Diskus - Der Multi-Medien-Monitor

Also, ob Sie es glauben oder nicht, da hatte ich irgend ein Programm auf meinem ATARI ST laufen, und danach zeigte mir das Festplatten-Directory eine Kapazität von ungefähr 693.762.841.703 Bytes an (so genau weiß ich das nicht mehr). Ich dachte, wie durch ein Wunder hätte ich alle Speicherschranken meiner 20 Megabyte-Festplatte überwunden. Als dann der Directory-Inhalt auch recht wundersam aussah, da war mir klar, was geschehen sein mußte: Das Programm hat auf der Harddisk wie die Hunnen gehaust und dabei Directory und beide FATs erbarmungslos in Urlaub geschickt. Da war natürlich guter Rat teuer.

Später hörte ich dann von sogenannten Diskettenmonitoren, was natürlich nicht im entferntesten etwas mit Bildschirmen zu tun hat. Nein, diese recht hilfreichen Programme sollen dem leidgeplagten Computeranwender einen großzügigen Ein- (oder auch Durch-?) blick in den externen Massenspeicher erlauben. So machte ich Bekanntschaft mit Programmen wie MUTIL, T.L.D.U. und Sybex Powerdisk. wobei ich erstgenanntes noch als Original besitze. Diese guten Stücke gehören heute längst in das ATARI Museum, denn es hat sich seither einiges getan.

Seit es Bücher wie Sybex Profibuch oder Scheibenkleister gibt, liegen dem interessierten Anwender die einst mystischen Vorgänge auf Disk und Festplatte klar und nachvollziehbar vor Augen. Gerade aber mit den sogenannten Diskettenmonitoren ist uns ein Werkzeug an die Hand gegeben. endlich gezielt (und bedacht!) Einfluß auf den Externspeicher zu nehmen.

Für den ATARI ST gibt es durchaus eine akzeptable Anzahl solcher Monitorprogramme. Eines haben aber alle gemeinsam: sie spezialisieren sich zu sehr auf einige wenige Anwendungsgebiete. Das soll jetzt anders werden: In die Auswahl reiht sich Diskus mit seiner jetzt vorliegenden neuesten Version (V.1.10) ein.

Diskus ist mehr

Wenn man es genau nimmt, ist Diskus nicht nur ein einziges Programm, sondern mehr: der erwähnte Diskettenmonitor, ein Harddisk-Datensicherungs-, sowie ein Kopier-, ein Optimier- und Datentestprogramm. Auch wird ein eigener Festplattentreiber mitgeliefert, der sogar die sogenannte c't-Billiglösung unterstützt.

Das Installationsprogramm wartet mit Besonderem auf. Hier können die Diskus-Funktionen auf Wunsch ein- bzw. ausgeschaltet werden. Dann stehen nach einem Programmstart nur die gewählten Optionen zur Verfügung - als ein regelrechtes Programm-Construction-Set.

Nach dem Start liest Diskus gleich den ersten logischen Sektor ein und präsentiert uns ein gewohntes Bild: ein GEM-typisches Fenster (Datenfenster genannt) mit Rollbalken (Slider). Dieses Fenster hat neben der Kopfzeile mit den Angaben über Sektor, Cluster oder Track eine Dreiteilung. Ganz links sind die laufende Numerierung der Byte-Gruppen, in der Mitte die Daten-Bytes in hexadezimaler Darstellung und am rechten Rand die Übersetzung in ASCII-Code untereinander sichtbar. Verschiedene Anwahlknöpfe (Buttons) erlauben den Aufruf spezieller Datenbereiche (Boot-Sektor, FATs und Directory) oder das Umherbewegen auf dem Datenträger (in Cluster-, Sektor-, oder Track-Sprüngen). Die zehn Nummernknöpfe am rechten Bildschirmrand stehen für zehn unabhängige Datenpuffer. Dort können ganze Sektoren oder Cluster abgelegt werden, um sie später in andere Datenbereiche hinein zu kopieren.

Reichhaltige Menüs

Was man dem Programm zunächst nicht ansieht, die Fülle an weiteren Bearbeitungsschritten, das alles verbirgt sich in den Pull-Down-Menüs. Für mein Gefühl sind dort zwar ein klein wenig zuviele Menüpunkt untergebracht, aber das ist nicht weiter schlimm, denn alle Steuerungen sind zusätzlich per ALT-Sequenz und Funktionstasten ohne Maus über die Tastatur erreichbar. Sehen wir uns in den Menüs einige Besonderheiten etwas näher an.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Löschen und Eliminieren! Beim Löschen wird nur der Eintrag im Directory als gelöscht gekennzeichnet, die Daten sind unmittelbar danach noch vollständig auf dem Externspeicher vorhanden. Diese könnte man wieder retten, wenn kein Schreibvorgang mit einer neuen Datei dorthin unternommen wurde. Eliminieren heißt nun aber, daß auch die Daten rein physikalisch gelöscht, also überschrieben werden. Eliminierte Dateien kann dann kein Programm der Welt wieder zurückholen!

Bild 1: Die Pull-Down-Menüs von Diskus.

Alias erzeugen ist nun wirklich etwas Besonderes. Es kann durchaus vorkommen, daß ein und dasselbe Programm mehrmals auf der Festplatte vorhanden ist, weil es ohne große Umwege direkt in den verschiedensten Ordnern aufgerufen werden soll. Mit Alias erzeugt man in beliebigen Ordnern sogenannte Dummies (blinde Dateien), denn das wirkliche Programm existiert physikalisch nur einmal auf dem Datenträger. Im Zusammenhang mit dieser Funktion sind einige Spezialitäten zu beachten: Löschen dieser unwirklichen Dateien darf nur von Diskus aus geschehen. Vor einem Optimiervorgang beispielsweise müssen diese Alias-Dateien unbedingt gelöscht werden. Ein leerer Eintrag ist eine Datei mit der Länge 0. Dort können z.B. restaurierte Daten abgelegt werden.

Unter dem Punkt Formatieren verbergen sich durchaus bemerkenswerte Auswahlmöglichkeiten. So sind bis zu 20 Sektoren pro Track, je nach Typ auch für HD- oder Hyper-Density-Disketten, möglich. Der ATARI ST-Computer reserviert für seine zwei FATs (File Allocation Table = Belegungsliste) jeweils fünf Sektoren. die man in aller Regel niemals vollständig braucht (außer bei Hyperformat). Mit FAT anpassen wird die benötigte Speicherkapazität auf IBM-übliche drei Sektoren (doppelseitige Disk) reduziert, der Rest steht für normale Daten zur Verfügung. Der Interleave ist eine Ordnungszahl. die angibt, in welcher Abfolge zusammengehörende Datensegmente auf dem Massenspeicher abgelegt werden (sofern die angesprochenen Sektoren nacheinander auch frei sind). Ein Interleave von 1 wäre optimal. Dies sagt aus, daß jedes Datensegment (Cluster) einer Datei schön Sektor für Sektor hintereinander liegt (so ist der ATARI ST standardmäßig eingestellt). Bei einem Interleave von beispielsweise 3 hieße das, daß die Datensegmente mit einem Zwischenraum von zwei Sektoren abgelegt sind. Natürlich benutzt eine andere Datei die übersprungenen Sektoren, wenn erforderlich. Ein Interleave von 3 erhöht bei einem Format mit 11 Sektoren pro Spur die Zugriffsgeschwindigkeit deutlich.

Bild 2: Neben den reinen Edierfunktionen (unten) hält Diskus weitere Spezialitäten bereit.
Bild 3: So sieht ein Festplattenzugriff im Hauptarbeitsfenster von Diskus aus.

Ähnlich arbeitet der Spiralfaktor. Hier geht es um die Numerierung der Sektoren zwischen den einzelnen Spuren. Normalerweise stehen sich Spur für Spur immer die Nachbarsektoren gleicher Nummer gegenüber. Der Spiralfaktor sagt aus, um wieviel der Nachbarsektor in Drehrichtung der Diskette verschoben wird. Bei dem Wert 1 des Spiralfaktors liegt neben dem Sektor 1 der Sektor 2 der nächsten Spur, dann Sektor 3 der übernächsten usw. Dies hat den Vorteil, daß der Laufwerks-Controller nach einem Spurwechsel schneller den nächsten Sektor finden kann. Ein Spiralfaktor von 3 kann durchaus eine Geschwindigkeitsverbesserung um einige Prozent bringen. So verwenden Blitter-TOS und TOS 1.4 bei Disketten den Spiralfaktor 2. Eine deutliche Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit wird letztendlich durch das Sehnelladeformat in Diskus erreicht.

Bei Boot-Sektor sind vielfältige Einsatzmöglichkeiten vorgesehen. Verschiedene Boot-Vorgänge sowie zusätzliche Boot-Programme wie 60-Hertz-Umschaltung für Farbmonitor oder Boot-Viren-Check sind denkbar. Unter dem Punkt Kompatibilität können nachträglich Disketten IBM-kompatibel gemacht werden. Übrigens: Diskus formatiert immer im IBM-Format.

Spezialformat sieht eine individuelle Erstellung einzelner Tracks oder ganzer Disketten vor. Die Anwahlpunkte sind sehr vielfältig und gehen sogar bis zur Einstellung der Lücken-Bytes.

Mit Umdrehungszahl kann man die Normdrehzahl des Diskettenlaufwerkes prüfen. Üblich sind 300 U/min, und Abweichungen um +/- 2 Umdrehungen sind nicht sonderlich tragisch. Nur bei 11 Sektor-Disketten ist die präzise Umdrehungszahl zu beachten.

Backup und Restore erlaubt die schnelle Sicherung ganzer Harddisk-Partitionen auf Diskette. Für 1 MByte braucht Diskus weniger als eine Minute. Besonders für zwei Disk-Laufwerke ist ein Clou eingebaut. Während ein Laufwerk gerade mit der Sicherung beschäftigt ist, kann man gemütlich im anderen Laufwerk Diskettenwechsel vornehmen. Der interne Diskus-Treiber kann in diesem Menü jederzeit zugeladen werden, gleichgültig, welcher beim Start der Festplatte aktiv war. Reichhaltige Informationen und Statistiken über die Festplatte im ganzen oder die Partitionen im einzelnen sind ebenfalls abrufbar.

Partitionieren hat auch seine Spezialitäten. So werden bei einer Neuaufteilung wirklich nur jene Partitionen gelöscht, deren Aufteilung sich ändern soll. Allen, bei denen sich die Größe nicht ändert, gehen auch keine Daten verloren. Mit Befehl senden kann man dem Platten-Controller direkten SCSI-Code schicken und damit alle möglichen Manipulationen durchführen. Diskus kommt bei allen Festplattenfunktionen mit dem neuen ATARI-Treiberformat (AHDI 3.X) zurecht.

Der Track-Modus funktioniert im Zusammenhang mit Disketten. Besonders hervorzuheben ist das Analysieren und Reparieren. Jeder Sektor auf Diskette besitzt einen Vorspann, über den dem Controller Angaben zu Anfang und Länge eines Sektors gemacht werden. Jener Vorspann wäre nun unter diesem Menüpunkt auswertbar. Es erfolgt eine umfangreiche Analyse aller möglichen (und unmöglichen) Spurformate, sofern der ATARI ST sie überhaupt lesen kann. Wenn Sektorgrößen von den üblichen abweichen, liegt entweder ein Diskettenfehler vor. öderes deutet auf einen Kopierschutz hin.

Die Funktionen unter Sektor und Block betrachtet man als nicht so spektakulär, da sie schon fast Standard sind. Nur: Beim Suchen legt Diskus beachtliche Geschwindigkeiten vor.

Daten testen ist eine Auswahl von Funktionen zum umfangreichen Checkup:

Hinter Daten retten verbirgt sich das Restaurieren versehentlich gelöschter Dateien, das Rekonstruieren des Directories und des Root-Sektors.

Um Daten für Fremde unlesbar zu machen, kann man mit Daten codieren einzelne oder mehrere Dateien und auch Ordner verschlüsseln. Den max. 16 Zeichen langen Codestring sollte man sich allerdings gut merken! Codierte Ordner sind logischerweise über das Desktop nicht ansprechbar, das gibt nur einen Systemabsturz!

Auch interessant ist der Menüpunkt Medium optimieren. Gelöschte Dateien werden weiterhin im Directory geführt und neue Dateien hinten angestellt. Beim Suchen nach einer Datei durchwandert das TOS auch die als gelöscht gekennzeichneten Einträge. Das braucht nur unnötig lange Zeit, also wären hier diese Einträge vollständig zu entfernen. Durch wiederholtes Löschen und Speichern derselben Datei liegen deren Cluster nicht mehr in sauberer Reihenfolge hintereinander, sondern wild verstreut auf der Platte. Dadurch dauert der Dateizugriff unnötig lange. Also einfach die Clusterfolge mit Diskus neu ordnen lassen.

Mit dem Parameter-Menü beenden wir unseren Streifzug durch die Diskus-Funktionen. Dort sind vornehmlich Grundeinstellungen für Floppy, Puffer, Drucker und Funktionstasten untergebracht.

Diskus - Das Buch

Eines darf bei der Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten nicht vergessen werden: das mustergültige Handbuch. Auf über 250 Seiten wird ausführlich und mit Sachverstand in die Bedienung von Diskus eingeführt. Das Handbuch ist in zwei Bereiche geteilt: Hinter der normalen Programmdokumentation folgt ein Theorieteil, der sich ausgiebig mit den Feinheiten von Festplatte und Diskette beschäftigt.

Die einzelnen Kapitel sind klar strukturiert, mit markanten Überschriften versehen und oftmals zusätzlich mit Übersichten (für die Tastaturbefehle) angereichert. Ich hätte mir aber nur ein klein wenig mehr Bilder darin gewünscht. Der Autor erläutert viele Vorgänge des Programms ausführlich und verständlich, nur einige Skizzen mehr hätten es wohl noch klarer und übersichtlicher gemacht.

Bild 4: Auch im Boot-Sektor können verschiedene Startprogramme untergebracht werden.
Bild 5: Besonders für das Neuformatieren eines Tracks sind viele Manipulationen denkbar.
Bild 6: Der Programmierer dürfte sich besonders auf die Angaben zum Aussehen der Datensegmente freuen.

Auf den Punkt gebracht

Diskus ist ein rundum einwandfreies Programm, mit dem es dem Anfänger durchaus leicht fällt, ohne Fachkenntnis Daten zu testen, Disketten zu optimieren und Backups anzulegen. Für den Profi hat Diskus mit vielen Besonderheiten aufzuwarten. Die Funktionsvielfalt ist reichlich, man hat alles in einem. Mir hat die Arbeit mit Diskus gut gefallen - es ist ein Programm, das durchaus Standards setzen könnte. Übrigens: Diskus kostet 149.-DM, und eine Demoversion ist für 10.-DM erhältlich.

DK

Bezugsquelle:

CCD Creative Computer Design Burgstraße 9 6228 Eltville



Aus: ST-Computer 04 / 1990, Seite 45

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