Editorial: Düsseldorf ade!

Die ATARI- Messe in Düsseldorf ist nicht erst seit diesem Jahr das wichtigste Messe-Ereignis für ATARI-AnwenderInnen; alle wichtigen Finnen, die den ST unterstützen, treffen sich hier, arbeiten gezielt mit neuen Produkten auf diesen Termin hin.

Das wissen auch die Anwenderinnen. Folgerichtig sind die Stände permanent umlagert, immer wieder bilden sich Schlangen. So bleibt kaum Zeit für Gespräche über Stand-Grenzen oder für einen kleinen Messerundgang, der gerade für uns wichtig ist. Vor allem aber wird unter solchen Bedingungen ein einigermaßen entspanntes Messegespräch mit Besucherinnen schier unmöglich.

Freilich sind Stoßzeiten auf Messen völlig normal. Wenn man aber drei Tage lang von früh bis spät solchem Trubel nicht mehr entkommen kann, bleibt der einzig logische Schluß: Die Messe ist zu kurz! (ATARI hilf!)

Der typisch studentische Plural ("Anwenderinnen", siehe oben) ist übrigens volle Absicht. Erstens täte der Szene eine Diskussion über die Diskriminierung von Frauen in der Computer-Sprache nicht schlecht, zweitens arbeiten viele Studentinnen mit dem ST. und drittens sind auch die meisten Entwickler (hier ohne "Innen", um hervorzuheben, wie hoffnungslos wenig Programmiererinnen es gibt) Studenten oder Schüler.

Wer auf der Messe nur einigermaßen die Augen offenhielt, mußte das bemerken: Die meisten Soft- und Hardwareentwicklungen für den ST stammen von jungen Entwicklern, Schülern und Studenten. Einerseits zeugt das von der hohen Anziehungskraft des ST für finanzschwache Schichten, zu dem auch von der jugendlichen Innovationskraft, die dem ST-Markt innewohnt.

Andererseits jedoch lauert hier eine Gefahr. Professionelle ProgrammiererInnen sind Mangelware, die meisten Produkte entstehen mehr oder weniger als "Nebenbeschäftigung". Letztlich wirkt sich das auf die Qualität aus, auch wenn man fast allen ST-Entwicklern überdurchschnittliches Engagement attestieren kann. Langfristige und umfangreiche Projekte sind so nur schwer zu verwirklichen, und die Programmpflege und AnwenderInnenbetreuung wird für beide Seilen zum Alptraum, wenn sich der studentische Entwickler während des Studiums noch damit befassen muß.

Muß man den Firmen nicht Kurzsichtigkeit vorwerfen, wenn sie statt der ausgebildeten Fachkraft doch lieber den viel billigeren Studenten engagieren? Vielleicht. Indessen: Welcher professionelle Programmierer befaßt sich denn mit dem ST? Angesichts des chronischen Arbeitskräftemangels in der Informatik können sich die AbsolventInnen der Hochschulen den Arbeitsplatz aussuchen - und wer wählt dann den Job bei einer Firma, die eine Nische auf dem immer noch wenig angesehenen ATARI Markt beackert, wenn er auch bei Apple unterkommt? Wer will Programme schreiben, die auf dem unsteten und von Raubkopierern verdorbenen ST Markt für hundert oder zweihundert Mark verkauft werden, wenn er für das gleiche Programm von UNIX-Anwendern mehrere Riesen einstreichen kann?

ATARI Deutschland mag die schleichende Unprofessionalität des ST-Marktes wohl erkannt haben: Messe-Initiativen wie DTP und Netzwerkvorführungen zeugen davon. Gleichzeitig aber kommen aus Sunnyvale neue Modelle wie das Handheld-Spielchen oder der STE, die in die Computer-Kid-Ecke zielen, der portfolio als Yuppie-Spielzeug oder der an einigen Stellen engstirnig beschränkte TT (viel zu kleines und zudem mehr als gewöhnungsbedürftiges Gehäuse, zu kleine Platten-Grundausstattung, nur ein VME-Bus-Steckplatz). Bei solchen Modellen, darüber waren sich viele Entwickler auf der Messe in leiser Trauer einig, bleiben Zweifel bestehen an der Ernsthaftigkeit der ATARI-Strategie, mit TT und ATW rechtzeitig in den Workstation-Markt einzudringen.

Hoffen wir. daß ATARI nicht beim TT die Fehler der ST Familie wiederholt, als da wären mangelnde Erweiterbarkeit (kein oder wie beim MegaST nur ein System-Steckplatz, zudem zu kleine Gehäuse), fehlende Programmierrichtlinien und fehlerhafte Betriebssystemroutinen, die Programmiererinnen zwingen, auf zweifelhaften Wegen um das Betriebssystem herum zu wandeln. Angesichts illustrer Konkurrenz im DTP-Bereich (Apple und Konsorten), bei den kleinen Workstations (SUN, HP, DEC...) und auch im Low-End-Bereich (Apple scheint sich zum Volks-Mac durchzuringen, und Commodore ist ja auch noch da) wird ATARI sich zusammenreißen müssen. Noch ist Zeit.

Trotz allem in großer Vorfreude auf die nächste ATARI-Messe,


Claus Brod
Aus: ST-Computer 10 / 1989, Seite 3

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