Flugsicherung mit dem ST - Unsicherer Luftraum?

Vorsicht, Ironie: Sie alle wissen, wie zuverlässig der ATARI ST ist. Eben dieses zuverlässige Gerät, mit dem die meisten von Ihnen häufig arbeiten dürften, wird auch zur Flugsicherung in der Luftraumnutzungszentrale Frankfurt eingesetzt. Wie gut, daß es noch die Deutsche Bundesbahn gibt...

Genug der Ironie. Die Aufgabe, die der ST zu bewältigen hat, ist gar nicht so schwierig. Wesentlich schwieriger ist es da schon, Ihnen diese Aufgabe zu erklären. Sicherlich werden Sie sich vorrangig dafür interessieren, warum eine solche Aufgabe mit einem ATARI ST erledigt wird, obwohl der sogenannte “Industriestandard” dem Gerät von allen Seiten zusetzt. Die Antwort ist eine leichte welche: Ein Bediensteter der Luftraumnutzungszentrale (LRNZ) hatte den Wunsch, die konventionelle Arbeit des Fernschreibens schneller, bedienungsfreundlicher und leichter zu gestalten. Was lag also näher, als einen ST für diese Anwendung einzusetzen? So hielt der ST, der auf unserem Heimatplaneten nur einmal für eine solche Aufgabe eingesetzt wird, Einzug in die Flugsicherung.

Bevor Sie jetzt kein Flugzeug mehr besteigen, lassen Sie sich erst die Aufgabe des ST erklären. Nehmen Sie an, ein dicker Nebel liegt über Frankfurt und begrenzt die Sicht auf 1,5 km. Dabei können natürlich weniger Flugzeuge starten bzw. landen, als es normalerweise möglich und üblich wäre. So könnte beispielsweise eine Beschränkung lauten, daß aus Paris nur noch ein Flugzeug pro 20 Minuten landen darf. Solche Nachrichten müssen dann natürlich so schnell wie möglich zu ihrem Bestimmungsort, in diesem Fall Paris, gelangen. Das entsprechende Datennetz nennt sich AFTN (Aeronautical Fixed Telecommunication Network) und ist ein Flugsicherungsnetz, das auf jedem größeren Flughafen der Erde installiert ist. Wie in fast allen Bereichen existiert auch hier ein konkurrierendes Netz. Es nennt sich SITA (Societe International de T6I6-communication Aeronautique) und wurde errichtet von verschiedenen großen Fluggesellschaften. Mit diesen beiden Flugsicherungsnetzen kann der ATARI ST der LRNZ kommunizieren.

Bitte sehen Sie in Abbildung 1. “Rembrandt?" werden Sie sagen. Richtig, genau das habe ich auch im ersten Moment gedacht. Die Flugsicherungsanstalten der verschiedenen Länder arbeiten mit weltweit genormten Abkürzungen, da die Länge einer solchen Nachricht 1800 Bytes nicht überschreiten darf. Damit auch Sie den Inhalt der (fiktiven) Nachricht verstehen, schreite ich hiermit offiziell zur Erklärung. In der ersten Zeile wird der Absender der Nachricht eingetragen. Die folgenden sechs Zeilen geben die Empfänger der Nachricht an, es sind verschiedene Länder und Städte. EDDF steht dabei zum Beispiel für Frankfurt. In den folgenden zehn Zeilen, die mit Nummern von 1 bis 9 versehen sind, steht endlich die eigentliche Nachricht. Zeile 1 sagt aus, welche Nummer das Schreiben (EXECUTION NR.###) hat und an welchem Tag es gültig ist (VALID ######). Damit das Schreiben wiedergefunden werden kann, besitzt es am Ende der Zeile ein Aktenzeichen (LE##). Die nächste Zeile erklärt dem Empfänger, wieso sie zu befolgen ist: “DUE TO RESTRICTIONS BY LECB". LECB ist dabei die Abkürzung für Barcelona. Bei unserem Beispiel hat also Barcelona Einschränkungen für den zu erwartenden Flugverkehr gegeben. Die dritte Zeile zeigt dem Empfänger an, von wann bis wann es gültig ist (PERIOD CONCERNED: #### - #### UTC). Die Abkürzung UTC steht dabei für “Universal Time Coordinated” und ist die Zeit, die in Greenwich gemessen wird. Die angegebene Zeit ist in diesem Fall die Zeit, in der die betroffenen Flugzeuge sich über dem Einflugpunkt Frankreich befinden (ETO FRENCH ENTRY POINTS); ETO heißt dabei “Estimated Time Over'. Grämen Sie sich nicht, wenn Sie schon jetzt nicht mehr alles verstehen: Zum Schluß erkläre ich alles noch einmal auf hochdeutsch. Unterdessen sollten Sie sich jedoch Zeile vier betrachten, denn diese Zeile gibt an, wer überhaupt von der Nachricht betroffen ist. In diesem Fall sind das Flugzeuge mit den Zielen Palma (LEPA), Ibiza (LEIB) und Mahon (LEMH). TFC ist dabei die Abkürzung für “Traffic”. Eventuell könnten nur bestimmte Flughöhen von den Restriktionen betroffen sein, deshalb werden auch diese spezifiziert. In Zeile fünf sehen Sie bereits, daß alle Flughöhen (FL = Flight Level) davon betroffen sind. Die nächste Zeile ist etwas unverständlich. SLAP und ATFMU sind die Abkürzungen für “Slot Allocation Procedure” (=Zeitrasterzuweisungsverfahren) und “Air Traffic Flow Management Unit” (=LRNZ bzw. Luftraumnutzungszentrale). Soll im Klartext heißen: Das Zeitrasterzuweisungsverfahren wurde von der LRNZ Frankfurt bestimmt. Oder ganz anders: Die Luftraumnutzungszentrale Frankfurt hat bestimmt, wieviele Flugzeuge für diese Einschränkung in einem bestimmten Zeitraum geschickt werden dürfen. Es ist einleuchtend, daß ein solcher Satz abgekürzt werden muß. Kurz: “Rate: Slap Atfmu Frankfurt”. Sollte sich ein Empfänger dieser Nachricht angesprochen fühlen, kann er Rückfrageaktionen starten. Dazu existiert Punkt 7. “Für Zeitrasteranfragen benutzen Sie bitte den Code: Balearic Islands” (SRQ heißt “Slot Request” gleich Zeitrasteranfrage). Wer also ein Abflugfenster beantragen möchte. muß sich mit dem Code “Balearische Inseln” melden. Punkt acht schränkt die gesamte Nachricht ein weiteres Mal ein, denn hier steht, daß Entlastungsstrecken bekanntgegeben werden, sobald sie verfügbar sind. Sollten also Umwegstrecken geflogen werden, während die einschränkende Nachricht gültig ist, werden sie auf dem gleichen Wege bekanntgemacht. Punkt neun ist freigehalten für verschiedene Nachrichten. In unserem Fall steht hier die Nachricht “Achtung Zürich: Wenn Sie über Italien fliegen - Zeitrasterzu weisungsverfahren Luftverwaltungscenter”. Die Abkürzungen: “LSZH” = Zürich, “SLAP” hatten wir schon, “ATMC” = Air Traffic Management Center. “NNNN” beendet, wie auch bei Telexen, die Nachricht.

Wer hätte das gedacht? In Frankfurt sichert ein ATARI ST den Luftraum
Abb. I: Ein Wust von Abklärungen wird vom ST in die Welt geschickt.

Wie bitte?

Für den Fall, daß Sie die Nachricht nicht verstanden haben, noch einmal im Klartext: “Flugkontrollausführungsmeldungsnummer ###, gültig am ###### // Aktenzeichen ##. Gesendet aufgrund von Einschränkungen aus Barcelona. Betroffene Zeit: #### bis #### Greenwich-Zeit -geschätzte Zeit über dem Einflugpunkt Frankreich. Betroffener Verkehr: Verkehr mit dem Ziel Palma, Ibiza und Mahon. Betroffene Flughöhen: alle. Zeitrasterzuweisverfahren wird bestimmt durch die Luftraumnutzungszentrale Frankfurt. Kommunikationsnummer: COM # (siehe Info-Nachricht) - Für Zeitrasteranfragen bitte den Code ‘Balearische Inseln' benutzen. Entlastungsstrecken werden angeboten, sobald sie verfügbar sind. Bemerkung: Achtung Zürich: Flüge über Italien bitte mit der Luftraumnutzungszentrale koordinieren!”

Nun sollte hoffentlich klar sein, was die ominöse Nachricht in Abbildung 1 zu bedeuten hat. Eben solche Nachrichten werden in Frankfurt mit dem ST erstellt und in alle Welt verschickt. Wo Sie die Doppelkreuze Finden, werden normalerweise natürlich Daten eingesetzt, etwa das aktuelle Datum oder verschiedene Kommentare. Dafür beinhaltet das LRNZ-Programm einen einfachen Texteditor Innerhalb der letzten Jahre haben die Mitarbeiter der Flugsicherung genügend Erfahrungen gesammelt, um jetzt sagen zu können, alle wichtigen Nachrichten, die normalerweise auftreten können, auf Diskette gesammelt zu haben. So wird, wie in unserem Beispiel, der Ansturm auf die Balearen im Sommer natürlich größer sein als zu einem anderen Termin. In London ist oft Nebel, in vielen Städten wird öfter gestreikt als in anderen. All die Nachrichten, die oft benötigt werden, sind auf Disketten verfügbar und dadurch innerhalb von 2 Minuten an ihrem Bestimmungsort - immerhin spielen bereits wenige Minuten eine sehr große Rolle bei der Flugsicherung: Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist die Kapazität eines Flughafens erreicht. Einen Stau kann es in der Luft nur sehr schwierig geben, also müssen Flugzeuge mit entsprechendem Ziel später oder gar nicht starten.

Reserven

Interessant ist, daß das System aus einem 520 ST mit 512 kB, einem Diskettenlaufwerk SF 314 und einem SM 124-Monitor besteht. Eine Festplatte wird man vergeblich suchen, da die Nachrichten nicht so übermäßig lang sind, daß man sie auf einem riesigen Medium speichern müßte.

Wirft das Gerät Bomben oder verabschiedet sich gänzlich (dieser Fall ist jedoch bisher noch nicht vorgekommen), stürzen nicht etwa Flugzeuge ab oder können nicht mehr starten, sondern innerhalb einer Minute wird ein Ersatzgerät aufgestellt, um den korrekten Betrieb zu gewährleisten. Mit dem Ersatzgerät arbeitet zur Zeit die Sekretärin, die mit 1st Wordplus und Calamus Briefe schreibt. Für dieses System stehen selbstredend auch eine Festplatte und ein SLM 804-Laserdrucker zur Verfügung. Auch die Korrespondenz der LRNZ wird also über einen ST abgewickelt.

Guten Flug

Sie sehen auch in diesem Anwendungsgebiet ein weiteres Beispiel für den professionellen Einsatz des ATARI ST. In diesem Fall bestimmt er zwar nicht gerade das Leben von Menschen, wird jedoch dafür eingesetzt, die Sicherheit im Flugverkehr zu gewährleisten. Bleibt nur noch. Ihnen einen guten Flug zu wünschen...

MP/CPL



Aus: ST-Computer 06 / 1990, Seite 15

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