnittstelle angeschlossen wird) steuert, sowie eine Grafikkarte, die Auflösungen zwischen 1280960 und 512480 Pixeln mit bis zu 16 Millionen Farben erlaubt.

Ein Ray-Tracing Bild, angezeigt im 16-Millionen-Farben Modus. Die Auflösung ist 512*480 Punkte, das Bild wurde ohne Anti-Aliasing berechnet. Die Szene besteht aus 4 Lichtquellen, zwei Ebenen, einer massiven Glas- und zwei Spiegelkugeln. Die Rechenzeit für dieses Bild betrug unter 10 Minuten mit einem Quick-and-Dirty-Demo-Programm (ohne die elementarsten Optimierungen) der ArTTeC-Software GmbH. Beachten Sie dabei, daß der Release 3-ATW nur mit 17.5 MHz läuft.

Die Besonderheit am T800 ist, daß dieser Prozessor speziell für Parallelverarbeitung konzipiert ist, also dafür, in einem Netzwerk mit anderen gleichartigen Prozessoren zusammenzuarbeiten. Auf diese Art und Weise läßt sich die Rechenleistung eines ATW für eine große Gruppe von Problemen verhältnismäßig preiswert erweitern. Natürlich braucht ein High-Tech-System dieser Klasse auch ein passendes Betriebssystem. Es trägt den Namen Helios und wurde von der englischen Firma Perihelion entwickelt. Helios ist einerseits UNIX-ähnlich (z.B. läßt sich auf dem ATW die UNIX-Fenster und Grafikschnittstelle X-Window benutzen; auch andere UNIX-Software läßt sich verhältnismäßig problemlos übertragen), die Shell ist sogar ein exakter Clone der UNIX C-Shell, so daß Unix-Benutzer sich wie zu Hause fühlen können. Darüber hinaus ist Helios aber ein echtes verteiltes Betriebssystem für Parallelverarbeitung, das einige sehr innovative Konzepte enthält. Helios kann auf praktisch jedem Transputer-System verwendet werden, als Host können im Moment PCs, ATARI ST und AMIGA verwendet werden, in Zukunft auch Mac II, Sun-Workstations und VAX-Computer. Auch ein UNIX-Filing-System, das mit direkt vom Computer gesteuerten Harddisks arbeitet, soll in Kürze erhältlich sein.

Inzwischen ist Helios in der Version 1.1 als Beta-Testausführung zu haben, zusammen mit einem X-Server, der in Sachen Geschwindigkeit durchaus brauchbar ist (was man von den ersten alpha-Versionen nicht behaupten konnte). Leider ist die Dokumentation nicht auf dem gleichen Stand wie die Software.

Ein Ray-Tracing-Bild, berechnet mit einem UNIX-PD-Ray-Tracer. Die Portierung dieses UNIX-Programms auf den ATW war völlig problemlos.

In Kürze erscheint die gesamte (und hoffentlich überarbeitete) Helios-Dokumentation als Buch bei dem englischen Verleger Prentice-Hall.

Seit ungefähr einem dreiviertel Jahr sind die ersten fünfzig Entwicklermaschinen ausgeliefert. Diese Geräte sind noch in ein PC3-Gehäuse eingebaut, und ein zusätzlicher Mega-ST ist für die Peripheriesteuerung erforderlich. Das Ganze ist mechanisch ein Provisorium, die CPU läuft noch nicht auf voller Geschwindigkeit, und ein Spezialchip für schnelle zweidimensionale Grafik fehlt ebenfalls noch.

Der ATW in Besitz des Verfassers funktioniert seit seiner Ankunft im Dauereinsatz sehr zuverlässig; auch andere Benutzer aus meiner Bekanntschaft sind mit der Zuverlässigkeit des Computers sehr zufrieden. Die Software (Betriebssystem und C-Compiler) ist durchaus schon brauchbar, allerdings noch mit Mängeln behaftet. Außer dem Original-C-Compiler von Perihelion gibt es inzwischen einen Pascal-Compiler von Prospero, den der Autor bereits testen konnte. Zu dem Pascal gehört auch ein Source-Level-Debugger. Schließlich gibt es noch einen Modula II- und Fortran-Compiler, ein paralleles Fortran, ein halbcompilierendes BASIC und einen Makro-Assembler. Auch das INMOS-Occam-Entwicklungspaket läßt sich entweder Stand-Alone oder unter Helios verwenden.

Unter X läßt sich der Bildschirmhintergrund beliebig einstellen. Hier ein Helios-Logo als Muster. Rechts die X-Demo 'Labyrinth', der Rechenschieber oben erscheint, wenn man das X-Taschenrechner-Programm mit der Option 'analog' aufruft.

Für Entwickler ist also gesorgt. Die mir bekannten Projekte beschäftigen sich meist mit Computer-Grafik (3D-Grafik), anspruchsvollen Simulationen (Fahrwerke bei VW), Regeltechnik (Uni Braunschweig - Flugzeugbau) und Fotosatz (Repro-Technik).

Seit der ersten Aprilwoche stehen die ersten Vorserien-ATWs zur Verfügung. Diese Maschinen sind in ein sehr großes Tower-Gehäuse eingebaut und enthalten den kompletten Transputer-Rechner, den Mega-ST, zur Peripheriesteuerung eine 40 MB-SCSI-Platte und jede Menge Luft für Erweiterungen. Bis zu vier sogenannte ‘Farmcards' mit bis zu 4 Transputern passen ins Gehäuse, maximal also 17 Prozessoren. Das System kostet knapp 15.000,- DM (Entwickler dürfen zumindest in England mit Rabatten rechnen) und wird mit einem Minimal-Helios ausgeliefert, das nur mit einem Prozessor zusammenarbeitet. Wer Software entwickeln will, muß entweder von Perihelion oder einem anderen Anbieter einen Compiler kaufen sowie die zusätzlichen Betriebssystemteile für den Multiprozessorbetrieb. Die Kosten für diese Betriebssystemmodule dürften allerdings sehr gering im Vergleich zu den Hardware-Kosten für zusätzliche Transputer ausfallen.

Das neue ATW-Modell enthält auch bereits den neuen Grafik-Chip, der speziell für X-Window optimiert ist (Blocktransfer, Linienzeichnen und Textausgabe).

Links unten der Standard-Cursor-Font der X-Release 11.3. Darüber eines der Haupt-Pop-Up-Menüs des Window-Managers UWM, der zum Standard-Lieferumfang von X gehört. Oben links zwei zu Icons geschrumpfte Fenster, rechts das Icon der Helios-Shell, links das des X-Taschenrechners.

Die 2D-Zeichengeschwindigkeit mit diesem Chip ist tatsächlich beeindruckend. Man kann unter X Fenster komplett mit Inhalt praktisch ruckfrei verschieben. Allerdings ist der X-Server noch nicht endgültig angepaßt und optimiert und weist auch noch noch einige Fehler auf. Im Vergleich mit anderen X-Implementierungen scheint die Effizienz hervorragend. Auf meinem eigenen ATW (noch ohne Grafikchip) ist die Textausgabe noch etwas langsam, ansonsten kann man aber gut mit X arbeiten.

Die Geschwindigkeit des Systems ist beeindruckend: Ein Rechner mit einer CPU ist mindestens doppelt so schnell wie eine 25 Mhz-86386/387-Kombination, bei vielen Benchmarks sogar schneller als ein 386er mit dem extrem aufwendigen Weitek-Coprozessor-Satz. Der Preis ist also, vor allem in Anbetracht der eingebauten Grafik, durchaus berechtigt. Kein Rechner für jedermann, aber die perfekte Lösung für viele spezielle Probleme, für die eine UNIX-Workstation oder ein PC oder Mac II zu langsam und/oder zu teuer sind.

Natürlich gibt es noch keine fertige Anwendungssoftware für den ATW. Das kann man bei einem so neuen Computer aber auch nicht erwarten. Es bleibt aber zu hoffen, daß es bald Anpassungen von UNIX- oder PC-Software geben wird. Einige Firmen, vor allem aus dem Grafikbereich, haben jedenfalls großes Interesse daran bekundet. Ihre Produkte auf den ATW zu portieren. Abwarten, was sich bis Ende des Jahres, wenn der ATW im großen Maßstab auf den Markt kommen soll, in der Software-Branche tut. Die Gerüchte, daß ATARI den ATW gar nicht ernsthaft zu verkaufen gedenkt, scheinen auch an Boden zu verlieren: Der Chefentwickler der Firma Perihelion Hardware Ltd., der den ATW und auch einige Spezialchips für den Laptop Stacy entwickelt hat, ist seit kurzem Entwicklungs- und Forschungschef in ATARIs ‘Advanced Technology’-Abteilung. Die Resonanz auf das neue ATW-Modell ist in professionellen Kreisen Europas, Kanadas und Australiens sehr gut. Über die Zukunft des Systems muß man sich, wie ich glaube, keine Sorgen machen.

Bild 3: X Mille - das erste Spiel auf dem ATW, eine Portierung aus der UNIX-Welt.

Da uns einige Anfragen über zusätzliche Informationsquellen erreichten, seien hier noch einmal wichtige Adressen angegeben:

Projektleiter für den ATW (und damit zuständig für Informationen und wohl auch Bestellungen), der übrigens in ATARIs Braunschweiger Technologiezentrum gebaut wird, ist Helmut Göken.

Helmut Göken
ATARI Deutschland, Julius Konegen Str 24
3300 Braunschweig

Helios ist eine Entwicklung von Perihelion Software Ltd. aus Shepton Mallet (bei Bristol), England. Den weltweiten Vertrieb für Helios und Helios-Software (Compiler etc.) hat die Tochterfirma DSL übernommen:

Distributed Software Limited
670 Aztec West
Almondsbury
Bristol BSI2 4SD
England

Deutscher Vertreter für Helios ist die Aachener Firma Parsytech:

Parsytech GmbH
Juelicher Str. 338
D-5100 Aachen

Das X-Window-System wurde am Massachusetts Institute of Technology entwickelt und wird jetzt von einem Konsortium aus Firmen und Universitäten gepflegt. Die Software ist Public Domain und wird für einen Unkostenbeitrag auf Magnetband zur Verfügung gestellt. Praktischer ist der Zugang zu X über die englische Firma IXI, die sich auf X-Software und X-Informationen (z.B. gibt es dort umfangreiche Literatur zu X) spezialisiert hat:

IXI Ltd.
62-74 Burleigh Street
Cambridge
England CB1 101

Für weitere Literatur über Transputer, Helios und X sei der englische Verlag Prentice-Hall empfohlen; dort ist eine Buchserie über den INMOS-Transputer erschienen, in Kürze werden auch Werke über Helios und das X-Window-System erhältlich sein.

CS

Insgesamt 21 Prozesse laufen zum Zeitpunkt dieses Fotos gleichzeitig. Sie können die Namen der Prozesse im C-Shellfenster oben in der Mitte sehen; das Shell-Kommando PS gibt diese Liste für den aktuellen Prozessor aus. Die in diesem Bild verwendete Bildschirmauflösung ist 1024*768 Pixel, bei 256 Farben aus einer Palette von 16.7 Millionen.

Sie sehen zwei verschiedene X-Taschenrechner, ein Mandelbrot-Programm, einen Micro-Emacs-Texteditor, den X-Bitmap-Editor, den man zum Beispiel zur Definition von Icons verwenden kann, das berühmte Mandrill-Bild, das hier als Puzzle-Spiel verwendet wird, sowie eine Farbpalette.

Besonders interessant ist das Fenster rechts oben: Es enthält das X-Load-Utility, das Auskunft über die aktuelle Belastung des X-Servers gibt.



Aus: ST-Computer 05 / 1989, Seite 16

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