Der Calamus-Font-Editor - Die ersten Schritte zum Erfolg

Da liegt er, der neu entstandene Font-Editor für Calamus. Jetzt nur die Diskette mit zittrigen Fingern ins Laufwerk geschoben, und aus dem Reich der Beschränkung in das Reich der Freiheit... Augenblick, wo war doch die Betriebsanleitung...?

So wird es den meisten gehen, die die Möglichkeiten ihres Calamus mit dem Font-Editor erweitern wollen durch Eigenschöpfungen. Ausgangspunkt für die meisten ist wohl der Wunsch, gescannte Schriften in die hohe Calamus-Font-Qualität zu übertragen. Nach einigen Umwegen und Sackgassen kann ich einige Tips dazu beisteuern: Wenn Sie Ihre Vorlage scannen, achten Sie auf Rechtwinkligkeit! Speichern Sie möglichst in einem der Calamus-Bild-Formate. Da der Font-Editor ja ein Accessory ist, brauchen Sie ein Malprogramm, das Accessories zuläßt - oder Sie nehmen gleich Calamus. Ich habe mir zur Orientierung einen Linienrahmen gebaut, der quadratisch ist und die Verhältnisse des Font Editors hat (Oberkante Großbuchstaben und Schriftlinie). Diesen Rahmen sollten Sie sich auch anfertigen aus dem Linien-Menü. Sie können ihn über jeden Buchstaben schieben, bis der Stand stimmt, und dann tritt die Kamera in Aktion, wenn Sie vorher aus dem Rahmen- in den Textmodus des Calamus gewechselt haben, denn sonst kann es passieren, daß sie während der Arbeit im Font-Editor im Hintergrund Rahmen auf und zuziehen oder daß Ihr Cursor verschwindet...

Abb. 1

Nach dem Start

Sie haben also Ihren Font-Editor gestartet, den Namen der Schrift und verschiedene Angaben eingetragen (Abb. 2) - nur die erste Zeile kann später ediert werden, damit der Urheber nicht entfernt werden kann - das richtige Buchstabenfeld (Abb. 3) angeklickt und die Kamera aktiviert. Klicken Sie auf Ausschneiden (Abb. 4) und führen Sie den Fadenkreuz-Cursor entlang Ihres erstellten Quadrats. Je größer die Wiedergabe auf dem Bildschirm, desto besser die Wiedergabe im Editor.

Wenn Sie die linke Maustaste loslassen, sehen Sie nach einer Wartezeit - nicht den ausgeschnittenen Bereich, sondern die Aufforderung "Ausschneiden". Das kann schon irritieren. Man kann aber jederzeit die oben vorwitzig über den Rand schauenden Icons anklicken (viertes von links) und man sieht endlich den ausgeschnittenen Buchstaben (Abb. 5). Jetzt kommt die erste Enttäuschung: Der Ausschnitt ist nicht verschiebbar. Wie gut, daß der Orientierungsrahmen, den man selbst gebaut hat. verschiebbar ist...

Schon haben Sie die Lupe aktiviert und das Kurven-Icon angeklickt und setzen die ersten Punkte, die durch Linien verbunden werden (Abb. 6). Es sieht ja noch ein wenig eckig aus (Abb. 7), aber man sucht sich markante Punkte (am einfachsten die waagerechten und senkrechten Scheitelpunkte jeder Kurve - Regel I), bis der Buchstabe voll umkreist ist. Der letzte Punkt wird über den ersten gesetzt. Wenn Sie jetzt das Icon ganz rechts aktivieren, sehen Sie den Buchstaben schwarz (Abb. 8) und dazu die Kerning-Information (ein Kapitel für sich). Zu Anfang tut’s das einfache Block- Kerning, die Feinheiten kommen später.

Entfaltung...

Mit dem dritten Icon von links kommen Sie in den Bereich der Hilfslinien. Hier können Sie (auch schräg) anordnen, was Sie an Hilfe brauchen. Es wird mit abgespeichert. Der nächste Schritt in der Erstellung der neuen Schrift ist das "Entfalten" der Tangenten, damit die Ecken entfernt werden. Man klickt auf den kleinen Querstrich in der Mitte des Verbindungsstriches zweier Punkte und zieht ihn bei gedrückter linker Taste zur Seite. Er verwandelt sich in ein Quadrat und eine Tangente, und der Verbindungsstrich krümmt sich... wenn Sie das zweite Feld unter der Mülltonne - ja, das leere Feld (!) - angeklickt haben. Sonst sehen Sie keine Tangente, und die Hilfspunkte sagen Ihnen nichts. Ist alles "entgrätet", sieht man den fertigen Buchstaben in seiner ganzen Schönheit (Abb. 11).

Das Prinzip der Kurvenveränderung erklärt sich beim Arbeiten. Man kann sich die mitgelieferten Schriften auch mal mit den Tangenten ansehen, um seine Schlüsse zu ziehen (Abb. 13). Dann wird man entdecken, daß man nicht alles immer wieder machen muß: Man kann Teile von Buchstaben kopieren und Übereinanderschieben. Schieben? Ja, in der Anleitung ist es nicht ausdrücklich erwähnt, aber man kann bei gedrückter Alternate-Taste Pfade aktivieren (Abb. 13), die dann gelöscht oder verschoben oder kopiert werden können. Wenn man alles aktivieren will, kann man im Taschenrechner "select all" und danach "cancel" aktivieren.

...und Tangenten

In unserem Beispiel habe ich die innere Kontur eines "O" aktiviert und gelöscht (Abb. 14). Jetzt will ich sie neuzeichnen. Man braucht dabei gar nicht so viele Punkte wie beim Vorbild: Für einen Kreis oder eine Ellipse genügen meist drei Punkte, wenn man sauber arbeitet... Hier sehen Sie den Zustand nach dem dritten Punkt (Abb. 15). Ich habe ihn noch nicht über den ersten geschoben, damit mehr Übersicht herrscht. Es ist besser, erst die Tangenten zu entfalten (Abb. 16 u. 17) und dann den Kreis zu schließen (Abb. 18). Im Vergleich der Abb. 20 und 21 können Sie sehen, was passiert, wenn man die Hilfspunkte nach innen schiebt. In der äußeren Kontur sehen Sie, was man vermeiden sollte: In der Tangente ist ein Knick, wo sie den Kreis berührt. Hier hat auch die Kurve einen (mit Übung) sichtbaren Knick. Deshalb ist unsere zweite Regel: Tangenten dürfen keinen Knick haben (außer, die Linie soll einen bekommen).

Jetzt haben wir schon gescannte Vorlagen sklavisch nachgemalt und aus eigenem inneren Erleben freie Kurven konstruiert. Der nächste Schritt ist das sog. Kerning (Festlegung, was der Kern des Buchstabens ist und wieviel Abstand er zum nächsten und vorhergehenden hat). Hier ist Calamus wirklich einzigartig, weil in der Höhe sieben verschiedene Kerning-Informationen links und rechts für jeden Buchstaben gespeichert werden. Aktivieren Sie einmal die Funktion Kerning optimiert (drittes Icon von obenauf der Kerning-Seite), dann sehen Sie die Kontur des Buchstabens von den sieben Kerning-Stufen umflossen. Man muß jetzt Phantasie entwickeln und sich vorstellen, was passiert, wenn bestimmte Buchstaben aufeinandertreffen...

Orientierung

Eine große Hilfe ist auch hier das aufmerksame Betrachten der mitgelieferten Schriften. Es hat sich zum Beispiel bewährt. bei senkrechten Konturen von Hand in drei oder vier Pixel Abstand Kerning-Linien zu ziehen (verschiedene Icons für links und rechts beachten), damit Buchstaben wie M und N nicht optisch zusammenkleben. Es geht also darum, hier den Mindestabstand der Buchstaben festzulegen. Auf der Titelseite (Abb. 2) wird zusätzlich dazu noch ein "zusätzlicher Zwischenraum" (Calamus-Handbuch, I/11) eingetragen. Zu allem Überfluß kann man im Programm Calamus selber noch einen "Buchstabenabstand" (Handbuch IX-3/15) wählen. Woran soll man sich denn da orientieren? Nach einigem Brainstorming zusammen mit Freunden haben wir uns folgende Interpretation zurechtgelegt: Im Font-Editor auf der Kerning-Seite die individuelle Information festlegen, auf der Titelseite den "zusätzlichen" Zwischenraum und im Calamus dann die Anpassung an die verschiedenen Schriftgrößen. "Was hat das denn damit zu tun?", wird jetzt vielleicht einer fragen.

Unterschneidungen

Es geht um folgendes: Bei einer 6-Punkt-Schrift, die ja sehr klein ist, müssen zur besseren Lesbarkeit die Buchstaben etwas weiter auseinanderstehen. Bei einer 60-Punkt-Schrift müssen zur Geschlossenheit des Schriftbildes die Buchstaben enger zusammenrücken. Die Frage ist. wo man den Nullpunkt setzt (man kann im Calamus positive und negative Buchstabenabstände eingeben). Bei den mitgelieferten Schriften Times und Swiss ist der Nullpunkt wohl bei den kleinen Schriftgraden angesetzt. Umso mehr klaffen dann z.B. 48 Punkt-Zeilen auseinander. Die muß man dann "unterschneiden" durch Eingabe negativer Werte, damit es gut aussieht.

Ich habe mich bei den Schriften, die ich erstellt habe, dafür entschieden, den Nullpunkt bei 36 Punkt anzusetzen, und deswegen auf der Titelseite des Font-Editors kleinere Werte für den "zusätzlichen Buchstabenabstand" als bei Swiss und Times eingegeben. Für eine 6-Punkt-Zeile muß dann z. B. ein Buchstabenabstand von 1.2 eingesetzt werden. Für eine IO-Punkt-Schrift ist z.B. 0.8 der richtige Wert usw.

Haben Sie Lust bekommen auf eine weitere Folge zum Font-Editor? Dann schreiben Sie uns. Sie können sich mit Problemen auch an den Autor wenden, der selbst Schriftsetzer ist und schon eine Reihe von Schriften erstellt hat:

Peter Denk
Sportzenkoppel 38
2000 Hamburg 67


Peter Denk
Aus: ST-Computer 01 / 1990, Seite 69

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